Autonomie soll demontiert werden

Im mexikanischen Bundesstaat Guerrero bekämpfen Staat und Kaziken die Selbstverwaltung der indigenen Bevölkerung

Gruppe B.A.S.T.A. vom 23.07.2004

 

"Schluss mit der Repression der Regierung gegen den autonomen Landkreis!" So lautet die Forderung der Einwohnerinnen und Einwohner von Xochistlahuaca im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. Vor knapp zwei Jahren hatte die Mehrheit der dort lebenden Amuzgo-Indígenas genug vom Terror und der Vetternwirtschaft der lokalen politischen Klasse und der bundesstaatlichen Regierung. Sie gründeten einen autonomen Landkreis — ähnlich den selbstverwalteten Gemeinden der zapatistischen Bewegung in Chiapas — und setzten eigene Autoritäten ein, die in Vollversammlungen ernannt werden. Die Unterstützung für die Selbstverwaltung wuchs daraufhin so stark an, dass die "traditionellen Autoritäten" — so nennen die Aktivisten ihre Funktionsträger — nun im ehemaligen Regierungspalast ihre Arbeit leisten.

Seit Beginn der De-facto-Autonomie im Landkreis versucht die lokale Oberschicht, mit verschiedensten Mitteln wieder das Heft in die Hand zu bekommen. Hier ist besonders die Familie Rocha zu nennen, die der Institutionellen Revolutionären Partei PRI angehört, die Mexiko von 1929 bis 2000 regierte und in vielen Regionen bis heute tonangebend ist. Neben gewalttätiger Repression durch Polizei und Banden wird dazu auch auf juristische Tricks zurückgegriffen: Unter dem Vorwand der "schweren Freiheitsberaubung" wurde am 15. Juli Genaro Cruz Apóstol, Angehöriger der autonomen Verwaltung von Suljaa’, — wie die Rebellen Xochistlahuaca heute nennen — festgenommen. Auf dem Weg zum Gefängnis wurde ihm von der Polizei damit gedroht, dass er "verschwinden" würde. Eine gängige Praxis in Guerrero, einem Bundesstaat, der seit über 30 Jahren militarisiert ist, da Anfang der 70er Jahre die bedeutende Guerillabewegung der "Partei der Armen" um den Lehrer Lucio Cabañas Widerstand gegen den Terror der Großgrundbesitzer leistete. Heute ist Guerrero "berühmt-berüchtigt" dafür, dass das Militär den Drogenhandel mitorganisiert und die Kriminalität dort höher ist, wo die staatliche Polizei operiert.

Im aktuellen Fall gibt es darüber hinaus Haftbefehle gegen weitere 12 Angehörige der autonomen Administration. Die Tatsache, dass die Bevölkerung sich immer stärker den "traditionellen Autoritäten" zuwendet, die inzwischen die Ländereien, den Friedhof, die Bibliothek, den Markt und die kommunalen Immobilien verwalten, scheint den Staat enorm herauszufordern. Dabei bricht die Regierung die Konvention 169 der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) über indigene Selbstverwaltung, die Mexiko bereits 1990 unterzeichnet hatte.

Der lokale Vertreter der offiziellen Regierung, Victor Hugo Torres, war am 16. Juli nicht bereit, mit den Vertretern der autonomen Verwaltung zu verhandeln und drohte unverhohlen mit weiteren Repressalien. Die Situation ist äußerst gespannt.

David Valtierra, Berater der "traditionellen Autoritäten", betonte, dass die internationale Aufmerksamkeit in starkem Maße dazu beitragen kann, erneute Gewalttaten gegen die autonome Verwaltung zu verhindern, die sich als Teil einer großen basisdemokratischen Bewegung von vielen sozialen und indigenen Organisationen betrachtet: "Wir rufen die mexikanische Bevölkerung, die indigenen Gemeinschaften und die internationale Zivilgesellschaft dazu auf, sich mit unserem gerechten Kampf zu solidarisieren, denn der würdige Widerstand der ärmsten verfolgt keine Eigeninteressen, sondern unterstützt und ist Teil der Befreiung der indigenen Gemeinschaften und der unterdrückten Männer und Frauen dieses Landes. Wir fordern, dass die Existenz des autonomen Landkreises respektiert wird und die Haftbefehle aufgehoben werden".

Dass sich zahlreiche Organisationen aus den Bundesstaaten Oaxaca, Michoacán, Chiapas, Guerrero und Mexiko-Stadt den Protesten angeschlossen haben, belegt, dass die Bewegung für Selbstverwaltung, die durch den Aufstand der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN den bisher größten Auftrieb erhielt, weiter anhält und sich mancherorts sogar im Wachstum befindet.

 

Quelle: https://www.gruppe-basta.de/


 

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