Im Schatten der Windspargel

ILA vom 19.07.2018
ila 417 - Juli/August 2018, S. 54-56

 

Anbei auch als PDF. Dank an die ila für die Bereitstellung des Textes!

Im Schatten der Windspargel



Mexiko: Interview mit Alejandra Ancheita und Juan Antonio López von ProDESC zu Windparks und Menschenrechtsverletzungen

Mexiko ist einer der Orte, der am besten für Windkraftanlagen geeignet ist. Viele Energieunternehmen bauen daher riesige Windparks auf dem Isthmus von Oaxaca, ohne dabei die Menschenrechtsfragen, die sich durch die Nutzung des Landes stellen, zu beachten. ProDESC (»Projekt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte«) unterstützt indigene Gemeinden in Oaxaca, wenn ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte im Energie und Rohstoffsektor verletzt und gefährdet werden. Die Direktorin Alejandra Ancheita erhielt 2014 den MartinEnnalsPreis, mit dem jedes Jahr ausgewiesene Menschenrechtsverteidiger*innen geehrt werden. Juan Antonio López ist Anwalt und Koordinator der Abteilung Transnationale Justiz bei ProDESC. Er widmet sich auch dem Fall der Windparks in Oaxaca und der Begleitung der betroffenen indigenen Gemeinden Juchitán und Unión Hidalgo.

Worin besteht die Arbeit von ProDESC?

Alejandra: Wir sind eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Mexiko-Stadt und weiteren Büros in mehreren Bundesstaaten von Mexiko. Wir arbeiten hauptsächlich zur Verteidigung der Landrechte und der natürlichen Ressourcen von ländlichen Gemeinden und indigenen Völkern. Ein weiterer Strang unserer Arbeit ist die Verteidigung von Arbeitsrechten, besonders des Rechts auf Organisierung. Wir haben dabei ein besonderes Augenmerk auf die Frauen, schließlich sind sie immer besonders betroffen, wenn ihre ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte missachtet werden. Wir begleiten die Gemeinden und Arbeiter*innen bei der Organisierung und bei kollektiven Klagen, damit sie ihre Rechte gegenüber dem Staat durchsetzen können.

Die Leute in den ländlichen Gemeinden haben ja meist keine Lohnarbeit im Sinne von Vertrag und Arbeit, sondern leben von Subsistenzwirtschaft oder Kleinhandel. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Arbeit zu Landrechten und den kollektiven Arbeitsrechten?

Das hängt vom Fall ab. In den Gemeinden geht es um die Verteidigung des Territoriums und der natürlichen Ressourcen, bei den Arbeitsrechtsfällen um würdige Arbeitsbedingungen in verschiedenen Industrien. Die beiden Linien unserer Arbeit überschneiden sich meist nicht. Nur in wenigen Fällen ergibt es sich, dass die Leute aus den Gemeinden ihr Land verteidigen und die jungen Menschen der gleichen Gemeinde in dem Bergbauunternehmen arbeiten, das ihre Ländereien ausbeutet, und sie sich gemeinsam organisieren.

Ist das nicht konfliktträchtig? Die einen verteidigen ihr Land, die anderen arbeiten in der Mine?

Nein, dieser Widerspruch besteht nur in der Wahrnehmung der Unternehmen. In den meisten Fällen, die ProDESC begleitet hat, ist den Gemeinden sehr wohl klar, dass die Arbeiter*innen auch Rechte haben. Sie verteidigen beide und gemeinsam ihre Rechte gegen das Unternehmen, nicht gegeneinander.

Windkraftanlagen werden ja als »grüne Energie« bezeichnet und haben ein positives Image. Wie liegt der Fall bei den Windkraftanlagen in Mexiko?

Oaxaca ist eine Region mit sehr guten Bedingungen für Windkraftanlagen, in der bereits viele Unternehmen Land mieten oder kaufen, um Windkraftparks zu bauen. Die Mehrheit sind europäische Unternehmer*innen. Aber sie respektieren die kollektiven Eigentumsrechte des Landes mehrerer indigener Gemeinden nicht. In der ILO-Konvention 169 und in der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker ist festgehalten, dass Unternehmen bestimmte Regeln einhalten müssen, wenn sie ihre Projekte umsetzen wollen. Dazu gehört, dass sie sicherstellen müssen, die Menschenrechte nicht zu verletzen. Das haben sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt.

Wir sind nicht gegen die Windenergie. Sie kann einen großen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten. Aus unserer Sicht und auch aus Sicht der Gemeinden ist nicht die Windenergie das Problem, sondern die Unternehmen, die ihre Windenergieprojekte umsetzen und dabei die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie die Landrechte der umliegenden Gemeinden und Menschen verletzen. Das ist ein großer Unterschied.

Wie geht ihr vor?

Es gibt verschiedene Wege, um Lösungen zu finden, nicht den einen Weg. Eine Lösung sollte sicherstellen, dass der Staat die Rechte seiner Bürger*innen schützt. Nicht nur durch seine Institutionen, sondern auch durch den privaten Sektor. Ein Teil der Lösung ist, dass die Politik diese Rechte sichert. Der andere Teil der Verantwortung liegt bei den Unternehmen. Natürlich wollen sie ihre Geschäfte zum geringsten Preis machen. Den erzielen sie meist, indem sie die Sorgfaltspflicht missachten. Sie müssten sicherstellen, dass in ihrem Unternehmen, und zwar nicht nur in dem Hauptunternehmen, sondern in der gesamten Produktions- und Lieferkette, die Menschenrechte nicht verletzt werden. Das erfüllen sie aber nicht, weil es scheinbar höhere Kosten bedeutet. Mittel- und langfristig haben sie trotzdem höhere Kosten, weil die Gemeinden sich wehren und dadurch das Projekt verzögert wird. Beide müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Dazu gehört auch, dass sie alle Informationen öffentlich zugänglich machen und die Gemeinden darüber informiert wer- den, was das Projekt für sie und ihr Land bedeutet und welche Auswirkungen es haben wird.

Welche Schritte müssen erfolgen, damit Staat und Unternehmen das erfüllen?

Ein Teil unserer Arbeit ist eine Analyse der Menschenrechtsverletzungen und die Entwicklung von rechtlichen Strategien, um den Rechten auf dem legalen Weg Geltung zu verschaffen. Dadurch werden Staat und Unternehmen dazu gedrängt, die Rechte einzuhalten. Aber der andere große Teil unserer Arbeit ist die Stärkung der Gemeinden und Arbeiter*innen, damit sie selbst entscheiden, wie sie auf die Menschenrechtsverletzungen reagieren wollen. Und wir entwickeln Kommunikationsstrategien mit den Gemeinden und Arbeiter*innen, damit sie von der Presse und Öffentlichkeit nicht als Aufrührer*innen dargestellt werden. Das ist oft passiert. Wenn sich die Arbeiter*innen organisiert und demonstriert haben, um ihr Recht auf freie Organisierung, ihr Demonstrationsrecht durchzusetzen, reagiert der Staat oft mit Repression und Kriminalisierung. Sie werden in der Presse oft als gewalttätig dargestellt und es wird behauptet, sie seien gegen Entwicklung und Fortschritt der lokalen Wirtschaft. Wir wollen die Erzählung der Gemeinden in die Öffentlichkeit bringen. Als Organisation arbeiten wir auch daran, dass die Informationen über die Windparkprojekte zu den Gemeinden gelangen, damit sie wohlüberlegt entscheiden können, wie sie sich dazu verhalten wollen.

Wie stellt sich der Fall konkret dar?

Juan Antonio: Wir arbeiten mit zwei Gemeinden, Juchitán und Union Hidalgo. Auf dem Land von Unión Hidalgo will das Unternehmen Electricité de France, eine französische Firma, einen Windpark bauen. Das Unternehmen hat die Genehmigungen der mexikanischen Regierung bereits erhalten, obwohl keinerlei Konsultation mit der Gemeinde stattgefunden hat, wie es das Gesetz und die internationalen Konventionen vorschreiben. Auch das vor kurzem reformierte Energiegesetz schreibt vor, dass Konsultationen mit den indigenen Gemeinden VOR Projektbeginn durchgeführt werden müssen, und zwar freie, informierte Konsultationen, die nach den örtlichen Gepflogenheiten durchgeführt werden und die Information nach bestem Wissen und Gewissen zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass sie es nicht nur als Pflichtprogramm abhandeln, sondern ernsthaft eine Einigung erzielen wollen, da- mit die Gemeinde versteht, was passiert, und fundiert zustimmen oder ablehnen kann.

Electricité de France hat alle Genehmigungen erhalten und die Studien zu Umwelt- und sozialen Auswirkungen durchgeführt. Diese Dokumente können öffentlich eingesehen werden. Erst jetzt versuchen sie nachträglich eine Konsultation durchzuführen, nachdem sie alle Genehmigungen schon in der Tasche haben. Abgesehen davon ist es ein schlechter Moment für die Gemeinde, eine solche Konsultation durchzuführen. Letztes Jahr im September war das Erdbeben in Mexiko, das diese Gemeinden stark in Mitleidenschaft gezogen hat, Unión Hidalgo fast am stärksten. Sie sind noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt, noch lange nicht alle Häuser sind wiederaufgebaut, einige Straßen haben noch Risse. Außerdem sind in Oaxaca Bürgermeisterwahlen zusätzlich zu den Präsidentschaftswahlen. Die politische Situation ist also hochgradig aufgeladen. Das Unternehmen will jetzt die Konsultation durchführen, um bald anfangen zu können. Wenn die Genehmigungen schon alle erteilt sind, wird die Konsultation zu einer reinen Pseudoveranstaltung.

In Unión Hidalgo ist bereits vor der Reform ein Windpark von einer spanischen Firma errichtet worden, die gar keine Konsultation durchgeführt hat. Sie haben nur mit den Besitzern gesprochen und die kollektiven Besitzverhältnisse nicht beachtet. Es laufen noch zwei Klagen dagegen, weil die Verträge nicht mit der gesamten Gemeinde gemacht wurden, sondern mit einzelnen Personen. Wenn zu dem existierenden Windpark noch ein weiterer hinzukommt, wird die Gemeinde noch stärker in Mitleidenschaft gezogen. Die Gemeinde hat keine Vorteile durch die Windparks auf ihrem Territorium. Sie müssen weiter den teuren Strom der Regierung kaufen. Der Strom geht an die Industrie, nicht zu den Menschen vor Ort. Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen; wenn die Anlagen fertig gebaut sind, benötigen sie kein Personal mehr, sie werden von Computern gesteuert und brauchen höchstens vier Personen für den Betrieb. Es findet keine Entwicklung in den Gemeinden statt.

Gab es Fälle in Mexiko, in denen eine Konsultation durchgeführt wurde und die Gemeinde NEIN gesagt hat?

Seit der Reform des Energiegesetzes hat nur eine Konsultation in Mexiko stattgefunden, die von 2015 in Juchitán, dem anderen Fall, an dem wir arbeiten. Mit der Reform hat das Energieministerium einen Rahmen gesetzt, der bei Megaprojekten eingehalten werden soll, und daher war die Konsultation in Juchitán so bedeutend. Sie wurde jedoch nicht nach den vorgegebenen Regeln durchgeführt und hatte viele Mängel. Das Verfahren ist noch beim Obersten Gerichtshof anhängig. Einige andere Konsultationen sind noch in der Durchführung, eben weil es verschiedene Unstimmigkeiten gibt. Die in Juchitán war die einzige, die bis zum Ende durchgeführt wurde. Einige Gemeindemitglieder haben, angeblich im Namen aller, zugestimmt. Es gab zwar ein Ja, aber keine Mechanismen für die Entscheidungsfindung. Diejenigen, die nicht an der Abstimmung beteiligt waren, haben gegen das Unternehmen geklagt. Wenige Personen können nicht für 20 000 Einwohner*innen entscheiden. Sie haben Widerspruch eingelegt und so lange ist das Projekt erst mal gestoppt. Das führt zu Konflikten. Einige bekommen Geld, weil sie ihr Land vermieten, und andere haben nichts davon. Das hat dazu geführt, dass die Gemeinden sich fragen, ob sie überhaupt solche Parks wollen. Wenn in Oaxaca solche Spannungen auftreten, werden sie leider schnell heftig.

Wie seht ihr die Zukunft für diesen Fall?

Das entscheiden die Gemeinden beziehungsweise die Gerichte. Es gibt mehrere Fälle, die gerichtlich geklärt werden und für diesen Zeitraum gestoppt sind. Das wäre alles nicht nötig, wenn die Gemeinden von Anfang an einbezogen würden und das Verfahren eingehalten würde.

Teilweise sind die Parks 500 Meter oder weniger von den letzten Häusern der Gemeinde entfernt gebaut worden, das heißt, die Leute, die am Stadtrand wohnen, sind besonders betroffen. Außerdem kann die Gemeinde nicht mehr wachsen. Es können keine neuen Häuser gebaut, keine neuen Felder angelegt werden. Oder die Sicherheitsdienste der Unternehmen lassen die Leute nicht mehr zu ihren Feldern gehen. Das ruft viel Unwillen hervor. Die Forderung ist einfach: eine Konsultation. Sie sind nicht gegen das Projekt an sich, wollen aber einbezogen und darüber informiert werden, welches die Auswirkungen sind. Dann kann in einem Dialog ein Interessenausgleich erfolgen und gemeinsam ein Weg gesucht werden, wie das Projekt umgesetzt werden und wie die Gemeinde von dem Windpark profitieren kann.

Das Gespräch führte Ina Hilse im April 2018 in Berlin.

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