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Persönlicher Brief an die Demo vom 02.12.06 in Bern, Schweiz

Direkte Solidarität Chiapas vom 03.12.2006

  Bild von der DemoLiebe Leute:

Ich habe die Aufgabe aus Mexiko für diese Demo ein paar Worte zu schreiben, eine kleine Rede die nicht mehr als fünf Minuten dauern darf. Glaubt mir, das ist nicht einfach. Ich lebe da, kenne aber die Situation in der Schweiz sehr gut. So muss ich jetzt also etwas kurzes zum Volksaufstand im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca schreiben, ein Kampf der heute seinen 196. Tag durchlebt. Ein Kampf der nach sechs Monaten nach wie vor und ungebrochen, von unzähligen Menschen der Unterschichten geführt wird, von Indigenas der abgelegenen Gemeinden aus allen sieben Regionen Oaxacas, von Hausfrauen, Grossmüttern, Studenten und Studentinnen, von Jugendlichen und nicht zu vergessen, von den Lehrern und Lehrerinnen der Staatsschulen.

Letztere waren es, die diesen Kampf, diesen Volksaufstand, mit einigen gewerkschaftlichen Forderungen, am 22 Mai mit einer Platzbesetzung im Stadtzentrum von Oaxaca begannen. Am 14 Juni versuchte die Polizei diese Besetzung zu Räumen und wurde in einer mehrstündigen Strassenschlacht zurückgeschlagen und vertrieben. Dieser Tag ist denkwürdig, und er wird nicht nur mir für immer im Gedächtnis bleiben. Denkwürdig war dieser Tag nicht, weil eine Schlacht gewonnen wurde, sondern darum, weil an diesem Tag klar wurde, dass die Mehrheit der Unterschichten in Bewegung geraten ist und angefangen hatte zu kämpfen. Diese Menschen verteidigten die Anliegen der Lehrer und Lehrerinnen weil sie der drohenden Privatisierung und dem ständigen Abbau im Schulwesen einen Riegel schieben wollten und um die sofortige Absetzung des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortis (URO) zu fordern. Dieser war direkt verantwortlich für die Repression gegen die Lehrer und Lehrerinnen, aber auch für den Mord an vielen politischen Gegnern.

Demonstranten mit Schildern

Bald zeigte sich, dass dies aber bei Weitem nicht der einzige Grund ist, warum die Leute kämpfen. Nein, nach all den Jahren des neoliberalen Durchmarsches, nach all den Jahren Raub durch kriminelle und korrupte Politiker und Staatschefs, nach all den Jahren des grossen Verdienens einer kleinen super reichen Minderheit, nach all den Jahren der Entbehrung, kämpfen hier die Unterschichten für eine neue Form des Staates, eine neue Form des Regierens. Sie kämpfen für die integrale Respektierung der Indigenas auf allen Ebenen. Und: Sie erkämpfen sich die Würde zurück! Basta mit der touristischen Integration und unwürdigen Vermarktung der Indigenas! Schluss mit dem gleichzeitigen Raub der Ressourcen in ihren Territorien!

Ich weiss, diese Worte klingen in der Schweiz seltsam, sie passen nicht so ganz in den neoliberalen Frieden den viele beschwören und leben. Wenn ich das Wort Neoliberalismus verwende, dann muss ich vielleicht dessen Bedeutung konkretisieren, gerade weil ich weiss, dass es in der Schweiz eine seltsame Abstraktion erfahren hat: Es wird mehr mit High-Tech Jobs, mit Bill Gates, mit Innovation, dem herrschenden Globalisierenden ökonomischen System und mit dem sog. Freihandel in Verbindung gebracht. Neoliberalismus hat aber andere konkrete Ausdrucksweisen: Hunger, Kindersterben, weltweiter Durchmarsch des HIV in den Unterschichten, Sklavenarbeit in „Maquillas", Repression gegen Mitglieder von Gewerkschaften, Folter, Verschleppung von politisch aktiven Menschen und das Fehlen von medizinischer Versorgung. Diese Liste ist unvollständig und in Tat und Wahrheit sehr viel länger.

Schilder vor Botschaftsgebäude

Viele sagen jetzt vielleicht, ich übertreibe. Nein, ich kann versichern, alle aufgezählten Punkte zum Neoliberalismus sind tagtägliche Realität in Oaxaca und in vielen anderen Bundesstaaten von Mexiko, der zehnt grössten Wirtschaftsmacht auf der Welt. Ich kann versichern, ich habe alle diese Punkte mit eigenen Augen gesehen, habe die unterernährten Mütter gesehen die ihre Kinder mit einer halben Tortilla am Tag ernähren müssen. Ich habe gesehen wie Todesschwadronen in Oaxaca in Grossdemonstrationen schiessen. Ich habe miterlebt wie Frauen bei der Geburt zusammen mit ihrem Kind gestorben sind, weil keine medizinische Versorgung vorhanden war. Ich kenne Kleinbauern, die von Tag zu Tag auf dem Feld schuften, nur um ihre Produkte schlussendlich, wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit im Freihandel-Weltmarkt, verrotten lassen zu müssen oder zu einem Preis zu verkaufen, der einem mehr das Hungern erleichtert, als das überleben sichert. Und sie sind auch allgegenwärtig, die Gefängnisse mit den politischen Gefangenen. Kommen diese Gefangenen lebend aus diesen heraus, sind sie von Folter gezeichnet. Aber viele bleiben leider für immer Verschwunden!

All das ist nicht aus der Luft gegriffen, das existiert auf der ganzen Welt und es existiert auch in einem hohen Masse im touristisch so attraktiven Oaxaca. Das Wort Neoliberalismus hat ein Synonym: Misere! Ich frage mich zuweilen von was diejenigen reden, welche die neoliberalen Errungenschaften erwähnen. Diese Errungenschaften und Fortschritte gibt es nicht. Sie sind inexistent, weil sie die Unterschichten nicht erreichen und nie erreichen werden. Um das zu sehen, muss ein Mensch nicht in ein Drittwelt-Land kommen. Es genügt eigentlich mit einer Migrantin oder einem Migranten zu reden und wirklich einmal mit offenem Herzen zuzuhören.

Die Unterschicht von Oaxaca kämpft dagegen und hat sich in der „Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca" (APPO) organisiert. All diejenigen, die nach dem Fall der Berliner Mauer gedacht hatten, dass soziale Bewegungen damit für immer und ewig am Ende seien, all diese haben sich getäuscht. Die Wahrheit ist, dass Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde eben erst angefangen haben. Der Neoliberalismus wird es in Zukunft schwer haben seine Interessen durchzusetzen.

In Oaxaca, wie an anderen Orten auch, hat dieser Kampf bisher viel Blut gekostet und die Liste der Toten und Verschwundenen wird täglich länger. Das ist wahrscheinlich nur ein kleiner Vorgeschmack wie das Leben in Mexiko unter dem neuen neoliberalen Präsidenten Calderon aussehen wird. Dieser hat schon angekündigt, dass er mit harter Hand regieren werde und dies würde auch Menschenleben fordern.

Die Repression hier in Oaxaca ist im Moment extrem und die Regierung macht keine Anstalten den Forderungen der APPO nachzukommen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Bewegung auf einen langen Kampf einstellen muss. Unterstützung, von wo auch immer, ist dringendst gefragt. In diesem Sinne möchte ich allen danken, die an dieser Demo teilnehmen, dass sie sich solidarisieren! Ich möchte gleichzeitig an alle appellieren, diese Unterstützung auch in Zukunft nicht zu lassen, dann nämlich, wenn dieser Kampf nicht mehr die internationalen Schlagzeilen erreicht. Der Kampf geht weiter und ist lang und hat viele unspektakuläre und langwierige Facetten - es ist aber immer der gleiche Kampf.


Quelle:
Direkte Solidarität mit Chiapas/Café RebelDía:
Quellenstrasse 25, 8005 Zürich

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