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Persönlicher Bericht zur Verhaftung/Misshandlung

News vom 14.05.2006

  Mein Name ist Samantha Dietmar, ich bin 27 Jahre alt und studiere in Deutschland Fotografie und Grafikdesign. Ich wollte in Mexiko Land und Leute dokumentieren.

In Erwartung eines Friedensmarsches, um nationalweit gegen Gewalt von Seiten der Polizei zu protestieren (ausgerufen fuer die Morgenstunden des 4. Mai 2006), machte ich mich zusammen mit einer Gruppe von Studenten und Compañeros von Mexiko City auf nach San Salvador Atenco, mit Zwischenstopp an der Universidad Autónoma de Chapingo, und so erreichten wir am Vorabend gegen 21:00h in Bussen und Autos den Eingang der Stadt. Den letzten Rest des Weges legten wir zu Fuss zurueck und ich konnte mir im Feuerschein der brennenden Autoreifen ein Bild des Schreckens des vergangenen Nachmittages ausmalen. Geschossreste, Scherben von Molotowcoctails, Reste von Warnraketen, zertruemmerte Fensterscheiben, ausgebrannte Autos. Ich machte ein paar Fotos und schloss mich, um alles sprachlich besser zu verstehen, den AlternativMedien Leuten an. Ich hatte in den vergangenen Monaten der Reise Spanisch gelernt, aber vieles konnte ich im Detail natuerlich immer noch nicht verstehen.

Es gab eine Versammlung am Stadtplatz und kurz darauf liefen die Medienleute ein paar Strassen weiter zur Klinik der Stadt, um den Abtransport der gutversorgten, verletzten Polizisten nach Mexiko City zu dokumentieren. Hubschrauber kreisten ueber uns. Eine boese Vorahnung blieb zurueck. Ich uebernachtete mit zahlreichen Medienleuten in einem kleinen Hotel am Suedeingang der Stadt.

Um ca. 6:00h schreckte ich hoch. Die Kirchenglocken laeuteten, Bomben zerbarsten, Steine flogen, tatsaechlich hatte ein neuer Kampf begonnen - wie sich schnell herausstellen sollte - mit unglaublichem Gewalteinsatz von Seiten der ca. 3.000 Polizisten gegen etwa 300 Demonstranten. Traenengas kroch durch Fenster und Tueren des Hotels. Aengstlich wickelte ich mir ein nasses Handtuch um Mund und Nase und verharrte zwei Stunden verkrochen im Hotelbadezimmer. Der Hotelbesitzer hatte den Fernseher im Buero angestellt und die wenigen im Hotel Zurueckgebliebenen konnten mit Entsetzen mitverfolgen, wie die Polizei systematisch die Stadt zurueckeroberte. Mein einziger Gedanke war schnellstmoeglich zurueck nach Mexiko City zu kommen, denn hier war Mord und Todschlag ausgebrochen. Als ich im Fernsehen bestaetigt bekam, dass sich die Polizeitruppen weiter ins Zentrum bewegten, verließ ich nach Sonnenaufgang kurzerhand mit meinem Rucksack und meiner Kamera das Hotel. Nach weniger als einer Minute kam durch den Traenengasnebel eine Gruppe Polizisten auf mich und drei andere friedliche Personen auf der Strasse zugerannt. Ich wurde gegen eine Hauswand gedrueckt und nach meinem Ausweis gefragt. Ich wuehlte zitternd in meinen Hosentaschen, gab ihnen meinen Internationalen Presseausweis und fragte, was ich denn getan haette. "Die ist nicht von hier", wurde gebruellt, mein Ausweis fiel zu Boden und ich wurde in Richtung eines Transporters abgefuehrt. Hier begann die Hoelle.

An Armen und Haaren wurde ich auf den Transporter gezerrt, wo schon ein Haufen an Menschen uebereinander gestapelt lag. Alles war blutig, die Menschen stoehnten. Es blieb mir nichts anderes uebrig, mich bauchvoran, schuetzend die Arme ueber den Kopf verschraenkend, oben drauf zu werfen. Die Polizisten beschimpften und bespuckten uns, stiegen auf den seitlichen Rand der Ladeflaeche und als sich nach kurzer Zeit der Transporter in Bewegung setzte, traten sie auf mich und die anderen mit ihren Stiefeln ein, bruellten und beleidigten uns, schlugen mit ihren Schlagstoecken auf unsere Ruecken, Koepfe und Fuesse ein. Ich spuerte Haende an Gesaess und Ruecken, die versuchten mir mein Oberteil auszuziehen. Als ich versuchte es wieder herunterzuziehen, wurde ich als "Gringa" beschimpft und jemand schlug mir ins Gesicht. Meine Nase blutete. Ich konnte an nichts mehr denken. Bewegungslos ließ ich alles ueber mich ergehen. Der Wagen hielt. An den Haaren wurden wir vom Transporter in einen groesseren Bus gezerrt. Dort lag schon eine Gruppe Menschen blutueberstroemt zusammengekauert im hinteren Teil des Busses am Boden. Wir mussten uns auf die Leute werfen. Schlaege, Fusstritte, Beschimpfungen. Unsere Koepfe wurden nach unten gepresst, damit wir ihre Gesichter nicht sehen konnten. Die Polizisten begannen die Namen aufzunehmen. Meine Tasche mit meinem Reisepass, Geld, Filmen und meiner Kamera und Objektiven wurden mir entrissen, sie hielten meinen Kopf an den Haaren hoch, ich schrie meinen Namen und dass ich aus Deutschland sei. Das Gewimmer, der Geruch, die Geraeuschkulisse waren unertraeglich. Ich wusste nicht was als naechstes passieren sollte, und das machte mir schreckliche Angst. Mein blaues Umhaengetuch wurde mir ueber den Kopf geworfen und ich sollte mich auf eine Busbank setzten. Den Kopf niedergedrueckt mit einem Schlagknueppel, musste ich der Namensaufnahme lauschen. Wieder und wieder kamen nun Polizisten in den Bus und fragten nach der Deutschen, hoben mein Tuch an, wollten mein Gesicht sehen. Ich durfte mich nicht bewegen. Haende betatschten meine Brueste. Ich wurde gefragt, was ich denn hier mache. Es kehrte ein wenig Stille ein, bis eine dritte Fuhre an Verhafteten eintraf und wieder ging die gewaltsame Namensaufnahme von vorne los. Keiner der Gefangenen traute sich zu regen. Es waren viele Schwerverletzte darunter. Sie mussten zusammengekauert auf Boden und Baenken, teilweise uebereinander liegend, ausharren. Die Polizisten beschimpften uns immer wieder und schlugen auf die Personen ein. Mit wurde ein Becher Wasser angeboten und ich sollte mich zur Gruppe der Polizisten setzten. Sie sagten: "wenn du kooperierst, passiert dir nichts".

Der Bus fuhr los. Ich sollte meinen Schal abnehmen. Nun musste ich 2 ? Stunden mit den Polizisten Smalltalk fuehren, sie machten Gruppenphotos mit ihren Handys von mir, ein Porno auf einem Handy machte die Runde, sie fragten mich ueber die EZLN, ETA und Hitler, fragte mich, warum ich hier sei und warum ich eine Kamera haette. Ich konnte mich ein wenig hinter den unzureichenden Sprachkenntnissen verstecken. Sie sagten welch schoene Augen ich doch haette, ob ich nicht mit einem der Polizisten zusammenkommen wolle, und im selben Moment schlugen sie ohne Grund nach hinten auf einen Compañero ein, der sich vor Schmerzen kruemmte. Meine ausgerissenen Haare flogen durch den Bus. Ein Polizist fing an sich mit ihnen zu schmuecken. Gelaechter. Ich fing an zu weinen, aus Verzweiflung, Zorn und Schmerz. Sie machten mir Mut, dass ich bestimmt bald an das Deutsche Konsulat uebergeben werde und nicht mit den "Verbrechern" bleiben muesste. Zum Ende der Fahrt wurde ich nach den Filmen, meinem Bargeld und Kreditkarten gefragt. Wir erreichten Toluca.

Mein Schal wurde mir wieder uebergeworfen, als wir im Bus warteten, um ins Gefaengnis abgefuehrt zu werden. Sie taetschelten mehrmals meinen Kopf, traten aber brutal auf die anderen Gefangenen ein, damit diese sich erhoben. Wegen des Schals konnte ich nicht viel sehen. Jeder hatten einen Polizisten, der uns an die Registrierwarteschlange am Eingang des Gefaengnisses zerrte, kopfgesenkt, Haende am Rucken zusammengefuehrt, gegen die Wand gepresst. Stoehnen und Wimmern. Und die dumpfen Schlaege der Polizistenstiefel gegen Fuss und Magengegend der Gefangenen. Eine nicht endende Gewalt.

Endlich im Gefaengnis, entspannte sich zumindest die Gewaltsituation immens. Schwerverletzte wurden in die interne Klinik gebracht, wir konnten die Toiletten aufsuchen. Nun mussten wir in einer großen Halle warten. Frauen und Maenner an getrennten Tischen. Man durfte sich etwas unterhalten. Die Gesichter der Menschen von Angst und Wunden gezeichnet. Spaeter gab es zu essen und zu trinken. Ich wurde mit vier anderen Nicht-Mexikanern (Christina, Maria, Valerie und Mario), die auch schwer koerperlich und psychisch misshandelt worden waren, zum Arzt gebracht. Auf Fragen nach Telefon, Anwalt, Konsulate bekamen wir immer nur vertroestende Antworten, wie "Ja, ja spaeter".

In einem provisorisch eingerichteten Vernehmungsbuero in einer anderen Halle gab nun einer nach dem anderen seine Aussage ab. Ich hatte Schwierigkeiten die Situation auf spanisch zu schildern. Alles musste schnell gehen. Und dann wieder endloses Warten ohne Auskunft was passieren wird. Die erste schmerzliche Zeit, um sich das Erlebte ins Gedaechtnis zurueckzurufen. Wir wurden weiterhin als Fünfergruppe beaufsichtigt. Das Human Right Center erschien, befragte uns zu den Misshandlungen und machte Fotos, kontaktierte spaeter fuer mich dann auch die Deutsche Botschaft. Wir waren erschoepft und schliefen frierend auf den Holzbaenken. Von dem vielen Traenengas und Traenen waren meine Augen entzuendet und ich musste meine Kontaktlinsen entfernen, was mich aber durch meine massive Sehschwaeche fast blind machte. Zwischendurch wurden wir fuer die Aufnahme von Fingerabdruecken und Fotos geweckt. Dann (gegen 0:30h, 5. Mai 2006) wurde unsere Gruppe in Erwartung einer Schlafzelle abgefuehrt. An der Tuer wurde uns jedoch mitgeteilt, man koenne hier in Toluca nichts mehr fuer uns tun und wir wuerden zum Immigration Office nach Mexiko City gebracht werden.

Dann ging alles ziemlich schnell. Transport, weitere Untersuchungen, Vernehmungen, weiterhin keine Antworten auf spezielle Fragen ueber die rechtliche Lage, Anzeige- und Anklagerecht. Auch wurden mir meine Rechte nicht vorgelesen. Die jeweiligen Konsulate meldeten sich bei uns und wir konnten persoenlich mit ihnen sprechen. Das Deutsche Konsulat bot mir an, auch endlich meine Familie zu informieren. Da meine Dokumente und Kamera von der Polizei angeblich nicht an das Gefaengnis uebergeben worden waren, wurde ich, begleitet von vier Polizisten, zur Ausstellung eines Einreisepasses für die Bundesrepublik Deutschland zum Deutschen Konsulat gebracht (gegen 15:00h, 5. Mai 2006). Von dort aus wurde ich direkt zum Flughafen in Mexiko City gefahren, wo auch schon die vier anderen Compas auf ihre Ausweisung warteten. Weiterhin hatten wir keinerlei Moeglichkeiten zu telefonieren. Letztes Warten in einer abgesonderter Zelle des Flughafenimmigrationsbueros. Nun wurden wir getrennt (mein Flug 21:30h Mex-London-FFM mit British Airways). Wie jeder von uns hatte ich waehrend des gesamten Fluges zwei Polizisten der Immigrationsbehoerde zur Seite, die mich am Nachmittag des 6. Mai 2006 in Frankfurt a. Main, ohne jegliche Akten zu meinem Fall, der verwunderten Deutschen Bundespolizei uebergaben. Spaeter liess ich mich noch einmal in einer Klinik untersuchen.

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