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Gegen den Mythos vom freien Handel

Vor Ministertreffen zur Freihandelszone ALCA in Miami. USA spalten Widerstand

junge welt vom 10.11.2003
Andreas Behn

  Das weltweite Tauziehen um Freihandel und globalen Marktzugang geht in eine neue Runde. Nächster Schauplatz ist Miami im US-Bundesstaat Florida. Dort wird am 20. und 21. November die nächste Ministerkonferenz zur Verhandlung der Amerikanischen Freihandelszone ALCA (Área de Libre Comercio de las Américas) stattfinden.

Bis Januar 2005 soll das Vertragswerk unter Dach und Fach sein. Darauf hatten sich die Handelsminister aus den 34 ALCA-Staaten bei ihrer letzten Konferenz im November 2002 in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito geeinigt. Mit 800 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung von 13 Billionen US-Dollar soll ALCA der weltweit größte Freihandelsraum werden. Zur Teilnahme an dem Megaprojekt, mit dem die USA ihren Einfluß auf dem Kontinent weiter festigen und die EU-Konkurrenz außen vor halten wollen, lud Washington zu Beginn der Gespräche 1994 alle wichtigen Länder der Region ein. Mit einer Ausnahme: Kuba.

Vorbild für die ALCA ist das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, das zwischen Kanada, den USA und Mexiko am 1. Januar 1994 in Kraft trat. Nach zehn Jahren zeigen sich Befürworter davon überzeugt, daß das Handelsvolumen zwischen den drei Ländern stark zugenommen habe. Kritiker verweisen hingegen auf die sozialen Folgen vor allem im ärmeren Mexiko: Die zollfreien Agrarimporte aus dem Norden hätten unzähligen Bauern die Existenz geraubt, während Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse sich weiter ausbreiteten.

Ginge es nach Willen der USA und ihres Handelsbeauftragten Robert Zoellick, würde die ALCA Freihandel nach gusto der transnationalen Konzerne für ganz Amerika etablieren. Dies ginge sogar noch über die Forderungen der Industrieländer bei dem jüngsten Treffen der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancún hinaus, an denen die Ministerkonferenz letztlich gescheitert war. Neben dem Dauerstreit um Agrarpolitik −bei dem sich die Staaten des Nordens weigern, ihre Subventionen abzubauen −und der heiklen Privatisierung von Dienstleistungen wird bei der ALCA auch über den umstrittenen Investitionsschutz und die Vergabe öffentlicher Aufträge verhandelt. Ungeschminkt formuliert US-Außenminister Colin Powell die Interessen seines Landes: »Unser Ziel ist es, nordamerikanischen Unternehmen mittels der ALCA Kontrolle über das Gebiet von der Arktis bis zur Antarktis zu garantieren.«

Solche Ambitionen gehen den meisten Ländern Lateinamerikas schlicht zu weit. Nach Ansicht von Brasiliens Außenminister Celso Amorím wäre sein Land außerstande, die nationale Wirtschaft mittels staatlicher Investitionen zu steuern, wenn die US-Vorschläge in der ALCA durchgesetzt würden. Gemeinsamen Widerstand leisteten viele Länder des Südens daher erstmals bei der WTO-Konferenz in Cancún, wo sich eine Reihe exportierender Agrarstaaten in der G-21-Gruppe zusammenschloß und auf ihren Interessen beharrten. Doch dementgegen haben auch die eher fortschrittlichen Regierungen in Südamerika wie Brasilien und Argentinien zugesagt, die ALCA-Verhandlungen fortführen zu wollen. Außerdem setzen die USA seit Cancún alles daran, die lästige G21 mittels unverhohlener Drohungen zu schwächen. Mit offenem Druck gelang es US-Vertretern inzwischen, fünf lateinamerikanische Staaten (Kolumbien, Peru, Guatemala, Costa Rica und El Salvador) zum Verlassen der Gruppe zu bewegen.

Noch geben sich die anderen Länder aber nicht geschlagen. So schlug Brasilien vor, die schwierigen Komplexe einzeln zu behandeln und ein »Drei-Wege-Modell« einzuführen: Einzelne Themenbereiche sollen auf verschiedenen Ebenen verhandelt werden −neben den reinen ALCA-Themen soll es demzufolge noch bilaterale Verträge geben, um schließlich die Bereiche in Angriff zu nehmen, die im Rahmen der WTO ausgehandelt werden sollten.

Im Gegenzug machten die USA klar, daß sie die ALCA nur als Ganzes und unverändert wollen. Allein komplizierte Themen könnten später verhandelt werden, sofern sie erst einmal als ALCA-Bestandteil festgeschrieben worden sind. Zugleich verweisen sie darauf, daß mit Chile bereits ein weitreichendes Freihandelsabkommen besteht und daß die Verhandlungen zur Zentralamerikanischen Freihandelszone CAFTA zügig voran schreiten würden.

Vor der Ministerkonferenz in Miami haben zahlreiche Aktionsgruppen, Netzwerke und soziale Bewegungen zum Protest gegen diese Pläne aufgerufen. Ab dem 17. November sind Aktionen und Veranstaltungen vor Ort geplant, am 20. November soll eine Großdemonstration in Miami stattfinden. Zentrale Forderung ist dabei die Durchführung von Plebisziten in allen Ländern, um ein Projekt zu verhindern, von dem die meisten weder Genaues wissen noch profitieren werden. Inwiefern das Thema Freihandel inzwischen als Gefahr wahrgenommen wird, zeigte jüngst der Aufstand in Bolivien, der Ende Oktober zum Sturz des Präsidenten führte: Neben der Kritik am Ausverkauf des Landes war der Ausstieg aus den ALCA-Verhandlungen eine der zentralen Forderungen der Protestbewegung.

 Quelle:  
  http://www.jungewelt.de/2003/11-10/006.php 
 

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