Ölpalmen im mexikanischen Urwald auf dem Vormarsch (Teil 1)
npla vom 23.12.2017 | |
Von Rodrigo Soberanes, Chiapas |
Die Bevölkerung aus dem Ejido Boca Chajul lebt mit der Ölpalme / Foto: Moysés Zúñiga Santiago, Mongabay/desinformemonos
(Mexiko-Stadt, 09. Dezember 2017, desinformemonos).- Der Palmanbau schreitet langsam aber stetig in dieser tropischen Region voran, die den größten Teil Südmexikos umfasst.Laut Zeugenaussagen, die Mongabay Latam gesammelt hat, haben sich die Palmplantagen auf diese Weise in den Bundesstaaten Veracruz, Quintana Roo, Tabasco, Oaxaca, Guerrero und Chiapas auf Ländereien ausgedehnt, auf denen Viewirtschaft betrieben wurde, auf Weidelang, Grasland oder heimlich abgeholzten Urwald und sie werden sich noch mehr ausdehnen, denn der Boden ist in diesen Bundesstaaten gut für den Palmambau geeignet.
Er weiß genau, wohin er seinen Fuß setzen kann
Rafael Lombera lebt schon seit seiner Kindheit im Lacandona-Urwald, seit 44 Jahren. Von seinem Haus, das am Ufer des Lacantún-Flusses steht, genau dort, wo sich die Kaimane ausruhen, geht es 50 Meter steil nach unten auf einer dicken Schicht aus Pflanzen und Tieren, die den Erdboden verbirgt.
Er weiß genau, wohin er seinen Fuß setzen kann, ob bei Tag oder bei Nacht. Mit seinem Fotoapparat unternimmt er lange Wanderungen auf der anderen Seite des Flusses, dort, wo das Biosphärenreservat Montes Azules beginnt, eines der Vorzeigegebiete für Naturschutz in Mexiko und Chiapas, dem Bundesstaat mit der größten Biodiversität im ganzen Land.
In Boca de Chajul, einem kleinen Dorf in der Gemeinde Marqués de Comillas im Bundesstaat Chiapas, konnte Rafael Lombera schon beobachten, wie große Teile des Urwaldes nach und nach verschwunden sind, vor allem durch die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen durch den Menschen und vor allem durch Viehwirtschaft.
Auf dem Weg nach Chajul und auch am Ortseingang dieser kleinen Ansiedlung sieht man am Straßenrand Schilder mit der Aufschrift »Förderprogramm für umweltbewusste Waldwirtschaft« (Pago de Servicios Ambientales). Dabei handelt es sich um ein Programm der mexikanischen Regierung, das die Erhaltung und Pflege des Urwaldes durch Privateigentümer*innen oder durch kommunale Ejidos* fördert.
Auf dem Weg wechseln sich Urwald und Ölpalmen-Plantagen ab.
Eine Studie des mexikanischen Umweltamtes (Instituto Nacional de Ecología) besagt, dass Marqués de Comillas die einzige Region in Mexiko mit Urwald ist, der regelmäßig überschwemmt wird. In anderen Bundesstaaten, wie z.B. Tabasco, ist diese Art von Urwald schon lange verschwunden.
Die Hütten von Rafael Lumbrera stehen auf Holzpfählen zum Schutz vor Hochwasser, wenn der Lacantún-Fluss über seine Ufer tritt.
64.000 Hektar Land sind mit Ölpalmen bepflanzt
An diesem Flecken mitten im Urwald, der das ganze Jahr Pflanzen- und Tierforscher*innen anzieht, begann der Ölpalmen-Anbau Mitte des vergangenen Jahrhunderts.
Und er ist der Referenzpunkt für den Ölpalmen-Anbau im Bundesstaat Chiapas, der mit rund 64.000 Hektar einer der Hauptproduzenten in Mexiko ist. Mehr als 70 Prozent der Gesamtanbaufläche für Ölpalmen in Mexiko liegt in Chiapas (nach aktuellen Zahlen des Landwirtschaftsministeriums in Chiapas).
Das mexikanische Forschungsinstitut für Waldwirtschaft, Landwirtschaft und Fischfang INIFAP (Instituto Nacional de Investigaciones Forestales, Agrícolas y Pecuarias) rechnet vor, dass Mexiko insgesamt über eine Fläche von 2,5 Millionen Hektar verfügt, die für den Anbau der Ölpalme geeignet wäre, eine Fläche, die größer als das Territorium von ganz El Salvador ist.
Ölpalmen im Lacandona-Urwald
Der größte Teil dieser für den Anbau der Ölpalme geeigneten Fläche liegt im Südwesten Mexikos (rund zwei Millionen Hektar, laut der mexikanischen Bundesregierung). Dazu gehört der Bundesstaat Chiapas, der über die klimatischen Voraussetzungen verfügt, um den Anbau der Palme auf bis zu 400.000 Hektar auszudehnen.
Der Boden dort, der für die Ölpalme so gut geeignet ist, nimmt 75 Prozent aller Niederschläge in Mexiko auf. Und ein Teil dieser bepflanzten Böden befindet sich im Lacandona-Urwald, der als Auffangbecken für die Regenfälle gilt, ebenso wie in einem der acht Naturschutzgebiete, dem Biosphärenreservat Montes Azules, das 330.000 Hektar groß ist, so erzählen León Ávila, Experte für Ölpalmen und Dozent an der Interkulturellen Universität von Chiapas und Rafael Lombera, Bewohner des kleinen Dorfes. Diese Naturräume umgeben die Hütte von Rafael Lombera von allen Seiten.
Lombera bemerkt Veränderungen im Urwald
Rafael Lombera ist bekannt in Boca Chajul. Er beobachtet und hört anders als Menschen in der Stadt. Er weiß zum Beispiel, dass der Klammeraffe Brustschwimmen praktiziert, wenn er den Lacantún-Fluss überquert, allerdings nur bis zur Mitte des Flusses, denn dann ermüdet er und schafft es nur irgendwie unter Aufbietung aller Kräfte bis ans andere Ufer.
Er weiß auch, dass es nicht stimmt, dass Fledermäuse einen perfekten Radar haben, denn sie stoßen oft gegen seinen Körper; dass ein Jaguarweibchen eher einen Menschen anfällt als ein Jaguarmännchen; dass man die Aasgeier, die über den Palmenplantagen kreisen, leichter fangen kann, da sie dort die Früchte fressen und, da sie diese nicht verdauen können, dick werden und dann nicht mehr so gut fliegen können.
Er bemerkt Veränderungen im Urwald und nach mehr als vier Jahrzehnten an diesem Ort bezweifelt er, dass es weiterhin Überschwemmungen in seiner Umgebung geben wird. Er hat auch eine ganz klare Meinung darüber, was die größte Bedrohung für eine der größten Lungen Mexikos ist: »Der Urwald wird abgeholzt, um Ölpalmen anzupflanzen.«
»Das Gelände war schon abgeholzt«
Onorato Olarte, Leiter für Gartenbau und Agrarindustrie im Landwirtschaftsministerium des Bundesstaates Chiapas meint, die Palme würde dort gepflanzt, wo es keinen Urwald mehr gäbe, auf unbebautem Gelände, das zuvor als Weideland genutzt wurde. »Die Strategie des Ölpalmenanbaus beruht auf dem nicht Abholzen des Urwaldes für neue Plantagen. Was man im Lacandona-Urwald gemacht hat ist, dass man die Grundstücke genutzt hat, die zuvor als Weideland genutzt wurden«, bestätigt er in einem Interview mit Mongabay Latam, einem Internetportal für unabhängigen Umweltjournalismus.
Keine wirksame Kontrolle der Umweltauswirkungen des Ölpalmenanbaus
Die Haltung der Regierung ist herablassend gegenüber anderen Ansichten, die darauf hinweisen, dass die Palmenplantagen im Urwald »einen negativen Einfluss auf die Verfügbarkeit von Wasser haben«. Darin eingeschlossen ist auch das Biosphärenreservat Montes Azules, das laut eines Berichtes auf dem Internetportal Gloobal bereits zu 80 Prozent gerodet wurde.
Die Informationsstelle für Lebensmittel aus Fischerei und Landwirtschaft SIAP (Servicio de Información Agroalimentación y Pesquera) errechnete, dass bis 2013 schon 44 Prozent der Ölpalmen in Chiapas im Urwald gepflanzt wurden. Laut Berechnungen des Landwirtschaftsministeriums in Chiapas seien dort rund 64.000 Hektar mit der Palme bepflanzt, damit rücke das gesetzte Ziel von 100.000 Hektar immer näher, so Olarte. Die Haltung der Regierung von Chiapas ist klar. Es gibt vier Baumschulen für Ölpalmen die, laut dem Institut für die Förderung der tropischen Landwirtschaft, die größten in Lateinamerika seien.
Der Forscher León Enrique Ávila, Experte für Ölpalmen und Dozent der Interkulturellen Universität Chiapas, unterstreicht im Interview, dass es beim Pflanzen der Ölpalme in Chiapas keine wirksame Kontrolle der Umweltauswirkungen dieses Anbaus gebe. Antonio Castellanos, Forscher am interdisziplinären »Forschungszentrum Chiapas und Südgrenze«, der bereits seit sechs Jahren mit den Ölpalmenanbauern der Ejidos zusammenarbeitet, versichert, eine Voraussetzung für das Beziehen von Fördergeldern durch die mexikanische Regierung bestehe darin, dass »man sich verpflichten muss, sie nur in Monokultur anzupflanzen.« Wo die Ölpalme wächst, wachsen keine anderen Pflanzen mehr.
Wie in einer stillen Einöde
Wenn León Ávila durch die Palmenplantagen geht, beschleicht ihn das Gefühl, in einer stillen Einöde zu sein, in der man im Morgengrauen keinen Laut mehr hört. Er ist jahrelang in der Gegend unterwegs gewesen und hat festgestellt, wie sich durch die Plantagen die Flora, die Fauna und die Menschen verändert haben.
Er habe die Erfahrung gemacht, dass dort, wo die Palme wächst, kein morgendlicher Lärm mehr im Urwald zu hören sei und es kaum noch Vögel gäbe. Brüllaffen, die typisch für die Region seien, seien nur noch in einem begrenzten Gebiet zu finden und stritten sich. Bienen suchten erfolglos Pollen und Fledermäuse verbreiteten nicht mehr die Samen der Obstbäume, erzählt Ávila detailreich.
Und die Menschen, die früher von der Ernte der Produkte aus dem Urwald gelebt hätten, würden nun schon voller Anspannung auf den Tag warten, an dem die Fabrikbesitzer*innen die Plantagenbesitzer*innen bezahlen und diese wiederum die Löhne an ihre Tagelöhner*innen ausbezahlen, erklärt er weiter.
»In Dorfgemeinschaften, die sich früher selbst versorgt haben, habe ich Menschen getroffen, die gehungert haben«, berichtet León Ávila.
Die beiden Forscher stimmen überein: Der größte Fehler sei gewesen, die Ölpalme als Monokultur einzuführen.
Regierungsangestellter Olarte: Palmen werden nur auf Weideland gepflanzt
Auf dem Internetportal Gloobal heißt es dazu: »Der Anbau der Ölpalme auf Tausenden von Hektar bedeutet nicht nur Abholzung, sondern auch einen Anstieg von Kohlendioxid und eine Verschmutzung des Wassers mit Agrochemikalien in einer Region mit großer Biodiversität, wie dem Biosphärenreservat Montes Azules und dem Lacandona-Urwald.«
Onorato Olarte versichert seinerseits, dass die Regierung von Chiapas zusammen mit der mexikanischen Bundesregierung die Aktivitäten der Produzent*innen im Blick habe, um zu überwachen, dass der Urwald nicht gerodet werde, um anschließend Palmen auf diesem Boden zu pflanzen.
Der Regierungsangestellte erklärt weiter, dass die jetzige Regierung in Chiapas, die seit 2012 im Amt ist, darauf setze Palmen in Gebieten zu pflanzen, die für die Viehzucht abgeholzt worden waren, sogenanntes »Weideland.« »Wir garantieren, dass nur dieses Land für den Anbau der Ölpalmen genutzt wird. Wir haben Fachleute im Landwirtschaftsministerium, die garantieren, dass der Urwald wertgeschätzt wird«, versichert Olarte.
*Ejido: gemeinschaftlicher Grundbesitz mit in der Regel den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen individuell zugeteilten Parzellen.
Der zweite Teil des Artikels findet sich hier.
Der Text wurde zuerst auf Spanisch bei Mongabay publiziert.
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