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Mexikaner im Zwiespalt: Wieviel oder wiewenig Solidarität mit den USA ist nach den Attentaten angemessen -

Traditionelle Außen- und Neutralitätspolitik auf dem Prüfstand

Poonal vom 28.09.2001
Von Gerold Schmidt

  (Mexiko-Stadt, 28. September 2001, npl).- "Armes Mexiko, so nah an den USA und so weit weg von Gott", hieß es früher oft mitfühlend, wenn vom südlichen Nachbarn der Supermacht die Rede war. Das schien mit dem Amtsantritt von Präsident Vicente Fox Ende vergangenen Jahres auf einmal vorbei zu sein. Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gediehen auf den ersten Blick prächtig. Fox traf seinen Gegenüber Bush innerhalb weniger Monate öfter als seine Vorgänger in ihren gesamten Regierungsperioden. Von einem Verhältnis auf gleicher Augenhöhe, einer harmonischen Partnerschaft war in mexikanischen Regierungskreisen die Rede.

Die Attentate in den USA haben das wieder schlagartig verändert. Mexiko leidet erneut an der Beziehung zum Nachbarn und ist in eine tiefe Diskussion um die künftige Außenpolitik verstrickt. Im Kern geht es darum, wie weit die Solidarität mit den USA gehen kann und darf. Und um die Identität und Souveränität des Landes. Der Schriftsteller Carlos Fuentes erklärte am 25. September provokativ: "Wir sind Partner der Amerikaner, aber auf keinen Fall ihre Befehlsempfänger. Da gibt es doch einen Unterschied, oder?"

Die Frage hat ihren Grund und wird seit den Terroranschlägen in variierter Form jeden Tag wieder neu gestellt. Am 12. September preschte der mexikanische Außenminister Jorge Castañeda vor und rechtfertigte im Vorhinein "Vergeltungsmaßnahmen" und "Rache" der USA. Er sprach sich für eine bedingungslose Unterstützung des Nachbarns im Norden aus und schloss indirekt sogar militärische Hilfeleistung nicht aus. Den sich abzeichnenden Konflikt bezeichnete er "als den unseren". Ein Tabubruch in der Geschichte der mexikanischen Außenpolitik.

Traditionell ist Mexiko stolz auf das Prinzip der Nicht-Einmischung und die Neutralität seiner Außenpolitik gewesen. In der Verfassung wird diese Haltung bekräftigt. Zudem spielte über Jahrzehnte hinweg die sogenannte Estrada-Doktrin aus den 30er Jahren eine große Rolle, die für politische Distanz zu den USA sorgte, weil sie sich nicht mit Interventionspolitik einverstanden erklärte. Nun regt sich Widerstand dagegen, dass Minister Castañeda und Präsident Fox die alten Prinzipien quasi im Vorbeigehen umstossen könnten.

Beide sind als Verfechter einer starken politische Annäherung an die USA bekannt. Sie halten diese aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit auch für unvermeidlich. Im Falle des Außenministers, der noch Anfang der 90er Jahre ein entschiedener Gegner des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA) gehörte, bedeutet das allerdings eine Kehrtwendung von 180 Grad. "Vasallentreue" wird ihm jetzt vorgeworfen. Der Oppositionsabgeordnete Emilio Ulloa sprach aus, was wohl viele Mexikaner denken: "Sie laden uns zu einem Krieg ein, der aber Ihrer ist und nicht unserer."

Laut Umfragen ist eine große Bevölkerungsmehrheit gegen den starken Schulterschluss mit den USA. Auf fast einhelligen Widerspruch der Kommentatoren fällt die Bush-Aussage "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Bei allem Mitgefühl mit den Opfern — unter denen sich wahrscheinlich über 200 Mexikaner befinden — wird vielfach darauf hingewiesen, dass die Attentate auch eine Konsequenz einer arroganten und oft brutalen US-Außenpolitik sind. Bis hin in eher konservative Kirchenkreise findet diese Kritik derzeit Erwähnung. Ins vergangene Jahrhundert zurück reichende Demütigungen, wie der Abtritt von der Hälfte des Staatsgebietes an die USA, sind in Mexiko nicht vergessen.

In der aktuellen Situation ist die Regierung sich nicht einig. Innenminister Santiago Creel hat mehrmals demonstrativ betont, jede Hilfe für die USA müsse sich an den Kriterien des Rechtsstaates orientieren und UNO-Resolutionen beachten. Kritisiert wird das Vakuum, das Vicente Fox bei seiner Amtsführung aufkommen lässt. Führungsqualitäten hat der Präsidenten in den vergangenen Wochen nicht gezeigt.

Der mexikanische Senat, der schwerwiegenden Entscheidungen der Außenpolitik zustimmen muss, geht immer mehr auf Konfrontationskurs mit dem Außenminister. Die Opposition fordert seinen Rücktritt, aus der Regierungspartei PAN kaum Beistand für den zuvor bereits wenig geliebten Castañeda. Aufgrund der Intervention aus dem Senat ist der Ton offizieller Regierungserklärungen bezüglich der Solidarität mit den USA wesentlich verhaltener als die Aussagen des Außenministers, der die "Litanei von Prinzipien" für eine Sache der Vergangenheit hält.

Einen "Pragmatismus ohne Prinzipien" befürchten dagegen seine Widersacher. Die Sorge um ein gutes Verhältnis zur Supermacht dürfe nicht das ausschließliche Kriterium sein. Die Diskussion ist in keinster Weise abgeschlossen. Daran ändert die Tatsache nichts, dass US-Botschafter Jeffrey Davidow am 24. September ein Gesuch um militärische Hilfe an die Mexikaner so gut wie ausschloss. Diese müssen sich entscheiden, ob sie trotz eventueller politischer Kosten ihre Neutralität beibehalten wollen oder ob sie sich auf einen Weg begeben, von dem es einmal eingeschlagen, kaum mehr ein Zurück gibt.


Quelle: poonal
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