Drogenstaat Mexiko? Wer im Gefängnis überleben will, muss zahlen

medico internat. (CH) vom 13.07.2017
Barbara Klitzke

 

Einige Tage bevor ich nach Mexiko abreise, erreicht mich die Nachricht des medico-Partners Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit CCTI in Guerrero, dass in einem Gefängnis in Acapulco bei gewalttätigen Auseinandersetzungen 28 Personen ums Leben gekommen sind.

Am Nachmittag, 12 Stunden nach den Kämpfen, gab ein Beamter den vor dem Gefängnis wartenden Familienangehörigen die Namen der Verstorbenen bekannt. »Auf eine völlig unmenschliche und verwerfliche Art und Weise, ohne Achtung oder Respekt für die Verwandten«, schrieb uns der Arzt Raymundo Diaz von CCTI. Von den politischen Gefangenen, die von CCTI begleitet werden, ist niemand betroffen.

Wer im Gefängnis überleben will, muss zahlen, betitelt ein lokales Blatt die Zustände im Strafvollzug Mexikos.

Derweil haben das UNO-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung und das Hochkommissariat für Menschenrechte den Vorfall im Gefängnis von Guerrero verurteilt und die mexikanische Regierung aufgefordert, die minimalen Standards im Umgang mit Gefängnisinsassen zu respektieren und diese mit Respekt und Würde zu behandeln sowie für ihre Sicherheit zu garantieren.

Das Gefängnis ›Las Cruces‹ in Acapulco im Bundesstaat Guerrero, dem von Drogengewalt am stärksten betroffenen Bundesland in Mexiko, ist mit 2349 Gefangenen völlig überbelegt. Platz hätte es für 1’543 Insassen. Das Massaker wurde vom Drogenkartell »Die Unabhängigen von Acapulco, CIDA« angezettelt — sie wollten die Herrschaft über das Gefängnis erringen. In der europäsichen Presse ist zu lesen, dass laut dem Gouverneur von Guerrero auch vier Gefängnisaufseher und drei Gefangene für die Morde verantwortlich gemacht würden.[1] In den Nachrichten aus Acapulco hingegen werden keine genauen Angaben gemacht.

Die Familienangehörigen wurden von den Behörden einen Tag lag hingehalten, bevor ihnen die Namen der Verstorbenen schliesslich von einem Vertreter der Staatsanwaltschaft vom Handy vorgelesen wurde. Stunden zuvor hatten die Familienangehörigen die Absperrung des Gefängnisgeländes durchbrochen und im Sprechchor, »wir wollen Informationen!« skandiert. Viele brachen nach diesen vielen Stunden der Unsicherheit in Weinen aus. [2]

Die Zustände in den mexikanischen Gefängnissen sind ungeheuerlich, für uns nicht vorstellbar. Verfaultes Essen, regierende Banden, nicht selten sind Gefängnisaufseher auch Folterer, Vergewaltiger und mischen in den Geschäften im Gefängnis mit. Will jemand das verfaulte Essen nicht zu sich nehmen, um nicht krank zu werden, kann er sich von den Gefängnisinsassen selber zubereitetes Essen kaufen. Aber woher das Geld dafür nehmen?

Es greift zu kurz, die verheerenden Verhältnisse einzig damit zu erklären, dass 60% der mexikanischen Gefängnisse von der Drogenmafia kontrolliert würden. Folter, Gewalt, Mord, unwürdige Lebensumstände in allen Bereichen: Die Menschenrechtsverletzungen, die tagtäglich an Gefängnisinsassen, ihren Familienangehörigen und vielen Mexikanerinnen und Mexikaner verübt werden, sind mannigfaltig. Die Gewaltspirale dreht sich weiter und hat das ganze Land im Würgegriff. Menschenrechtsorganisationen wie CCTI scheinen gegen Windmühlen zu kämpfen — genau darum ist ihre mühevolle Arbeit so dringend notwendig.

 

Quelle: http://www.medicointernational.ch/projekte/mexiko/hintergruende/601-mexiko-drogenstaat-mexiko.html


 

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