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Das Letzte Buttergebäck − In den Bergen des Südostens von Mexiko

Kommunique vom 09.08.2018
übersetzt von Christine, RedmycZ

  (Diese Geschichte wurde anlässlich der Klausur von CompARTE Für das Leben und für die Freiheit 2018 im Caracol von Morelia, Torbellino de nuestras palabras in den Bergen des Südostens von Mexiko vorgelesen)

Vielleicht war die Ursache der Tragödie eine Anzahl von zufälligen und zusammenhanglosen Ereignissen.

Oder war es nichts als ein Zufall, ein unglückliches Zusammentreffen verschiedener Faktoren. So als ob das Schicksal dabei wäre, die Gerüchte über seine Existenz zu fördern, indem es die Stücke des Puzzle über die — natürlich — zerbrochenen Köpfe der Menschen und Maschinen werfen würde.

Oder hat gar das Unwetter (jenes, auf das der Zapatismus ständig hinweist und worauf niemand mehr achtet, so wie es mit allem geschieht, was wir sagen) durch einen »spoiler« uns eine kleine Vorschau dessen gegeben, was auf uns zukommt. So als ob sich in der inkohärenten Software, wodurch die Realität zu funktionieren scheint, ein dringender Hinweis eingeschlichen hätte, ein unvorhergesehenes »warning«, ein Signal, welches nur durch die am weitesten vorgezogenen und erfahrensten Späher entdeckt und gedeutet werden kann, die in den verschiedenen Winkeln der Welt damit beschäftigt sind, die Horizonte zu beobachten die so weit entfernt sind, dass sie nicht einmal als Sonstige in den frenetischen Statistiken des Weltsystems aufscheinen. Letzten Endes sind die Statistiken ja dazu da, um auf Tendenzen hinzuweisen, welche die täglichen Dramen auslöschen. Was ist schlussendlich die Ermordung einer Frau? Eine Zahl. Eine mehr ist eine weniger. Die Statistiken werden behaupten, dass es verschiedene, viele dieser ´geschlechterbedingten´ Morde bedarf, um eine Tendenz auch nur zu beeinflussen: jene der außer Kontrolle geratenen Fahrt des Systems auf den Abgrund zu, im Schleudergang über Blut, Schlamm, Schutt, Scheiße und Zerstörung. Am Horizont? Der Krieg? Auf dem begangenen Weg? Der Krieg. Denn im kapitalistischen System ist der Krieg der Ursprung, der Weg und das Ziel.

Nun, vielleicht phantasiere ich. Denn das ist eine Erzählung und es ist darauf zu achten, dass keine tendenziösen Reflexionen, schlechte Ideen, ungesunde Gedanken, müßige Spitzfindigkeiten, Provokationen, einfließen.

Jene, die jemals das zweifelhafte Vergnügen hatten, einen Film mit dem dahingegangenen SupMarcos anzusehen, erzählen, dass er unerträglich war. Gut, nicht nur in dem Bereich war er unerträglich, aber ich spreche über das Filme ansehen. Es reichte, dass in einem Film eine Feuerwaffe aufschien und schon drückte der Dahingeschiedene auf ´Pause´ und machte eine lange und mühsame Ausführung über Rasanz, Energie, Reichweite, Feuerkraft und die kurzen und langen geometrischen Kurven, welche ein Projektil auf seinem Weg zum ´Objektiv’ durchlief. Es war nicht wichtig, dass in diesem Moment der Pause die Handlung sich auflöste oder dass jene, die den Film ansahen sich ängstigten ohne zu wissen ob der Held (oder die Heldin, Geschlechtergleichheit darf nicht vergessen werden) gerettet wurde oder nicht. Nein nein, so lautete der unnötige Erguss seiner Weisheit: »das ist ein Karabiner M-16, Kaliber 5,56 mm OTAN, so benannt, um die von den Ländern des Nordatlantikpaktes hergestellten Munitionen von denen des Warschauer Paktes zu unterscheiden etcétera, etcétera«. Klar die kinobegeisterte Gesellschaft wusste nicht, was tun: wenn sie Interesse zeigte, dann könnte der Dahingeschiedene weiterschwafeln, wenn sie dagegen uninteressiert blieb, dann könnte er das so interpretieren, als hätte er sich nicht klar ausgedrückt und dann würde er seine Darlegungen erweitern, bis hin — eh klar- zum Kalten Krieg. Und dann fühlte sich der SupMarcos verpflichtet zu erklären, dass der Begriff ´Kalter Krieg´ ein Oxymoron sei, eine Spitzfindigkeit des Systems um Tod und Zerstörung, welche diese Epoche pflasterten, zu ignorieren. Dann folgte das mit dem ´Vierten Weltkrieg´ und so ging das weiter, bis das Popcorn kalt war und nichts übrig bleib als eine Mais-Mischmasch mit ´Valentina´-Sauce.

Hm, ich bin schon wie er. Es ging darum, dass, wenn der SupMarcos einer Vorstellung beiwohnte, man die Filme oder die Serien zwei Mal sehen musste: einmal um die Unterbrechungen durchzustehen, das andere Mal, um die Handlung zu verstehen. Daher sage ich, dass eine Erzählung eine Erzählung ist und kein politisches Gespräch. Obwohl Defensa Zapatista ´politisches Gespräch´ sagt, um die Zeichen der ´geschlechtsspezifische Gewalt´ zu verbergen, welche sie in Form von Klapsen dem stoischen Pedrito versetzt. Das ist der Junge, der ohne es zu wissen noch zu wollen, die Rolle der Nemesis für das Mädchen und seine undefinierbare Katze-Hund übernimmt.

Wo bin ich stehengeblieben? Ach ja, am Warum dessen, was ich später erzählen werde.

Es ist so, dass sich heute Morgen bestätigte, was ich befürchtete: das Buttergebäck war zu Ende. Alles war weg. Einschließlich der strategischen Reserve (bestimmt für die vorhersehbare Zombies-Apokalypse, für einen Überfall der Außerirdischen oder für den Fall, dass ein Meteorit herunterfällt), alles war leer.

Was war passiert? Nun, wie in den griechischen Tragödien und bei den mexikanischen Corridos, es passiert nichts, bis es dann passiert.

Doña Juanita, verschanzt in der Küche des CIDECI in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, Mexiko, hat den Streik ausgerufen: Schluss mit Tamales, Schluss mit cuche (Schweinefleisch in Chiapas), Schluss mit Tacos und Garnachas, Schluss mit Smoothies, reich an Kohlehydraten, Fetten und Cholesterin. Und der Gipfel allen Unglücks, Schluss mit mantecadas = Buttergebäck. Jetzt gibt es nur mehr gesundes Essen, das heißt Gemüse, Gemüse und noch einmal Gemüse. Nichts aber auch gar nichts sonst. Widerstand und Rebellion. Tod dem chunk food und fast food.

Als ich davon erfuhr, sandte ich einen Vertrauensmann um Doña Juanita zu überzeugen, dass sie eine Ausnahme machen solle: dass ich sie ja verstand aber dass ich in einem Buch gelesen hatte, dass Buttergebäck sehr nahrhaft ist und wenn sie das Buttergebäck machen würde, würde alles »entre nous« bleiben, nichts davon würde an die Öffentlichkeit gelangen. Der Vertrauensmann kehrte trübselig zurück: kaum, dass er mit Doña Juanita sprechen konnte, die gestärkt durch ihre Compas in der Küche sang: »no, no, nos moverán, y el que no crea que haga la prueba, no nos moverán« (= sie werden uns nicht wegbewgen können und wer es nicht glaubt, der soll es probieren, sie werden uns nicht wegbewegen können`). Ich fragte den Vertrauensmann, was er dann machte. Er sagte, dass er auch zu singen begann, dass der Chor sehr schön klang und er nahm eine Gitarre und begleitete die Hymne.

Ich ließ mich durch Fragen, die ich der Abteilung ´Gender´ zuordnete, nicht bezwingen. Schlussendlich ist Doña Juanita eine Frau und es gibt Dinge, die Frauen nicht verstehen.

So griff ich zur extremen Geheimwaffe der ezetalene: der Compa Jacinto Canek.

Weit weg von diesen Bergen aber eingebettet in anderen versteht der Compa Jacinto Canek etwas von Küche. Er produziert Wunderbares und braucht dazu nur einige Pfannen und Töpfe. Aber er hat ein ganz spezielles Talent für das Brotbacken. Es gibt Gerüchte, dass die Menschen aus allen Teilen der Welt kommen um sein Brot zu verkosten. Als Zeichen der ´anderen Globalisierung´ hat sein Gebäck die Gaumen von fünf Kontinenten ergötzt.

»Das Geheimnis sind viele Eier«, gestand mir der Compa Jacinto Canek eines schönen Tages, während wir darauf warteten — ich voller Ungeduld — dass die Butterkuchen aus dem Rohr geholt werden konnten. Obwohl er sich auf das Gebäck bezog sagte ich fast wie in einem Reflex: »wie bei allem, Don Jacinto, wie bei allem«.

Es war eine Frage der Geschlechtersolidarität und daher vertraute ich darauf, dass der Compa Jacinto Canek seinem Kampfnamen Ehre erweisen würde und einen Ausweg aus der schweren Krise, die sich anbahnte, anbieten würde. Eine Mission von derartiger Tragweite erforderte eine drastische Haltung. Um die Kritiken zum Schweigen zu bringen, die ich schon von feministischer Seite kommen sah, beauftragte ich die insurgenta Erika, sich in die Gegend zu begeben, wo Jacinto Canek seine kulinarischen Geheimnisse tapfer verteidigt.

Ich sagte zu Erika, dass sie eine wichtige Mission habe. Dass sie zu Jacinto Canek gehen muss und ihm eine Legende erzählen muss: die ersten Götter, jene, die die Welt geboren haben, haben das Buttergebäck geschaffen, damit die Menschen eine Ahnung vom Paradies bekämen. Aber dann kam das vermaledeite kapitalistische System mit seinen Bimbo-Marinela, den Tía Rosa, Wonder usw. und korrumpierten die geheiligte göttliche Speise.

Jene, die handgemachten Bäckereien herstellten, waren die Bewahrer der Erinnerung, die den heiligen Gral behüteten, der die Kommunikation zwischen Menschen und Göttern erlaubte.

Natürlich frage mich die insurgenta Erika was das ist ´der heilige Gral´. Ich sagte, das ist etwas ganz Wichtiges, Heiliges, von dem das Schicksal der Menschheit abhängt.

Die Erika lachte mich aus und sagte »Na, was wird das schon sein, das hast du sicher erfunden Sup, das sagst du nur, weil du Buttergebäck möchtest«.

Ich setzte meine Mine des Beleidigten auf und sandte sie mit rigorosen Warnungen versehen auf den Weg.

Nach Tagen, welche ich mir sehr erschöpfend vorstellte, kehrte die Insurgenta Erika mit einem großen Sack voller Brote zurück. Ich konnte es nicht unterlassen: ich applaudierte. Und ich muss gestehen, dass meine schönen Augen vor Dankbarkeit feucht wurden.

Ohne den Gruß der Erika zu erwidern packte ich den Sack und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Nichts. Es gab Schnecken, Zöpfe, Striezel, Sandgebäck, Maisgebäck, gefüllte Pasteten, Blätterteigschleifen, Croissants, Kipferl, Hörnchen, Donuts und sogar das sogenannte ´Liebesbrot`. Aber kein einziges, nicht ein einziges Buttergebäck.

Schrecklich.

Ich fiel auf meinen Stuhl, Bitterkeit erfüllte mein Leben.

Da holte die Insrugenta Erika aus ihrer Schultertasche ein anderes Sackerl, ein kleineres. Aus einer Umhüllung von Plastik und Papier taucht ein Buttergebäck auf!

»Er hat nur mehr dieses eine machen können«, erklärte Erika, »er konnte nicht mehr machen, weil er mit seiner Frau zum Tanzen geht und er weiß nicht, wann er wieder welche machen kann«.

Und dann ging die Insurgenta Erika weg.

Vorsichtig, so als ob es sich um ein wertvolles Stück Bleikristall handelte, platzierte ich das Buttergebäck auf den Tisch. Alles im Hinterkopf, das Unwetter, die Hydra und die Apokalypse nahm ich eine feierliche Haltung ein und erklärte:

»Hier liegt das letzte Buttergebäck in den Berge des Südostens von Mexiko«.

Ich wusste nicht ob ich es essen sollte oder einen Altar errichten, als warnende Huldigung dafür, was es bedeutete: das Ende einer Epoche, der unanfechtbare Urteilsspruch der Geschichte, der Zorn unbekannter Götter, die Verachtung in einem ersehnten Blick, die Kollateralschäden des kapitalistischen Krieges.

Ich sah es an, ja. Ich konnte meine Lüsternheit kaum verbergen. Vorsichtig streichelten meine Finger über die angezuckerten Konturen, die kreisförmige Vertiefung, welche den Busen des Einzigen hervorhob, die üppige Figur, die nicht nur sagte sondern schrie: »ich bin ein Buttergebäck, aber nicht irgendein Buttergebäck, ich bin das letzte Buttergebäck«.

Damit war ich beschäftigt, das heißt, ich überlegte gerade, ob sie im Genossenschaftsladen wohl gerade das bekannte Erfrischungsgetränk mit cola auf Lager hatten, um dem letzten Buttergebäck eine ehrenhafte Begleitung zu geben, und da, in diesem Moment, so als ob die Tragödie noch nicht groß genug wäre, erschienen in der Tür....

Defensa-Zapatista und die/der Katze-Hund.

Ich stand so schnell wie möglich auf und versuchte, mit meinem Körper das obskure Objekt meiner Begierde zu verbergen und ich begann Unzusammenhängendes zu stammeln:

»Ah , nein, nein es ist kein Buttergebäck auf meinem Tisch. Nein nein, ich verstecke es nicht. Nein hinter mir gibt es nichts. Ach, heiß ist es nicht wahr, und die Mücken sind ganz wild, ich glaube es wird regnen. Glaubst du, dass es regnen wird?«

Ich glaube, Defensa fasste Verdacht, denn sie ging um mich herum und da sah sie das Buttergebäck.

Sie sah mich missbilligend an und sagte streng:

»Du musst teilen, Sup«.

Die/der Katze/Hund bellt und miaut, ich weiß nicht warum aber ich nehme mal an, um die Defensa Zapatista zu unterstützen.

Ich nehme an, angelockt durch das Wort ´Buttergebäck´, tauchte eine Mädchen aus dem Nirgendwo auf und sie versuchte, das Gebäck mit ihrem Händchen zu erreichen, während sie mit der anderen kleinen Hand einen Teddybär festhielt.

Ich entfernte sie vom Tisch und ganz so, wie das der Dahingeschiedene immer machte, fragte ich:

»Wer bist du? Ich kenne dich nicht«.

»Ich heiße Esperanza (Hoffnung) und mein Familienname ist »zapatista« und das hier ist mein Teddybär und wir sind hungrig«. Als ich den Namen des Mädchens hörte konnte ich nicht umhin, die kontinuierlichen Paradoxien auf dieser zapatistischen Erde zu bestaunen.

Die zapatistische Hoffnung zog sich zurück, nach diversen Versuchen, was die neuen Sozialtheorien wohl ´Akkumulation durch Enteignung von Buttergebäck´ nennen werden, eine noch in der Entwicklungsstufe stehende kapitalistische Erscheinung.

Defensa Zapatista und Katze-Hund sahen mich mit mehr als 500 Jahre alten Forderungen an und warteten auf das Unmögliche: dass ich das letzte Buttergebäck der Berge des Südostens von Mexiko mit ihnen teilen würde.

»Es geht nicht«, lautete meine ungeschickte Verteidigung »es gibt nur ein Stück. Ja wenn wir zwei oder mehr hätten, dann könnte man teilen, aber es ist nur eines da und folglich kann man nicht teilen, das ist nur für einen«.

Ich unterstrich das »einen« um den Geschlechtsunterschied hervorzukehren: dieses »einen« schloss Defensa Zapatista, Esperanza und Katze-Hund — weil man da ja nicht weiß, ob es eine Katze oder ein Hund ist, wodurch man ja auch nicht wissen kann, ob es männlich oder weiblich ist — aus.

Ich wandte daher das fünfte Gesetz der Dialektik an (Anmerkung: das erste Gesetz der Dialektik lautet `es hängt alles mit allem zusammen´, das zweite ´eine Sache ist eine Sache und eine andere Sache ist die, dass du mir nicht auf die Nerven gehen sollst´, das dritte lautet ´zum Teufel mit dem Universum und seiner Materie´, das sechste sagt ´es gibt kein Problem das so groß ist, dass man es nicht umdrehen könne´)...

Wie gesagt, das fünfte Gesetz der Dialektik lautet ´man kann noch immer vom Regen in die Traufe kommen´ und um das zu bestätigen, tauchte die zapatistische Hoffnung neuerlich auf und zwar in Begleitung von anderen zwei zapatistischen Kindern: einer war mit einem Cowboyhut, der grösser als er war versehen und er stellte sich mit den Worten ´ich bin Pablito´ vor. Der andere trug einen Hut des Stils ´Don Ramon en el Chavo del 8` (Anmerkung Übersetzerin: mexikanische Fernsehserie), wobei er auch einem Kammgarnhelm ähnlich sah. Er sagte, dass er ´Amado (Uebersetzerin: der Geliebte) der Amado Zapatista heiße (ich wollte ihm gleich einen Klaps versetzen, weil er mich verdrängen wollte).

Ich sah, dass ich mich zahlenmäßig im Nachteil befand und analysierte meine Möglichkeiten:

Ich konnte zum Beispiel den Klassiker ´des einen Freud, des anderen Leid` anwenden, das Buttergebäck packen und davonlaufen, was in der Militärtheorie ´strategischer Rückzug´ genannt wird.

Diese Option musste ich verwerfen, das zapatistische Kinderkommando hielt mich belagert.

Ich konnte sie niederrennen, nach dem Muster wie der Internationale Währungsfonds sich progressiven und nicht progressiven Regierungen gegenüber verhält, aber ich lief Gefahr, dass ich stolpern würde und der Heilige Gral zu Fall käme. Das wäre von Vorteil für Katze-Hund, seine/ihre Geschicklichkeit im Erwischen des Hinuntergefallenen hatte sich bereits in einer anderen Geschichte erwiesen, die werde ich euch bei anderer Gelegenheit erzählen.

Ich wählte daher die Demagogie, die gerade en vogue ist und indem ich mich an das Kinderkommando wandte begann ich folgendermaßen vorzutragen:

´Seht, ihr müsst die Konjunktur verstehen, die Kräftekorrelation ist nicht vorteilhaft. Dies sind keine Zeiten für Radikalismen. Ein langsamer Übergang ist vorteilhafter. Zum Beispiel darauf warten, dass es mehr Buttergebäck gibt, ja dann schon. Aber jetzt müsst ihr euch in Geduld üben und warten. Wenn es zum Beispiel schon ein Mädchen gibt, das ´Defensa Zapatista´ heißt, und ein anderes Mädchen heißt ´Esperanza Zapatista´, dann kann es ja auch so sein, dass es eine gibt, die ´Paciencia Zapatista (= zapatistische Geduld) heißt. Also geht und sucht sie und wenn ihr sie gefunden habt, dann macht eure politische Rede und dann ja dann werden wir weitersehen.`

´Gibt es nicht´, antwortete Defensa Zapatista und verschmitzt fügte sie hinzu: ´aber es gibt eine compañerita die »Calamidad« (=Unheil) heißt, das heißt sie ist die »Calamidad Zapatista«. Du musst entscheiden, ob wir sie dir hierher bringen sollen.´

Ein Schauder durchfuhr meinen sensuellen Körper.

Verzweifelt stellte ich fest, dass meine Argumente nicht überzeugten.

Da stellte ich mir den endzeitlichen Kataklysmus vor: eine Masse von zapatistischen Mädchen und Buben, die meine Hütte umringen, das seinerzeitige Generalkommando der ezetaelene, Beschimpfungen in den verschiedenen Sprachen aus dem Maya-Sprachstamm, Defensa Zapatista befiehlt »bringt Kienspäne«; Esperanza zaubert − weiß der Teufel woher − ein Feuerzeug hervor, während ihr Teddybär, ich schwöre es, sich in ´Chuky, die teuflische Puppe´ verwandelt. Der/die Katze-Hund bellt und miaut, der Pedrito tanzt mit der Erziehungspromotorin und der Pablito singt das von der farbigen Haarschlaufe und Amado singt die zweite Stimme (ja die Männer, immer auf einer anderen Wellenlänge), die Kienspäne werden demokratisch entzündet, die ersten Flammen lecken an den Brettern und bilden einen Feuerkreis, innerhalb des Kinderkreises, und ich, heroisch, im Arm das Buttergebäck, bereit zu sterben, alles um nicht »my tresaure« an diese pietätlose Masse, die kaum mehr als einige Handbreit über den Boden hinausragt, übergeben zu müssen.

Der Versuch, sie zu spalten, damit sie untereinander kämpfen, war sinnlos: das Buttergebäck einte sie und ich konnte es nicht abtreten.

Es stimmt, ich könnte es hinschleudern und bei dem dadurch entstehenden Durcheinander die Flucht ergreifen. Aber ich zweifelte sehr daran, dass sie sich auf das Buttergebäck werfen würden. Ganz sicherlich würden sie ihrer Gewohnheit, alles, auch das Wenige das sie haben zu teilen, treu bleiben, genauso wie das die Bande des dahingeschiedenen SupMarcos machte, nachdem sie den Laden ´La Nana Zapatista´ in La Realidad überfallen hatten.

Aber nein, ausgeschlossen, es war mein Buttergebäck. Wir beide waren durch das Schicksal zusammengeschweißt. In meinem Kopf kreisten die Texte der alten Schriften (die ich verfasste): »zu Anbeginn der Zeiten, schufen die Götter das Buttergebäck und sie sahen, dass es gut war und dann erschufen sie den Sup damit er sich daran erfreuen möge und dass er es ohne es zu teilen verschlingen könne.«. Folglich war das Buttergebäck durch göttlichen Befehl mein Eigentum und diese häretischen Zwerge und Zwerginnen versuchten mich meines Eigentums zu berauben, wodurch sie die größte Sünde begehen, nämlich dem Privateigentum am Buttergebäck die Stirne zu bieten, welches, wie wir alle wissen, denn so steht es in allen Geschichtebüchern, das Fundament der Zivilisation, der Ordnung und des Fortschrittes ist. Die Zukunft meiner Welt stand auf dem Spiel. Wenn ich mein Buttergebäck teilen würde, würde die Menschheit in die Steinzeit zurückversetzt werden, in eine Welt ohne Internet, ohne Social Media, ohne Filme und Serien im Stream, und der Gipfel aller Schrecken, ohne Nusseis.

Ich verstand in diesem Augenblick, dass an meinem schönen und wunderbar geformten Körper die letzte Möglichkeit der Menschheit hing.

Wenn ich das Buttergebäck teilen würde, könnten entsetzliche Dinge passieren. Zum Beispiel könnten die Frauen rebellieren. Nicht eine oder zwei. Alle. Millionen von zapatistischen Defensas, Epseranzas und Calamidades würden in allen Winkeln der Welt hervorquellen.

Die Apokalypse.

Die totale Zerstörung der Welt, so wie wir sie kennen.

Das Ende der Zeiten.

Die Endzeitkatastrophe.

Ich erschauderte.

Und da beging ich einen Fehler, den ich nicht genug bereuen kann: ohne jegliche Notwendigkeit sagte ich:

»Außerdem ist es das letzte«.

»Das letzte!«, wiederholte das Mädchen überrascht und alarmiert.

Defensa Zapatista schwieg und dachte nach. Ich fühlte, wie ein Schauder meinen üppigen Körper durchlief. Es gibt nichts, wovor man sich mehr fürchten muss als vor einem Mädchen das nachdenkt.

Defensa Zapatista brach das Schweigen. »Ist gut, dann werden wir spielen und wer gewinnt, dem gehört das Buttergebäck«.

Ich wollte anführen, dass ich um nichts spielen müsse mit dem Einsatz meines Buttergebäckes, denn es gehörte mir, mir — mein — mich-mit mir, my tresaure, das Ergebnis meiner Anstrengung (na gut, die Anstrengung war die des compa Jacinto Canek, aber aus Geschlechtersolidarität und als sein Vertreter stand es mir zu).

Während ich das Plädoyer meiner Verteidigung formulierte, fügte die gleichnamige Zapatistin hinzu:

»Zu Ehren der/des hier anwesenden Katze-Hundes werden wir das ´Katze´-Spiel spielen. Wer gewinnt, bekommt da Buttergebäck.«

Als ich das hörte, stornierte ich in meinem Kopf meine brillante juristisch-gastronomische Abhandlung und fragte:

»Katze? Das was man mit Einkreisen und Ankreuzen spielt und es gewinnt derjenige, der eine horizontale, vertikale oder diagonale Linie schafft?«

»Ja das«, sagte das Mädchen und zeichnete in ihrem Heft das Kreuz der parallelen Linien der ´Katze´, das Spiel meiner Kindheit, wenn man es einige Male gespielt hat, gibt es keinen Sieger.

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Wenn jene, die das lesen der »digitalen Generation« angehören, erspare ich ihnen jetzt das Nachschauen in wikipedia:

»Das Drei-in-einer-Linie, auch bekannt als Kreis und Kreuz, Drei in einer Linie (in Peru, Spanien, Ecuador und Bolivien), Katzenspiel, Triqui (in Kolumbien), Quadrate, Katze (in Chile und México),Triqui traka, Equis Cero, Tic-Tac-Toc (in den Vereinigten Staaten) ist ein Spiel mit Bleistift und Papier und zwei Spielern: O und X die ihr Zeichen abwechselnd in ein freies Feld eines 3x3 Quadrats setzen.«

Blitzschnell dachte ich nach und wagte den Vorstoß:

»Und was ist bei Unentschieden?«

Defensa Zapatista blickte auf die/den Katze/Hund. Die/der Katze Hund blickte auf Defensa Zapatista. Esperanza schaute beide an. Pablito und Amado schauten das Buttergebäck an.

Nach einigen Sekunden bellte-miaute die/der Katze-Hund. Das Mädchen Defensa wandte sich an das Tierchen und fragte:

»Bist du sicher?«

Katze-Hund fauchte mit dem Ausdruck »ich weiß nicht, wie du an mir zweifeln kannst«.

Da sagte das Mädchen zu mir: »wenn es ein unentschieden gibt, dann gehört das Buttergebäck dem, der es am Anfang hatte«.

»Das heißt also mir«, sagte ich um sicher zu gehen, dass es keine juristischen Fallen im Abkommen gab.

»Ja«, antwortete Defensa Zapatista sorglos.

»Gut«, sagte ich und ich genoss im Vorhinein zweifach: den Triumph des Geschlechtes und das Buttergebäck, denn es handelte sich nicht um irgendein Buttergebäck es war das letzte Buttergebäck in den Bergen des Südostens von Mexiko.

»Also wer beginnt? Du oder ich?«, fragte ich das Mädchen während ich ein weißes Blatt und meinen schwarzen Füller mit unlöschbarer Tinte hervorholte.

»Ich werde nicht spielen. Ich fordere den gerichtlichen Zweikampf. Ich wähle die/den hier anwesende/n Katze-Hund als meinen Kämpfer. Sie/er wird an meiner Stelle kämpfen«, antwortete Cersei, ups, Entschuldigung Defensa Zapatista.

»Ok, einverstanden«, sagte ich zuversichtlich. Schlussendlich würde mir das alle geschlechtsspezifischen Kritiken ersparen, die da lauten würden, dass ich gegen ein Mädchen gewonnen hätte und der/die Katze-Hund, gut denn, das ist eine/ein Katze-Hund, das heißt, nichts ist zu befürchten.

Das Tierchen war mit einem Sprung auf dem Holztisch, entfernte mit einer verächtlichen Geste das Papier und wie mir schien spöttischen Lächeln holte es seine Nägel heraus und wie ein Blitz zeichnete es auf der Oberfläche des Tisches das Kampffeld.

1-1


Nicht dass ich mich über das Zerkratzen des Tisches beklagt hätte, ist er doch voller Brandflecken und Tabak- und Tintenmarkierungen, aber es erschien mir doch, wie soll ich sagen, wenig professionell von Seiten der/des Katze-Hundes.

Aber so standen die Dinge, und ich holte mein Taschenmesser heraus und öffnete seine geschärfte Klinge mit einem bösartigen Glänzen in den Augen.

Im Schein der Metallklinge erschien es, als würde das gesamte Universum stillstehen, so als ob seine zukünftige Bewegung oder Stillstand davon abhängen würden, was auf diesem alten Holztisch ausgetragen wird: Gesicht oder Kreuz, Leben oder Tod, Schatten oder Licht, Buttergebäck oder Chaos.

Ok, ich übertreibe, aber Katze-Hund und der Erzähler tauschten die gleichen Blicke, welche seit Jahrhunderten die Kontrahenten austauschen die wissen, dass in dieser Konfrontation nicht nur das Leben auf dem Spiel steht, sondern die gesamte Zukunft.

Katze-Hund streckte die Hand aus, gut, die Pfote, so als ob sie/er mir den Vortritt zum Anfangen überlassen würde, zumindest habe ich es so verstanden.

Energisch, Kasparov nacheifernd markierte ich meinen Kreis im Zentrum. Obwohl ich wusste, dass das Zentrum nirgendwohin führt, dachte ich für mich, dass in diesem Fall ein Unentschieden einen Sieg bedeutete, denn dann blieb das Buttergebäck bei seinem legitimen Eigentümer, das heißt, in meinen Magen.

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Katze-Hund, so als ob sie/er die Sexta an ihre/seine Seite rufen wolle, markierte unten und links.

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Ich wollte ihr/sein Leiden verkürzen und wiederholte im Zentrum, aber unten, ganz der progressiven Welle folgend.

3


Katze-Hund — wie nicht anders zu erwarten — blockierte ohne Zögern oben im Zentrum, so als wollte sie/er sagen, dass das Zentrum unten immer vom Zentrum von oben neutralisiert wird.

4


Ich griff von der linken Flanke an, um Katze-Hund zu überraschen, aber sie/er blockierte neuerlich.

5


Zum Schluss und bereits angesichts des Unentschieden, versuchte ich die Diagonale von oben nach unten, von links nach rechts, ganz so wie die dekadente Sozialdemokratie.

6


Neuerlich blockiert Katze-Hund.

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Ich beendete oben rechts, als reine Formalität, denn das Unentschieden war sichtbar und mein Triumph unwiderlegbar.

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Ich war gerade dabei, das Buttergebäck in der Lade zu verstauen, als Defensa Zapatista bemerkte:

»Moment mal! Katze-Hund ist nochmals dran«.

»Aber es ist ja schon alles voll«, protestierte ich.

Katze-Hund lächelte maliziös und mit geschärften Krallen zeichnete sie/er das Unvorhergesehene: so als ob sie/er eine neue Welt zeichnen würde, fügte sie/er eine Erweiterung an das Diagramm an:

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Und langsam, mit einem diebischen Vergnügen ritzte er/sie das Kreuz in das neue Kästchen und ich schwöre es euch, das Holz knirschte, unheimlich, als sie/er die Diagonale des Triumpfes malte.

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»Wir haben gewonnen!«, brüllte Defensa Zapatista und packte das Buttergebäck, während das Tierchen hochsprang und sich im Kreis drehte.

Vor dem Weggehen kam Esperanza Zapatista, um ihrem Paradoxon die Ehre zu erweisen zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte:

»Mach dir keine Sorgen Sup. Ich erzähle dir dann später wie dieses Brötchen, das dir der/die Katze-Hund abgespielt hat, geschmeckt hat«.

Und dann entfernte sich auch die Esperanza und mit ihr meine ebendiese.

Während ich ihnen nachblickte dachte ich darüber nach, dass das Problem mit dem Zapatismus genau dieses ist, glaubt es mir: wenn ihre Träume und Wünsche auf dieser Welt keinen Platz haben, dann schaffen sie eine andere, neue.....und überraschen mit ihrer Hartnäckigkeit, diese zu schaffen.

Und nicht nur beim Zapatismus.

Auf dem gesamten Planeten entstehen und wachsen Rebellionen, die sich weigern, die Limitierungen des Schemas, die Regeln, Gesetze und Vorschriften zu akzeptieren.

Denn es gibt nicht nur zwei Geschlechter, nicht nur sieben Farben, die Himmelsrichtungen sind nicht nur vier und es gibt nicht nur eine Welt.

So wie Defensa Zapatista, die/der Katze-Hund und die Bande bestehend aus dem Pedrito, dem Pablito und dem Amado, wir Männer, Frauen und AnderEr haben nur ein Ziel: uns um die Esperanza Zapatista zu kümmern.

Wenn das in dieser Welt nicht geht, nun dann müssen wir eine andere schaffen, eine, in der viele Welten Platz haben.

Mit diesen Gedanken seufzte ich tief und sagte zum Spiegel: »du hättest teilen sollen«.

-*-

Tan-tan.

Aus dem Caracol Torbellino de Nuestras Palabras, in den Bergen des Südostens von Mexiko, Planet Erde.

Der SupGaleano.
9. August 2018,

15er. Geburtstag der zapatistischen Caracoles
und der Juntas der Guten Regierung


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 Quelle:  
  http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2018/08/26/la-ultima-mantecada-en-las-montanas-del-sureste-mexicano/ 
 

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