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Das Recht in Mexico Giftmüll abzukippen
ILA vom 10.11.2002 |
Aus: ila 260/November 2002 |
übersetzt von Eduard Fritsch |
(mit Unterstützung von Silke Helfrich und den Kollegen von RMALC)
1990 erteilte die mexicanische Zentralregierung der mexicanischen Firma Coterin die Genehmigung, im Staate San Luis Potosí eine Sondermülldeponie zu betreiben. Die Gemeinde Guadalcazar gab aber in den Jahren 1991 und 1992 keine Baugenehmigung für die Erweiterung eines Zwischenlagers zu einer Enddeponie. 1993 kaufte der kalifornische Müllkonzern Metalclad Coterin. Metalclad ist darauf spezialisiert, für private und öffentliche Auftraggeber an der Westküste der USA Asbest zu entfernen und zu entsorgen. In Mexico verfolgte Metalclad die Bemühungen von Coterin weiter, eine Sondermülldeponie einzurichten. Dafür bekam das Unternehmen auch Genehmigungen des Bundesstaates San Luis Potosí und der Bundesregierung, aber ebenfalls keine Baugenehmigung von der Gemeinde. In dem Zwischenlager in Guadalcazar hatte Coterin bereits 20 000 Tonnen giftiger und potentiell explosiver Abfälle deponiert. Der Wasserhaushalt in den Böden und im Gestein der Region ist komplex. Geologische Studien haben ergeben, dass giftiges Material in den Unterboden und in unterirdische Wasserader gelangen kann. Deshalb mobilisierte die Gemeinde 1991 die EinwohnerInnen, um eine Schließung der Deponie zu erreichen. Lastwagen wurden blockiert, die Bundesbehörden eingeschaltet und schließlich durchgesetzt, dass die Deponie geschlossen wurde. Auf Grund dieser Vorgeschichte war die Gemeinde absolut gegen eine Wiedereröffnung der Deponie.
1994 wies die Gemeindeverwaltung von Guadalcazar Metalclad an, die Bauarbeiten an der neuen Sondermüllanlage einzustellen, solange es keine Baugenehmigung gab. Metalclad beantragte eine Erlaubnis, baute aber gleichzeitig weiter.1995 ließ die Firma ein Umweltgutachten erstellen, das von den Bundesumweltbehörden überwacht wurde. Das Gutachten befand den Standort für geeignet, aber Greenpeace Mexico und eine lokale Umweltgruppe stellten die Untersuchungsergebnisse in Frage. Der Bau wurde im März 1995 abgeschlossen, die Bauererlaubnis aber war immer noch nicht erteilt. Die anhaltende lokale Opposition und Demonstrationen verhinderten, dass die Anlage eröffnet und in Betrieb genommen werden konnte. Die Stadtverwaltung verweigerte die Baugenehmigung definitiv. Im Oktober 1996 teilte Metalclad der mexicanischen Regierung mit, dass man beabsichtige, nach Kapitel 11 NAFTA zu klagen. Ein Jahr später erklärte der Gouverneur von San Luis Potosí die Region zum speziellen Schutzgebiet für die einmalige Biodiversität, insbesondere einige seltene Kakteenarten.
Im Januar 1997 reichte Metalclad Klage gegen den mexicanischen Staat ein und forderte 90 Millionen US-Dollar Schadenersatz. Die Begründung lautete, dass die Verweigerung der Baugenehmigung durch die lokale Regierung einer entschädigungslosen Enteignung gleichkomme, was nach Artikel 1110 der NAFTA-Verträge verboten sei. Am 30. August 2000 gab ein NAFTA-Schiedsgericht, das nach den Regeln des ?International Center for the Settlement of Investment Disputes» (ICSID) der Weltbank arbeitete, Metalclad recht und verurteilte die mexicanische Regierung zur Zahlung einer Entschädigung von 16,7 Millionen Dollar. Das Gericht befand, dass sowohl die Verweigerung einer Baugenehmigung als auch die Einrichtung eines Naturschutzgebietes ?indirekte» Enteignungen darstellten und damit Verletzungen von Kapitel 11 seien. Außerdem fand es, dass die NAFTA-Mindeststandards (Kapitel 18), die unter anderem ?einen transparenten, klaren und kalkulierbaren Rahmen für ausländische Investoren» vorschreiben, verletzt worden seien, weil Metalclad in dem Glauben gelassen wurde, sie könnten mit den Genehmigungen des Bundesstaates und der Zentralregierung bauen und die Anlage betreiben. Indem das Gericht ein und dieselbe Tatsache einerseits als Verletzung des Enteignungs-Schutzes und andererseits als Verletzung des Transparenz-Gebotes wertete, vermischte es einen Verfahrensfehler mit dem Enteignungs- Tatbestand.
Im Oktober 2000 focht die mexicanische Regierung ganz unerwartet und erstmalig bei einem NAFTA-Verfahren vor einem kanadischen Gericht das Urteil als willkürlich an (vor einem kanadischen Gericht, weil die ICSID-Regeln vorschreiben, dass das Schiedsgericht an einem neutralen Ort stattfinden muss und in diesem Falle Vancouver ausgewählt worden war). Richter David Tysoe vom Obersten Gerichtshof des kanadischen Bundesstaates British Columbia urteilte, dass das Transparenz-Gebot von Kapitel 18 in einem Kapitel 11-Verfahren nichts verloren habe, bestätigte aber, dass die Einrichtung eines Naturschutzgebietes eine Enteignung darstelle. Entsprechend verringerte er die Schadensersatzsumme auf 15,6 Millionen US-Dollar. Die mexicanische Regierung kündigte zunächst an, in die nächst höhere Instanz gehen zu wollen, zahlte dann aber im Juni 2001 doch die geforderte Summe.
In den drei NAFTA-Vertragsstaaten sind Baugenehmigungen und Umweltauflagen gang und gäbe. Dergestalt unterläuft das Urteil im Falle Metalclad gegen Mexico die lokale Kontrolle und die Gesetzgebungsgewalt lokaler Regierungen. Die Frage, ob eine Baugenehmigung seitens einer Stadtverwaltung überhaupt erforderlich ist, ist ein komplizierter Gegenstand der mexicanischen Rechtsprechung. Gleichwohl maßte sich das NAFTA-Tribunal nicht nur an, die Verweigerung der Baugenehmigung als Enteignung zu werten, sondern befand auch, dass die Gemeindeverwaltung von Guadalcazar damit ihre Befugnisse überschritten habe, weil es einzig und allein der mexicanischen Bundesregierung zukomme, Sondermülldeponien zu genehmigen − ein Urteil eines ausländischen Gerichtes über einen substantiellen Bestandteil mexicanischer Gesetze und Rechtsprechung. Das NAFTA- Schiedsgericht folgte damit der Interpretation der mexicanischen Gesetze durch Metalclad und stellte sie über die Interpretation ihrer eigenen Gesetze durch die mexicanische Regierung.
Während das NAFTA-Tribunal also Elemente aus anderen Kapiteln der Verträge in das Verfahren einführte, ignorierte es die Vereinbarungen zur nachhaltigen Entwicklung und zum Umweltschutz vollständig. Ebenso ließ es den Artikel 1114 in Kapitel 11 völlig außer acht, der die Mitgliedsstaaten davor schützen soll, dass der niedrigste Umweltstandard zu Grunde gelegt wird. Im Metalclad-Fall definierte das Schiedsgericht Enteignung nicht nur als direkte, offene Enteignung, sondern auch als ?verdeckte oder zufällige Eingriffe» in Eigentumsrechte. Diese Definition von Enteignung ist eindeutig weiter als die von US-Gerichten anerkannte und erlaubte. Schließlich fällt auf, dass das NAFTA-Schiedsgericht sich breit über die Verpflichtungen der mexicanischen Regierung ausließ, die Rahmenbedingungen für internationalen Handel und Investitionen transparent darzustellen, während es selber hinter verschlossenen Türen tagte. Nach den NAFTA-Regeln konnten die BürgerInnen von San Luis Potosí sich nicht als Nebenkläger an dem Fall beteiligen. Selbst die Regierungen des Bundesstaates und der betroffenen Gemeinde, deren Handlungen zur Diskussion standen, hatten in dem Verfahren nichts zu sagen und mussten sich auf die Bundesregierung verlassen, von der bekannt war, dass sie für das Projekt von Metalclad war.
Quelle: Public Citizen, Friends of the Earth: NAFTA Chapter 11 Investor-to-State Cases: Bankrupting Democracy. Lessons for Fast Track and the Free Trade Area of the Americas. September 2001.
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