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Zivile Mobilisierung gegen paramilitärischen Terror (Interview)
News vom 27.02.2007 |
Der Dank geht an Paul aus Graz.
Das offizielle Mexiko feierte gerade den Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, als in Chiapas, im Südosten des Landes, die EZLN (Zapatistische Befreiungsarmee) auftauchte, zahlreiche Großgrundbesitzer aus der Region vertrieb und unter dem Slogan "Land und Freiheit" die demokratische Umgestaltung der Gesellschaft unter Einbeziehung der Indígenas verlangte. Die Friedensverhandlungen scheiterten am Unwillen der Regierung, das bereits ausverhandelte "Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und Kultur" umzusetzen, doch weder die militärische Belagerung noch die ökonomischen und paramilitärischen Strategien des Kriegs niedriger Intensität konnten die zapatistischen Strukturen zerschlagen. Mehr als 1.000 indigene Gemeinden organisierten sich über ein basisdemokratisches System, an dessen formaler Spitze die Juntas de Buen Gobierno (JBG), die "Räte der Guten Regierung" stehen, rotierende Räte, die dem Willen der Gemeinschaft verpflichtet sind. Auf der anderen Seite machte sich Felipe Calderón von der ultrarechten Partei der Nationalen Aktion (PAN) im vergangenen Jahr durch offensichtlichen Wahlbetrug zum Präsidenten. Dem Widerstand gegen sein neoliberales Programm begegnet er mit einer umfassenden Militarisierung der Gemeinden, und auch die paramilitärischen Gruppen, die in den letzten Jahren eher im Hintergrund blieben, machten im November durch die Morde von Viejo Velasco wieder auf sich aufmerksam.
Onésimo Hidalgo vom Forschungszentrum CIEPAC in San Cristóbal, Chiapas, nimmt Stellung zu den aktuellen Drohungen der Paramilitärs gegen zapatistische Gemeinden, sie gewaltsam von ihrem Land zu vertreiben. Das Gespräch vom 21. Februar 2007 führte Paul Friedrich von der Gruppe Libertad (chiapas.at).
In den vergangenen Wochen wurde von Seiten der EZLN und der JBG mehrfach auf aktuelle Drohungen durch paramilitärische Gruppen hingewiesen. Worum geht es dabei?
Sehr starker Druck kommt von einer Organisation, die den zapatistischen Dörfern damit droht, sie mit Waffengewalt zu vertreiben und sich ihr Land anzueignen. Es handelt sich dabei um eine paramilitärische Gruppe, die sich OPDDIC (Organisation zur Verteidigung der Rechte der Bauern und der Indigenen) nennt und vor allem in den Cañadas von Ocosingo operiert, sich in den letzten Monaten jedoch auch auf andere Gebiete ausgebreitet hat, vor allem in die Gemeinden im Norden von Chiapas wie beispielsweise Salto de Agua, Tila, Chilón und Yajalón. Über Projekte zur Entwicklung der Landwirtschaft wird sie von der Regierung finanziert, von der lokalen, aber auch von der bundesstaatlichen, beispielsweise über das CEDESUR-Programm aus der Abteilung für soziale Entwicklung. Dazu kommt noch die Unterstützung von Abgeordneten der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) unter Führung von Pedro Chulín, die hinter dieser Organisation stecken. Im Kontext der Aufstandsbekämpfung zielt sie darauf ab, die EZLN in Landstreitigkeiten zu verwickeln. In den Dorfgemeinschaften, die im Zug des Aufstands von 1994 Land besetzt haben, bieten sie den Menschen die Legalisierung dieser Ländereien sowie ökonomische Unterstützung an, um die soziale Basis der Zapatistas zu spalten und zu zerschlagen. In den meisten Gemeinden, wo es zu Auseinandersetzungen kam, ging es um Konflikte der Landverteilung. Neben diesen provozierten Konflikten ist eine wichtige Funktion der OPDDIC, die Menschen zu verwirren, indem sie sich als soziale Bewegung darstellt und behauptet, für die Autonomie einzutreten, für die Erfüllung der Vereinbarungen von San Andrés und für die Verteidigung der Rechte der Indígenas. Aber die OPDDIC wurde als Gegengewicht zur EZLN aufgebaut, mit Unterstützung der Regierung, der Paramilitärs und der mexikanischen Armee. Sie verfolgt einen linken Diskurs, doch in der Praxis widmet sie sich ausschließlich dem Angriff auf zapatistische Dorfgemeinschaften. Beispielsweise entfernt sie die Schilder, die die JBG am Eingang zu den Caracoles (zapatistische Verwaltungszentren) aufgestellt hat, die besagen: "Dies ist zapatistisches Gebiet. Hier befiehlt das Volk, und die Regierung gehorcht" und ersetzt sie durch andere, auf denen steht: "Dies ist ein Dorf der OPDDIC". Das ruft natürlich Konflikte hervor.
Du meinst, die OPDDIC wäre eine Organisation der PRI, doch zur Zeit stellt die PAN (Partei der Nationalen Aktion) den Präsidenten von Mexiko und die PRD (Partei der Demokratischen Revolution) den Gouverneur von Chiapas ...
In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass die PRI und die PAN die selben ökonomischen Ziele verfolgen. Zwar wurde die PRI auf Bundesebene von der PAN abgelöst, doch die Wirtschaftsprojekte im Dienst der nationalen und internationalen Konzerne laufen ohne jede Veränderung weiter. Die PRI als alte Partei, die auf allen Ebenen von einer Kultur der Korruption geprägt ist, ist im neoliberalen Projekt der PAN aufgegangen; die ökonomischen, sozialen oder politischen Strukturen haben sich jedoch nicht verändert. Im Fall von Chiapas ging die PRI in die PRD über: Die Politik von Gouverneur Sabines, der unter der Fahne der PRD an die Macht kam, entspricht exakt der Linie der PAN und den Vorgaben der transnationalen Konzerne. Die Ankunft des US-Botschafters Tony Garza machte diese Verbindung deutlich, bei der es vor allem um den Reichtum der Selva Lacandona geht, um die Ausbeutung der Bodenschätze, den Ökotourismus, die Biodiversität, ... Wäre Sabines wirklich ein Linker, so würde er zumindest die Interessen des Landes und der Gemeinden verteidigen, aber das tut er nicht. Es spielt in Mexiko heute keine Rolle mehr, welcher Partei die Politiker angehören, die an der Macht sind. Das einzige, was sie interessiert, ist die Macht, ihr Geld, ihr Einkommen. Das Volk ist ihnen egal. Daher macht es keinen Unterschied, ob es sich um die PRI, die PAN oder die PRD handelt. Die Parteien sind sich dermaßen ähnlich, dass es nicht mehr möglich ist, zu sagen, ob die PRD jetzt links oder rechts ist, sie alle dienen den transnationalen Konzernen. Da gibt es keinen Wechsel, keine unterschiedliche Politik, und daher können wir uns auch von Sabines’ Regierungsantritt keine Veränderung in der Politik gegenüber den Paramilitärs erwarten. Die OPDDIC dient der Regierung dazu, die Legitimität und die politische Kontrolle wiederzugewinnen, die sie auf zapatistischem Gebiet verloren hat.
Welche Rolle spielt die mexikanische Armee in diesem Zusammenhang? In den letzten Tagen kam es ja zu verstärkten Militärbewegungen ...
Dem Militär geht es darum, sich in der Region festzusetzen und sich gleichzeitig im Hintergrund zu halten. Die Regierung finanziert die Paramilitärs über ihre Projekte, und die Armee bildet sie aus, obwohl sie das natürlich nicht zugeben. Die Verbindungen zwischen Juan Sabines, dem Militär und den Programmen zur Aufstandsbekämpfung gegen die EZLN sind aber unübersehbar. Ihre Geheimdienste sind überall unterwegs, um über die nächsten Schritte der Zapatistas unterrichtet zu sein, denn in Wahrheit gibt es in Chiapas derzeit ja zwei Regierungen: Die Regierung der Zapatistas über die JBG in den autonomen Gemeinden und die offizielle Regierung unter Juan Sabines im Einklang mit der bundesstaatlichen Regierung und dem Militär. Das Militär dient einerseits dazu, die EZLN umzingelt zu halten, andererseits operieren sie an der Grenze zu Guatemala, um im Auftrag der USA deren Südgrenze gegen Migranten abzusichern. Mit dem Argument, dass sich mit den Flüchtlingen aus Guatemala auch Terroristen in die USA einschleichen könnten, fungiert Mexiko als Sicherheitsgürtel für die Vereinigten Staaten. Und nicht zuletzt dient das Militär dazu, den Konzernen den Zugang zur Ausbeutung der Rohstoffen zu öffnen. Die drei Aufgaben des Militärs sind also: Aufstandsbekämpfung, Schutz vor MigrantInnen und Kontrolle über die Rohstoffe.
Die Situation scheint zur Zeit sehr angespannt zu sein. Da gibt es auf der einen Seite zunehmende Drohungen von Seiten der OPDDIC und die Miliarisierung der Region unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung, auf der anderen Seite erklärt die EZLN in ihren Kommuniqués, ihre Gemeinden zu verteidigen, sollten sie angegriffen werden ...
Hier gilt es zu unterscheiden: Die EZLN sagt, dass sie eine Offensive der OPDDIC erwartet, nicht des regulären Militärs. Sie sagt: "Wenn die OPDDIC den Krieg in die Gemeinden tragen möchte, dann sind wir bereit." Damit beziehen sie sich auf die OPDDIC, nicht auf das Militär. Wie ihre Antwort auf einen Angriff der Paramilitärs genau aussehen wird, kann ich natürlich nicht sagen, da müsstest du schon die EZLN selbst fragen, aber ich denke, sie werden ihre bisherige Politik, Zusammenstöße zu vermeiden, auch weiterhin beibehalten. Ich glaube, dass sie versuchen werden, über Verhandlungen und Gespräche zu einer Lösung zu kommen, aber wenn die OPDDIC den Weg des Dialogs verweigert und die Konfrontation sucht, dann darf man nicht vergessen, dass die EZLN ja eigentlich eine Armee ist. Die Strategie der Regierung lehnt sich an das kolumbianische Modell an, wo sich Befreiungsbewegung und Paramilitärs zu Friedensverhandlungen treffen, doch für die EZLN muß klar sein, dass die OPDDIC kein Verhandlungspartner sein kann. Die OPDDIC ist nichts weiter als eine politisch-militärische Organisation im Auftrag der Regierung. Verhandlungen müssen von Seiten der EZLN also mit den Auftraggebern, mit der Regierung erfolgen, mit Felipe Calderón auf bundesstaatlicher und mit Juan Sabines auf regionaler Ebene, nicht mit der OPDDIC, nicht mit dem Militär. Die EZLN wird anstelle von Zusammenstößen den Weg der Denuncias verfolgen und die Antwort der Zivilgesellschaft suchen, denn hier liegt der einzige Ausweg aus dieser Situation. Die organisierte Zivilgesellschaft in Chiapas und in Mexiko ist stark, und die EZLN sagt: "Wir werden uns mit der Zivilgesellschaft, dem einzig legitimen Ansprechpartner, zusammensetzen und nach Lösungen suchen, nicht mit der Regierung." Eine weitere Möglichkeit für die EZLN besteht darin, ihre zivilen Unterstützungsbasen zu mobilisieren. Wenn die EZLN ihre Compañeros im Hochland darum bittet, den Gemeinden in Ocosingo zu Hilfe zu kommen, dann werden die das tun. Wenn sie zehn-, zwanzig-, dreissig- oder sogar fünfzigtausend Menschen als Unterstützung brauchen, dann wird es die geben, denn es gibt ein ethisches Prinzip, dem die Zapatistas folgen, das darin besteht, einander beizustehen. Wo immer es notwendig sein wird, − in La Garrucha, in Morelia, in La Realidad oder an einem anderen Ort, − wird es diesen Beistand geben. Das, denke ich, wird die Antwort der EZLN sein, neben Denuncias und der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Die Aufmerksamkeit und die Solidarität aus dem Ausland, der Druck auf die Regierung wird eine sehr wichtige Rolle spielen. Die OPDDIC wird das völlig kalt lassen, der Protest muß sich also direkt an die Verantwortlichen wenden, an Gouverneur Sabines in Chiapas und an Präsident Calderón in Mexiko.
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