Was folgt? II. Das Dringende und das Wichtige.

Kommunique vom 03.01.2017
übersetzt von: RedmycZ, Christine

 

3. Jänner 2017

Ich habe Ihnen zugehört. Manchmal wenn ich hier bei Ihnen bin, manchmal im stream des Cideci, manchmal durch Ihre zapatistischen Schülerinnen und Schüler.

Immer versuche ich den Sinn Ihrer Ausführungen zu kapieren, den Verlauf und die Richtung Ihres Wortes. Wir haben brillante Vorträge gehört, einige didaktisch, andere kompliziert, die meisten polemisch, aber über die man debattieren kann. Wir meinen, dass Sie das unter sich machen müssen. Für diese Diskussion wäre vielleicht hilfreich, die Verwirrung aufzuklären, die zwischen Wissenschaft und Technologie besteht.

Abgesehen davon sind wir genau so erstaunt wie Sie. Das Interesse an der Wissenschaft ist nichts, das angeordnet oder auferlegt wurde, das entstand aus sich heraus.

Als vor 23 Jahren der Feminismus von uns verlangte, dass wir die Befreiung der Frauen anordnen müssen, sagten wir, dass man das nicht anordnen kann, sondern das von den Compañeras selbst kommt. Die Freiheit wird nicht angeordnet, sie wird erobert. Was die Compañeras zwei Jahrzehnte später erreicht haben, würde die beschämen, die sich seinerzeit als die Avantgarde des Feminismus bezeichneten.

Jetzt ist es ebenso. Die Wissenschaft wird nicht aufgenötigt. Es ist ein Produkt des Prozesses des Volkes, wie das der Subcomante Insurgente Moises bereits erklärt hat.

Wie ich Ihnen bereits sagte, erschienen uns die meisten Ihrer Beiträge gut. Aber nun, was einige, wenige, darlegten, hm, ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll.

Bei einigen wunderte ich mich, ich hörte aufmerksam zu und wartete nur darauf, dass man uns zu einem bestimmten Moment sagen würde: »alles was ich gesagt habe ist ein Betrug und ich sagte es Ihnen deshalb, damit Sie sehen, was die Pseudo-Wissenschaft ist und damit Sie nicht an den Grundsatz glauben, dass nur deshalb, weil jemand studiert hat, das was er sagt, wissenschaftlich ist«. Aber nein, es ging bis zum Schluss so weiter.

Ich durchforschte das Gesicht um zu sehen, ob da ein maliziöses Lächeln erschien, aber nein. Die Person war echt von der Ungeheuerlichkeit überzeugt, die sie aussprach und nahm dankbar den Applaus entgegen, den ihre mitgebrachten Claqueure und die geköderten Zuhörer darbrachten.

Als eine Compañera insurgenta hörte, dass keine Babys mehr gemacht werden sollen und es besser sei zu adoptieren, weil es eh schon so viele Menschen auf diesem Planeten gibt sagte sie zu mir: »dann hört sich die Menschheit auf, dann braucht es keine Hydra mehr, es reichen solche Ideen. Denn das ist ein Einfall der Reichen, auch wenn sie nur einer oder zwei sind, es gibt schon zu viele Reiche und sie sind überflüssig, das sind die, die stören und unnötig sind. Das was sie da gesagt haben heißt, dass wir nicht um eine andere Welt kämpfen müssen, wir sollen nur Verhütungsmittel nehmen«.

Ich werde Ihnen erzählen, was mir jemand anderer vor langer Zeit erzählte, als die Welt wie ein Apfel war und auf den Biss der Erbsünde wartete.

Da war ein Mann der erklärte, wovon er lebte. Dafür verwendete er die Methode der ´guten Schlange´. Er hatte einen seinen Begleiter. Zusammen füllten sie Vaseline in Fläschchen und versahen diese mit der Etikette »Pomade AllesAlles« und auf winzigen Lettern stand geschrieben, dass diese Salbe alles heilt, angefangen vom Alzheimer bis zum Liebeskummer, ebenso Kinderlähmung, Typhus, Haarausfall, den bösen Blick, Zahnkaries, Mundgeruch oder Schweißfüße und andere Leiden, an die ich mich jetzt nicht erinnere.

Was diese Person machte ist folgendes: sie stellte sich an einer Straßenecke auf und begann gegen Zoos und Zirkusse zu brüllen, weil sie die armen Tierchen einsperren usw. Und dann lautete es so: »Daher werden wir Ihnen eine gute Schlange zeigen, sie ist 7 Meter lang und wir haben sie im Kanal gefunden und wir haben sie gerettet und wir pflegen das Tier. Und jetzt werden wir sie Ihnen, meine Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, Kinder und Jugendliche, verehrtes Publikum, zeigen

Die Menschen näherten sich voller Neugier, vor allem deshalb, weil die Schlange nirgendwo zu sehen war, einzig und allein eine Art Koffer stand da, voll mit Fläschchen der Salbe »AllesAlles«.

Als genügend Publikum anwesend war, richtete sich die Person an ihren Gehilfen und sagte laut: »Sekretär, brin-gen Sie mir die Schlange!«. Der Komplize nickte und rannte los, wer weiß wohin.

Der Mann sah seinem Gehilfen nach. Dann sagte er ganz beiläufig zu einer Person, die in der Nähe stand: »Es ist unglaublich, sehen Sie wie er läuft, dabei konnte sich dieser arme Junge vor wenigen Wochen nicht einmal mit einem Stock bewegen, er saß im Rollstuhl. Und schauen Sie ihn jetzt an. Es sieht aus wie ein Wunder, aber dem ist nicht so. Zum Glück fand ich die wissenschaftliche Formel für eine Medizin, die ihn heilte. Ich werde sie Ihnen gleich zeigen«.

Klar, die Bemerkung war ganz »unschuldig« und es schien so, als sei sie nur für eine Person gedacht, aber er sprach so, dass es auch andere hörten. Er nahm also aus seinem Köfferchen ein Fläschchen und sagte zur Person, die ihm am nächsten stand: »Sehen Sie, hier ist es, wovon ich Ihnen erzählt habe«. Die Person nahm das Fläschchen und las die Beschreibung, während sich der Mann uninteressiert zeigte und so tat, als würde er die Fläschchen ordnen. Dabei blickte er immer wieder in die Richtung, in die sein Gehilfe sich entfernt hatte und sagte wie zu sich selbst: »warum bleibt er denn so lange aus? Hoffentlich ist ihm nicht die gute Schlange entwischt, sonst steht morgen alles in den Nachrichten und das arme Tier wird dann womöglich eingesperrt oder in Taschen oder Schuhe verwandelt«.

Währenddessen zeigte die unschuldige Person, die das Fläschchen erhalten hatte, dieses der Person nebenan und erzählte das von dem Buben, der die Schlange holen ging. In wenigen Minuten war das Fläschchen bereits in den Händen von mindestens 10 Personen und der Mann sagte: »Bitte meine sehr verehrten Damen und Herren, geben Sie bitte das Fläschchen an die Dame, den Herrn, den Jungen zurück«, oder wer es eben erhalten hatte und fügte bei »behalten Sie es, ich schenke es Ihnen, probieren Sie es aus und Sie werden selbst sehen«.

Da näherten sich Andere und baten auch um eine Gratisprobe, dem Mann war das sichtlich peinlich und entschuldigte sich folgendermaßen: »Nein. Es tut mir sehr leid, ich kann nicht allen etwas schenken, das ist nämlich eine Spezialbestellung des Gesundheitsministeriums. Aber ganz ehrlich, es ist besser, dass Sie das benutzen und nicht die von der Regierung, die allesamt nichts wert sind, geben Sie mir nur 10 Pesos, damit ich für die Regierung wieder neu produzieren kann«.

Es reichte, dass sich anfangs 5 Personen näherten, um dann weitere anzuziehen. In kürzester Zeit umstand ihn eine beträchtliche Anzahl von Menschen. Die Leute erzählten sich gegenseitig, worum es ging und der Mann, der sich weiterhin uninteressiert zeigte, musste nur kassieren, während er über das lange Ausbleiben seines ¨Sekretärs¨ und der guten Schlange jammerte.

Nach einigen Minuten kam der Gehilfe zurück, atemlos und besorgt und er flüsterte dem Mann etwas ins Ohr. Dieser antwortete »Um Gottes Willen. Wirklich? Bist Du auch sicher« Dann packte er rasch sein Köfferchen, das jetzt leer war oder zumindest fast leer und sagte zu den Menschen: »Verschwinden Sie so schnell wie möglich, die Schlange ist ausgekommen und die Polizei ist schon im Anmarsch« und die beiden liefen verschreckt los. Der Alarm verbreitete sich rasch und die Menschenmenge zerstreute sich.

Ich fragte ihn, wieviel ihm das Herstellen des sogenannten Heilmittels kostete. Er sagte, dass er die Fläschchen aus dem Müll holte und die Vaseline, nun, die kostete so um einen Peso pro Fläschchen. Mit dieser Methode verdiente er pro Tag um die 100 Pesos, nur zum Vergleich, der Mindestlohn betrug damals 8 Pesos pro Tag.

Gut denn. Ich will damit nur denen sagen, die bei diesem Treffen diese Methode anwenden wollten, dass wir ihnen ihre Fläschchen nicht abkaufen werden, auch wenn sie einen akademischen Titel besitzen. Ich glaube, sie müssen sich eine andere Straßenecke suchen um ihren Ramsch anzubieten. -*- Vielleicht hat jemand noch das Bild des dummen und einfältigen Indigenen im Kopf und dachte, dass er/sie zu uns über etwas sprechen könne, obwohl er/sie von Vornherein wusste, dass das nichts mit Wissenschaft zu tun hat. Nicht einmal zur Pseudo-Wissenschaft reicht es und selbst in den Social Media habe ich besser erarbeitete und einfallsreichere Dinge gelesen, obwohl gleichermaßen erstunken und erlogen.

Was ich noch sagen wollte: wenn Sie sich aufregen, dass in der Akademie an den Wissenschaften nicht berücksichtigt wird, was nur ein existentielles BlaBlaBla ist, hier auch nicht.

Dass in der Akademie der politische Aktivismus nicht berücksichtigt wird, hier auch nicht. Aber ich werde Ihnen gleich sagen, wo der berücksichtigt wird: in der institutionellen Linken. Dort schon, da gehen Sie hin und Sie sagen: ich habe einen Doktortitel, welchen auch immer, ich habe in so und so vielen Protestmärschen, Meetings, Kursen teilgenommen, dann ist Ihnen eine Führungsposition sicher, in irgendeiner Abteilung, oder als Berater oder als Koordinator.

Hier nicht, wenn Ihr Wissensbereich Mathematik ist, dann ist es das. Auch wenn Sie nicht wissen, was Mehrwert oder Klassenkampf bedeutet, oder nicht wissen ob ´Die Internationale´ ein Protestsong, eine Oper oder der Name eines Importladens ist.

Wie Ihnen schon der Subcomandante Insurgente Moisés sagte, die Wissenschaft ist Wissenschaft, sei sie parteiisch oder zapatistisch.

Es ist auch sinnlos, wenn Sie uns loben oder schmeicheln, obwohl ich glaube, dass das in der institutionalisierten Akademie funktioniert.

Die Erpressungen mit der Hautfarbe, der sexuellen Präferenz oder der Religion funktionieren bei uns auch nicht. Es geht nur darum, dass du weißt, wovon Du sprichst, ganz egal ob du eine dunkle oder helle oder rote oder gelbe oder bunte Hautfarbe hast, es ist nicht wichtig, ob du Mann, Frau, HomosexuelleR, Gay, Trans oder was auch immer bist. Es spielt keine Rolle ob du katholisch, islamisch, atheistisch, agnostisch, mohammedanisch oder was sonst noch bist, vorausgesetzt, dass du bei deiner wissenschaftlichen Tätigkeit Wissenschaft betreibst und nicht Religion, Philosophie oder die gerade moderne Scharlatanerie der Social Media.

Denn hier wird nicht diskriminiert. Die Verschiedenheiten sind kein Nachteil, aber auch kein Vorteil.

Was die persönlichen Leiden oder Dramen betrifft, ok, wir verstehen das. Aber verstehen Sie uns, wir sind kein gutes Publikum um Mitleid zu fordern. Alles was Sie erlitten haben oder erleiden, kann man nicht mit dem vergleichen, was es war und ist, so sein zu können was und wie wir sind.

Aber ich verstehe Sie schon, jeder befriedigt sich selbst mit dem was ihm zur Verfügung steht. Trotzdem, es erscheint uns unehrlich und ein Schwindel, wenn Sie sagen, Sie kommen um über die Wissenschaft zu sprechen und dann von Ihren existentiellen Heimsuchungen berichten.

Aber die Compañeras und Compañeros sind edelmütig und verständnisvoll. Wir haben Sie eingeladen um mit uns zu sprechen, und wir haben die Abmachung gehalten, wir haben Ihnen voller Respekt zugehört, das heißt aber nicht, dass wir Ihre Mühlsteine schlucken. Wir Frauen und Männer haben die Abmachung gehalten. Diese Leute nicht.

Stellen Sie sich vor, das ist eine Versammlung in einem der zapatistischen Dörfer und Sie stellen eines Ihrer Projekte vor. Über Biologie, Medizin, Laboruntersuchungen, klinische Analysen, Agroökologie, Ingenieurswesen, Pharmazie, und die Versammlung sagt Ihnen, ja los, es ist dringend. Über Physik, Chemie, Mathematik, Vulkanologie, Astronomie und die anderen Wissenschaften, die Versammlung sagt Ihnen, ja los, es ist dringend.

Und wenn jemand kommt und uns sagt, dass die Wissenschaft postmoderne Philosophie betreiben muss und die existentiellen Variablen jedes Einzelnen berücksichtigen muss, nun denn, die Vollversammlung wird Ihnen zuhören aber nicht sagen, Sie sollen gehen. Sie wird Ihnen vorschlagen, dass Sie sich ins Skynet einschmuggeln und die künstliche Intelligenz überzeugen, Ihrem wissenschaftlichen Vorschlag zu folgen. Ich bin sicher, dass in Kürze der Kollaps erfolgen würde, was die Dualität, unter der John Connor leidet, vermindern würde und die gesamte Menschheit würde von den Folgeerscheinungen des Terminator befreit werden.

Klar, ich möchte Ihnen empfehlen, dass Sie wirklich studieren und dass Sie merken würden, dass Sie näher an Aristoteles und Ptolemäus sind als an Kopernikus, Galileo und Kepler.

-*-

Die Apokalypse laut Defensa Zapatista.



Die Berge des Südostens von Mexiko. Territorium im Widerstand und Rebellion. Eine autonome Schule. Ein Klassenzimmer. Dort spricht die Erziehungspromotorin zu den zapatistischen Mädchen und Buben:

»Bevor wir nach Hause gehen, werde ich Euch eine Geschichte erzählen. ihr müsst darüber nachdenken und mir eine Antwort auf die Frage geben, die ich stellen werde, wenn ihr dann die kleine Geschichte gehört habt«.

In einer der hinteren Bänke hört ein Mädchen auf, komplizierte Diagramme in ihr Heft zu zeichnen, die Diagramme sehen wie fließend aus, es handelt sich aber in Wirklichkeit um Fußball-Techniken. Am Seitenrand der Linien und Pfeile steht geschrieben »wenn das Team komplett ist«. Am Boden vor dem Mädchen liegt ein zerfranster Ball, auf ihrem Schoss liegt halb schlafend eine Art von Katze....oder Hund....oder was auch immer.

Jetzt hört nicht nur das Mädchen, sondern die ganze Klasse aufmerksam auf die Promotorin, die beginnt:

»Wir hören eine Stimme, die uns erzählt, was sie sieht. Sie sagt, wir sollen uns vorstellen, dass das Weltende da ist, jetzt wirklich und man sieht, dass es nur mehr zwei Männer gibt. Die zwei stehen sich gegenüber, sie sprechen nicht miteinander, aber man sieht, dass sie sehr wütend sind. Sie sind die einzigen Menschen die übriggeblieben sind, alle anderen sind schon gestorben. Sie sind die letzten Menschen auf der Welt. Diese zwei Männer sprechen nicht miteinander, sie schauen sich auch nicht an, aber sie diskutieren voller Wut. Und sie sehen sich nicht an noch sprechen sie miteinander, weil sie sich über ihre Handys Nachrichten schicken. Das heißt, wie man so schön sagt, sie raufen, so als ob ihre Handys Waffen wären, die letzten die verblieben sind, denn die Welt ist beim Untergehen. Sie beschimpfen sich voller Wut, diese Männer, man sieht nur mehr diese beiden. Und einer sagt zum anderen, das heißt, er schickt ihm eine Nachricht:

¨Du bist an allem schuld, mit der Wissenschaft hast du alles zerstört´(send)

Der andere sieht die Nachricht auf seinem Handy, er tobt und antwortet:

¨Nein, du bist schuld, denn anstatt für die Wissenschaft zu sein hast du gepredigt dass es besser ist, wie die alten Primitiven weiterzumachen und die Technik nicht zu benutzen´ (send)

Der andere drüben, der wird jetzt wirklich ganz zornig, selbst sein Auge sieht aus, als wolle es den Bildschirm seines Handys verbrennen. Und er schreibt dann:

¨Nein du bist schuld, denn mit deinen Wissenschaften und Techniken haben sie die Waffen gemacht, mit denen sie dann das Schlachten begannen, selbst die armen Tierchen haben sie eliminiert´ (send)

Der andere sieht die Nachricht und schaut mit dem Blick ´du wirst ja sehen, verdammter Kerl´ drein und antwortet:

´´Nein, du bist schuld, denn du hast gesagt, die Wissenschaft muss man nicht lernen, weil die Wissenschaft schlecht ist, weil sie die Mutter Erde nicht respektiert und ihr schadet´ (send).

Der andere Eine schaut seinen Bildschirm hasserfüllt an und haut auf die Tasten um zu sagen:

´Nein, es ist deine Schuld, denn durch die Wissenschaft glaubst du, dass du viel weißt und du bedenkst nicht, was die Menschen brauchen und hochnäsig bist du, und bist überzeugt, dass du alles weißt und dich niemand übertreffen kann und was weiß ich, was zum Teufel du sonst noch gesagt hast´ (send).

Der andere liest das und er wird so, aber so zornig, dass es fast nicht zu glauben ist und er schaut auf den anderen Einen mit dem Blick wie wenn man sagt ´geh zur Hölle verdammter Kerl´. Dann schreibt er:

´´Nein du bist mehr schuld, denn du hast die Wissenschaft nur deshalb kritisiert, weil du ein Faulpelz bist, du willst nicht lernen, nichts dazulernen, denn es ist eh klar ein Faulenzer bist du´ (send)

Und so setzen die zwei zornigen Männer ihren wütenden Streit mit ihren Handys fort. Sie wissen es nicht, aber das ist der letzte Tag, dann ist es so weit, wenn es Nacht wird, dann ist alles aus. Und weil sie streiten und nur auf ihre Handys schauen, merken sie nicht, wie die Sonne sich hinter den Bergen zurückzieht und es auf der Erde dunkel wird. ´

Die Erziehungspromotorin, die all ihre Fertigkeiten, die sie im Geschichtenerzähler-Lehrgang erworben hatte aufwendete, schließt wie folgt:

´Gut denn, das ist die Geschichte, die die Stimme erzählte. Nun also, die Frage, die ihr beantworten müsst lautet folgendermaßen: ´Wer von den beiden Männern überlebte den Weltuntergang? ´

Die Mädchen und Buben schweigen nachdenklich.

In einer der vorderen Reihen sitzt der Pedrito. Er sagt, damit er besser aufpassen kann, aber gut, soweit wir wissen, ist er in die Promotorin sehrrr verliebt, aber das werden wir nicht veröffentlichen, denn das ist ein Geheimnis, sein Geheimnis.

Pedrito zeigt auf und bittet um das Wort.

Die Promotorin will schon sagen: ´Nun Pedrito, was denkst du´ aber da hört man aus dem hinteren Teil des Klassenzimmers eine weibliche Kinderstimme.

´Das ist ja kinderleicht´.

Alle, auch die Promotorin richten ihren Blick auf das Mädchen das aufgestanden ist und ihren Umhänge-Beutel, wo sie bereits Heft und Bleistift eingeräumt hat, zusammenfaltet. In ihren kleinen Händen hält sie den zerfransten Ball während sich die/der Katze/Hund auf dem Boden dehnt und streckt. Die Lehrerin sagt resigniert:

´Los Defensa Zapatista, sag uns deine Gedanken´.

Während das Mädchen in Richtung Klassenzimmertür geht sagt sie:

´Die Antwort ist leicht, denn es ist klar sichtbar, dass die verfluchten Männer daran schuld sind, dass die Welt zugrunde geht. Denn sie sind schuld, die verdammten Kerle mit ihrem Patriarchat-Dingsda das kann ja wirklich niemand mehr glauben. Und dann haben sie nichts gelernt über die verfluchte Hydra, die mit ihrem Heißhunger den ganzen Planeten Erde geschädigt hat. Und da sind sie dann, spielen den Macho, raufen sich mit ihren Handys und ihren Liedern über Pferde und Liebesliedern und dann wieder Lieder wo die Liebe zu Ende ist, wenn sie sich doch einmal entscheiden könnten.

Gut Lehrerin, damit Du verstehst, wir die wir Frauen sind, ich erkläre dir das Wort: ¨Partriarchat-Dingsda¨, das ist so, dass nur die Männer befehlen und sie möchten, dass wir als Frauen nur darauf achten, was sie wollen, einmal dies, dann wieder das und dann sagen sie, dass sie uns ganz gern haben und dass wir so schöne Augen haben aber glaube nicht, dass sie auf die Augen schauen, sie schauen ganz wo anders hin. Ich weiß ja nicht, wo sie hinstarren, ich bin noch nicht so weit, aber so haben sie mir es erzählt die Mamas, dass die verfluchten Männer es so machen. Aber ich, wenn ich groß bin, ich denke nicht daran, ich werde ihnen ihre Klapse und Fußtritte versetzen, wenn es ihnen einfallen sollte, mich blöd anzustarren. Also, das ¨Patriarchat-Dingsda¨ macht, dass die verflixten Männer nur wollen, dass wir ihnen den Pozol machen und dann verlangen sie auch noch, dass wir ihnen ein Bussi geben. Glaubst du wirklich, dass wir ihnen ein Bussi geben, so mir nichts dir nichts? Nein und dreimal nein, statt einen Kuss geben wir ihnen einen Klaps. Und dann denken sie, dass sie uns mit Liedern von Pferden überzeugen können. Sie sind wirklich von Haus aus bescheuert, sollen zusehen ob sie ein Pferd finden, das ihnen den Pozol zubereitet , nimmermehr werden sie das finden.............¨

Die Lehrerin kennt das Mädchen schon und daher unterbricht sie:

´Los Defensa Zapatista, beantworte die Frage´.

Das Mädchen ist schon in der Tür. Während zu ihren Füßen die/der Katze/Hund freudig mit dem Schwanz wedelt, antwortet sie:

´Nun ganz leicht, keiner der beiden Männer überlebt, die sterben aus Blödheit. Und natürlich, es ist die Schuld des Patriarchat-Dingsda, dass die Welt untergeht, aber ist ja nicht wahr, sie geht ja nicht unter, denn da gibt es schon jemand der lebt, nämlich die Compañera die die Geschichte erzählt. Denn wenn nicht eine Compañera die Geschichte erzählt, dann gibt es keine Geschichte. Und die Compañera die die Geschichte erzählt, hat ihr Kleines im Rebozo und sie gibt ihm wie man so schön sagt den politischen Unterricht, diesem kleinen Wesen, damit es lernt, dass wir, die wir Frauen sind, uns gegenseitig unterstützen müssen´.

Das Mädchen wartet nicht ab, was die Erziehungspromotorin erwidert und in der festen Annahme, dass die Antwort richtig ist, rennt sie hinaus und ruft: ´Spielen wir!´ und der/die Katze/Hund und der Rest der Klasse rennen ihr nach.

Die Erziehungspromotorin lächelt und verstaut ihre Hefte und Bücher. Auf einem steht »Anthologie XX Jahrestag. Nationaler Indigener Kongress. Nie wieder ein Mexiko ohne uns«. Sie ist schon auf dem Weg hinaus und da sieht sie, dass nicht alle Kinder hinausgegangen sind.

Vorne auf der Bank sitzt der Pedrito, irgendwie traurig und niedergeschlagen. Die Promotorin setzt sich an seine Seite und fragt:

´Was ist los Pedrito, warum bist du so traurig?´

Pedrito seufzt tief und antwortet: ´Weil ich nicht mehr antworten konnte, denn Defensa Zapatista war schneller als ich.´

´Ach so´, sagt die Lehrerin, ´mach dir keine Sorgen Pedrito. Was war denn deine Antwort?´

Pedrito erklärt im Brustton der Überzeugung:

´Nun, ich wollte antworten, dass die Geschichte nicht schlüssig ist, denn wenn nur zwei Männer übrigbleiben, die mit ihren Handys kämpfen, wer arbeitet denn, um den Empfang des Handys zu gewähren? Das heißt, es gibt Andere, die weiterhin arbeiten, oder anders ausgedrückt, es sind nicht nur zwei. Das heißt, damit Sie mich verstehen Lehrerin, Ihrer Geschichte fehlt die Logik, die Kohärenz und das Argument. Daher lautet die Antwort, dass die Prämisse falsch ist und daher ist der Schluss, egal welcher, falsch. Das hätte man verstanden, wenn das kritische Denken bei der Analyse angewendet worden wäre´. (ich wette, dass der Pedrito so spricht, wenn Sie ihn eines Tages kennenlernen sollten, werden Sie sehen, dass ich nicht aufschneide).

Nachdem er gesprochen hat, kehrt der Pedrito in seine traurige und leidende Stellung zurück.

Die Erziehungspromotorin denkt darüber nach, was wohl die Wörter ´Kohärenz´ und ´Prämisse´ bedeuten mögen und dass es ihr mit dem Pedrito immer so geht, der verwendet nämlichen Wörter, die selbst die Kommandantur in Verlegenheit bringt. Die Promotorin schämt sich nicht, Pedrito zu fragen, was diese Wörter bedeuten, aber nachdem sie sieht, dass der Pedrito traurig ist, umarmt sie ihn und sagt:

´Mach dir keine Sorgen Pedrito, auch deine Antwort ist richtig´.

Als der Pedrito die Umarmung spürt, wird er feuerrot und setzt das Gesicht auf das besagt: ´mich hat noch nie jemand umarmt´, genauso wie er das vom verschiedenen SupMarcos gelernt hatte. Während sich der Pedrito lieben lässt denkt er darüber nach, dass es gut war, dass Defensa Zapatista zuerst antwortete, denn das hatte zur Folge, dass ihn die Promotorin umarmt und in der Umarmung versteht der Pedrito, dass die Welt nicht untergehen wird, solange die Umarmung dauert, wird die Welt dem Leben eine Chance geben, denn das Leben ist genau das, eine Umarmung.

Darüber sinniert der Pedrito als das Mädchen in der Tür erscheint und sagt: ´Beeile dich Pedrito, wir müssen das Team komplettieren, um die Herausforderung zu machen´.

Der Pedrito löst sich aus der Umarmung der Promotorin, das Herz bricht ihm dabei, aber er folgt dem Mädchen denn er ist nicht nur Kind, sondern auch Zapatist und ein Zapatist kann nicht zulassen, dass das Team wegen seiner Schuld nicht komplett ist. Vor dem Hinausgehen sagt Pedrito zum Mädchen: ´das eine sage ich dir ganz klar, den Tormann mache ich nicht mehr, nimm besser das humpelnde Pferd ins Tor, ich möchte Stürmer sein´.

´Defensa Zapatista´ kann natürlich nicht erlauben, dass das letzte Wort in der Geschichte ein Junge hat uns so sagt sie:

´Was von wegen Tormann oder sonst was. Der SupGaleano hat mir Videos gezeigt und jetzt habe ich schon einen neuen Plan. Wir werden jetzt mit Hilfe der Wissenschaft des ´totalen Fußballs´ spielen, das da von diesen holländischen Orangen. Glaubst du, dass man für das Spiel nicht lernen muss? Und wie. Die zwei Dinge, mit der Wissenschaft und der Kunst. Ich erkläre es dir später. Lass uns nur das Team komplettieren, und dann wirst du sehen, du mach dir keine Sorgen, bald werden wir mehr sein, unversehens verzögert es sich, aber bald werden wir mehr sein´.

Der Bub und das Mädchen gehen hinaus. Da können wir sehen, dass das Mädchen ein oranges T-Shirt trägt, es reicht ihr fast bis zu den Knöcheln und hinten steht in schiefen Lettern darauf: »Cruyff« und weiter unten steht: »Widerstand und Rebellion«.

Am Rand der Weide wartet eine zusammengewürfelte Gruppe bestehend aus: ein altes Pferd, welches gemächlich an einem leeren Tabakbeutel kaut, ein kleiner Mann mit grauem Haar, er zittert obwohl er einen Mantel trägt, ein anderer Mann, groß und schlank, er überragt alle, zum einen wegen seiner Größe, zum anderen wegen der komischen Mütze die er trägt, er beobachtet durch eine Lupe voller Interesse ein seltsames Tierchen, aus der Ferne sieht es aus wie ein Hund.... oder wie eine Katze... oder .eine/ein Katze/Hund.

Ganz in der Nähe, wo die Comunidad bemüht ist, die Mauer zu zerkratzen haben anonyme Hände unten und links ein vor Farben explodierendes Graffiti gestaltet. Da steht:

´Wir sind der Nationale Indigene Kongress und wir wollen alles, für alle alles´.

Weit weg von diesem Ort, gehen in einem Bunker die Alarmsirenen los und die Erde bebt.

Oben lächelt der Bruder John Berger und hat für die, die den Blick in die Höhe richten mit Wolken eine Frage gezeichnet: ´Und du, was ist mit dir?

-*-

Das Dringende und das Wichtige.



Die Geschichte die ich Ihnen jetzt erzählen werde ist ein wenig traurig. Denn es kommen die Tränen eines zapatistischen Mädchens vor. Aber trotzdem, oder gerade deshalb erzähle ich sie Ihnen, denn als ich Ihren Reden hörte, Ihren Ausführungen folgte, Ihren Erwägungen lauschte und Ihren Versuchen zu antworten und zu lehren folgte, habe ich mir vorgestellt was folgt. Ich weiß nicht, ob Sie das auch getan haben. Wenn nicht, dann empfehle ich es Ihnen, denken Sie darüber nach, was folgt.

Ich habe mir vorgestellt, dass wir in einer anderen Zeit sind. Los geht’s:

Ohne dass ein Ball als Vorbote erschien, kam ´Defensa Zapatista´ in meine Hütte. Ihrem Gesichtchen sah ich an, dass sie geweint hatte und auf ihren Wangen glänzten noch einige Tränen. ´Defensa Zapatista´ behauptet, dass die Mädchen nicht weinen, das ist etwas für Männer, denn die Frauen sind stark. Daher verstand ich, warum das Mädchen in meine Hütte kam, wo nur Geister und Schweigen wohnen. Hier ist sie sicher, hier kann sie weinen und niemand, ausgenommen meine Wenigkeit wird sie sehen. Hier kann sie ihre Stärke in eine Schublade legen und erlauben, dass das Gefühl den Blick füllt und den Schmerz verflüssigt.

Ich sagte nichts. Ich tat so als ob ich sie nicht sehen würde, als ob ich auskehren würde, all den Tabak und die zerknüllten Papiere die um den Tisch herumlagen.

Endlich trocknete sie die Tränen mit dem roten Paliacte, atmete tief durch, räusperte sich und sagte:

»Oí Sup, kennst du das böse Träumen?«

»Oh ja sicher«, antwortete ich, »die bösen Träume heißen Albträume«.

Das interessierte sie und sie fragte: »und was ist die Aufgabe dieser Alpenträume, warum sind sie da und wer hat sie gemacht? Warum sind sie so wild.«

»Sie heißen Albträume, nicht Alpenträume«. Die Alpen sind schön, die Albträume nicht. Aber warum fragst Du mich das?¨

´Ich habe ganz wild geträumt und bin dann aufgewacht, wie mit Bauchweh, es war nicht in Ordnung, es hat weh getan´ sagte sie.

´Erzähle doch´, forderte ich sie auf und zündete meine Pfeife an.

´Also gut, ich träumte davon, dass wir in einer Versammlung des Dorfes waren, und die Situation ist ganz ganz beschissen, wegen der Schuld des schlechten Systems. Und es kommen ganz viele Menschen und bitten um Eintritt ins Dorf, weil sie woanders gar nicht mehr leben können, und da kommen die Menschen zu uns, denn wir als Zapatisten wir haben uns vorbereitet.

Aber es kommen sogar Menschen aus ihrem anderen Land, wer weiß wo das ist.

Und dann also fehlt es an Essen und die Comunidad muss mehr erzeugen, denn wir als Zapatisten wir müssen uns unterstützen, wir müssen die anderen Völker der Welt unterstützen, denn wir sind wie man so sagt Compañerismos.

Daher schauen sie in der Versammlung und denken darüber nach, wie wir uns organisieren werden, um diesen Brüdern und Schwestern das Essen zu geben.

Da sagt einer in der Versammlung, dass wir mehr Boden suchen müssen, wo wir was anbauen können.

Und da sagt ein anderer, auf der Weide, wo wir Fußball spielen, da hat er schon gesehen, dass der Petumax blüht, weiße Blüten hat er, nein, graue, aber nein, ich glaube man nennt das cremefarben, na ja, ich weiß nicht wie diese Farbe heißt.

Und er hat auch schon die Caribe Bohne gesehen, ja das stimmt, denn ich spiele immer mit den Blüten, die sind wie Hühnchen.

Und er hat auch gesehen, dass da der Sun ist, sieht aus wie Sonnenblume ist aber keine.

Und da sagte der Compañero das bedeutet, dass der Boden in der Weide schon gut ist, dass man dort schon Mais und Bohnen säen kann.

Und da, wie man so sagt, da fange ich an mir Sorgen zu machen, denn dort, in der Weide, dort wohnt das humpelnde Pferd und dort spielen wir Fußball. Gut, wir spielen nicht wirklich, denn unser Team ist noch nicht komplett, aber wir praktizieren und wir trainieren mit ganz viel Eifer.

Und da fragt die Autorität die Versammlung, ob sie einverstanden ist, dass auf der Weide gesät wird, dass dort angebaut wird, oder ob jemand nicht einverstanden ist und dass der sprechen soll, um zu sehen, wie es gemacht wird.

Da schweigt die ganze Versammlung und niemand bittet um das Wort. Und ich möchte sprechen und sagen, sie sollen auf der Weide nichts anbauen, denn dann können wir dort nicht mehr spielen, das heißt trainieren. Aber ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, denn ich sehe ja selbst, dass wir die Lebensmittel brauchen, um diese Schwestern und Brüder zu unterstützen.

Und ich spüre diese Bange, denn niemand sagt etwas und mir kommt kein Gedanke um die Versammlung zu überzeugen und ich sehe dort bei der Autorität dass sie bald sagen wird, wenn niemand anderer Meinung ist, dann soll der Vorschlag des Anbauens in der Weide angenommen werden.

Und da bin ich und suche nach einem guten Gedanken und ich finde nichts, und ich ärgere mich, dass ich keine Worte finde und mit diesem Ärger kommen mir die Tränen, es ist nicht so dass ich flenne, sondern wegen der Wut, dass ich nicht weiß was sagen.

Und da ganz plötzlich wache ich auf und dann lief ich hierher. Und auf dem Weg habe ich noch mehr Wut empfunden über diesen verdammten schlechten Traum, und wer ihn mir geschickt hat und warum´.

Während des Sprechens steigerte sich im Gesicht von ´Defensa Zapatista´ Schmerz und Hoffnungslosigkeit.

Ich schwieg, aber das Mädchen schaute mich an und wartete darauf, was ich sagen würde.

Obwohl ich merkte, dass ´Defensa Zapatista´ nicht auf den Divan kam, auch nicht, um sich nur auszusprechen, suchte ich nach den passenden Worten, denn ich verstand, dass das Mädchen nicht nur kam um sich zu verstecken, sondern um eine Antwort zu suchen. Und ich, nun ich bin der Subcomandante aus rostfreiem Stahl, der in den Augen der ´Defensa Zapatista´ einen groben Fehler hat, nämlich den, ein Mann zu sein, aber niemand ist perfekt und außerdem erlaube ich, dass die/der Katze/Hund auf das keyboard klettert und die Texte ruiniert, manchmal habe ich Kekse zum Teilen (was für Defensa Zapatista bedeutet, dass sie und ihr Tierchen alle verschlingen, die mir schmecken, oder die mir nicht schmecken und sie hinterlässt mir nur die leere Packung) und ich erzähle Geschichten in denen sie und ihre Bande Streiche spielen und auch noch triumphieren.

Also ich präsentiere Ihnen, wie man so schön sagt, den Kontext, damit Sie verstehen, dass das Mädchen nicht deshalb kam um mir einen Albtraum zu erzählen sondern um ein Problem darzulegen.

Nachdem ich den Koffer mit Erinnerungen, den der verschiedene SupMarcos mir zur Aufbewahrung übergeben hatte überprüft hatte, fiel mir ein, dass ich dort etwas sah, was hilfreich sein könnte. Ich gab der ´Defensa Zapatista´ ein Zeichen, dass sie warten solle und begann zu suchen und ich fand unter den Zeichnungen, die John Berger gemacht hatte, als er im Cideci war, was ich suchte. Die Papiere waren zerknüllt, voller Tabakflecken und feucht, aber die ungeschickte Handschrift des Dahingeschiedenen war noch lesbar.

Ich stopfte die Pfeife wieder und ich zündete sie an. Ich las fast in völligem Schweigen, ich machte nur manchmal Gesten und stieß dabei undefinierbare Laute aus.

Das Mädchen beobachtete mich gespannt und wartete. Die/der Katze/Hund ließ die Computermaus in Ruhe und mit aufgestellten Ohren wartete sie/er.

Nachdem ich einige Minuten meine Wichtigkeit ausspielte sagte ich:

´´Ich habe es, kein Problem. Ich habe die Lösung für deinen Albtraum gefunden. Es ist so, dass in diesem Schriftstück der dahingeschiedene SupMarcos - der liebe Gott moege ihn beschützen und die heilige Jungfrau stehe ihm zur Seite — erklärt, dass die Albträume Probleme sind und dass sie gelindert werden, wenn du das Problem des Albtraumes löst.

Dann sagt er, dass die Träume die Lösung für die Albträume sind.

Dass die Lösung gefunden werden muss und dann kommt der gute Traum ganz allein.

Mit dem ersparst du dir einen Haufen Geld, denn du brauchst keinen Psychiater, Psychologen, Therapeuten noch Medikamente. Ok, das passt nicht hierher.

Und in dem anderen Schriftstück schreibt er, dass das Problem nicht nur darin besteht zu wissen was dringend ist und was wichtig ist.

Das Dringende ist das, was du sofort machen musst, und das Wichtige ist zum Beispiel das wovon du weißt, dass du es machen musst.

Zum Beispiel, im Fall deines schlechten Traumes, von dem du mir erzählt hast, das Dringende ist die Notwendigkeit der Compas, mehr Lebensmittel zu produzieren; das Wichtige ist, dass der Spielplatz nicht verloren geht.

Das ist dann also ein großes Problem, denn wenn der Spielplatz beschützt wird, also dann wird nichts angebaut und dann gibt es Hunger, und wenn angebaut wird, nun dann gibt es keinen Platz mehr zum Spielen¨.

´Defensa Zapatista´ nickte überzeugt zu allem was ich ihr erzählte. Ich setzte fort:

´´Und da schreibt der Dahingeschiedene weiter, dass so etwas eine ´ausschließende Option´ heißt, oder anders ausgedrückt, entweder machst du das Eine oder das Andere, aber die beiden Dinge kann man nicht zusammen machen. Der SupMarcos sagt, das ist fast immer falsch, das heißt es ist nicht notwendigerweise eine Sache oder die andere, sondern man kann sich eine andere unterschiedliche Sache vorstellen. Und da ist das Beispiel der Originalvölker, das heißt der Indigenen.

Er sagt: ´Die Originalvölker zum Beispiel, seit Jahrhunderten machen sie es schon, immer wieder machen sie zur gleichen Zeit zwei Sachen, das Dringende und das Wichtige. Das Dringende ist das Überleben, das heißt nicht sterben, und das Wichtige ist leben. Und sie lösen es mit Widerstand und Rebellion, das heißt, sie widerstehen dem Tod und gleichzeitig bilden sie mit der Rebellion eine andere Form des Lebens. Daher sagt er, immer wenn es möglich ist muss man daran denken, etwas Anderes zu schaffen´.

Ich legte die Papiere weg und wendete an mich ´Defensa Zapatista´:

´Daher glaube ich, was du bei deinem Problem des schlechten Traumes machen kannst ist der Versammlung erklären was dringend und was wichtig ist.

Das heißt, beide Teile haben gute Gedanken, aber wenn sie einen wählen, dann ist der andere im Eimer.

Und dann erkläre der Versammlung, dass es nicht zwingend eine Sache ist oder die andere, sondern es muss an eine andere Lösung gedacht werden, etwas Anderes, aber dass die Dinge gut werden.

Und dann ist es nicht so, dass das Problem der Versammlung oder dein Problem gelöst wird, sondern dann ist es bereits ein anderes Problem.

Und das neue Problem, das müssen die beiden bedenken, das heißt, die Versammlung und du´.

Das Mädchen saß die ganze Zeit ruhig da, den Kopf in die Hand gestützt, aufmerksam.

Ganz gegen ihre/seine Gewohnheit war auch die/der Katze/Hund total ruhig.

´Defensa Zapatista´ schwieg und schaute wie gebannt auf den Boden.

Ich weiß nicht viel darüber, was im Kopf eines Mädchens vorgeht. Eines Buben schon, vielleicht bin ich noch nicht erwachsen, trotz der vielen gefahrenen Kilometer. Aber die Mädchen, auch wenn sie schon in die Jahre gekommen sind, werden immer ein Geheimnis bleiben, vielleicht können die Wissenschaften das eines Tages entziffern.

Plötzlich drehte sich ´Defensa Zapatista´ zur/zum Katze/Hund um, GenannteR tat ebenso.

Der gegenseitige Blick dauerte nur einige Sekunden und dann begann die/der Katze/Hund zu springen, zu bellen und zu miauen. Das Gesichtchen des Mädchens erhellte sich und sie schrie heraus:

´Ja, die/der Katze/Hund!´ und begann zu springen und zu tanzen, zusammen mit GenannteR.

Ich setzte nicht nur ein verständnisloses Gesicht auf, ich verstand nämlich wirklich nicht warum jetzt das Ganze. Aber ich wartete resigniert darauf, dass sich ´Defensa Zapatista´ und Katze/Hund beruhigten, was Minuten dauerte, die mir endlos erschienen.

Endlich beruhigte sich das Geschrei und das Mädchen, noch immer außer Atem, erklärte mir:

´Sup, es ist die/der Katze/Hund! Ich muss die/den Katze/Hund zu meinen schlechten Traum hinbringen und dann zur Generalversammlung und sie/er wird mir helfen und dann wird es ein guter Traum werden. Hier war die Lösung von die Problem, aber das hatte ich nicht studiert. Es ist die/der Katze/Hund, es war immer die/der Katze/Hund´

Ich glaube, mein Gesicht mit dem großen Fragezeichen und ´What!´ drückte alles aus, denn ´Defensa Zapatista´ fühlte sich verpflichtet mir zu erklären:

´´Sieh mal Sup, ich erkläre es dir: Die/der Katze/Hund ist eine Katze? Nein. Ein Hund? Auch nicht. Also ist es nicht das Eine noch das Andere, sondern ein anderes, eine/ein Katze/Hund. Wenn ich ihnen in der Versammlung die/den Katze/Hund zeige, ganz klar, dann werden sie sehen, dass man was anderes machen muss, dass beide Seiten zufrieden sind, gegenseitig zufrieden sind´.

Ich konnte nicht verstehen, wie die Versammlung den ´epistemologischen Sprung´ schaffen würde, in dieser Sache oder was auch immer die/der Katze/Hund ist, und der Alternative zwischen einer Weide zum Spielen und einer Weide zum Pflanzen. Aber anscheinend war das für ´Defensa Zapatista´ unwichtig.

Am nächsten Tag musste ich auf meinem Weg zum Dorf an der Weide vorbeigehen. Die Nacht erwuchs bereits aus dem Boden und folgte dem Laut derer, die an der Mauer kratzten. Es war noch hell genug, denn ´Defensa Zapatista´ war auf dem Feld, zusammen mit einer Gruppe, ich erkannte das alte humpelnde Pferd, welches manchmal ihr Begleiter ist, die/der Katze/Hund und der Pedrito. Auch zwei Männer waren da, einer war klein und einer groß, ich erkannte sie nicht und ich nahm an, dass sie von der Sexta waren und dass das Mädchen versuchte, sie ins noch immer inkomplette Team einzuschließen.

Das Mädchen sah mich aus der Ferne und winkte mir zu. Ich erwiderte den Gruß und stellte fest, dass ´Defensa Zapatista´ das Problem gelöst hatte, denn sie lachte und rannte von einer Seite zur anderen und zeigte der Gruppe, wo sie sich aufstellen sollten, in einer Aufstellung die mir wie ein Schneckenhaus erschien.

Ich ging weiter und erinnerte mich an das Ende jenes Tages der Tränen, als sich ´Defensa Zapatista´ bereits wieder lächelnd und mit leuchtendem Gesicht verabschiedete:

´Ich muss jetzt gehen Sup´.

´Und was wirst du machen?´ fragte ich sie.

Sie war bereits beim Weggehen als sie rief: ´Ich werde träumen´.

Während ich wartete, dass die Compañeras und Compañeros sich versammelten, um die Rede zu halten, für die ich eingeteilt war, kam die Nacht mit ihren eigenen Schritten und Geräuschen.

Und ich dachte dann, dass der dahingeschiedene SupMarcos vielleicht gerne im Traum von ´Defensa Zapatista´ anwesend gewesen wäre um zu wissen, wie das Mädchen argumentierte und wie sich die Versammlung entschied.

Oder vielleicht war er ja sowieso anwesend. Denn — zumindest hier in diesen Ländern — da wandern die Toten frei herum. Sie lachen und weinen mit uns, sie kämpfen mit uns und sie leben mit uns.

Vielen Dank.

Aus dem CIDECI-Unitierra, San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, México.

SupGaleano.
Mexiko, Jaenner 2017


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Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2017/02/02/que-sigue-ii-lo-urgente-y-lo-importante/


 

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