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Unheimliches Schweigen

Mordserie an jungen Frauen in mexikanischer Grenzstadt.

junge welt vom 23.03.2006
Von Andreas Henrichs, Ciudad Juárez

  Noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Ciudad Juárez ein verlassenes Nest in der Wüste Chihuahuas. Bars, Restaurants, billige Lebensmittelgeschäfte säumten die staubigen Straßen. Angelockt durch den "amerikanischen Traum" strömten immer mehr Menschen in die Stadt am Rio Bravo. Ein besseres Leben in den USA schien hier zum Greifen nah. Der Ausbau des Flusses zu einer Grenzanlage machte diesen Hoffnungen ein Ende. Ohne Geld und gültige Papiere wurde der "Tortilla-Vorhang" unüberwindbar.

Viele Menschen blieben in der Stadt. Sie fanden Arbeit in den Fabriken ausländischer Investoren, den sogenannten maquilas. Die maquilas beschäftigten vorwiegend Frauen zu prekären Bedingungen. Die Nichtbeachtung von Beschäftigtenrechten war − und ist − Teil der mexikanischen Standortpolitik. Die Fabriken, einst als Motor für die Entwicklung der ganzen Region gepriesen, wurden diesen Erwartungen nicht gerecht. In vielen Stadtvierteln sind die Straßen ungeteert, haben nachts keine Beleuchtung. Fließendes Wasser und ein Stromanschluß sind die Ausnahme. Es fehlen Kinderbetreuungseinrichtungen und ein sicherer Personennahverkehr. Die Berufstätigkeit der Frauen veränderte das soziale Gefüge einer männerdominierten Gesellschaft. In der Folge stieg die Zahl häuslicher Gewalttaten drastisch an. Parallel zu dieser Entwicklung begann 1993 der sogenannte feminicidio, die systematische Ermordung, Folterung, Vergewaltigung und das Verschwindenlassen junger Frauen. Fast alle Opfer hatten lange Haare und eine dunkle Hautfarbe, waren Arbeiterinnen in den maquilas. Ihre Leichname warf man auf die Straße oder brachliegende Grundstücke. Kein einziger dieser Fälle ist bis heute aufgeklärt.

Mexikanische und internationale Menschenrechtsorganisationen gehen mittlerweile von 400 Morden und 4 456 verschwundenen Frauen aus. Die mexikanische Regierung nennt viel niedrigere Zahlen. Angeblich sind 70 Prozent aller Fälle aufgeklärt. Sie hätten ihre Ursache in "innerfamiliären Konflikten". Der Rest der Verbrechen betrifft nach Aussagen der Landesstaatsanwältin Patricia Gonzales vor allem junge Frauen aus dem Drogen- und Prostituiertenmilieu, die somit selbst die Schuld an ihrem Schicksal trügen. Die Existenz des feminicidio wird schlicht abgestritten. Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Ciudad Juárez teilt diese Ansicht. Die lokale Presse, Unternehmerverbände und die katholische Kirche spielen die Morde herunter, sorgen sich um das "beschmutzte" Image der Stadt. Die Angehörigen der Opfer haben sich in der Organisation NHRC (Nuestras Hijas de Regreso a Casa − Unsere Töchter sollen nach Hause zurückkehren) zusammengeschlossen. Sie wollen das öffentliche Schweigen, das die Straflosigkeit der Täter erst möglich macht, brechen und fordern ein Ende des Horrors. In ihrer Heimatstadt werden sie dafür angefeindet und bedroht.

Es scheint, als habe der mexikanische Staat die Kontrolle über die nördlichen Grenzregionen verloren. Die neuen Herrscher der Ciudad Juárez, Unternehmer, Politiker, Drogenbosse und Angehörige der gesellschaftlichen Oberschicht, haben sich zu mafiaähnlichen Verbindungen zusammengeschlossen. Sie sind eng mit dem Polizei- und Justizapparat verflochten. Diesem Umfeld entstammen mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Urheber der Serienmorde.

Die brasilianische Anthropologin Rita Lauro Segato hat das Verbrechen des feminicidio in Ciudad Juárez wissenschaftlich untersucht. Sie bezeichnet die Morde nicht nur als einen perversen Akt männlicher Dominanz, sie dienten auch als Aufnahmerituale in die kriminellen Gemeinschaften. Auf einer zweiten Ebene kommunizieren die Täter durch die Morde mit rivalisierenden Gruppen und der mexikanischen Gesellschaft. Mit jedem Verbrechen festigen sie ihren Machtanspruch, der nur durch immer neue Morde bestätigt werden kann.

 Quelle:  
  http://www.jungewelt.de/2006/03-23/009.php 
 

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