Persönlicher Bericht über die Rückkehr von 62 Familien der "Las Abejas"

Direkte Solidarität Chiapas vom 08.09.2001
Von Monika

 

Schon bin ich wieder einige Tage in San Cristobal und es passiert mir so viel, dass ich gar nicht nachkomme mit aufschreiben und überlegen. Immer wieder kommt durch Gespraeche ein neuer Aspekt zur Situation insbesondere der Zurückgekehrten dazu. Aber ich will doch mal versuchen, einen verkürzten Zwischenstand aufzuschreiben — halt mit einigen Sicherheitsauslassungen.

62 Familien der Vertriebenen kehrten am 28. August von X’oyep aus in ihre Gemeinden zurück. Ich hatte eine Woche in X’oyep im campamento civil por la paz (Friedenscamp) verbracht, die Rückkehr begleitet und dann nochmals knapp eine Woche mit den zurückgekehrten Familien in der Gemeinde Puebla gelebt. In X’oyep gab es seit kurz nach dem Massaker von Acteal im Dez. 1997 Flüchtlinge der "sociedad civil de las abejas" (katholische Basisorganisation) aus 5 Gemeinden: Jibeljoj, Puebla, Ch’uchtik, Yajxemel und Los Chorros. Erstere sind letzten Oktober in die Nähe ihres ehemaligen Dorfes zurückgekehrt, bei letzteren ist keine Rückkehr möglich, da es noch zu gefährlich ist, sprich zu viele Paramilitärs in Los Chorros gibt. Sicher ist jetzt entscheidend, wie sich die Situation in den nächsten Monaten entwickelt, ob eine Rückkehr auch dieser Vertriebenen möglich ist. Von Puebla aus sieht man abends auf der andern Talseite einige Lichter von los Chorros.

Die Rückkehr kam zustande, weil das Leben für die Vertriebenen in X’oyep fast nicht mehr zum Aushalten war (Holzmangel führten sie als schwerwiegendsten Grund an) und die veränderte politische Situation (neue Linie von Fox bzgl. den Paramilitärs, PRD-Gouverneur in Chiapas, z.T. nicht-PRI-Bürgermeister UND Gemeinde- und Bezirkswahlen am 7. Oktober). Erst am 25. August war zwischen Chenalho-Behörden und "abejas" im Beisein des Gouverneurs in San Cristobal ein ’pacto de no-agression’ geschlossen worden. Im Bezirk Chenalho, zu welchem alle erwähnten Gemeinden gehören, und wo es immer noch sehr viele Vertriebene, vor allem auch zapatistische gibt, ist der Präsidentschaftskandidat eines Wahlbündnisses namens "alianza de abeja" Jose Vasquez, ein Einheimischer von X’oyep. Er könnte gewinnen. Und dabei war und ist Chenalho DIE PRI-Hochburg und sind bekannterweise viele hohen Tiere stark mit den Paramilitärs liiert.

Doch zurück. Der Tag der Rückkehr war eindrücklich, belgeitet von haufenweise Presseleuten und mit den Gebeten, der Messe, vom chaipanekischen Bischof Felipe Arismendi gehalten, verschiedenen Reden u.a. vom chiapanekischen Gouverneur Pablo Salazar, eingeflogen mit dem Helikopter (der Bischof war alles gelaufen) und Empfangsfesten. Am nächsten Tag, dem ersten also, kümmerten sich die zurückgekehrten Familien zuerst um uns d.h. alle kräftigen Männer stellten Zelte auf und bauten Latrinen und banos für das campamento. Erst dann begannen sie, ihre eigenen Häuser in Ordnung zu bringen. Von den 9 Familien, die nach Puebla zurückgekehrt waren, hatten 4 keine Haüser mehr. Sie wohnen vorläufig in Zelten, haben aber vom mex. roten Kreuz Bauholz bekommen und sind dabei, die Wellblechdächer von X’oyep abzubauen und hierher zu transportieren. Sie haben einen Monat Zeit, sich einzurichten, bevor sie Gemeindeaufgaben übernehmen müssen. In der Woche, die wir in Puebla lebten, haben wir mitbekommen, wie einerseits die "abejas"-Familien, einige hatten damals auch kooperiert und mussten deshalb nicht fliehen, sehr stark zusammenhalten und andererseits die Zurückgekehrten auch versuchen, im Alltag wieder Fuss zu fassen. Ich glaube, ich kann mir das gar nicht vorstellen, was es heisst, zu fliehen und dann knapp 4 Jahre später wieder zurückzukehren und den Leuten, die dich damals mit Waffen bedrohten und blutig schlugen, die Hand zu schütteln, mit ihnen normal zu reden. Die Stimmung ist schon seltsam und voller untergründiger Spannung. Niemand weiss, wie die Situation in ein bis zwei Monaten aussehen wird. Die grosse Frage ist irgendwie, zu welchem Preis die "abejas" zurückkehren konnten. Können sie ihrer Überzeugung (ohne Waffen, katholisch; in Puebla gibt es 9 verschiedene Kirchen, am staerksten ist die Presbyteranische, auch so eine PRI Hochburg) treu bleiben und Unrecht verfolgen oder müssen sie schweigen, um hierbleiben zu können, etwas, was sie vor dreieinhalb Jahren nicht taten? Auf alle Faelle ist es nicht richtig zu sagen, dass es jetzt Frieden gibt in Chenalho. Einerseits gibt es noch viele Vertriebene vor allem auch im autonomen Bezirk von Polho und andererseits laufen noch so viele Paramilitärs, denen ihre Taten nachgewiesen werden konnten, frei herum.

Die Zapatistas sehen die Grundlage für eine Rückkehr alles andere als gegeben und stehen der pressemaessig so breitgeschlagenen Rückkehr der "abejas" und auch deren Kandidaten sehr kritisch bis ablehenend gegenüber. Ev. ist alles, was ich da schreibe ein bisschen verworren (und für manche zu wenig ausführlich), aber dies entspricht auch sehr der Situation.

Hasta luego
Monika


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