Kriminelle Umweltzerstörung im Nordwesten Mexikos

Poonal vom 06.05.2016
Von Victor M. Quintana

 

(Mexiko-Stadt, 6. Mai 2016, la jornada).- Nicht jeden Tag genießt man ein solches Vorrecht. Die pastoralen Mitarbeiter*innen der Diözese der Sierra Tarahumara, einer Gebirgsregion im Nordwesten Mexikos, luden mich zu ihrer Versammlung zum Thema Seelsorgeplan der Diözese ein. Die Dynamik dieser großen Gruppe, die sich aus Laien, Nonnen, Mönchen und Priestern zusammensetzt, erregte meine Aufmerksamkeit. Anfang des Jahres hatten sie einen Seelsorgeplan entworfen und jetzt organisierten sie dieses Treffen, um gemeinsam einen Aktionsplan zu beschließen. Obwohl zur Zeit die Stelle des Bischofs nicht besetzt ist und ohne dass ein Bischof sie zusammengerufen hätte, wollten sie gemeinsam mit dem Volk aus der Sierra Tarahumara schauen, urteilen und mitfühlen — und gemeinsame Aktionen beschließen.

Hier wird die Pastorale wirklich gelebt. Nonnen, die unter ärmsten Bedingungen in entlegenen Gemeinden leben und arbeiten. Männer und Frauen, seien es Mestizen oder Angehörige des indigenen Volkes der Raramuri, die ihren Glauben in dieser zerstörten Gegend umsetzen und leben wollen. Pfarrer, die über Berge und durch Schluchten ziehen, um die dort lebenden Menschen zu unterstützen, manchmal bei ihren offensichtlichen Kämpfen, manchmal bei so notwendigen und alltäglichen Aufgaben wie dem Transport von Kranken, bei der Suche nach einem verschwundenen Familienangehörigen oder bei der Notversorgung mit Nahrungsmitteln.

Kleinkriege der Drogenkartelle

Während den Diskussionen und bei der Gruppenarbeit wurde sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen deutlich, welches Thema die Realität in der Sierra Tarahumara am stärksten bestimmt: Die zerstörerische Präsenz des Organisierten Verbrechens, der Drogenkartelle im gesamten Südwesten des Bundesstaates Chihuahua. Man könnte sagen, dass das Sinaloa-Kartell das Gebiet im Westen Richtung Pazifik kontrolliert, die Schluchten und Flüsse, die in den Bundesstaaten Sonora und Sinaloa verlaufen; während »La Línea« oder das Juárez-Kartell das Gebiet im Osten hin zum Golf von Mexiko beherrscht, das weitläufige Gebiet des Flusses Río Conchos, der in den Río Bravo mündet. Die einen kontrollieren das Flachland, die anderen die Gebirgszüge. In den weiträumigen Gebieten, in denen sie aufeinander treffen, kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen oder »Kleinkriegen« wie diese von den Menschen hier genannt werden, bei denen unzählige Tote und Verletze zu verzeichnen sind.

Als ich im Plenum fragte, in welchen Gemeinden Personen gewaltsam verschwunden waren, wurden überall die Hände gehoben. Die gleiche Reaktion gab es bei meiner Frage nach Vertreibung von Einzelpersonen oder Familien, die von Kriminellen und ihren Auftragsmördern aus ihren Heimatdörfern vertrieben worden waren. Eine weitere schmerzliche Realität ist, dass Hunderte von jungen Menschen, seien es Mestizen oder Indigene, von den Kartellen als Arbeiter*innen angeworben werden, um im besten Fall im Anbau von Drogen zu arbeiten oder schlimmer noch als Arbeitssklav*innen benutzt zu werden.

Die grüne Lunge ist in Gefahr

Auch wenn schon die sozialen und menschlichen Auswirkungen fatal sind, so bereitet die fürchterliche Zerstörung der Wälder durch das organisierte Verbrechen den Pastoralmitarbeiter*innen noch viel mehr Sorgen. Der Wald der Sierra Tarahumara ist ein sehr empfindliches Ökosystem, da er in einer sehr trockenen Region wächst und nur eine dünne Humusschicht aufweist. Er ist jedoch die natürliche Lunge der weiten Ebenen und Wüsten im Nordwesten Mexikos. Hier entspringen zudem die Flüsse, die einige der fruchtbarsten landwirtschaftlich genutzten Gebiete Mexikos mit Wasser versorgen: die Täler Yaqui, Mayo und Fuerte auf der einen Seite und die Bewässerungsgebiete der Flüsse Río Conchos und Río Bravo auf der anderen Seite.

Diese Hochburgen landwirtschaftlicher Produktion sind durch die Zerstörung von Wäldern, Böden und Wasserläufen durch das Organisierte Verbrechen in der Sierra Tarahumara bedroht. Sie holzen Tausende von Bäumen ab, um neue Flächen für den Anbau von Mohn zu gewinnen. Sie handeln mit Hunderten von Kubikmetern Holz ohne Regulierung und ohne Kontrolle durch die Regierung. In abgelegenen Gegenden, in denen der Wald noch sehr dicht steht und es noch Bäume mit breitem Durchmesser gibt, werden die Nadelbäume einfach umgehauen und wie Abfall liegengelassen, ausrangiert. Wege werden versperrt, Bachläufe zerstört, Quellen verschüttet. Die Baumstämme bleiben liegen, verrotten, Schädlingsplagen können sich leichter ausbreiten, Holz wird verbrannt und die Waldbrände greifen auf Hunderte von Hektar über, wie es gerade in der Nähe der kleinen Ortschaft San Juanito passiert ist.

Die Leute stellen sich natürlich gleich die Fragen: Wo bleibt die Forstbehörde? Was passiert auf den verschiedenen Regierungsebenen, um diese schreckliche Umweltzerstörung zu stoppen? Welche Strafmaßnahmen wurden bisher ergriffen? Wenn man versucht, diese Fragen zu beantworten, dann könnte man denken, dass der Staat in der Sierra Tarahumara nicht mehr existiert, dass man es mit einem gescheiterten Staat zu tun hat.

Der Staat ist nicht gescheitert, sondern Mittäter

Aber nein. Die Regierung ist sehr wohl vor Ort vertreten: Die lokalen Polizeibehörden dienen den Kartellen oder stellen sogar die Auftragsmörder. Die Bundespolizei kommt vorbei, sobald die Auseinandersetzungen schon wieder am Abklingen sind oder verlangt Bestechungsgeld von denen, die die Spuren beseitigen. Und das Schlimmste: Das Militär schaut weg. Vor ihren Augen zerstören die Drogenhändler die Sierra und dehnen den Anbau von Mohn weiter aus, weil sie vielleicht schon den Preisverfall bei Marihuana durch die Legalisierung vorhersehen. Die örtlichen Drogenchefs bereiten sich gründlich auf die Inspektion eines Gebietes vor. Sie fordern von denen, die die Drogen anbauen, einen bestimmten Betrag, um das Militär zu bestechen und mit gebratenem Lamm- und Schweinefleisch zu empfangen. In Abwandlung der Äußerung des ehemaligen mexikanischen Präsidenten Fox kommen die militärischen Einheiten in die Sierra von Chihuahua, »kassieren, essen und gehen wieder.«

Deshalb handelt es sich hier nicht um einen gescheiterten Staat. Wir haben es mit einem kriminellen Staat zu tun. Ein Nachricht bestätigt das: In der Gemeinde Guachochi wurden Ende April fünf junge Männer ermordet. Die Anwesenheit des Militärs konnte das Blutbad nicht verhindern. Doch die extrem teuren Anlagen und Gebäude, die die Landesregierung für die Militärgarnison gebaut hat, wollte das Verteidigungsministerium nicht nutzen, da Wohnstandard und Sicherheit für die Truppe nicht gewährleistet seien.

Es handel sich also nicht um einen gescheiterten Staat. Der Staat funktioniert sehr gut für die Verbrecherorganisationen. Er ist kriminell und mitbeteiligt an der Umweltzerstörung.

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