Die barfüßigen Riesen aus dem Gebirge

Triquis-Kinder schreiben Basketballgeschichte

ILA vom 14.05.2017
von Gerold Schmidt

 

Januar 2015 in der Tübinger Uhlandhalle: Gut 700 Zuschauer, davon schätzungsweise die Hälfte überwiegend in Süddeutschland lebende Mexikaner, feiern die Sieger des U-14-Basketballturniers. »So eine Welle der Begeisterung hat die Uhlandhalle letztmals zu Zweitliga-Zeiten der Tübinger Basketballer erlebt«, schreibt das Schwäbische Tagblatt. Dabei sind die Jugendmannschaften aus der Region in diesen Tagen geradezu aus der Halle gefegt worden. Der BV Hellas aus Esslingen gar mit 157 zu 6, die SV03 Tübingen mit 85 zu 65 und auch das Team von der Basketballakademie Ludwigsburg (BBA) hatte keine Chance. Doch der Gegner ist nicht irgendwer. Es handelt sich um »die barfüßigen Riesen aus dem Gebirge«, die »Niños Triquis«, die Basketballkinder aus dem Hochland des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca. Die sind zu diesem Zeitpunkt schon international berühmt.

Es ist eine Geschichte, fast zu schön, um wahr zu sein. 2010 entschloss sich der ehemalige mexikanische Basketballprofi Sergio Zúniga in die Region zu gehen, die von der Ethnie der Triquis bewohnt wird. Im Kopf hatte er ein Projekt, aus dem bald darauf die Indigene Basketballakademie Mexikos (ABIM) entstehen sollte. Zúñiga wollte in marginalisierten Gemeinde indigene Grundschulkinder in Basketballmannschaften organisieren. Obwohl er anfangs mit großer Skepsis in den Dörfern empfangen wurde, fiel seine Initiative auf fruchtbaren Boden. Der Hintergrund entbehrt dabei nicht einer skurrilen Komponente. Noch unter der Regierung von Präsident Carlos Salinas de Gortari (1988-1994) und dessen Nachfolger Ernesto Zedillo (1994-2000) gab es ein landesweites Programm für den Bau von Basketballfeldern in indigenen Gemeinden. Das Programm sollte durchaus der Sportförderung dienen. Gleichzeitig erfüllten die Felder aber die Funktion von Hubschrauberlandeplätzen. Damit waren die oft abgelegenen Dörfer schneller von Regierungsfunktionären zu erreichen. Angesichts des indigenen Zapatistenaufstandes in Chiapas Anfang 1994 stand ebenso der Gedanke Pate, bei bewaffneten Konflikten schnell kleinere Truppen in aufrührerische Zonen verlegen zu können. Unzweifelhaft dienten die neuen Plätze jedoch der Verbreitung des Basketballspiels in mehreren indigenen Regionen im Land, vor allem unter Kindern und Jugendlichen. In der Regel praktizierten diese den Sport barfuß. Meistens, weil Geld für Turnschuhe ein unbezahlbarer Luxus gewesen wäre.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt weitete sich das Projekt mit der Beteiligung von vielen Schulen in Oaxaca schnell aus. Die talentiertesten SpielerInnen — auch Mädchen spielen in den Teams mit — kamen jedoch aus der Triquis-Region und trainierten regelmäßig in der ABIM. Scheinbar aus dem Nichts heraus dann der Durchbruch. Praktisch bei ihrem ersten internationalen Auftritt gewann eine barfüßig spielende Triquis-Auswahl 2013 in Argentinien souverän und ungeschlagen die Mini-Basketballweltmeisterschaft für Kinder. Einsatz, Spielwitz und Fair Play beeindruckten dabei gleichermaßen. Die Niños Triquis erzielten ihre Erfolge zudem gegen körperlich weit robustere und größer gewachsene Mannschaften. Es begann die offizielle Erfolgsgeschichte. Einladungen in die ganze Welt, weitere Turniersiege oder gute Platzierungen bei internationalen Wettbewerben in Spanien, Japan, Italien und den USA folgten. Die Nationale Sportkommission erfand den einprägsamen Slogan von den barfüßigen Riesen aus dem Gebirge. 2014 wurde Zúñiga mit dem nationalen Sportpreis in der Kategorie »Trainer« ausgezeichnet.

Die wenigen mexikanischen Profibasketballer von internationalem Format lassen sich inzwischen ebenso mit den Niños Triquis ablichten wie die Stars der US-Basketball-Liga NBA, die aus Werbegründen jedes Jahr ein paar ihrer Spiele in Mexiko-Stadt durchführt. So hatten die Triquis schon die Mannschaften der Houston Rockets und der San Antonio Spurs bei deren NBA-Gastauftritten als Trainingspartner. Die Spurs zogen sich dabei Schuhe und Socken aus (Wer die NBA-Liga ein bisschen verfolgt, weiß, dass wahrscheinlich kein anderes Team als die Spurs mit ihrem Kulttrainer Greg Popovich zu solch einer Geste in der Lage wäre).

Kein Wunder, dass sich auch die mexikanische Politik gerne mit der Mannschaft schmückt. Als das Triquis-Team im Sommer 2016 nach zwei zweiten Plätzen im dritten Anlauf den Barcelona Cup gewann, gratulierte Präsident Enrique Peña Nieto umgehend auf Twitter. Die Triquis »erfüllen Mexiko mit Stolz«, schrieb er. Mit dem erhobenen Pokal in den Händen und die mexikanische Fahne schwenkend, rief die dort komplett in Basketballschuhen angetretene Mannschaft in Barcelona: »Wir sind Triquis, wir sind Kraft und Haltung, und so ist Mexiko«. Diesen Spruch hatte sie sich wahrscheinlich nicht aus Eigeninitiative auf das Banner geschrieben. Bei dem Fremdfeiern der Erfolge des Teams ist in den offiziellen Verlautbarungen zudem keine Rede davon, dass die Triquis-Region nach wie vor eine der ärmsten Regionen in Mexiko bleibt, die dortigen Organisationen vielfach der Regierungspartei PRI nahe stehen und Kazikentum sowie politische Gewalt stark ausgeprägt sind (in der Triquis-Region wurden vor sieben Jahren Bety Cariño und Jyri Jaakkola ermordet). Der Jubel über die Erfolge der nicht mehr ganz so barfüßigen Riesen aus dem Gebirge kontrastiert stark mit dem nach wie vor in weiten Teilen der Politik und Gesellschaft herrschenden Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung.

Trainer Sergio Zúñiga hat wiederholt betont, es gehe ihm darum, dass seine Schützlinge ihrer indigenen Kultur verhaftet blieben und ihre Sensibilität behielten. Dies wird nicht einfach sein. Mehrere der Triquis-Auswahlspieler sind im Rahmen von Stipendien längere Zeit im Ausland gewesen. Sechs Spieler beispielsweise ein halbes Jahr in Stuttgart, andere in den USA. Die erste Generation der ABIM geht inzwischen auf weiterführende Schulen, das Programm ist nicht mehr nur auf Grundschulen begrenzt. Einige der Spieler sprechen von ihrem Traum, in ein paar Jahren als Profibasketballer Geld verdienen zu können. Doch auf nationaler Ebene sind die Möglichkeiten begrenzt. Ständige Streitigkeiten und gegenseitige Korruptionsvorwürfe zwischen Regierungs- und Verbandsfunktionären behindern seit Jahren sowohl die Entwicklung der Vereine und funktionierender Basketball-Ligen als auch Erfolge der mexikanischen Basketball-Nationalmannschaft. Eine Konstellation, die auch dem ABIM-Projekt auf Dauer nicht zuträglich sein kann. Dennoch haben die Niños Triquis in nur sieben Jahren Basketballgeschichte geschrieben.

 

Quelle: https://www.ila-web.de/ausgaben/405


 

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