Botschaft der EZLN zum 22. Jahrestag ...

... des Beginns des zapatistischen Aufstandes

Kommunique vom 05.01.2016
übersetzt von: lisa - colectivo malíntzin

 

Worte des EZLN zum 22. Jahrestag, des Beginns des Krieges gegen das Vergessen

1. Januar 2016.

Guten Abend, guten Tag,
Compañeros und Compañeras der Unterstützungsbasis (*1) des Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN),
Compañeros und Compañeras Milicianos und Milicianas (*2),
Insurgentas und Insurgentes (*3),
lokale und regionale Verantwortliche,
Verantwortliche der drei Instanzen der autonomen Regierung,
Compañeros und Compañeras Beauftragte der verschiedenen Arbeitsbereiche (*4),
Compañeros und Compañeras der Sexta Nacional und Internacional,
und alle hier Anwesenden.

Compañeras und Compañeros, heute sind wir hier, um den 22. Jahrestag des Beginns des Krieges gegen das Vergessen zu begehen.

Mehr als 500 Jahre erlitten wir den Krieg, den die Mächtigen der unterschiedlichsten Nationen, Sprachen, Hautfarben und religiösen Glaubensbekenntnisse gegen uns führten, um uns zu vernichten.
Sie wollten uns töten, indem sie unsere Körper töteten, und unsere Vorstellungen und Ideen.

Aber wir leisteten Widerstand.

Als Pueblos (*5) originarios, als Behüter der Madre Tierra leisteten wir Widerstand.
Nicht nur hier und nicht nur als Farbe der Erde, die wir sind.

In allen Orten der Welt gab und gibt es rebellische Leute mit Würde, die Widerstand leisten, die sich dem von oben aufgezwungenen Tod widersetzen.

Am 1. Januar 1994, vor 22 Jahren, machten wir das »¡YA BASTA!«, »ES REICHT!«, das wir in würdigem Stillschweigen zehn Jahre lang vorbereitet hatten, öffentlich.

Unseren Schmerz verschweigend, bereiteten wir den Schrei unseres Schmerzes vor.

Aus Feuer war damals unser Wort.

Um diejenigen, die schliefen, aufzuwecken.

Um diejenigen aufzuheben, die gefallen waren.

Um diejenigen zu empören, die sich angepasst und aufgegeben hatten.

Um die Geschichte widerspenstig und rebellisch zu machen.

Um die Geschichte zu zwingen, das zu sagen, was sie verschwieg.

Um die Geschichte der Ausbeutung, der Morde und Beraubungen, der Verachtung und des Vergessens, die sich hinter der Geschichte von oben verbirgt, offen zu legen.

Diese verlogene Geschichte der Museen, Statuen, Bücher und Monumente.

Mit dem Tod der Unseren, unserem Blut, erschütterten wir den Schlaf einer in der Niederlage resignierten Welt.

Es waren nicht nur Worte. Das Blut unserer toten Kämpferinnen und Kämpfer, in diesen 22 Jahren, summiert sich zu dem von Jahren, Jahrfünften, Jahrzehnten, Jahrhunderten zuvor.

Wir mussten damals wählen, und wir wählten das Leben.

Und deshalb, damals wie heute: Um zu leben, sterben wir.

So einfach und aufrichtig wie unser Blut, das die Straßen und Mauern der Städte, die uns heute wie früher verachten, war unser damaliges Wort.

Und ist es weiterhin:

Unsere Fahne des Kampfes waren unsere Forderungen: Land, Arbeit, Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung, Bildung, würdige Wohnstatt, Unabhängigkeit, Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.

Diese Forderungen brachten uns dazu, uns in Waffen zu erheben. Denn die Forderungen beinhalten das, was uns als originäre Völker und der Mehrheit der Menschen in diesem Land und auf der ganzen Welt fehlt.

Auf diese Weise führten wir unseren Kampf gegen die Ausbeutung, Marginalisierung und Erniedrigung, gegen Verachtung und das Vergessen, wegen all der Ungerechtigkeiten, die wir verursacht sahen durch das schlechte System.

Denn für die Reichen und Mächtigen dienen wir nur als Sklaven, damit sie jeden Tag reicher und wir jeden Tag ärmer werden.

Nachdem wir so lange unter dieser Herrschaft und Beraubung gelebt hatten, sagten wir:
»YA BASTA! ES REICHT! UNERE GEDULD IST AM ENDE!«

Und wir sahen, dass uns kein anderer Weg mehr blieb, als unsere Waffen zu nehmen, um zu töten oder für eine gerechte Sache zu sterben.

Aber wir, Männer und Frauen, wir waren nicht allein.

Und wir sind es heute nicht.

In Mexiko und in der Welt nahm die Würde die Straßen ein und forderte Raum für das Wort.

Wir haben damals verstanden.

Seit diesem Zeitpunkt hat sich unsere Form des Kampfes verändert, und wir waren und sind seitdem aufmerksames Ohr und offenes Wort. Denn von Anfang an wussten wir, dass ein gerechter Kampf der Leute, ein Kampf für das Leben ist und nicht für den Tod.

Aber wir haben an unserer Seite unsere Waffen, wir verlassen sie nicht, sie werden bis zum Ende bei uns sein.

Denn wir haben erfahren: Wo unser Zuhören eines mit offenem Herzen war, da setzte der Befehlsgeber, der Mandón, sein betrügerisches Wort, sein ehrgeiziges und lügenhaftes Herz dagegen.

Wir sahen, dass der Krieg von oben weiterging.

Plan und Ziel war und ist es, gegen uns Krieg zu führen, bis zu unserer Vernichtung. Deshalb organisierte und organisiert, führte und führt der Befehlsgeber den Krieg mit seinen modernen Waffen, gründet und finanziert paramilitärische Gruppen, bietet und verteilt Brotkrumen, das Unwissen und die Armut mancher ausnutzend — anstatt die gerechten Forderungen zu erfüllen.

Diese Befehlsgeber von oben sind Dummköpfe. Sie dachten, dass diejenigen, die bereit waren, zuzuhören, auch dazu bereit wären, sich zu verkaufen, sich zu ergeben und aufzugeben.

Sie irrten sich damals.

Sie irren sich heute.

Denn wir Zapatistinnen und Zapatisten, wir sind uns im Klaren, dass wir keine Almosen-Empfänger und Taugenichtse sind, die darauf warten, dass sich alles von alleine löst.

Wir sind Gemeinden, Pueblos, mit Würde, Entschiedenheit und Bewusstsein, um für die wirkliche Freiheit und Gerechtigkeit für alle (todoas) — gleich welcher Hautfarbe, Raza (*6), Geschlecht, Religion, Alter und Herkunft — zu kämpfen.

Darum ist unser Kampf weder ein lokaler noch regionaler noch nationaler Kampf. Er ist ein universaler, ein weltweiter.

Denn universal sind die Ungerechtigkeiten und Verbrechen, der Raub, die Verachtung und Ausbeutung.

Aber auch die Rebellion, die Wut und die Würde, das Sich Mühen, bessere (Menschen) zu sein, sind universal.

Deshalb begriffen wir, dass es notwendig war, unser eigenes Leben selbst aufzubauen: in Autonomie.

In mitten der großen Bedrohungen, der militärischen und paramilitärischen Bedrängungen, der ständigen Provokationen der schlechten Regierung, fingen wir an, unser eigenes Regierungssystem, unsere Autonomie — mit unseren eigenständigen Gesundheits- und Bildungsbereichen, unseren eigenen Kommunikationsmedien, und unserer Form, die Madre Tierra zu hegen und zu bearbeiten — zu schaffen. Wir formten unsere eigene Politik als Gemeinschaft, und unsere eigenständige Ideologie, wie wir als Pueblos leben wollen: mit einer anderen Kultur.

Wo andere darauf warteten, dass von oben die Forderungen von unten gelöst würden, fingen wir Zapatistinnen und Zapatisten an, unsere Freiheit zu schaffen. So wie man sät, aufbaut, wachsen lässt, das heißt: von unten.

Die schlechte Regierung versucht jedoch, unseren Kampf und Widerstand zu zerstören und zu beenden — mit einem Krieg, dessen Intensität sich entsprechend ihrer betrügerischen Politik verändert. Mit schlechten Ideen und Lügen, die sie in ihren Medien verbreitet, mit der Verteilung von Brosamen in indigenen Gemeinden, wo auch Zapatistas leben — um auf diese Weise zu spalten und das Bewusstsein der Leute zu kaufen — bringt sie ihren Aufstandsbekämpfungsplan zur Geltung.

Jedoch der Krieg, der von oben kommt, Compañeras und Compañeros, Schwestern und Brüder, ist immer der gleiche: Er bringt nur Zerstörung und Tod.

Die Ideen und Fahnen, mit denen der Krieg daherkommt, können sich ändern, jedoch der Krieg von oben zerstört und tötet immer. Niemals sät er etwas anderes als Terror und Verzweiflung.

Mitten in diesem Krieg mussten wir das entwickeln, was wir wollen.

Wir konnten uns nicht hinsetzen und darauf warten, dass diejenigen, die nicht begreifen, verstehen — oder nicht verstehen.

Wir konnten uns nicht hinsetzen und darauf warten, dass der Verbrecher sich selbst und seiner Geschichte abtrünnig wird, bereut und sich in jemand Guten verwandelt.

Wir konnten nicht auf eine lange und unnütze Reihe von Versprechungen warten, die einige Minuten später bereits vergessen wurden.

Wir konnten nicht darauf warten, dass das Andere, das Differente, jedoch mit dem gleichen Schmerz und der gleichen Wut uns ansah, und — uns betrachtend — sich selbst darin erkannte.

Wir wussten nicht, wie es zu machen ist.

Es gab noch kein Buch, keine Anleitung, keine Lehre, die uns gesagt hätte, wie wir Widerstand leisten und gleichzeitig etwas Neues und Besseres aufbauen könnten.

Möglicherweise nicht perfekt und sich unterscheidend, jedoch immer von uns, von unseren Pueblos, den Frauen, Männern, Kindern und Alten. Sie besetzen mit ihrem kollektiven Herzen die schwarze Fahne mit dem roten, fünf-zackigen Stern und der Aufschrift, die ihnen nicht nur einen Namen, sondern auch ein Versprechen, eine Verpflichtung und ein Ziel gibt: E Z L N.

Damals suchten wir in unserer Jahrhunderte alten Geschichte, in unserem kollektiven Herzen. Taumelnd, Fehler und Irrtümer machend, schufen wir das, was wir sind, und uns nicht nur am Leben und im Widerstand erhält, sondern uns auch würdig und rebellisch macht.

Während dieser 22 Jahre des Kampfs, des Widerstands und der Rebellion fahren wir fort, eine andere Form von Leben aufzubauen, indem wir uns als kollektive Gemeinschaften, die wir sind — mit den sieben Prinzipien des Gehorchend Regierens — selbst regieren und ein neues System und eine andere Lebensweise als Pueblos originarios schaffen.

Eine, wo die Leute befehlen und die Regierung gehorcht.

Und unser einfaches, aufrichtiges Herz sieht, dass es das Gesündeste ist, da es aus der Gemeinde selbst entsteht und wächst. Das heißt: Es ist die Gemeinschaft selbst, die ihre Meinung abgibt, die diskutiert, denkt, analysiert, vorschlägt und entscheidet, was das Beste zu ihrem Nutzen ist. Damit folgt sie dem Beispiel, was uns unsere Vorfahren gaben.

Wie wir im Folgenden erklären werden, sehen wir, dass in den Gemeinden der Partidistas (*7) die Schutzlosigkeit und das Elend regiert, Nichtstun und Verbrechen bestimmen, das kommunitäre Leben ist zerstört, bereits tödlich verletzt.

Das Sich Verkaufen an die schlechte Regierung hat nicht nur ihre Bedürfnisse nicht erfüllt, sondern mehr Schrecken hinzugefügt.

Wo es vorher Hunger und Armut gab, da setzen sie sich fort, jedoch zusätzlich gibt es jetzt die Verzweiflung.

Die Dörfer der Partidistas haben sich in Almosen-Empfänger verwandelt, die nicht arbeiten und nur auf das nächste Hilfsprogramm der Regierung warten. Das heißt: Sie warten auf die nächste Wahlkampf-Periode.

Und dies wird in keiner offiziellen Veröffentlichung der Bezirks-, Länder- oder Staatsregierungen auftauchen, jedoch entspricht es der Wahrheit, die man in den Gemeinden der Partidistas sehen kann: Campesinos, die bereits nicht mehr wissen, wie der Boden zu bearbeiten ist, verlassene Häuser aus Stein, denn Zement und Wellblech lassen sich nicht essen, zerstörte Familien, Gemeinschaften, die nur zusammen kommen, um die Almosen der Regierung zu empfangen.

In unseren Dörfern gibt es vielleicht kein Haus aus Stein und Zement, keine digitalen Fernseher, nicht die neuesten Transporter-Modelle, aber unsere Leute wissen, den Boden zu bearbeiten. Das Essen, das auf den Tisch kommt, die Kleidung, die sie tragen, die Medizin, die ihnen Erleichterung verschafft, das Wissen, das gelernt wird, das Leben, das vergeht, ist IHR Leben, ist Produkt ihrer Arbeit und ihres Wissens. Es ist von niemanden geschenkt.

Wir können, ohne in Not zu geraten, sagen: Den zapatistischen Dörfern und Gemeinden geht es nicht nur besser als vor 22 Jahren, ihr Lebenssniveau ist höher als das derer, die sich an die Parteigänger der unterschiedlichsten Farben verkauft haben.

Früher schaute man auf das rote Paliacate, das rote Halstuch und auf die Pasamontañas, die Skimütze, um einen Zapatista erkennen zu können.

Heutzutage reicht es aus, zu sehen, ob jemand das Land bearbeiten kann, seine Kultur pflegt, studiert, um Wissenschaften und Techniken zu lernen, ob Frauen als »Frauen, die wir sind« respektiert werden, und jemand einen erhobenen, klaren Blick hat, kollektiv zu regieren weiß, die Aufgaben der zapatistischen rebellischen autonomen Regierung als ein Dienen begreift oder als ein Geschäft, und antwortet, wenn er etwas gefragt wird, was er nicht weiß: »Ich weiß es nicht..., noch nicht«, und zur Antwort gibt, wenn man sich lustig macht und ihm sagt, die Zapatistas würden nicht mehr existieren und wären sehr wenige: »Mach’ dir ›mal keine Sorgen, wir werden schon mehr werden, langsam aber sicher, ja, wir werden mehr«, — jemand, der mit Weitsicht in Kalender und auf Geographien (*8) blickt, und somit weiß, dass das Morgen sich heute sät.

Aber ja doch, wir geben zu, dass uns noch viel, was wir machen müssen, fehlt; es fehlt, uns mehr und besser zu organisieren.

Darum müssen wir uns mehr anstrengen, um uns vorzubereiten, unsere Arbeiten der Selbst-Regierung stärker und besser zu realisieren, denn es kommt von neuem das Übel der Übeltäter (*9): das schlechte kapitalistische System.

Und wir müssen wissen, wie wir ihm entgegen treten. Wir haben bereits 32 Jahre Kampferfahrung in Rebellion und Widerstand.

Wir sind bereits die, die wir sind.

Wir sind der Ejército Zapatista de Liberación Nacional.

Wir sind — auch wenn sie uns nicht erwähnen.

Wir sind — auch wenn sie durch Schweigen und Verschweigen uns vergessen.

Wir sind — auch wenn sie uns nicht sehen und nicht beachten.

Wir sind unterwegs, auf dem Weg, am Anfang, am Ziel.

Und in dem, was wir sind, sehen wir, erkennen wir, hören wir die Schmerzen und Leiden nahe gelegener und weit entfernter Zeiten und Orte.

Und wir sahen sie früher, und wir sehen sie heute.

Eine blutige Nacht — noch blutiger als es möglich erscheint — breitet sich über die ganze Erde aus.

Der Mandón, der Befehlsgeber, strebt nicht nur danach, weiterhin auszubeuten, zu unterdrücken, zu verachten und zu rauben.

Er ist entschieden, die gesamte Welt zu zerstören, wenn es ihm Gewinn, Geld, Zaster verschafft.

Es ist klar ersichtlich, das Allerübelste wird auf alle zukommen.

Denn die großen, reichen Multimillionäre einiger Länder verfolgen weiterhin das Ziel, alle natürlichen Reichtümer der Welt — all das, was uns Leben gibt: Wasser, Land, Wälder, Berge, Flüsse, Luft, und all das, was unter der Erde ist: Gold, Erdöl, Uran, Bernstein, Schwefel, Kohle und andere Mineralien — zu plündern. Denn sie sehen die Erde nicht als Quelle des Lebens, sondern als ein Geschäft. Alles verwandeln sie in Ware, und die Ware machen sie zu Geld, und auf diese Weise wollen sie uns vollständig zerstören.

Das Übel und der Übeltäter haben Namen, Geschichte, Ursprung, Kalender und Geographie: das kapitalistische System.

Es spielt keine Rolle, welche Farbe und welchen Namen sie ihm geben, in welche Religion sie es kleiden, welche Fahne sie erheben.

Es ist das kapitalistische System.

Es ist die Ausbeutung des Menschen und der Welt, die er bewohnt.

Es ist die Verachtung von allem, was different ist, sich nicht verkauft, sich nicht ergibt und nicht aufgibt.

Es ist das, was verfolgt, einsperrt und mordet.

Es ist das, was beraubt.

Ihm gegenüber erscheinen, entstehen, reproduzieren sich, wachsen heran und sterben die Erretter, die Anführer und Caudillos, die Kandidaten und Regierungen, die Parteien, die die Lösung bieten.

Wie eine zusätzliche Ware bieten sie ihre Rezepte für Problemlösungen feil.

Vielleicht glaubt immer noch jemand, dass von oben, woher die Probleme herrühren, auch die Lösungen kommen werden.

Vielleicht gibt es immer noch jemanden, der an lokale, regionale, nationale, mundiale Erretter glaubt.

Vielleicht gibt es immer noch jemanden, der darauf wartet, dass irgendjemand das tut, was unsere Aufgabe ist — was wir, Frauen und Männer, selber machen müssen.

Das wäre sehr schön. Ja.

Das wäre alles schön einfach, bequem, ohne größere Anstrengung. Nur die Hand heben, einen Schein ankreuzen, ein Formular ausfüllen, applaudieren, Parolen rufen, sich einer politischen Partei anschließen, wählen, um den einen heraus zu kicken, damit ein anderer antritt.

Vielleicht —, sagen wir, denken wir Zapatistinnen und Zapatisten, die wir sind, was wir sind.

Das wäre sehr schön so. Jedoch ist es so nicht.

Denn was wir als Zapatistas, die wir sind, gelernt haben — ohne dass uns jemand das gezeigt hätte, lediglich aus unseren eigenen Schritten — ist, niemand, absolut niemand, wird kommen, um uns zu retten, uns zu helfen, unsere Probleme zu lösen, unsere Schmerzen zu erleichtern, uns die Gerechtigkeit zu schenken, die wir brauchen und die wir verdienen.

Nur wir, Frauen und Männer, werden das tun — jede/jeder entsprechend ihrer/seiner Kalender und Geographien, nach ihrem/seinem kollektiven Namen, Denken und Handeln und ihren/seinen Anfängen und Zielen.

Und als Zapatistas, die wir sind, haben wir auch gelernt, dass das nur mit Organisierung möglich ist.

Wir haben gelernt, es ist schön, wenn sich einer, eine, einEr empört.

Wenn sich jedoch einige, viele empören, dann entzündet sich in einem Winkel der Welt ein Licht, und dieses Licht schafft es für einige Augenblicke, das gesamte Antlitz der Erde zu erhellen.

Wir haben auch gelernt, wenn sich diese Empörungen organisieren... Ah, dann ist es nicht mehr ein momentanes Licht, das die Wege der Erde beleuchtet.

Dann ist es wie ein Murmeln, ein Geflüster, ein Beben, das zu erst ganz leise klingt, um später stärker zu werden.

So als ob diese Welt eine andere gebären würde, eine bessere, gerechtere, demokratischere, freiere, menschlichere (*10) Welt.

Deshalb beginnen wir diesen Teil unserer heutigen Worte mit bereits früher geäußerten, die jedoch weiterhin notwendig, dringend, lebenswichtig bleiben: Wir müssen uns organisieren, uns vorbereiten zu kämpfen, um dieses Leben zu ändern, um eine andere Form von Leben, eine andere Form des Selbst-Regierens als Pueblos zu schaffen.

Denn wenn wir uns nicht organisieren, werden wir noch mehr versklavt werden.

Es gibt nichts mehr, um noch in den Kapitalismus zu vertrauen. Absolut nichts. Wir haben bereits Jahrhunderte lang sein System erfahren, unter den vier Rädern des kapitalistischen Karrens gelitten: Ausbeutung, Unterdrückung, Raub und Verachtung.

Übrig bleibt nur noch das Vertrauen zwischen uns und in uns selbst, dass wir wissen, eine neue Gesellschaft, ein neues System des Regierens aufzubauen, — ein gerechtes und würdiges Leben, das wir wollen.

Denn keiner rettet sich jetzt im Sturm der kapitalistischen Hydra, der unsere Leben zerstören wird.

Indígenas, Campesinos, Campesinas, Arbeiter_innen, Lehrer_innen, Hausfrauen, Intellektuelle, Arbeitende im Allgemeinen, — denn es gibt ja viele, die darum kämpfen, ihr tägliches Leben zu überleben; einige mit Chef, andere ohne, jedoch in den gleichen Krallen des Kapitalismus gefangen.

Das heißt, im Kapitalismus gibt es keine Rettung.

Keiner wird uns führen, wir selbst sind es, die uns führen, — uns wahrnehmend, wie wir denken, die jeweilige Situation zu lösen.

Falls wir meinen, es gibt da jemanden, der uns führt, so haben wir bereits erfahren, wie sie uns früher Jahrhunderte lang und im Kapitalismus führten: Es hat uns Habenichtsen nichts eingebracht. Ihnen ja, denn derart verdienten sie lediglich im Sitzen ihr Geld zum Leben.

Zu allen sagten sie, »Wählt mich! Ich werde dafür kämpfen, dass es keine Ausbeutung mehr gibt.« Und wenn sie den Posten erhielten, mit dem man Geld verdient, ohne zu schwitzen, vergaßen sie automatisch alles, was sie gesagt hatten, fingen sie an, mehr Ausbeutung zu schaffen und den kleinen Rest an Reichtümern unserer Länder zu verkaufen.

Diese Land-Verkäufer sind Nichtsnutze, Heuchler, Blutsauger, die nicht taugen.

Darum, Compañeros und Compañeros, der Kampf ist noch nicht zu Ende, wir haben erst angefangen, ihn erst 32 Jahre — von denen 22 Jahre öffentlich sind — geführt.

Deshalb müssen wir uns mehr zusammenschließen, uns besser organisieren, um unser Schiff, unser Haus zu bauen, das heißt, unsere Autonomie. Denn sie wird uns vor dem großen Sturm, der sich nähert, bewahren. Wir müssen unsere Arbeitsbereiche und unsere kollektiven Arbeiten weiter verstärken.

Wir haben keinen anderen Weg mehr als den, uns zusammenzuschließen, uns zu organisieren, um zu kämpfen und uns gegen die große Bedrohung des schlechten kapitalistischen Systems zu verteidigen. Die Schlechtigkeiten des verbrecherischen Kapitalismus, der die Menschheit bedroht, werden keinen respektieren, werden alle hinwegfegen, ohne nach Ethnie, Partei oder Religion zu unterscheiden. Sie haben bereits viele Jahre lang demonstriert, dass sie unsere Pueblos auf dem Land und in der Stadt, auf der ganzen Welt, immerzu schlecht regiert, bedroht, verfolgt, eingesperrt, gefoltert, verschwinden gelassen und ermordet haben.

Darum sagen wir Euch, Compañeros, Compañeras, Jungen und Mädchen, junge Männer und Frauen, Ihr als junge Generationen seid die Zukunft unserer Gemeinschaften, unseres Kampfs und unserer Geschichte, aber Ihr müsst verstehen, dass Ihr eine Aufgabe und Verpflichtung habt: dem Beispiel unserer ersten Compañeros, der älteren Compañeros, unserer Eltern und Großeltern und aller, die diesen Kampf begannen, zu folgen.

Sie, Männer und Frauen, markierten den Weg. Jetzt ist es an uns, diesen Weg fortzusetzen und zu erhalten. Aber das erreicht man nur, wenn sich jede Generation von uns als Generation organisiert, um das zu lernen und sich dafür zu organisieren, bis zum Ende unseres Kampfes.

Als Jugendliche seid Ihr ein wichtiger Teil unserer Pueblos, darum sollt Ihr auf allen Arbeitsebenen unserer Organisation und in allen Arbeitsbereichen unserer Autonomie partizipieren, damit Ihr die Generation seid, die unser selbstbestimmtes Leben in Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, wie es uns jetzt unsere ersten Compañeros und Compañeras zeigen, weiterführen wird.

Compañeros und Compañeras, Ihr alle, wir sind uns sicher, dass wir eines Tages das, was wir wollen, erlangen: Für alle alles. Das meint: unsere Freiheit. Unser Kampf schreitet nach und nach voran, und unsere Waffen im Kampf sind unser Widerstand, unsere Rebellion und unser wahres Wort, sodass es keine Gebirge und keine Grenzen gibt, die ihn verhindern könnten. Er erreicht das Ohr und die Herzen anderer Brüder und Schwestern in der ganzen Welt.

Das bedeutet, dass wir bereits jedes Mal mehr sind, die den Kampf gegen die schwere Situation der Ungerechtigkeit, in der sie uns halten und die das schlechte kapitalistische System in unserem Land und in der Welt verursacht, verstehen.

Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass es während unseres Kampfes Drohungen, Repressionen, Verfolgungen, Vertreibungen, Widersprüche und Spott von Seiten der schlechten Regierungen gegeben hat und geben wird. Wir sollten uns jedoch bewusst sein: Wenn die schlechte Regierung uns hasst, befinden wir uns auf einem guten Weg, wenn sie uns applaudiert, dann weil wir von unserem Kampf abgewichen sind.

Vergessen wir nicht: Wir sind die Nachkommen von mehr als fünfhundert Jahren Kampf und Widerstand. In unseren Venen fließt das Blut unserer Vorfahren. Sie haben uns das Beispiel von Kampf und Rebellion weitergegeben, die Behüter unserer Madre Tierra zu sein. Denn auf ihr werden wir geboren, auf ihr leben wir und werden wir sterben.

-*-

Compañeras, Compañeros Zapatistas, Compañeros, Compañeras, Compañeroas der Sexta, Brüder und Schwestern.

Dies ist unser erstes Wort im beginnenden Jahr.

Mehr Worte und Gedanken werden folgen.

Nach und nach wird sich aufs Neue unser Blick, unser Herz, das wir sind, zeigen.

Zum Abschluss wollen wir Euch nur sagen: Um das Blut unserer toten Kämpferinnen und Kämpfer zu ehren und anzuerkennen, reicht es nicht aus, an sie zu erinnern, sie zu vermissen, zu weinen, zu beten, sondern wir müssen ihrem Beispiel folgen, die Aufgabe, die sie uns überließen, weiterführen, die Veränderung, die wir wollen, in die Praxis umsetzen.

Deshalb, Compañeros, Compañeras, ist an diesem so wichtigen Tag der Moment gekommen, unser Kampfbewusstsein erneut zu bestätigen und uns zu verpflichten, weiter voran zu gehen, koste es, was es koste, und geschehe, was geschehe. Wir lassen nicht zu, dass das schlechte kapitalistische System zerstört, was wir gewonnen haben, das Wenige, das wir durch unsere Arbeit und Anstrengung in mehr als 22 Jahren haben aufbauen können: Unsere Freiheit!

Jetzt ist nicht der Moment, um zurückzuweichen, den Mut sinken zu lassen und sich auszuruhen, wir müssen beharrlicher sein in unserem Kampf, und die Worte und Beispiele, die uns unsere ersten Compañeros zurückließen, beständig aufrechterhalten: Sich nicht ergeben, sich nicht verkaufen und nicht aufgeben.

DEMOKRATIE!

FREIHEIT!

GERECHTIGKEIT!

Aus den Bergen des Südostens Mexikos.

Für das Comité Clandestino Revolucionario Indígena — Comandancia General del

Ejército Zapatista de Liberación Nacional.

Subcomandante Insurgente Moisés.           Subcomandante Insurgente Galeano.

Mexiko, 1. Januar 2016.

*Anmerkungen die-der Übersetzer-innen:
(1) im Original: »bases de apoyo«: die zapatistischen Gemeinschaften und Dörfer
(2) miliciano/a: Milizionäre: Selbstverteidigungsstruktur der zapatistischen Gemeinden
(3) insurgente/a: wörtlich: »Aufständische«: der militärische Teil des EZLN
(4) im Original: »promotor/a«: Beauftrage/Lehrende, u.a. im autonomen Bildungs- und Gesundheitsbereich, in der Öko-Landwirtschaft
(5) im Original: »pueblos«: Dörfer, Gemeinden, Völker, Gemeinschaften
(6) im Original: »raza«: Nicht wörtlich ins Deutsche übertragbar, meint im mexikanischen Sprachgebrauch: die (vielen) verschiedenen Ethnien (Mexikos), oder auch als liebevoller Slang-Ausdruck: die eigene (Jugend-) Bande, die Gruppe
(7) partidista: Anhänger_in oder Mitglied einer politischen Partei
(8) im Original: »calendarios y geografías«: Zeiten und Orte
(9) im Original: »el mal de los malos«
(10) im Original: »más humano... o humana... o humanoa«

 

Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2016/01/01/palabras-del-ezln-en-el-22-aniversario-del-inicio-de-la-guerra-contra-el-olvido/


 

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