Wichtiger Kommentar zum DW-Beitrag über die »Proteste ohne Ziel«
News vom 26.01.2015 | |
Stellvertretend für mehrere Kommentare, die als Reaktion auf den DW-Beitrag hier eingingen und alle den gleichen Tenor hatten, hier die Betrachtungen von Raina Zimmering.
Ich denke, dass die Sendung zu Protesten ohne Ziel (DW v. 25.1.2015) ziemlich abfällig gegenüber der Protestbewegung um das Verschwinden der 43 Studenten in Ayotzinapa ist. Die Erwartung einer Bewegung mit einem fertigen politischen und sozialen Programm, möglichst noch einem neuen Regierungsprogramm, ist völlig überzogen, denn hier ist Protest als Reaktion auf eine furchtbare Handlung einer korrupten, mit der Drogenmafia verbundenen Regierung entstanden und keine Bewegung mit einem politischen Programm für einen politischen und gesellschaftlichen Wechsel. Dass die Protestaktionen so negativ und illegitim dargestellt werden, ist auch gefährlich, so wird ziviler Widerstand in das Reich des politisch Verpönten geschoben und geht weit hinter das zurück, was in der westlichen Demokratie (Habermas, Rucht usw.) in jahrelanger Auseinandersetzung als legitim betrachtet wurde und mit der 1968er Studentenbewegung seinen Anfang nahm, wodurch Protest und Regelverletzung nicht als legal, aber als legitim betrachtet wird. Wenn jetzt Straßenblockaden als illegitim dargestellt werden, ist das eine gefährliche Einstellung, die Proteste verteufelt und letztendlich Polizeigewalt legitimiert.
Dass Proteste viel dazu beitragen können, neue gesellschaftliche Ziele zu entwerfen ist klar, kann aber nicht von einzelnen spontan entstandenen Bewegungen gefordert werden. Dass Kolumbien als Beispiel dafür herhalten soll, ist sehr verwunderlich. In Kolumbien wurden nach der sogen. Neuorientierung der Politik die kapitalistische Gesellschaft und die Beziehungen zu den USA gefestigt. Die Armut und soziale Ungleichheit gingen nicht zurück. Das Leben der Bürger ist sicherer geworden und der Staat verfügt wieder mehr über sein Gewaltmonopol. Allerdings hat sich der Drogenhandel laut wissenschaftlicher Statistiken nicht verringert, sondern ein neues Gesicht aufgesetzt, das durch kleinere Unternehmen und nicht mehr die großen Kartelle geprägt ist. Vielleicht ist auch der Staat nicht mehr so in den Drogenhandel involviert wie früher, aber wenn das die Ziele darstellen sollen, die von solchen Bewegungen wie von Ayotzinapa ausgehen, dann ist das verfehlt. Hier geht es nicht allein um eine Entflechtung der Koalition zwischen Politik, Armee und Drogenkartellen, sondern auch und in erster Linie um soziale Gerechtigkeit, darum, dass arme Indigenas studieren, ihr Wissen ohne Behinderung weiter geben und schließlich zur Errichtung einer sozial gerechten Gesellschaft beitragen können. Ich finde also den Beitrag von DW ziemlich daneben, politisch gefährlich und konservativ.
Wollte ich dir nur mal so schnell schreiben.
Liebe Grüße
Raina.
Univ.-Prof. Dr. habil. Raina Zimmering
- Historikerin, Politologin, Soziologin -
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