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Basteln an zapatistischen Welten

Zehn Jahre EZLN-Solidarität in Deutschland

ILA vom 22.02.2004

  Es steht außer Zweifel, dass der Aufstand der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) gegen Rassismus, Ausbeutung und Neoliberalismus vom 1. Januar 1994 in Südmexico viele Linke, auch in Deutschland, überrascht hat und zunächst viel Interesse bis hin zu regelrechter Begeisterung geweckt hat. Ihr positiver und antiavantgardistischer Bezug auf die "Zivilgesellschaft", d.h. die Teile der Gesellschaft, die dem zapatistischen Verständnis nach die Gesellschaft emanzipatorisch verändern wollen und nicht Teil des Staats- und Parteienapparates sind, hat ihnen zu Recht den Ruf einer basisorientierten Bewegung verschafft.

Neu war neben der Abkehr vom marxistisch-leninistischen Duktus auch der Anspruch, die Welt von unten verändern zu wollen, ohne die Macht zu erobern − "für eine Welt, in die viele Welten passen!" So rief die EZLN 1996 während des "Intergalaktischen Treffens gegen Neoliberalismus und für die Menschheit" dazu auf, eine "Internationale der Hoffnung" zu errichten, ein horizontales Netzwerk von Basisorganisationen. Fasziniert hat viele solidarische Menschen weltweit der explizit undogmatische Anspruch des Mottos "preguntando caminamos" (Fragend gehen wir voran).

Die ELZN betonte zudem, eine der größten Formen der Solidarität mit der zapatistischen Sache sei es, im eigenen Land und im eigenen Umfeld gegen Unterdrückung zu kämpfen, und sie richtete sich damit nicht nur an chiapanekische Kleinbauern und -bäuerinnen, sondern an Frauen, Homosexuelle, so genannte Minderheiten, ArbeiterInnen, Prostituierte, Intellektuelle, Kunstszene, Jugendliche etc. Im Vergleich zu Italien, Spanien und Lateinamerika war die Solidaritätsbewegung mit der EZLN in Deutschland quantitativ immer kleiner, doch auch hier gab es bereits 1994 Versuche zur Vernetzung von Solidaritätsgruppen. Der Koordinator des Infoverteilers "Chiapas98" (pcl (AT) jpberlin PUNKT de   ) − bis heute das wichtigste zapatistische Informationsmedium auf deutsch − stellte im Interview allerdings fest, "dass es das eine bundesweite Netz nicht gab, sondern eher bundesweite Netze, die allerdings nur sehr wenig miteinander kommunizierten".

Die orthodoxen linken Gruppen waren durch die unkonventionelle Art der EZLN z.T. sehr irritiert − Aussagen wie die folgende waren für sie schwer verdaulich: "Jemand sagte, gegen den Neoliberalismus zu sein, ist wie gegen das Gesetz der Schwerkraft zu sein. Nun denn: Nieder mit dem Gesetz der Schwerkraft!" (Subcomandante Marcos). Eine der zahlreichen Sekten zur Wiedergründung der KPD bemängelte in ihrem Organ "Roter Blitz" dann auch, dass die EZLN lieber militant ihre Dörfer verteidigen als Gedichte schreiben sollte − gemeint waren die poetischen Kommuniqués, die der Bewegung weltweit so viele Sympathien einbrachten.

Da sich die orthodoxen Gruppierungen recht schnell aus der Soli Debatte zurückzogen, rekrutierten sich die entstehenden Solidaritätsgruppen mehrheitlich aus der autonomen und undogmatischen Linken. Sie bildeten jahrelang das größte Netz und transportierten viele ihrer Debatten in die neue Selbstfindungs- und Solidaritätsarbeit. So wurde u.a. über einen unkritischen Solidaritätsbegriff, den Bezug auf die Nation, die Frauenfrage und den Personenkult um EZLN-Sprecher Marcos diskutiert. Ein wichtiger Punkt war auch immer die Frage, inwieweit "klassische" Solidaritätsarbeit − d.h. wir-hier-unterstützen-die-Bewegung-dort − überhaupt nötig sei, wenn es doch den klaren Aufruf gebe, die wichtigste Solidarität sei die Veränderung der eigenen Realitäten, der Kampf im Herzen der Bestie.

Armin aus Aachen, Netzaktivist der ersten Stunde und bis heute dabei, fasst stimmungsmäßig die ersten Jahre des autonomen Netzes zusammen: "Fing großartig an, zersplitterte sich lautstark und ist fast verdurstet." Edo aus Münster schildert die "Höhepunkte" des Ya-Basta! Netzwerkes: "Ich erinnere mich gerne an die tolle Anti-Expo-Aktion anlässlich des ,Nationentages Mexico’ 2000 in Hannover, die auch in Mexico wahrgenommen wurde. Da bewährte sich die jahrelange Zusammenarbeit und das kontinuierliche Engagement, das Vertrauen, das über die Jahre mit all den Schwierigkeiten auf den vierteljährlichen Ya-Basta-Treffen gewachsen war. Aber ohne die spontane Unterstützung lokaler Activistas hätte die Anti-Expo-Aktion so nie stattfinden können."

Einige "theorielastige" Aktive verließen im Laufe der Jahre die solidarischen Kreise, da ihnen der angeblich "reformistische" oder "nationalistische" Diskurs der EZLN und die − häufig zu Unrecht unterstellte − "unkritische" Haltung der verbliebenen Aktiven gegenüber den Zapatistas missfiel. Anderen ging es auf Dauer zu wenig um die Kämpfe in Deutschland und Europa. Das Netz dünnte sich durch interne Auseinandersetzungen Ende der 1990er aus und arbeitete von 1999 bis 2001 nur wenig im überregionalen Rahmen. Schwierig war damals, dass die interne Kommunikation, eine gemeinsame "Wellenlänge", teilweise verloren ging. Doch die Solidarität ist keineswegs verschwunden, mehrere Kollektive arbeiteten kontinuierlich weiter und die heute aktiven Gruppen − teils alt, teils neu − formulieren als ein Ergebnis der internen Auseinandersetzungen den klaren Anspruch auf kritische Solidarität, um Revolutionsromantik und Projektionen zu vermeiden, und die Notwendigkeit des politischen Kampfes in der eigenen Gesellschaft, z.B. gegen Rassismus, Militarisierung, sexualisierte Gewalt und Sozialabbau sowie für unkommerzielle und autonome Freiräume.

Nicht zu vergessen sind die kraftvollen Aspekte der Netztreffen: "Auf den Treffen habe ich wahnsinnig viel Kraft getankt und politisch hätte ich diese mageren Neunziger ohne die Yabastas nicht überlebt. Ich habe im Netz die großartigsten Menschen kennen gelernt", gibt Armin zu bedenken und diese Position ist des öfteren zu hören. Es ist ebenso wichtig darauf hinzuweisen, dass es neben den Netzwerkversuchen immer viele linke Einzelpersonen und Gruppen gab, die Spenden gesammelt, Proteste oder Informationsveranstaltungen organisiert haben. Auch in humanistischen, progressiv-christlichen und menschenrechtsorientierten Kreisen gab es Interesse für diese "Armee von Träumerinnen und Träumern", wie sich die EZLN einmal selbst charakterisierte, denn ihr poetischer Sprachstil und ihre konsequente Praxis begeisterte privilegierte Intellektuelle, politische Punks, Feministinnen und marginalisierte Campesinos und Campesinas gleichermaßen.

Die Praxis der Solidarität ist seit 1997 auch durch die Menschenrechtsbeobachtung vor Ort in Chiapas geprägt. Mehrere Hundert Menschen haben seitdem an den obligatorischen Vorbereitungsseminaren der Organisation CAREA e.V. (Berlin) teilgenommen − und viele von ihnen sind dann tatsächlich auch nach Chiapas gereist. Die "Lehrstunden", die sie durch ihre Aufenthalte in Friedenscamps in zapatistischen Gemeinden erleben konnten, sind für viele "ein überaus wertvoller Teil der eigenen Biographie. Gerade im Bereich Selbstorganisation können wir viel von den Zapatistas lernen, wobei natürlich nichts direkt übertragbar ist" (eine Ex-Campamentista). Vielleicht ist der Einsatz als FriedensbeobachterIn, das spätere Berichten darüber und das lokale Weiterkämpfen viel wichtiger als eine abgehoben-rechthaberische Theoriedebatte von "Schreibtischlinken", die denen, die "anpacken" wollen, die Laune und den vielleicht auch "naiven" Idealismus vermasseln?

Zu erwähnen ist an dieser Stelle der Dank der Zapatistas selbst für Informationsarbeit und Kampagnen, wie zum Beispiel die Proteste auf der EXPO in Hannover am 20. August 2000 anlässlich des "Nationentag Mexico" oder die bundesweite Demonstration zum 19. Geburtstag der EZLN am 16. November 2002 mit über 400 Personen vor der mexicanischen Botschaft in Berlin. Über beide Aktivitäten wurde auch in der mexicanischen Presse berichtet. Die Zapatistas gehen fest davon aus, dass internationale Proteste dazu beitragen, weitere Gewalt in der Aufstandsregion zu verhindern, da die mexicanische Regierung unter Ex Coca-Cola-Manager Fox um ein "sauberes" Image bemüht ist. Der mexicanische Chiapas-Experte und Mitgründer der linken Tageszeitung La Jornada Hermann Bellinghausen bestätigte diese Einschätzung im Gespräch und betonte, dass die internationale Aufmerksamkeit ein wichtiges Instrument sei, "um die Regierung immer wieder unter Druck zu setzen".

Noch im Juli 2003 würdigte auch Subcomandante Marcos die Bedeutung der globalen Solidaritätsbewegung: "Wenn der Aufstand vom 1. Januar 1994 wegen der verschwörerischen Mittäterschaft Tausender Indígenas möglich war, so wurde der Aufbau der Autonomie in den Rebellengebieten durch die Mittäterschaft Hunderttausender Personen verschiedener Hautfarben, Nationalitäten, Kulturen, und Sprachen, kurzum, verschiedener Welten ermöglicht" (Marcos in: Der Kalender des Widerstandes, Frankfurt 2003).

Das jüngste bundesweite Treffen von über 30 solidaritätsbewegten Einzelpersonen und Delegierten im November 2003 in Gießen machte nach Aussagen der TeilnehmerInnen jedenfalls den Eindruck, dass ein ehrliches Interesse an kritischer, anti-paternalistischer Solidarität mit der zapatistischen Bewegung in Verbindung mit emanzipatorischen Kämpfen hier besteht. Alte Sektierereien sollen nicht wiederholt werden, es geht eher um eine "Solidarität der vielen Solidaritäten", so der Koordinator von Chiapas98. Eine Aktivistin der Gruppe B.A.S.T.A. ergänzt zum Treffen: "Mir scheint, dass der Zapatismus denjenigen, die schon lange dabei sind, immer wieder neue Energie gibt und denjenigen, die neu dabei sind, den Mut etwas zu machen und zu verändern!" Die "neu-alte" Solidaritätsszene fühlt sich seit gut zwei Jahren im Aufwind. Und das ist immer wieder ein Grund zum Weitergehen und Weiterkämpfen. Und Weiterfragen.

Luz Kerkeling


Zehn Jahre EZLN-Solifonds der ila

Im April 1994 war die damalige ila-Redakteurin Danuta Sacher in Chiapas und sprach mit verschiedenen Verantwortlichen der EZLN u.a. mit Subcomandante Marcos. Die Compañeros/as berichteten von ihren Plänen, ein zapatistisches Radio aufzubauen und baten um Unterstützung dieses Projektes. Weil es damals noch keine festen Strukturen in der Solidarität mit den ZapatistInnen gab, entschied die ila ein Solikonto für einen EZLN-Medienfonds einzurichten. Wenig später, teilten uns die ZapatistInnen mit, der Aufbau des Radio sei erst einmal verschoben, Priorität habe die Unterstützung der zapatistischen Gemeinden. Aus dem Medienfonds wurde der EZLN Solifonds, die ZapatistInnen erhielten die eingegangen Spenden zur freien Verfügung. In den ersten drei Jahren gingen auf dem Solikonto über 50 000 DM ein. Inzwischen gab es weitere Konten und Projekte der Solibewegung mit den ZapatistInnen. Da wir konkurrierende Kampagnen für unsinnig hielten und die ila nicht primär zu Chiapas arbeitete, entschieden wir Ende 1997, nicht mehr offensiv mit dem Konto zu arbeiten und keine regelmäßigen Spendenaufrufe mehr in der Zeitschrift zu veröffentlichen. Stattdessen wiesen wir in Beiträgen und den "Notizen aus der Bewegung" auf die Projekte und Spendenkampagnen anderer Gruppen hin. Allerdings gingen weiterhin Spenden für den EZLN-Solifonds ein, wenn auch deutlich weniger als in den Jahren 1994-97. In den letzten Jahren waren es noch einige Daueraufträge, durch die eine dreistellige Summe im Jahr zusammenkam. Bis zum 31. Dezember 2003 hat die ila für den EZLN-Solifonds 35469,25 Euro gesammelt, die ohne Abzüge an die EZLN weitergeleitet wurden. Wir danken allen SpenderInnen für ihre Solidarität mit den ZapatistInnen!

aus: ILA 272, Februar 2004

 Quelle:  
  http://www.ila-web.de/ 
 

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