Fragen ohne Antworten, Antworten ohne Fragen, Räte und Ratschläge.
(Anmerkungen — entnommen dem Notizheft des Gato-Perro)
Kommunique vom 20.10.2016 | |
übersetzt von: lisa − colectivo malíntzin |
20. Oktober 2016.
Wen es angeht:
Fragen ohne Antworten:
.- Und wird es für die ermordeten Frauen — ermordet weil sie das »schwere« Delikt begingen, Frau zu sein — wird es auch für sie Spott, Verachtung und die Anschuldigung geben, sie spielten den Rechten zu, weil sie den Einhalt der Angriffe fordern — und dies mit ihrem Blut auf die landesweite wie auch weltweite Tagesordnung setzen? Da sie nicht sterben, werden sie ermordet. Und wenn sie sich weigern, zu akzeptieren, dies sei ein Problem, das sich erledigt, wenn die Korruption attackiert wird? Und wenn sie sich erdreisten zu sagen, der Ursprung dieses mörderischen Hasses liege im System? Und wenn ihnen die krause Idee einfallen sollte, in ihren Lebensentscheidungen (ja, Entscheidungen des Lebens) die Männer bei Seite zu lassen? Und wenn sie sich entscheiden, ihr Schicksal selbst in die Hände zu nehmen? Dies oder all das soll ein Regierungsmanöver sein, um zu verhindern, dass ecetera?
.- Und die_der Anderen müssen darauf warten, dass die politische Klasse ihren erhöhten Blick auf eine der am meisten Verachteten von unten richtet? Müssen sie sich abfinden, ermordet zu werden bis hin zu einer Mord-Anzahl die Beachtung verdient? Und wenn sie sich organisieren und wenn sie Respekt verlangen, und wenn sie entscheiden, es reicht mit der Verachtung, die sich in Tod ummünzt? Wird ihnen dann gesagt, ihre Problematik sei nicht vorrangig, im Allgemeinen sei sie nicht politisch korrekt, und im Besonderen — in einem Wahlkampf — kontraproduktiv; sie müssten ihre Forderungen summieren und nicht subtrahieren?
.- Die fortschrittliche Kirche, deren Pfarrer, Ordensschwestern und Laien diejenigen sind, die aus erster Hand — ohne Vermittler — mit dem Schmerz, der Angst und Verzweiflung der Migrant_inn_en, der Familienangehörigen der Verschwunden gemachten, der angegriffenen Pueblos in Berührung kommen, mit dem Zorn wegen der Straflosigkeit, mit der Frustration, eine Ungerechtigkeit zu erleiden, die von Richterroben und Barretten zu Gesetz gemacht wurde; — diese fortschrittliche Kirche sollte das Interesse haben, diesen Schmerz zu ihrem eigenen Nutzen und Gewinn zu verwalten? Dass sie Gewinn damit machen, indem sie dieses Wehklagen zu dem ihrem machen und sich mit dieser Wut identifizieren? Und wenn diese Vision — aufgebaut nicht nur angesichts von Bedrohungen jeder Art, sondern auch das irdische Leben riskierend — erkennt, die Lösungen, die sich am Horizont abzeichnen, reichen nicht aus und dies frei und wohl durchdacht ausspricht, so würden sie sich damit — das seiend, was sie sind und konsequent daraus arbeitend — einem wirklichen Wandel widersetzen?
.- Wenn bereits die Existenz-Möglichkeit einer indigenen Frau als Staatsbürgerin (mit all ihren Rechten und Pflichten), »die Erde in ihren Zentren erbeben lässt«, was würde geschehen, wenn ihr Zuhören und ihr Wort das Mexiko von unten durchläuft?
.- An dich/ Sie, die du/ Sie das liest/ lesen: Würde es dich/ Sie stören, eine Debatte zu sehen und zu hören, zwischen einer Calderona (1) von oben, mit ihren »typischen« Kleidern der exklusiven Marken-Labels, und einer Frau von unten, geboren als Indígena, mit ihrer Kultur, Sprache und Geschichte? Würde es dich/ Sie mehr interessieren zu hören, was die Calderona verspricht als was die Indigene vorschlägt? Willst du/ wollen Sie nicht den Zusammenstoß zweier Welten sich ansehen? Stünden nicht auf der einen Seite eine Frau von oben, geboren und aufgewachsen mit allen Bequemlichkeiten, erzogen im rassistischen Überlegenheitsgefühl, Komplizin und sich bewerbende Erbin eines nach Alkohol und Blut dürstenden Psychopathen (2), Repräsentantin einer Elite, die ein ganzes Land zur vollkommenen Zerstörung führt — durch den Befehlsgeber zu seiner Sprecherin ernannt? Und auf der anderen Seite wäre eine Frau wie viele, die durch Arbeit und Kampf, tagtäglich, jederzeit und an allen Orten, sich prägte, nicht nur gegen ein System, das sie als Indígena, Arbeiterin und arme Frau unterdrückt, sondern auch als eine Frau, die konfrontiert wurde und sich konfrontiert hat mit einem System, dessen Bild und Abbild sich in den Hirnen von Männern und nicht wenigen Frauen reproduzierte, — eine Frau, der alles entgegen steht, und die heute, ohne es zu wissen, vielleicht nicht nur sich selbst oder ihr Pueblo, tribu, nación und barrio originario repräsentieren, sondern auch danach trachten muss, Millionen Frauen unterschiedlicher Sprache, raza, Farbe — jedoch gleich in Schmerz und Rebellion — zu repräsentieren? Ständen da nicht auf der einen Seite eine kreolische, weiße Frau, Symbol der Unterdrückung, des Spotts und Verspottens, der Straflosigkeit, der Schamlosigkeit, und auf der anderen eine Frau, die ihr Indígena-Sein über einen Rassismus erheben muss, der alle sozialen Schichten durchzieht? Wäre es nicht so, dass du/ Sie, ohne es zu merken, aufhören würdest/ würden, Zuschauerin, Zuschauer zu sein, und wünschtest/ wünschten — aus tiefstem Herzen — diese Debatte gewänne — in einem guten Kampf — diejenige, der alles entgegensteht?
Würdest du/ würden Sie nicht applaudieren, dass mit dieser indigenen Frau die Vernunft und nicht die Macht des Geldes gewänne?
.- Sorgt es dich/ Sie, dass die indigene Frau nicht gut spanisch spricht, und macht es keine Sorgen, dass der jetzige Träger der Exekutive nicht zu sprechen weiß?
.- Wie solide sind das politische System Mexikos — und wie fundiert und konsistent sind die Taktiken und Strategien der politischen Parteien — sodass es ausreicht, um hysterisch zu werden, wenn einer/ eine öffentlich sagt, er/ sie denke etwas und werde seine/ ihre anderen Gleichgesinnten fragen, was sie denn darüber denken, was er/ sie denkt ?
.- In welchem Maße wird der Vorschlag — ein indigener Rat der Regierung (3) — das heißt, ein Kollektiv und nicht eine Einzelperson — solle der Verantwortliche der föderalen Exekutive sein »zur-Stütze-des-Präsidial-Systems-zum-Komplizen-der-Wahl-Farce-und-Beitrag-zur-Stärkung-der-bürgerlichen-Demokratie-das-Spiel-der-Oligarchie-und-des-yankee-chinesischen-russischen-jüdischislamischen-milenaristischen-Imperialismus-spielend-außerdem-die-proletarische-Weltrevolution-verratend«?
.- Müssen wir der Untätigkeit der politischen Klasse, der »denkenden« Köpfe und Gaukler jeglichen Typs, folgen? Auf unfundierte und fundierte Kritiken, die uns in Frage stellen und zum Denken provozieren, mit Disqualifizierungen — die nicht nur müßig sondern auch langweilig sind (so wie peñabots, paniaguados, pejezombis, perderistas, etceteristas*) — antworten?
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Idee um Millionär_in zu werden (oder um Lohn für Unterschriftensammlung und Kampagne — oh, oh, das scheint, wirklich zu gehen — zu erhalten): eine Anwendung, die Twits selbst zensiert, wenn eine Dummheit geschrieben wird. Das, weil die Screenshots eine Dummheit nicht verzeihen werden. Äh? Das ist bereits passiert? Nun gut, sie sind herausgeschnitten; wenn der CNI uns autorisiert, darzulegen, wird es eh zwecklos sein, diese Twits zu löschen.
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.- Tabellenstand der ersten Woche:
Finalist der größten Albernheit: El Deforma (4), was auch kein großer Verdienst bedeutet, da El Deforma der F.C. Barcelona der Albernheiten ist.
Finalist des besten Twits der Verdachtsbegründung: »Mir scheint am Verdächtigsten, dass der #EZLN immer in Kälteperioden zur Mode wird, und darauf werden dann die scheiß Pasamontañas ganz schön teuer.«
Finalist der besten Twits zum Thema in Serie : »Hören Sie mal, benutzen die Zapatisten auch noch Twitter?/ Ich frage deshalb, weil wir hier knurren und fletschen die Zähne, machen uns lustig, spotten über sie / sagen und befehlen ihnen, was sie können und tun müssen oder nicht/ und wenn sie uns dann nicht beachten/ und uns nicht verleumden, nun, das ist wie / erregt vor einer Packung Müsli zu masturbieren, hören Sie mal/ aufgepasst: Nicht vergessen, diese Twits zu löschen/.« Warning! Ihr Twitter-Account hat eine Screenshot-Attacke erlitten.
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.- Hören Sie mal, hier ein gut gemeinter Ratschlag (5): Ein Kurs in Lektüre-Verständnis käme nicht schlecht, hören Sie. Und wenn wir schon das Feld der Literatur betreten: auch ein Kurs in Text-Redaktion...; der begrenzte Horizont von 140 Zeichen wird allerdings eine Einschränkung sein, hören Sie.
.- Nicht-konfuzianischer Lehrsatz: »Obwohl es unglaublich erscheint, scheint es nicht nur eine Welt sondern viele Welten außerhalb der Sozialen Netzwerke zu geben.«
Defensa Zapatista, Chicharito Hernández und Lionel Messi
Ich weiß nicht, wie zum Teufel dieser Ball zu meiner Champa (6) kam; der Punkt ist, ihm folgte ein Mädchen von... wie viel Jahren? Ich schätze, zwischen acht und zehn, was in einer Comunidad Jahre bedeuten können — oder Jahrzehnte. Es ist nicht das erste mal, dass die freche und fröhliche Redeweise der zapatistischen Kinder in den einsamen Raum, der mich manchmal beherbergt, einbricht. So machte ich auch kein großes Aufhebens davon und fuhr fort, den Sturm der Worte in den sozialen Netzwerken, den freien Medien und Bezahl-Medien durchzusehen und zu lesen. Ich hätte die Anwesenheit des Mädchens gar nicht bemerkt, wenn sie nicht mit Kennerstimme gesagt hätte: »Das ist wie das vom Chicharito und vom Messi.« Somit bemerkte ich, dass das Mädchen über meine Schulter auf den Bildschirm des Laptops linste. Ich erinnerte mich der alten Maxime: Der beste Angriff ist die Verteidigung, und fragte sie: »Und du, wer bist du? Ich kenne dich nicht.« Das Mädchen antwortete: »Ich, ich heiße Defensa Zapatista« (7), in dem gleichen überzeugten Tonfall als wenn sie gesagt hätte: »Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat.« Und auf den Bildschirm zeigend, fügte es hinzu: »Der Chicharito (8) spielt nicht bei Barcelona und der Messi (9) nicht bei den Jaguares de Chiapas (10).« Ich drehte mich um, ob der Hashtag gewechselt hatte, ohne dass ich es bemerkte; aber nein, in der Überschrift war zu lesen: »#ezln«. Was in dem Kopf eines zapatistischen Mädchens vorgeht, ist — mehr als eine Welt — ein Big Bang, ein Urknall in fortwährender Ausdehnung. Dessen ungeachtet fragte ich sie: »Und was zum Teufel bedeutet das?« Mit dem gleichen Gesichtsausdruck, mit dem gesagt wird: »Du weißt nichts, John Snow«, gab mir das Mädchen zur Antwort:
»Das ist so, als ob sie kritisierten, der Chicharito mache beim F.C. Barcelona keine Tore, und der Messi tue nichts dafür, dass die Jaguares ihre Punktzahl erhöhen. Und einige sagen, der Chicharito würde sich wieder erholen, andere er würde bereits zu was taugen. Die einen sagen, der Messi ist traurig, weil sie ihn in den Ländern, wo er geboren wurde, nicht unterstützen, andere meinen, ihn drückt der Schuh, und wenn er den Schuh wechselte, würde er wieder den Ball gut treffen.
Jedoch: Chicharito spielt nicht bei Barcelona und Messi nicht bei den Jaguares. Das heißt, sie regen sich umsonst auf.«
Ich war noch beim Auswerten des Paradigmenwechsels, den der Gedankengang des Mädchens vorschlug, als sie anfing mit: »Hör’ mal, Sup, warum organisiert man nicht ein Fußballspiel, wenn diejenigen hierher kommen, die so sind wie wir? Na, gut, wir haben die Equipe noch nicht vervollständigt, und der Pedrito hält sich sehr für einen Machito, einen kleinen Macho, einen höchst verdammten, und der Gato-Perro, nun, vielleicht fügt er sich den Regeln, und das fortwährend töpelhafte Pferd schläft, und die anderen Spieler, nun, manchmal kommen sie, manchmal gehen sie. Schau, ich habe mir bereits das Lied ausgedacht, wenn wir das Finale gewinnen. Kennst du die Weise? Woher solltest du das wissen, wo du doch Sup bist! Deshalb rate ich dir, die Wissenschaften und die Künste zu studieren, nun, damit wird dir klar werden, das Problem besteht darin, dass Chicharito nicht bei Barcelona spielt und Messi nicht bei den Jaguares, und deshalb mach’ dir keine Sorgen mehr. Auf dass Raben herbei fliegen, die dir die Augen herauspicken. Ich geh’ ja schon, denn die Equipe ist noch nicht vollständig und vielleicht trifft uns ja, wie man es nennt, die Einweihung.«
Bereits in er Tür, drehte sich das Mädchen noch einmal um, und sagte zu mir: »Hör’ mal, Sup, wenn meine Mamas kommen und fragen, ob du mich gesehen hast, sage ihnen klar heraus, dass Chicharito nicht bei Barcelona spielt, und Messi nicht bei den Jaguares. Das heißt, wie man so sagt, erzähle keine Lügen, denn die Mamas wissen, wenn du am Lügen bist. Das, was du machen musst, ist den Spielzug ändern, das heißt, du tust so als ob du nach dort gingst, aber Pustekuchen, denn du wirst nach da gehen. Wenn du willst, erkläre ich dir das nachher, aber zuerst das Studium, denn wenn du so in der autonomen Schule ankommst, werden sie sich lustig machen, noch schlimmer der Pedrito, weil der höchst verdammte Kerl bereits die Grundschule beendet hat und sich darauf etwas einbildet. Aber er wird schon sehen, ich werde sie auch abschließen, und hoppla, auf dass Raben herbei fliegen, die dir die Augen herauspicken. Über die Equipe mach’ dir mal keine Sorgen, wir werden bald mehr sein. Plötzlich sich ausweitend, aber ja, wir werden bald mehr sein.« Das Mädchen ging.
Es kam der SubMoy an und fragte: »Hast du bereits den Text für die Erklärung?«
»Nein, aber der Chicharito spielt nicht bei Barcelona, und der Messi nicht bei den Jaguares«, antwortete ich ihm, dem Rat des Mädchens folgend.
Der SubMoy guckte mich an, nahm sein Funkgerät und gab den Befehl durch: »Schickt jemanden von der Sanität mit einer Spritze.«
Ich rannte weg. Was hätte ich anderes tun können?
Wau-Miau.
SupGaleano.
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Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) La Calderona, offizieller Name: Margarita Zavala, Gattin des Felipe Calderón; s. (2)
(2) Felipe Calderón, mex. Präsident 2006-2012; ab 2006: Beginn des sog. »Drogenkriegs«
(3) Indigener Rat der Regierung; im Original: concejo: Rat; Sprachspiel des Sup; s. (5)
* reaktionäre und/oder offizielle hashtags in Mexiko; auch Sprachspiel des Sup: eceteristas?
(4) La Deforma; Wortspiel des Sup; die Zeitung heißt eigentlich: La Reforma
(5) Ratschlag; im Original: consejo; Sprachspiel des Sup; s. (3)
(6) Champa: Hütte aus Holz und Brettern
(7) Defensa Zapatista; wörtlich übersetzt: Zapatistische Verteidigung
(8) Chicharito: Baseballspieler bei den Jaguares de Chiapas
(9) Lionel Messi: argentinischer Fußballspieler beim F.C. Barcelona
(10) Jaguares: berühmte Baseball-Mannschaft in Chiapas
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