Feuer und Wort
Jungle World vom 24.12.2003 | |
Wolf-Dieter Vogel |
Vor 20 Jahren gründete sich der EZLN, vor zehn Jahren sorgte die Guerilla aus dem südmexikanischen Chiapas mit ihrem Aufstand weltweit für Furore. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt
Don Samuel Ruíz García lächelt, wenn er von diesen Tagen im Winter 1993 erzählt. »Klar, wir haben die Wolken am Himmel aufziehen sehen«, sagt der mexikanische Bischof. Knapp 30 Jahre war er damals bereits in der Diözese San Cristóbal tätig, und fast täglich waren er und seine Mitstreiter in den indigenen Gemeinden im Bundesstaat Chiapas unterwegs. Die Repression habe ständig zugenommen, erinnert sich Ruíz García, aber gleichzeitig hätten die Menschen ihre Angst überwunden, verhaftet oder ermordet zu werden. »Nein, es war keine Überraschung, das einzige, was wir nicht wussten, war, wie viele Leute letztlich eingebunden waren.«
Darüber gab Subcomandante Marcos, der charismatische Sprecher des Zapatistischen Befreiungsheers EZLN, erst vor wenigen Wochen genaue Auskunft. »Mit 4 500 Kämpfern in der ersten Feuerlinie, der so genannten 22. zapatistischen Infanteriedivision, erschien die EZLN das erste Mal in der Öffentlichkeit. Ungefähr 2 000 Kämpfer blieben in der Reserve«, informierte »der Sub« Mitte November in einem Kommuniqué. »Wir dachten damals nicht, dass wir weiterleben würden«, erinnert sich Comandante Abraham vom höchsten zapatistischen Gremium, dem Revolutionären Klandestinen Indigenen Komitee (CCRI).
Damals, das war am 1. Januar 1994. EZLN erklärte der Regierung aus den südmexikanischen Regenwäldern heraus den Krieg. Innerhalb eines Tages besetzten die indigenen Guerilleros und Guerilleras sieben Städte. Von den Balkonen der eingenommenen Rathäuser herab verkündeten sie ihre Ziele: »Arbeit, Land, ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Gesundheit, Ausbildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden.« Es folgten zwölf Tage schwerer bewaffneter Auseinandersetzungen mit der mexikanischen Armee, dann kamen eine lange Zeit der Scharmützel und Jahre der Gespräche mit der so genannten Zivilgesellschaft sowie Verhandlungen mit den Regierenden im fernen Mexiko-Stadt.
»20 und 10 — das Feuer und das Wort« heißt folgerichtig die Kampagne, mit der der EZLN und ihm nahe stehende Organisationen derzeit in ganz Mexiko mobil machen. Es gibt gleich zwei Jahrestage zu feiern: jenen Aufstand vom 1. Januar 1994 und die Gründung der Guerillagruppe am 17. November 1984. Nun diskutieren Bauern in Oaxaca über »den Zapatismus und die Campesinos«, Feministinnen in Guadalajara über »den Zapatismus und die Frauen« und Studierende in Zacatecas über »den Zapatismus und die Studenten«. In der Hauptstadt kommen Tausende Jugendliche zu einem Solidaritätskonzert, bei dem mexikanische Top-Bands wie Los de Abajos oder Panteón Rococó auftreten, und in den Stadtteilen werden Videos über den Kampf der »Compas« aus dem Süden gezeigt.
Der Zapatismus — eine Erfolgsstory? Im internationalen Rahmen gab es im letzten Jahrzehnt keine bewaffnete linksradikale Organisation, die soviel Zuspruch fand wie der EZLN. Nur wenige Analysen aus dem globalisierungskritischen Spektrum kommen ohne den Verweis auf das basisdemokratische Prinzip des »Fragend schreiten wir voran« aus, und auch das zapatistische Timing passte zur Bewegung: Der Aufstand begann just an dem Tag, an dem das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) in Kraft trat.
Nicht zuletzt waren es die Maskierten aus dem Lakandonischen Urwald, die noch vor den Krawallen von Seattle zum ersten weltweiten Intermezzo der »Altermundistas« riefen: zum »1. Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit«, das im Sommer 1996 in fünf zapatistischen Gemeinden stattfand.
Ist der Kampf der indigenen Bevölkerung in einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos tatsächlich so leicht anschlussfähig an die westliche Linke? Jeder müsse seine eigenen Erfahrungen machen, sagte Marcos. »Es geht nicht darum, den Zapatismus zu exportieren.«
Für viele mexikanische Linke stand mit dem Erscheinen des EZLN der Rassismus der mestizischen Dominanzgesellschaft im Vordergrund. Und damit auch die eigene Ignoranz gegenüber jenen zehn Prozent der mexikanischen Bevölkerung, die in der Sierra Madre von Oaxaca oder den Altos von Chiapas unterernährt, ohne ausreichende gesundheitliche Versorgung und fernab sozialstaatlicher Sicherheit leben müssen.
Nicht zuletzt diese katastrophalen Bedingungen ließen in den achtziger Jahren bei einer Handvoll Linker die Idee keimen, mit Hilfe von Che Guevaras Focustheorie eine revolutionäre Bewegung ins Leben zu rufen. Fünf Männer und eine Frau, drei Indigenas und drei Weiße, seien es gewesen, die am 17. November 1983 den EZLN gründeten, sagt Marcos. Zehn Jahre lang hatten sie einen Guerillakrieg vorbereitet, um sich dann nach den kurzen Feuergefechten vom Januar 1994 vor allem dem Kampf mit Worten zu widmen. Natürlich mussten die Zapatisten die von ihnen kontrollierten Gebiete immer wieder bewaffnet verteidigen, doch vor allem beschäftigte man sich mit dem Aufbau autonomer Strukturen und den Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung.
Es entstand das Abkommen von San Andres, in dem sich Vertreter des EZLN sowie der Regierung auf einen Entwurf über »Indigene Rechte und Kultur« einigten. Für viele indigene Organisationen wurden diese Vereinbarungen zur Grundlage ihres Kampfes. Die Autoritäten jedoch haben sie bis heute nicht umgesetzt. Im Gegenteil, im Jahre 2001 verabschiedete das Bundesparlament ein Indigenengesetz, das fundamentale Positionen des Abkommens ausklammert. »Das war die Periode, in der wir gelernt haben, dass für Politiker das Wort keinen Wert besitzt«, resümierte jüngst Marcos.
Nach etwa 18 Monaten des Schweigens meldete sich der EZLN erst in diesem Jahr wieder ausführlich zu Wort. Man habe nun fünf »Räte der guten Regierung« und »Caracoles«, auf indigene Tradition bauende Anlaufstellen für Außenstehende, geschaffen, hieß es. Acht bis 14 Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Gemeinden sitzen in jedem der Räte, die über die Belange der Bevölkerung entscheiden. Auf etwa einem Viertel der Fläche des Bundesstaates Chiapas haben die Zapatisten damit eine Regierung ins Leben gerufen, die sich von der mexikanischen verabschiedet.
Für den Historiker und EZLN-Spezialisten Andrés Aubry setzen die Zapatisten damit die Vereinbarungen von San Andres faktisch um. Im Abkommen werde vorgeschlagen, dass sich »Kommunen mit mehrheitlich indigener Bevölkerung frei assoziieren« dürften, folglich seien die Maßnahmen des EZLN eine »legitime Radikalisierung der Abmachungen, die beide Seiten unterschrieben haben«. Die Anthropologin Consuelo Sánchez ist davon überzeugt, dass die Zapatisten mit ihren Räten »San Andres weit überholt« hätten. Nun müsse sich die Regierung darauf einlassen, neu zu verhandeln.
Den Präsidenten Vicente Fox werden solche Appelle wenig interessieren. Seit er zu seinem Amtsantritt wissen ließ, er werde den Chiapas-Konflikt in 15 Minuten lösen, hat er nichts getan, um die Situation der indigenen Bevölkerung zu verbessern. Bisher sei es das alleinige Interesse von Fox, international zu demonstrieren, »dass Mexiko ein Paradies für Investitionen ist«, sagte Bischof Ruíz García der Jungle World.
Doch die kapitalistische Verwertung der Region dürfte künftig kaum einfacher werden. Man werde sich verteidigen, wenn versucht werde, das Gebiet Montes Azules zu räumen, um die dortige biologische Vielfalt für die Pharmaindustrie nutzbar zu machen, erklärten die Maskierten. Zwar solle mit der neuen zapatistischen Struktur die Dominanz des EZLN gegenüber den autonomen Gemeinden eingedämmt werden. Dennoch nehme man weiterhin die Aufgabe wahr, »die Kommunen vor den Angriffen der schlechten Regierung und der Paramilitärs zu schützen«, stellte die Guerilla fest.
Trotz ihrer Erfolge machen sich die »Compas« keine Illusionen. »20 Jahre sind ziemlich wenig«, sagte Comandante Abraham. »Wir haben gerade erst angefangen.«
Quelle: http://jungle.world/
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