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Die Geschichte der Gueriller@s

Proceso vom 19.10.2003
übersetzt von tina

  hallo leute,

hier ist was ueber die guerilla in guerrero. ich schreib erst was zum allgemeinen verstaendnis, da aus der uebersetzung des artikels nicht alles klar wird, erst recht nicht fuer leute in europa. das interview ist aus der wochenschrift proceso, die als links gilt, vielleicht wie bei uns der spiegel, nur weniger denunziatorisch fortschrittlichen oder militanten bewegungen gegenueber. die epr (ejercitopopular revolucionario − rev volksarmee) entstand u.a. aus der bewegung "partido de los pobres", die anfang der 70er in guerrero bewaffnet kaempfte. ihr populaerer "held" war lucio cabañas. er starb 74, als die bewegung massiv vom militaer zerschlagen wurde. es waren nicht viele, zu besten zeiten ca 200, aber weit ueber die grenzen guerreros bekannt, z.t. auch in europa. reste der guerilla formten neue gruppen. ein vorlaeufer war die PROCUP, die als eine von 14 organisationen dann in den 90ern in der epr aufging. aus soli zum zapatistischen aufstand 94 machten sie schon aktionen, zb einen anschlag auf ein luxuseinkaufszentrum oder einen granatenangriff auf das rathaus von acapulco. als epr tauchten sie 96 zum ersten mal auf. es gab aktionen in guerrero, oaxaca, michoacan, puebla, chiapas (alles bundesstaaten von mex) gegen bullen und militaereinrichtungen. die regierung schaetzt sie heute noch als militaerisch gefaehrlicher ein als die ezln, aber das kann auch nur gerede sein um die repression in guerrero zu legitimieren. da werden viele linke, die einfahren, der epr-mitgliedschaft verdaechtigt. politisch gilt die epr eher als ml-dogmatisch, sie haben den klassischen populistischen avantguarde-guerrilla-duktus der 70er drauf. ’96 gab es einen spektakulaeren auftritt von ca 100 gueriller@s bei einer oeffentlichen gedenkveranstaltung der ocss ( militante bauernorg der sierra del sur- gegend in guerrero) mit 6000 teilnehmerInnen wegen des jahrestages eines massakers an 17 ocss mitgliedern in aguas blancas, guerrero, wahrscheinlich durch paramilitaers (davon ist im interview die rede). anfangs hat die ezln sich von ihnen inhaltlich und aktionsmaessig distanziert, bei der marcha (riesige mobilisierung von 10 000en in die hauptstadt 2001) haben sie nichts mehr gegen sie verlautbaren lassen und ihnen, dort, wo sie praesent sind, fuer freies geleit gedankt. die erpi, denen die 2 aus dem interview angehoeren, haben sich 98 abgespalten, sind aber erst 2002 in den medien aufgetaucht, haben was zu wahlbetrug gemacht und attacken aufs militaer, in acapulco sind sie praesent mit spruehereien und durch flugis. sie stehen eher der ezln nah, arbeiten und denken eher basisbezogen, sind sozialen kaempfen verpflichtet, haben nicht so einen avantguarde-diskurs. was im interview erwaehnt ist ueber den mord an presseleuten der fortschrittlichen la jornada wissen wir nix, auch nicht von dem anschlag auf dem uni-platz. ich hab aber auch nicht gross recherchiert, nur luz gefragt. (*) sind Zusaetze von mir. Es gab noch zwei Fenster in dem Artikel ueber die Malerei von Antonio und die Geschichte der Asyl-Anerkennung der Familie. Das hab ich mir gespart, war eh schon recht viel. viele gruesse und hoffentlich lest ihr es mit interesse
tina

Die Geschichte der Gueriller@s

Nach 4 Jahren Haft gaben uns Jacobo Silva Nogales und Gloria Arenas Agis, bekannter unter ihren Kampfnamen Comandante Antonio und Coronela Aurora, Interviews ueber ihre jeweilige Geschichte. Jacobo sitzt im Hochsicherheitsknast La Palma und Gloria in Bodo-Neza. Sie bereuen ihre Vergangenheit nicht und glauben an ihre Freilassung, wenn das willkuerliche Gerichtsurteil, das sie zu 50 Jahren Haft verurteilt hat, aufgehoben wird.

4 jahre nach ihrer Festnahme erzaehlen Jacobo Silva Nogales (Comandante Antonio) und Golria Arenas Agis (Coronela Aruora), ehemalige Anfuehrer der ERPI (Ejercito Revolucionario del Pueblo Insurgente − *rev. Armee des aufstaendigen Volkes), der Proceso einiges ueber ihr bisher unbekanntes Leben, besonders ueber ihre Teilnahme in der Guerilla und ueber ihre Erfahrungen im Knast. Die beiden waren mit den Interviews einverstanden, und die staatlichen Behoerden erlaubten einem Reporter, mit ihnen am Ort ihrer Gefangenschaft zu reden: in Centro Federal de Readaptacion social de maxima seguridad (*Zentrum fuer soziale Wiedereingliederung hoechster Sicherheitsstufe) von La Palma und im Knast von Noza-Bordo, beide im Bundesstaat Mexico gelegen. Die Interviews wurden im vergangenen Sommer gemacht und jetzt, anlaesslich des 4. Jahrestages ihrer Festnahme durch eine konzertierte Aktion des Regierungs- und des Verteidigungsministeriums, veroeffentlicht. Trotz der offiziellen Version, dass sie in Chilpancingo, Guerrero, in flagranti − im Besitz eines stattlichen Waffanarsenals − verhaftet wurden, waren sie in Wahrheit noch nicht einmal zusammen, als die Autoritaeten sie fassten: Silva Nogales wurde am 19.10.99 in Mexico-Stadt festgenommen, und Arenas Agis drei Tage spaeter in San Luis Potosi. Beide gaben an gefoltert worden zu sein. Zu ca 50 Jahren Haft verurteilt, weckten die Faelle von Antonio und Aurora aus verschiedenen Gruenden oeffentliche Aufmerksamkeit, auch auf internationaler Ebene: Sie sind die momentan wichtigsten Ex Gueriller@s, die im Knast sitzen; sie sagen dass ihre Prozesse nicht rechtmaessig abliefen und dass man sie nach der Festnahme folterte; Silva Nogales trat mehrmals in Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen in La Palma zu protestieren; die Tochter der beiden bekam gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern politisches Asyl in Kanada, weil ihre politische Verfolgung von der kanadischen Regierung anerkannt wurde; keiner von beiden schwoert dem bewaffneten Kampf ab, trotz des Konsenses, dass es Fortschritte in der Frage der Wahlen im Land gegeben hat; das Rote Kreuz setzte sich fuer Gloria Arenas ein, damit sie medizinische Hilfe ausserhalb des Knastes bekommt, und das Paar hat es geschafft, sich mittels Kunst auszudruecken, durch Malerei und Poesie, die in Mexiko und im Ausland Beachtung fanden. Entsprechend ihrer Anklage, die sie mit den Mitangeklagten Fernando Gaticachino und Felicitas Nava Padilla teilen, wurden Silva Nogales und Arenas Agis in 2. Instanz zu 46 Jahren und 3 Monaten Haft wegen schweren Mordes, versuchten schweren Mordes, Schaden an fremden Eigentum und Rebellion in Guerrero verurteilt. Und auch zu 5 Jahren und 7 Monaten Haft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Toluca, wo sie dann aber vom Waffenbesitz in grossen Mengen, Besitz von Munition, organisierter Kriminalitaet und Terrorismus freigesprochen wurden. Die schwerste Anklage geht auf den Mord an einem Passagier eines zivilen LKWs zurueck, der in einen Hinterhalt gegen einen Militaerkonvoi im Juli 96 auf der Strasse von Chilpancingo nach Chilapa geriet. Die Angeklagten und ihre Verteidigung fuehrten an, dass aufgrund der Gegebenheiten vor Ort kein Zeuge die Identitaet der Angreifer angeben konnte, und so schliesslich niemand sicher sagen konnte, dass Silvo Nogales und Arenas Agis dabei gewesen seien. Trotz der strengen Urteile sagen beide, dass sie sicher sind, ihre Strafen nicht voll absitzen zu muessen. Eine Amnestie wie die zur Amtszeit von Jose Lopez Portillo (*Praesi von Mex) fuer die Guerilleros der 60er jahre ist dennoch nicht in Sicht. Totzdem haben die Angehoerigen der Gefangenen vor, die Faelle vor die Interamerikanische Kommission fuer Menschenrechte zu bringen, wenn die legalen Instanzen im Land erst einmal ausgeschoepft sind. Und das, obwohl sie wegen fehlender Mittel die Anwaeltin Barbara Zamora nicht weiter beauftragen konnten und sich nun durch einen Pflichtverteidiger vertreten lassen muessen.

"Antonio" spricht

Nach seinem letzten Hungerstreik, der 2 Monate dauerte und ihn 18 Kilo kostete, scheint Jacobo in einem guten Zustand zu sein. Er hat nicht diesen nierdergedrueckten Gesichtsausdruck, den die Insassen von La Palma zeigen, die sich in der Naehe des Raumes blicken lassen, wo wir das Interview fuehren. Um ein Beispiel zu geben: der Ex Gueverneur Mario Villanueva scheint um 10 Jahre gealtert zu sein, seit er in diesen Knast eingeliefert wurde, wenn man den Spuren in seinem Gesciht folgt. Im Gegensatz dazu waere man enttaeuscht, wuerde man in Antonio einen mexikanischen Abimal Guzman suchen, ein dogmatischer MLer mit hartem Gesichtsausdruck, der am 23.10.99 das Titelbild der Proceso zierte. "Hier fuehl dich zu hause, komm wann du willst,... aber nicht um hier zu bleiben", sagt dieser Mann mit leichtem Grinsen, bevor er in lautes Gelaechter ausbricht. Und er fuegt hinzu: "Ich danke dir fuers kommen. Schon lang nicht mehr hab ich solche Farben gesehen." Entweder Antonio ist ein guter Schauspieler oder man muss ihm einfach glauben, wenn er sagt, dass seine Gefangenschaft etwas ist, "das mich stolz macht." Er erklaert:"Die Gefangennahme war ein einkalkuliertes Risiko, der Preis des Kampfes. Ich dachte immer, dass ich nicht aelter als 30 werden wuerde, dann wurde ich sogar 45 (im november wird er 46), und nun habe ich das Gefuehl, ich erlebe Extra-Stunden. In der Guerilla gewesen zu sein ist nichts, was ich bereue; im Gegenteil, alles in allem bin ich zufrieden." Es ist grade mal das 2. Interview, das Antonio selbst gibt. Das erste war mit Julio Scherer Garcia fuer das Buch "Hoechste Sicherheit". Das Gespraech findet in einem Sprechzimmer statt, in das man nach den vielen Sicherheitskontrollen kommt, eineschliesslich eines halben Dutzend Tueren mit Doppelgittern. Eine Videokamera bewacht das Treffen und 2 Schliesser stehen draussen vor dem Raum. Der Gefangene Nr 911 ist eine Beruehmtheit innerhalb eines Knastes voller Beruehmtheiten. Das Haus 1-A, wo er seit dem letzten 10.12. sitzt, ist darin noch mal eine besondere Ansammlung von Stars: Die Drogenhaendler Rafael Caro Quintero, Miguel Angel Felix Gallardo, Francisco Arellano Felix, Ernesto Fonseca Carrillo, Gilberto Ontiveros Lucero, Pedro Lupercio Serrotos und Javier Pardo Cardona, der Entfuehrer Marcos Tinoco Gancedo, alias El Coronel, und der General Alfredo Navarro Lara sind einige der Personen, mit denen Silva Nogales taeglich zusammen lebt. − Gibt es Gespraeche mit diesen Nachbarn? − Ja, denn trotz der verschiedenen Geschichten begreifen wir hier, dass wir alle Gefangene sind und dass wir gemeinsame Interessen haben und dass wir manchmal zusammen kaempfen muessen gegen die Willkuer dieser Institution. Daher gibt es keine Probleme untereinander. Bisher hatte ich keinen Streit und ich kam schon mit den unterschiedlichsten Leuten zusammen. Als er hier rein kam, wurde er ins Haus 8 gebracht. Dann est er in den Bereich fuer "besondere Fuehrung " verlegt worden, wo er 6 Monate in Isolation war. Seine Schwester Elizabeth erzaehlt, dass es dort verboten war zu lesen und zu sprechen, aber als die Bewachung entspannter wurde, konnte er mit dem Haeftling der angrenzenden Zelle sprechen. Beide vereinbarten, tagsueber Erzaehlungen zu schreiben, die sie sich dann gegenseitig mit lauter Stimme am folgenden Tagvorlasen. Dieser Knast-Nachbar stellte sich als Daniel Arizmendi heraus − El Mochaorejas (*~ der Ohrenverstuemmler). Fuer die folgenden 2 Jahre kehrte er ins Haus 8 zurueck, und als das Urteil fiel, wieder ins Haus 1. Ein mal die Woche darf er Besuch bekommen, meist seine Geschwister Elisabeth und Abel und sein Neffe David, und 3 mal die Woche darf er Telefongespraeche fuehren. Mit Gloria, seiner Frau, die in Neza-Bordo sitzt, darf er ueber "familiaere Angelegenheiten" sprechen; ein Gespraech von 8 Minuten pro Monat. In Miahuatlon, Oaxaca geboren, wuchs Jacobo in extremer Armut auf. Elisabeth, 2 Jahre aelter als er, erinnert sich an ihn als einen duennen und kraenklichen Jungen, dauernd von Darmerkrankungen gequaelt. Als ihr Vater krank wird, migriert die Familie in die Hauptstadt Mexikos. In der Jugend arbeitete Jacobo in einem Lebensmittelgeschaeft und besuchte in der Oberstufe eine Abendschule fuer ArbeiterInnen, Richtung Lomas de Chapultepec gelegen. Um an den Schulstunden teilnehmen zu koennen, durchquerte er die ganze Stadt, denn sie wohnten in der Kolonie Moctezuma. Danach besuchte er die Berufsschule Nr. 10 in San Juan de Aragon, wo er sich fuer Physik, Mathe und Elektronik interessierte. Dort wendete er sich bereits der Politik zu. Er nahm an Demos teil, obwohl seine Familie dagegen war. Elizabeth erinnert sich, das sie ihr Bruder einmal zu einem Aktionstreffen der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM) mitnahm. Auf der Berufsschule, es war 1978, kam er in Kontakt mit einer Einheit der Guerilla Lucio Camañas, die sich wegen Lucios Tod in die Hauptstadt gefluechtet hatte. Die Idee dieser Ueberlebenden der "Partei der Armen" war es, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Sie erzaehlt, dass seine Kontakte nur allmaehlich vorbereitet wurden, sie ueberliessen ihn erst mal der Lektuere. Aber er brauchte nicht viel Motivation. Er war schon ueberzeugt, wollte Guerillero werden: "Seitdem ich die Idee hatte, der Guerilla beizutreten, wusste ich, dass ich eine gute Kondition brauchte, und ich fing an zu laufen, drei mal die Woche auf dem Sportplatz Magdalena Mixhuca." Im folgenden Jahr nahm Silva Nogales − "zu Ehren eines gefallenen Genossen" Antonio getauft − an einem Guerilla-Trainingscamp teil. Dort trug er das erste mal eine schwere Waffe. "Es war ein schoenes Gefuehl. Ich fuehlte mich, als ob ich damit Flugzeuge vom Himmel holen koennte." Mehr brauchte Antonio nicht: Er zerstoerte alle seine Papiere − "ausser den Militaerausweis, der mir als Identifikation nutzte" − , schrieb seiner Familie, dass er Arbeit als Lehrer in Puebla bekommen hatte, und ging von zu Hause weg. In der Zeit kam er nur sporadisch heim. Eines Tages kam er einfach gar nicht mehr. Seine Mutter informierte er ueber seine Geschwister: "Jacobo ist fortgegangen". Das naechste Mal, als sie von ihm hoerten, sagt Elisabeth, war es durch die Nachrichten. Sliva Nogales war dafuer verantwortlich, die Guerilla in Guerrero wieder aufzubauen. "Ich war dort unbekannt, daher schickte man mich", kommentiert er. Dann begann die langsame Arbeit der Rekrutierung, die nicht so bald fruchtete, erst ein Jahrzehnt spaeter. Seine Basis war Acapulco, aber das Aktionsgebeit war das selbe, wo Lucion Cabañas Beruehmtheit erlangt hatte. Gegen Ende der 80er beschlossen Jacobo und Gloria, als Paar zusammen zu leben (keine von beiden moechte ein genaues Datum angeben), zur selben Zeit gehoerten sie der Partido de los Pobres an. Nach mehreren Jahren unspektakulaerer Existenz erlangte diese Gruppe, zusammengeschlossen mit der PROCUP, in der Regierungszeit von Praesident Carlos Salinas Gortari, Aufmerksamkeit. Zuerst aufgrund des Mordes an 2 Wachleuten der Zeitung La Jornada und den darauf folgenden Polizeiaktionen, die gegen mehrere ihrer Kaempfer ausgeloest wurden. Dann, im Januar 94, zeigten sie ihre Solidaritaet mit dem Aufstand der Zapatisten, indem sie auf dem Parkplatz der Plaza Universidad eine Bombe hochgehen liessen und mit einem Angriff auf die Einrichtungen der staatlichen Elektrizitaetswerke und das mexikanische Militaer (die letzten Aktionen werden Antonio und Aurora zugeschrieben). − Half das dem oeffentlichen Ansehen von euch und den Zapatisten? − Aus heutiger Sicht glaube ich das nicht. Die Aktionen, die gemacht wurden, und die, die geplant waren und nicht stattfanden, hatten zum Ziel, uns solidarisch mit ihnen zu zeigen: dass sie, obwohl wir sie nicht kannten, nicht allein waren. Man muss sich daran erinnern, dass sie damals gerade dabei waren, die compañeros in Chiapas zu massakrieren. Aber nein, ich glaube, das war nicht gerade die erfolgreichste Sache. 2,5 Jahre spaeter tauchte die Organisation wieder auf, wegen des 2. Jahrestages der Morde von Aguas Blancas (*s.o.). Da war es schon das EPR, und Antonio, sagt er selbst, war Teil der Fuehrung, als die Mitglieder derselben entschieden, die Zahl der Kommandanten zu erhoehen, "um nicht mehr nur eine kleine Gruppe zu sein. Weil, wenn irgend einem was passieren sollte, es keine Kontinuitaet mehr gaebe." Antonio oblag es, den Aufmarsch der Guerilla in Aguas Blancas anzufuehren, eine Aktion, die damals von dem PRD-Mitglied (*relativ links, pro-zappis) Cuauhtemoc Cardenas als "Pantomime" (*ca rein symbolische show-aktion) bezeichnet wurde, ein Vorwurf, den danach der Regierungssekretaer Emilio Chuayffet wiederholte. "Die Idee war, dem genzen Land zu zeigen, dass es eine bewaffnete Kraft gibt, die auch angreifen kann", sagt Antonio ueber diesen Akt der Praesentation, dessen Voerbereitung mehrer Monate in Anspruch nahm und dessen TeilnehmerInnenzahl nicht enthuellt wird. − War es eine Pantomime? − Ueberhaupt nicht. Wir glaubten, dass es eine heftige Konfrontation werden wuerde, weil in wenigen Minuten Soldaten kommen konnten. Wir wollten in die Berge, weil wir dachten, dass sie mit Hubschraubern und Flugzeugen kommen wuerden. − Haettet ihr sie niederwerfen koennen? − Ja, wir rechneten damit. Der Unterschied zwischen dem, was zu erwarten war, und dem, was in Agusas Blancas im Juni 96 geschah, war dann mehr eine Sache der Natur: Der Hurrican Boris, der die Costa Grande von Guerrero verwuestete, verhinderte einen Aufmarsch des Militaers und deckte den Rueckzug der EPR. Zwischen Mitte 96 und Ende 97 erlebte die EPR die Zeit ihrer groessten Staerke. So sehr, dass der Praesident Ernesto Zedillo sagte, dass die "schlechte Guerilla", wie er sie nannte, mit "allen staatlichen Mitteln" bekaempft werden muesse. Trotzdem kam wenig spaeter nach der Intensivierung ihrer Aktionen die Spaltung. Nach einer Zeit interner Diskussionen ueber die Marschrichtung der Bewegeung spaltete sich die Guerrero-Abteilung der EPR ab, um die ERPI zu gruenden. "Dass wir die Struktur verbreitern wollten, schockte die Vorstellungen der Alten und der Neuen", erklaert Antonio. "Wir hatten eine offenere Einstellung sowohl intern als auch der Gesellschaft gegenueber. In Guerrero begann die harte Diskussion ueber viele Fragen, auf ideologischem Gebiet als auch bezueglich der Strategie und der Arbeitsweise. Dort begannen auch die Beleidigungen,und das fuehrte uns in die Spaltung." − Ueber was habt ihr konkret gestritten? − Meine Position ist, dass alles diskutiert werden muss und dass es keine Dogmen geben darf; dass Dogmen uns zu schrecklichen Entwicklungen gefuehrt hatten... So dass einige von uns dazu kamen, den Sozialismus als ein langfristiges Ziel zu sehen, und dass wir mittelfristig auf eine Volksdemokratie zielen muessen. Fuer die Gruppe schlugen wir eine groessere Ausweitung der Strukturen vor. Wir sagten, dass wir uns oeffnen muessten. "wir sind 3? Nein, wir sollten 6 sein". − Auch in der Guerilla ist es nicht das Gleiche, eine Bank zu ueberfallen oder eine Militaerkaserne anzugreifen oder Entfuehrungen durchzufuehren. Habt ihr nichts gelernt aus den Erfahrungen der bewaffneten Gruppen der 70er, deren Niedergang begann, als sie ihren Kampf mit Entfuehrungen vorwaerts bringen wollten? − Wir (die ERPI) griffen nie auf Entfuehrungen zurueck, weil wir die gesellschaftliche Verurteilung dieser Art von Aktionen kannten. Das Wichtigste ist, die Menschen zu gewinnen, sie aufzuklaeren und zum kaempfen anzuregen, ihre Forderungen durchzusetzen. Die militaerische Aktion, so war die Streit mit der EPR, sollte ausschliesslich der Selbstverteidigung dienen. Die Bevoelkerung versteht leicht, dass wir angreifen, wenn wir selbst angegriffen werden. Aber wenn nicht, sagen viele Leute: warum muesst ihr das tun? − Ihr rechtfertigt zB Hinterhalte auf Militaerkonvois. Ist das nuetzlich fuer den bewaffneten Kampf? − Gut, das kommt darauf an. Wenn es ein Militaerkonvoi ist, der sich in einer Zone befindet, in der die Soldaten Graeueltaten gegen die Bevoelkerung begangen haben, glaub ich schon. Wenn die Bevoelkerung uns darum bittet, machen wir das. Aber wenn sie einfach nur durchgefahren sind, dann nicht. Jetzt, wo sie schon einen Krieg angezettelt haben, ist es so, dass man alles was geht gegen den Feind tun muss. Unter den gegenwaertigen Umstaenden glaube ich aber nicht, dass das vorkommt. Tatsache ist, dass wir schon lange bevor sie mich gefasst hatten, keinen Hinterhalt mehr gelegt haben.

"Aurora" spricht

Als Gloria Arenas Agis den Radau hoerte, der vom Erdgschoss kam, glaubte sie, dass ein Gastank hochgegangen sei. Die Schuesse, die darauf folgten, rissen sie aus diesem Irrtum. Sie kamen wegen ihr. Aber wer kam? Seit eineigen Monaten lebten sie und Jacobo auf der Flucht. Und das nicht nur wegen der Verfolgung durch den Staat. Das hatte Gloria schon erlebt, seitdem sie der TINAM beigetreten war, eine soziale Organisation, die die Rechte der Indigenas der Sierra de Zongolica (seit Anfang der 80er) verteidigte. Sie war entfuehrt worden und noch vor ihrer Freilassung auf den spaeteren Staatssekretaer Ignacio Morales Lechuga getroffen, der versucht hatte, sie und ihre Schwester Norma zur Zusammenarbeit zu bewegen und sie beide bedrohte. Dennoch musste Gloria seit Anfang 98 auch vor der EPR fluechten, mit der Jacobo und sie gebrochen hatten, mit der gesamten Guerilla-Struktur also, wegen der Diffenrenzen ueber Ziele und Methoden der Organisation. "Wir waren zwischen die Fronten geraten. Wir wussten, dass wenn wir entschieden haetten, an der legalen Bewegung teilzunehmen, wir es mit dem Staat zu tun bekaemen. Und wenn wir uns gegen die Fuehrung der EPR stellten, die ein Staat im kleinen war, wuerden wir auch verfolgt werden." -Wieviel Kommandanten verliessen die EPR? − Das kann ich nicht genau sagen, es waren mehrere. Gloria erzaehlt, das die Spaltung, die Jacobo und sie anfuehrten, die erste war, die die Organisation erlebte, und dass die Reaktion darauf furchtbar war: "Sie schafften es nicht uns umzubringen, weil wir aus dem Bundesstaat flohen und uns vor ihnen versteckten. Und zur gleichen Zeit gruendeten wir eine andere Gruppe. Die ganze Struktur, die (in der EPR) blieb, wandte sich gegen uns. Die Familie − erzaehlt Leonor, Glorias Tochter − floh ueber Acapulco und zog nach Mexiko-Stadt, dann nach Toluca und letztendlich nach San Luis Potosi. Gloria sagt, das sie in dieser Zeit die EPR mehr als den Staat fuerchteten, weil der "sie nicht kannte." Das Interview wird mit einem Gitter zwischen uns gefuehrt, im Sprechzimmer vom Knast Neza-Bordo. Eigentlich sass Gloria in La Palma, konnte aber dort raus wegen einer Empfehlung der Nationialen Menschenrechts-Kommission, die bestimmte, dass Frauen nicht in Hochsicherheitsknaesten sitzen duerfen. Sie scheint, ebenso wie Antonio, ihre Haft als Teil des sozialen Kampfes zu sehen, den die vor mehr als 2 Jahrzehnten aufnahm. Ausserdem, sagt sie, ist sie noch nicht ans Ende ihres Weges als Aktivistin gelangt. "Das hoert hier nicht auf. Es ist nur eine Zwischenstation." − Trotz ihrer Verurteilung sagt sie das? − Womoeglich sind wir zu optimistisch − antwortet sie mit einem Laecheln. Vielleicht werden wir nicht 50 Jahre hierbleiben. − Leben Sie mit dieser Hoffnung? − Ja, wir haben die Hoffnung , dass wenn wir um unsere Freiheit kaempfen, rausgelassen werden muessen. Und ich glaube das, weil unsere Urteile vollkommen ungerecht sind und auf zurechtgedeichselte Gerichtsprozessen basieren. Wenn es 50 Jahre wegen Rebellion waeren, wuerde ich nichts sagen, aber 50 Jahre wegen schweren Mordes und anderer Dinge, die sie uns anhaengen, nein. Der Beginn ihres Kmpfes geschah aus den damaligen Umstaenden heraus, sagt Gloria. Sie und ihre Schwester studierten an der Fachhochschule fuer Agrarwissenschaften Ursulo Galvan, in Veracruz, als "wir in Kontakt kamen mit der Mutter eines politischen Gefangenen, der im Knast von Orizaba sass." Sie hat beschrieben, wie eine ihrer Lehrierinnen an dieser Schule als Mitglied der Liga 23.September die beiden Schwestern zu Aktivistinnen machte. Gloria spart mit Details. Die politische Beteiligung ging voran. In der Gruppe TINAM trat man dem Kazikentum der Familie Zepahua in der Sierra von Zongolica entgegen. Die Verteidigung von Landrechten und der Rechte der Indigenas waren das Programm der Organisation. Es gab einige Mobilisierungen gegen den illegalen Holzabbau, den die Kaziken durchfuehrten. Nach verschiedenen Zusammenstoessen, erzaehlt sie, begann die Repression. "Ich war 4 Tage verschwunden. Meine Schwester 4 mal festgenommen. Sie wollten auch meinen Vetter haben, aber er entfloh ihnen." Nach diesen Geschehnissen kamen die Schwestern zu dem Schluss, dass sie aus dem Bundesstaat abhauen muessen."Als ich nach Acapulco kam − sagt Gloria − hatte ich verstanden: Es ist sehr schwierig, den Kampf legal zu fuehren. Man hatte mich entfuehrt und Morales Lechuga hatte mich bedroht." Sie war davon ueberzeugt, dass sie den sozialen Kampf nur fortfuehren konnte, wenn sie Kontakt mit einer bewaffnetetn Gruppe aufnahm. "Ich war noch nie in Acapulco gewesen. Aber seit ich ankam, interessierten mich die Dinge, die dort geschahen, ich las viel Zeitung. Ich selbst habe die Bewegungen aufgesucht, ich naeherte mich ihnen, bis ich Kontakt mit der bewaffneten Bewegung bekam." Ich frage sie, ob nicht ihre Tochter, damals 4 Jahre alt, ihre Ueberlegungen beeinflusste, diesenLebensabschitt zu beginnen. − Das hat sie immer. Aber dann dachte ich: Nur Maenner und Alleinstehende sollen dazu in der Lage sein? Als alleinerziehende Mutter, die sie zu der Zeit war, war Gloria Opfer sexueller Belaestigungen in den diversen Jobs, die sie in Acapulco hatte, bevor sie in die Guerilla eintrat. Und der Machismo, den sie in der Arbeitswelt vor fand, unterschied sich nicht so sehr von dem unter den Guerilleros. "Leider ist die bewaffnete Bewegung ein Spiegelbild der Gesellschaft. Als ich eintrat gab es viel Machismo. Und es gibt ihn noch, es kommt drauf an. Wenn es um Unterstuetzung, um die Ernaehrung geht, da gibt es viele Frauen; in der Fuehrung sehr wenige... Es gibt die Haltung: Die Frau ist die sog. Nachhut ihres Genossen, sie gibt ihm Schutz, sie gibt ihm so was wie ein Heim." − Ist Jacobo auch so? Sie lacht und antwortet: "Nein, mein Mann ist eine Ausnahme. Er ist nicht machistisch, gegen ihn musste ich nie kaempfen." Eingesperrt in einen Knast, wo die Mehrheit wegen Drogenhandels sitzt, teilt Gloria die Zelle mit Felicitas Nava, einer Mitangeklagten. Eine ihrer wichtigsten Aktivitaeten ist der Aufbau einer Bibliothek, die bisher aus sehr wenigen Buechern bestand. − Welches Buch mag sie am liebsten? Sie ueberlegt einen Moment lang und antwortet: Aura, von Carlos Fuentes. Sie werden Carlos Aboscal erzuernen... − Genau deswegen las ich es, und nun weiss ich, dass er Unrecht hat. − Ist die Guerilla machbar, ist sie sinnvoll in einem Land, das sich gerade ohne Waffengewalt aendert? − Ich glaube, sie ist notwendig. Aber nicht nach dem Schema der Siebziger und Achziger, sondern als ein Instrument der Selbstverteidigung der sozialen Bewegungen. Tatsaechlich hatte sie so angefangen, aber sie hat sich selbst entstellt. − Als Selbstverteidigung gegen wen? − Es ist notwendig, weil wir leider nicht in einer Demokratie leben, in der gesellschaftliche Veraenderungen moeglich sind. − Sie sagen das trotzdem die Gesetze nun mehr als zuvor gelten, die Wahlen respektiert werden, die Polizei die DemonstrantInnen mehr fuerchtet als die sie? Gibt es nicht Bedingungen fuer einen friedlichen sozialen Kampf? − Nein, die gibt es nicht. In Puebla haben sie eine Anwaeltin fuer Menschenrechte umgebracht (Griselda Tirado, am 6.8.). Digna Ochoa haben sie auch umgebracht, auch wenn sie sagen, sie habe sich selbst getoetet. Mexiko ist eine mangelhafte Demokratie, genauer gesagt, ist es eine gut verkleidete Diktatur.

 Quelle:  
  http://www.proceso.com.mx/ 
 

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