Laute Schüsse, leises Geld
Sicherheitspolitik, Militarisierung und organisiertes Verbrechen in Lateinamerika
Rosa Luxemburg Stiftung vom 11.06.2024 |
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Liebe Lateinamerika-Interessierte,
Mexiko blickt zurück auf eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche Wahl: Am 2. Juni entschieden über 100 Millionen Wahlberichtigte nicht nur über die Präsidentschaft, sondern über eine Vielzahl politischer Ämter und Mandate. Es war die umfangreichste Wahl in der Geschichte des Landes. Zum ersten Mal hat eine Frau die Präsidentschaftswahl gewonnen: Claudia Sheinbaum, ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt und enge Vertraute des amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador.
Außergewöhnlich war in diesem Zusammenhang leider auch das Ausmaß der Gewalt: Der mexikanische Think Tank »Laboratorio Electoral« zählt insgesamt 38 ermordete Politiker*innen seit Juni 2023. Es handelt sich hauptsächlich um lokale Kandidat*innen. Zahlreiche Lokalpolitiker*innen zogen angesichts von Bedrohungen ihre Kandidatur zurück. In Chiapas, wo sich kriminelle Organisationen um die Kontrolle der Grenzregion zu Guatemala bekriegen, musste die Wahl in einzelnen Gemeinden komplett abgesagt werden.
Es ist ein Problem, mit dem Mexiko im lateinamerikanischen Kontext nicht allein dasteht: Wirtschaftskrise, Armut und eine neoliberale Politik sind der Nährboden, auf dem Verbrechen und Gewalt gedeihen. Die politischen Antworten ähneln sich: von El Salvador, wo der Ausnahmezustand mittlerweile seit über zwei Jahren andauert, über Mexiko, wo die Befugnisse des Militärs weit über den sicherheitspolitischen Bereich hinaus ausgedehnt wurden, bis nach Ecuador, wo Präsident Daniel Noboa im Januar per Dekret den kriminellen Banden den Krieg erklärte.
Politisch wird das als alternativlos verkauft: Ohne die harte Hand des Staats und die Hilfe des Militärs versinke die Gesellschaft in Gewalt und Korruption. Eine Entpolitisierung des Problems, warnt Luis C. Córdova mit Blick auf die Militarisierung der ecuadorianischen Gesellschaft. Was aber kann die Linke dazu beitragen, die Frage der Sicherheit wieder zu politisieren? Die Sozialwissenschaftler*innen Cristina Vega und Carmen Gómez warnen: Der Drogenkrieg lässt die kriminellen Eliten unangetastet und trifft vor allem die ärmsten und rassifizierten Teile der ecuadorianischen Gesellschaft.
Nicht nur um die lauten Schüsse in den Armenvierteln, sondern um das leise Rattern der Geldzählmaschinen müsse es einer nachhaltigen Sicherheitspolitik gehen, meint daher Caren Tepp, Fraktionsvorsitzende der Bewegungspartei Ciudad Futura in Rosario, Argentinien. Und auch am Mordfall an der brasilianischen Politikerin Marielle Franco lässt sich zeigen, wie komplex die Verflechtungen zwischen Polizei, Politik und Kriminalität oft sind.
Dass für eine nachhaltige Sicherheit und Frieden insbesondere die sozialen Ungerechtigkeiten hinter den Konflikten angegangen werden müssen, betont Raul Zelik in unserem Beitrag zu Kolumbien. Dort widmen sich die Abspaltungen der 2016 demobilisierten Guerilla FARC inzwischen eher den illegalen Ökonomien denn politischen Zielen − und gehen mitunter sogar gegen lokale Aktivist*innen vor. Eine Herausforderung für den linken Präsidenten Gustavo Petro, der einen »umfassenden Frieden« verfolgt.
Ohne Frage ist der Vormarsch krimineller Organisationen in Lateinamerika auch mit dem Rückzug des Staats aus vielen gesellschaftlichen Bereichen verbunden. Wie kein anderer verkörpert der argentinische rechtslibertäre Präsident Javier Milei diesen marktradikalen Staatsumbau. Im Juni soll ihm dafür in Hamburg die »Hayek-Medaille« verliehen werden. Als Gegenprogramm zu seinem Besuch organisiert die RLS in Kooperation mit dem Arbeitskreis Plurale Ökonomik der Universität Hamburg eine Veranstaltung, in der es unter anderem um die Anschlusspunkte zwischen Mileis Libertarismus und der extremen Rechten gehen wird. Wir würden uns sehr freuen, Sie dort am 20. Juni begrüßen zu dürfen.
Bis dahin wünschen wir ihnen eine interessante Lektüre
Ihr Lateinamerikareferat
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