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Schweiz: Besetzung des seco anlässlich der Fair Trade Fair

Direkte Solidarität Chiapas vom 01.09.2003

  Heute wurde das seco für gute zwei Stunden besetzt, um gegen die doppelzüngige Politik des seco bezüglich fairem Handel einerseits (so an der heutigen FairTrade Fair)und neoliberaler Politik als WTO-Vertretung der Schweiz andererseits, wie am WTO-Treffen in Cancún von nächster Woche, zu kritisieren. Hier das Flugblatt von der Anti-WTO-Koordination in Bern und der Direkten Solidarität mit Chiapas, Zürich:

Wie fair ist das seco?

Als Hauptsponsor der ’Fair Trade Fair‚ propagiert das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) neuerdings den ’fairen Handel‚. Gleichzeitig wird sich die vom seco geleitetete Verhandlungsdelegation bei der WTO- Ministerkonferenz in Cancun für ein Investitionschutzabkommen einsetzen, das den multinationalen Unternehmen verbesserte Ausbeutungsbedingungen in aller Welt verspricht und das Nord-Süd Gefälle noch verschärfen wird. Unter diesen Umständen betrachtet, ist die Unterstützung der ’Fair Trade Fair‚ durch das seco ein reiner PR-Gag zur Verbesserung des Image. Auf die Beihilfe zur Imagepflege des seco sollten die Organisationen, welche sich für gerechte Handelsbeziehungen einsetzen, besser verzichten. Das seco: schon mal davon gehört?

Das Staatssekretariat für Wirtschaft ist ein Kind von Pascal Couchepin. Als damaliger Chef des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) ’reorganisierte‚ Couchepin 1999 mit dem Argument der Effizienzsteigerung das Bundesamt für Aussenwirtschaft (BAWI) und das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (BWA) zum seco. Als ’Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik‚ handelt das seco als verlängerter Arm des Wirtschaftsverbandes economiesuisse. Die Geschäftsleitung besteht ausschliesslich aus Herren mittleren bis älteren Alters, grösstenteils aus der Botschaftergilde stammend, welche in ihrer Vergangenheit z.T. auch hochrangige Posten in der Privatwirtschaft inne hatten. Ein Reich des Ominösen...

Im Rahmen der WTO, der wichtigsten supranationalen Organisation in Sachen Welthandel, vertritt das seco angeblich die ’Interessen der Schweiz‚. Ausgehandelt werden ’unsere Interessen‚, d.h. diejenigen der Schweizer Exporteure und Investoren, hinter verschlossenen Türen nach Konsultation der Wirtschaftskreise. Vom Inhalt des Verhandlungsmandats dringt kaum je etwas zum Parlament durch, und wenn, dann derart spät, dass die ParlamentarierInnen keinen Einfluss mehr darauf nehmen können. So kriegt auch die Öffentlichkeit nichts davon mit, wie unsere zukünftigen Lebensumstände vom ’Big Business‚ ausgehandelt werden. Klar ist nur, dass das seco in Cancun als verlängerter Arm der Wirtschaftsverbände agiert und versuchen wird, den Schweizer Multis auf dem Weltmarkt Vorteile zu verschaffen. In diesem Zusammenhang ist auch das von der Schweiz geforderte Investitionsschutzabkommen zu sehen. Nach dem Scheitern des multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI) im Rahmen der OECD soll nun gegen den Willen einer Mehrheit von Entwicklungsländern ein neues Regelwerk erstellt werden, das die Rechte und den Schutz der Investoren ausbaut. Ein Blick auf das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zeigt, wie solche Investitionsschutzabkommen den Unternehmen die Möglichkeit bieten, demokratische Prinzipien sowie Umwelt- und Sozialregelungen durch Klagen gegen den Staat ausser Kraft zu setzen. Ein neues Investitionsschutzabkommen würde weiter verhindern, dass Länder ihre Investitionen ihrem Entwicklungsstand entsprechend regeln könnten. ...im Geist des Neoliberalismus

Mit seiner Marktlogik folgt das seco dem neoliberalen Dogma der Profitmaximierung: Je globalisierter (d.h. in den globalen ’Wettbewerb‚ verstrickt), desto grösser das Wachstum eines Landes. Globalisierung habe eine positive Wirkung, sowohl bei den Industrie-, wie auch bei den ’Entwicklungsländern‚, predigt Aymo Brunetti (Leiter des Bereichs Wirtschaftspolitische Grundlagen). Sein Kollege Oskar Knapp (Leiter des Bereichs Entwicklung & Transition) bezeichnet die globalisierten Entwicklungsländer als Gewinner und die nicht globalisierten als Verlierer. Das Allerheilmittel gegen Armut lautet: ’making globalisation inclusive‚. Demnach sollten alle Länder wetteifern auf dem globalen Markt der Güter, Ideen und Dienstleistungen. Der Welthandel, sei er denn ungehindert und frei (von staatlichen Regulierungen), schaffe Wohlstand für alle, so der neoliberale Grundtenor. Doch in Tat und Wahrheit sind die Spiesse in diesem Wetteifern um Marktanteile und Profit höchst ungleich verteilt. Kapitalpotente transnationale Konzerne drängen die Länder des Südens dazu, ihre Schutzzölle abzubauen, um neue Absatzmärkte zu erschliessen. Dies bedeutet die Zerstörung der einheimischen Produktion in vielen armen Ländern und zieht eine oft verheerende Abhängigkeit von Produkten und Preisen aus agrarexportierenden Ländern nach sich. Auch staatliche Unternehmen und Dienstleistungen werden privatisiert, was mit einem Verlust von Grundrechten einher geht. Reissen sich Private das Gesundheits- und Bildungswesen, sowie die Wasser- und Energieversorgung unter den Nagel, funktionieren diese elementaren Bereiche nach der unersättlichen Profitlogik. Als Folge davon können sich mittellose Menschen Wasser, Strom, medizinische Behandlungen und Bildung nicht mehr leisten und verelenden im Würgegriff der ’unsichtbaren Hand des Marktes‚. Fair-play à la seco

Als Reaktion auf die Proteste gegen die Politik des Neoliberalismus übt sich das seco neuerdings auch in demonstrativ wohlwollenden Gesten, die eine Selbstschutzfunktion haben. Man inszeniert sich weltverbesserisch, jongliert mit wohlklingenden Phrasen wie Nachhaltigkeit und ’Fair Trade‚, die man mit den Prinzipien Wachstum und Liberalisierung stets in rhetorischen Einklang zu bringen versucht. Der Markt soll so vor den Menschen gerechtfertigt, der ’unsichtbaren Hand‚ ein karitatives Herz implantiert werden. Ein Beispiel? Des Hauses seco neuste rhetorische Kreation: ’Fair-Holder Value‚. Will sagen, Firmen engagierten sich vermehrt freiwillig für ’fairen Handel‚, weil dessen wirtschaftliche, sozialen, ökologischen Vorteile angeblich überwiegen. Mit Floskeln wie ’fairer Handel bietet auch kommerzielle Chancen‚ profiliert sich das seco als Hauptsponsorin des ’Fair Trade Fair‚ Symposiums von heute in Bern. Doch mit moralischen Appellen an die ’Global Players‚ wird das auf Unfairness basierende kapitalistische Wirtschaftssystem nicht plötzlich handzahm. Profitstreben und Gerechtigkeit stehen in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander. ’Fairer Handel‚ in einem profit- und wachstumorientierten Umfeld kann nicht gerecht sein, da die in Kooperativen organisierten ProduzentInnen klar von den globalen Unternehmen und deren Preisbestimmungen abhängig sind. Die Labels ’Fairplay‚ und ’Fair Trade‚ werden von den politischen und wirtschaftlichen Akteuren der Handelsliberalisierung in erster Linie zur Imagepflege vereinnahmt. Sie kaschieren die tatsächlichen Macht- und Ausbeutungsbeziehungen der globalen Konzerne, denen ein Imageverlust viel teurer zu stehen käme als ein geringer allfälliger Profitabstrich bei einem ein bisschen weniger unfair gehandelten Produkt, das mit dem Label ŒFair Trade‚ versehen ist. Um gegen diese verlogenen Rhetorik der inszenierten Wohltätigkeit des seco und aller anderen Dividenden-Empfäger der ’unsichtbaren Hand‚ ein Zeichen zu setzen, besetzen wir heute das Gebäude des seco an der Effingerstrasse 1 in Bern und geben der Schweizer Vertretung an der WTO-Ministerkonferenz in Cancun unsere Botschaft mit auf den Weg: Gegen ein globales Ausbeutungs-Parlament von Managern und Investoren! Gegen die Privatisierung der Gewinne und die Vergesellschaftung der Verluste! Derail the WTO!

Anti-WTO Koordination Bern, 1. Septmember 2003


Fair Trade: Dem Neoliberalismus bloss ein menschlicheres Antlitz geben?
Konzerne simulieren fairen Handel

Seattle, Genua, Davos, Cancún: Die globalisierungskritische Bewegung hat das «Naturgesetz» Neoliberalismus aus den Angeln gehoben. Viele multinationale Konzerne verfolgen die gewinngefährdende Diskussion um das sich verschärfende Nord-Süd-Gefälle mit Besorgnis. Eine neue Imagestrategie muss her, und siehe da: Sie wollen nun plötzlich auch ein wenig gerechter werden und wenigstens eines ihrer vielen Produkte fair labeln. Denn ein Imageschaden kostet vielleicht mehr.

Fair Trade beruht auf dem Grundsatz, die Selbstbestimmung der ProduzentInnen im Süden zu unterstützen. Es werden ausschliesslich Kooperativen zertifiziert. Mit diesen Kooperativen werden langfristige Abnahmebeziehungen eingegangen und ein Mindestpreis wird garantiert. Die FLO als Dachorganisation des fairen Handels und mit ihr die Schweizer Max-Havelaar-Stiftung verfolgen in letzter Zeit eine mainstreaming-Politik, welche eine Verbreiterung des Angebotes von fair gehandelten Produkten verfolgt. Um das zu erreichen, stützen sich die Labelling-Organisationen auf grosse Unternehmen. Nicht nur Schweizer Grossverteiler mit prekären Sozialstandards vertreiben heute faire Produkte, auch Fast-Food- und Coffeehouse-Ketten können sich neu mit dem fairen Label schmücken.

Das Beispiel Starbucks

«Bei uns gibt es nur fairen Kaffee», behauptet Starbucks frech in seiner Werbung. Tatsächlich hat die Coffeehouse-Kette aufgrund von Boykott-Kampagnen in den USA und öffentlichen Drucks in Europa einen fair gelabelten «Cup of the Day» eingeführt. In der Schweiz beträgt der Anteil dieses fairen Kaffees jedoch weniger als ein Prozent am Gesamtumsatz. Daraus macht die potente Werbeabteilung des Konzerns dann flugs 100 Prozent! Starbucks kauft seinen Kaffee unter anderem in Chiapas, Mexiko, ein. Dabei arbeiten sie mit der Naturschutzorganisation «Conservation International» zusammen, welche die Vertreibung von rebellischen Gemeinden unterstützt. Diese sollen das Naturschutzgebiet «Montes Azules» verlassen, nicht zuletzt, da sie der Ausbeutung des biologischen Reichtums im Wege stehen. Der «faire» Konzern Starbucks arbeitet also Seite an Seite mit einer von der Wirtschaft gesponserten Organisation, welche fundamentale Verletzungen von Menschenrechten propagiert. Von Fairness keine Spur.

Statt einer Distanzierung von den Machenschaften dieses Konzerns verfolgt die Max-Havelaar-Stiftung hier eine Politik, die bloss auf Umsatzsteigerung beruht. Das Regelwerk des fairen Handels, das für gerechtere Handelsbeziehungen stand, wird damit untergraben. Zu dieser rein umsatzorientierten Lobby-Politik gehört auch die Teilnahme an Treffen der ŒGlobal Leaders‚ wie dem WEF. Die Geschäftsführerin der Max-Havelaar-Stiftung, Paola Ghillani, organisierte im Januar 03 das Open Forum mit, eine simulierte Opposition zum WEF. Nach unserer Beobachtung positionierte sich hier die Max-Havelaar-Stiftung nicht gegen die Liberalisierungs-Rowdies wie Couchepin. An dieser unternehmerfreundlichen Veranstaltung war tatsächlich der Vertreter des konservativen Schweizerischen Bauernverbandes die kritischste Stimme.

Fairer Handel ist in einem unfairen Markt ein Unding. So binden grosse Käufer oft einen Vertrag für fairen Kaffee an einen weiteren Abnahmevertrag unter Weltmarktpreisniveau. Der Weltmarktpreis ist halb so hoch wie der faire Preis. Mit der aktuellen Politik der Geschäftsleitung der Max Havelaar-Stiftung droht Fair Trade zu einem moralischen Mäntelchen für Konzerne zu werden. Im schönfärberischen Diskurs der selbsternannten ŒGlobal Leaders‚ gehört nach ŒWomen Empowerment‚, ŒSustainability‚ und ŒBuilding Trust‚ wohl auch bald ŒFair Trade‚ zu den Standardfloskeln.

Radikale Alternativen statt Kaffeekränzchen mit den Mächtigen

Die Strategie der Max Havelaar-Stiftung, in freundlichem «Dialog» die Konzerne überzeugen zu wollen, dass ihre Gewinnmaximierung ein wenig unmoralisch sei, führt zu nichts. Die radikalen Kräfte der globalisierungskritischen Bewegung versuchen Wege aufzuzeigen, wie die Machtverhältnisse aufgebrochen werden können und eine gerechtere Welt möglich ist. Seit den Aktivitäten gegen den 2. WTO-Kongress in Genf im Mai 1998 wuchs im Norden eine Bewegung, die sich stark auf Basisbewegungen im Trikont bezieht, beispielsweise auf die Zapatistas und deren indigene Autonomie in Südmexiko.

In dieser Nord-Süd-Diskussion spielen die Wirtschaftsbeziehungen eine zentrale Rolle: Mit den Freihandelsabkommen wie der NAFTA oder der an der WTO-Konferenz in Cancún geplanten «Liberalisierung» der Investitionen und der Landwirtschaft wird den ärmeren Bevölkerungsschichen im Süden eine würdige Existenzgrundlage genommen. Alternativen tun Not: Alternativen zu Konzernen wie Nestlé, Alternativen zu WEF und WTO. Doch diese Alternativen entstehen nicht aus dem vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Aktionärs-Interessen der Multis, sondern aus einer Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen im Süden, in welcher sich Netzwerke des gerechten Austausches bilden. Beispiele dafür gibt es viele, in denen ohne das Werbebudget eines Konzerns oder staatliches Sponsoring lokale Alternativen gelebt werden. Wir hoffen, dass die Max Havelaar-Stiftung in Zukunft wieder vermehrt auf diese Alternativen zur neoliberalen Weltordnung setzt.

Fair Handeln: Den Widerstand und die Alternativen zum Neoliberalismus stärken!

Direkte Solidarität mit Chiapas, Zürich


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