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AI-Jahresbericht 2004 zu Mexiko

Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2003

amnesty international vom 17.07.2004

  Amtliche Bezeichnung: Vereinigte Mexikanische Staaten
Staats- und Regierungschef: Vicente Fox Quesada
Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft
UN-Frauenrechtskonvention: ratifiziert
Zusatzprotokoll zur Frauenrechtskonvention: ratifiziert

Obwohl die mexikanische Regierung ihr Bekenntnis zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte bekräftigte, reichten ihre Initiativen nicht aus, um häufigen und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen. Strukturelle Mängel innerhalb des Strafjustizsystems waren nach wie vor eine Hauptursache von Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit. Die Behörden verpflichteten sich, den anhaltenden Tötungen und Entführungen von Frauen in Ciudad Juárez und Chihuahua entgegenzutreten. Mindestens ein Menschenrechtsverteidiger wurde ermordet, und etliche andere erhielten Drohungen. Gegen mehrere gesellschaftlich engagierte Personen erging Strafanklage, Berichten zufolge aus politischen Gründen. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs machte möglicherweise den Weg für die Strafverfolgung staatlicher Funktionsträger frei, die in den vergangenen Jahren für Fälle von "Verschwindenlassen" verantwortlich waren. Zahlreiche indigene Gemeinschaften sahen sich weiterhin Ausgrenzung und Gewalt ausgesetzt. Die Vereinten Nationen veröffentlichten einen Bericht über die Menschenrechtssituation in Mexiko, auf dessen Grundlage die Regierung ein nationales Menschenrechtsprogramm erarbeiten sollte.

Hintergrundinformationen

Die Regierung von Präsident Fox spielte bei der Förderung der Wahrung der Menschenrechte im Rahmen von Initiativen der Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) weiterhin eine Vorreiterrolle und unterhielt einen offenen Meinungsaustausch mit internationalen Menschenrechtsorganisationen.

Im Mai setzte Präsident Fox die Kommission für staatliche Menschenrechtspolitik Comisión de Política Gubernamental en materia de Derechos Humanos mit dem Auftrag ein, menschenrechtspolitische Maßnahmen und Initiativen der Bundesregierung zu koordinieren. Nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen beteiligten sich an der Arbeit der Kommission und ihrer sieben Unterausschüsse, die einer Vielzahl unterschiedlicher Themen nachgingen − darunter die Anpassung nationaler Gesetze an internationale Menschenrechtsstandards und die Erarbeitung von Maßnahmen, um der Tötung und Entführung von Frauen in Ciudad Juárez ein Ende zu setzen.

Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Parlaments verstärkten die Abhängigkeit der Regierung von den Stimmen der Opposition. Im Juni wurde ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Eine begrenzte Verfassungsreform, die es Mexiko ermöglichen sollte, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren, musste noch vom Abgeordnetenhaus und den Parlamenten der Einzelstaaten genehmigt werden.

Dringend notwendige Strukturreformen zur Beendigung der insbesondere auf einzelstaatlicher Ebene von Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Militär begangenen Menschenrechtsverletzungen blieben jedoch aus. Mängel in der Justiz und im Netzwerk der Menschenrechtsbeauftragten machten es diesen Institutionen im Großen und Ganzen unmöglich, die Wahrung der Menschenrechte wirksam zu überwachen und Übergriffe zu verhindern oder zu ahnden.

Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA wirkte sich im zehnten Jahr seines Bestehens weiterhin maßgeblich auf die mexikanische Wirtschaft aus. Die zu Jahresbeginn gegen den Abbau von Einfuhrzöllen für bestimmte Agrarprodukte im Rahmen des Freihandelsabkommens demonstrierenden Bauern vermochten die Regierungspolitik durch ihre Proteste nicht zu ändern. Im Oktober mobilisierten sie gemeinsam mit weiteren Sektoren der Gesellschaft Proteste gegen die Tagung der Welthandelsorganisation in Cancun.

Gewalt gegen Frauen

In den Städten Ciudad Juárez und Chihuahua im gleichnamigen Bundesstaat fielen erneut Frauen Mordanschlägen und Entführungen zum Opfer. Wiederholt war in Berichten von nur nachlässig geführten Untersuchungen lokaler Behörden die Rede sowie davon, dass Verdächtige gefoltert worden seien. Familienangehörige der betroffenen Frauen und nichtstaatliche Organisationen, die Gerechtigkeit einforderten, sollen Schikanen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt gewesen sein. Unter massivem internationalem und nationalem Druck kündigten die Bundesbehörden eine Reihe von Maßnahmen an, um Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten und die Frauenmorde zu unterbinden. Im Oktober ernannte Präsident Fox einen Beauftragten zur Koordinierung dieser Initiativen. Im März veröffentlichte die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission einen Bericht über die Todesfälle. Im November publizierte die mexikanische Menschenrechtskommission ihrerseits einen Bericht und gab Empfehlungen ab.

Im März wurde in Chihuahua die 16 -jährige Viviana Rayas entführt und später ermordet. Die Behörden unterließen es, die Entführung konsequent zu untersuchen, bis im Mai die sterblichen Überreste eines Menschen entdeckt wurden. Kurze Zeit später erfolgte die Festnahme eines Mannes und einer Frau, die anschließend den Vorwurf erhoben, gefoltert worden zu sein. Zeugen berichteten, dass man auch sie gefoltert hätte, um sie dazu zu zwingen, die beiden Tatverdächtigen zu belasten. Die Behörden bestritten, bei der Untersuchung der Entführung oder bei der Beweiserhebung Fehler begangen zu haben.

Willkürliche Inhaftierungen und Folterungen

Im Mai veröffentlichte der UN-Ausschuss gegen Folter einen Bericht über eine auf fünf Jahre angelegte Untersuchung von Folterfällen in Mexiko. Darin stellte er sinngemäß fest, dass Folterhandlungen bei weitem keine Ausnahme darstellen, die nur vereinzelt von einigen wenigen Polizeibeamten begangen werden, sondern dass die Polizei im Gegenteil die Anwendung von Folter gewöhnlich praktiziert und als Methode der strafrechtlichen Ermittlungen systematisch darauf zurückgreift.

Insbesondere auf einzelstaatlicher Ebene unterließen es öffentliche Rechtsbeistände, Staatsanwälte und Richter häufig, die Zulassung von unter Folterungen erpressten Geständnissen als Beweismittel zu verhindern. Eine von der nichtstaatlichen Organisation ärzte für die Menschenrechte durchgeführte eingehende Untersuchung der Folterpraxis auf Bundes- und einzelstaatlicher Ebene ergab, dass das Ausmaß des Problems nach wie vor weitaus größer war als in amtlichen Statistiken dargestellt. Obwohl die Bundesgeneralstaatsanwaltschaft offiziell internationale Standards für die Dokumentation medizinischen Beweismaterials in Folterfällen übernahm, war die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden in solchen Verfahren nicht gewährleistet.

Im September wurden vier Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Totanac aus Huehuetla im Bundesstaat Puebla festgenommen und dem Vernehmen nach von der einzelstaatlichen Justizpolizei gefoltert, um ein Mordgeständnis zu erzwingen. Die Behörden sollen Ermittlungen zur Untersuchung der Foltervorwürfe eingeleitet haben.

Berichte sprachen von ungesetzlichen Tötungen durch die Polizei und von mindestens einem Fall von mutmaßlichem "Verschwindenlassen". So wurden beispielsweise Befürchtungen laut, dass Marcelino Santiago Pacheco, der zuletzt am 27. April beim Verlassen seiner Wohnung gesehen worden war, dem "Verschwindenlassen" zum Opfer gefallen sein könnte. Er soll bereits 1997 von den Sicherheitskräften gefoltert und gemeinsam mit zahlreichen weiteren Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Loxicha in Gewahrsam genommen worden sein. Berichten zufolge hatte er im Rahmen einer Untersuchung über gegen Mitglieder der Gemeinschaft gerichtete Menschenrechtsverletzungen als Zeuge aussagen sollen.

Menschenrechtsverteidiger

Mindestens ein Menschenrechtsverteidiger wurde ermordet, und etliche andere erhielten Drohungen oder sahen sich Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Menschenrechtler, die in örtlichen Gemeinschaften arbeiteten, waren von Repressalien der einzelstaatlichen Behörden in besonderem Maße bedroht, obwohl die Behörden auf bundesstaatlicher Ebene in einer Reihe von Fällen für einen gewissen Schutz sorgten. Am 6. August beispielsweise wurde die Rechtsanwältin Griselda Tirado Evangelio vor ihrem Haus in Huehuetla im Bundesstaat Puebla niedergeschossen. Die Anwältin gehörte der unabhängigen Organisation Organización Independiente Totonaca (OIT) an, die sich für die Rechte der indigenen Gemeinschaften im Gebiet Sierra Norte einsetzt. Im Juli kam ein mit der Untersuchung des Todes der Menschenrechtsverteidigerin Digna Ochoa im Jahr 2001 beauftragter Sonderstaatsanwalt zu dem Schluss, die Frau hätte Selbstmord begangen. Die Ermittlungen wurden offiziell eingestellt, obwohl die Behörden es versäumt hatten, die von der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission beanstandeten gravierenden Unzulänglichkeiten im Zuge der Vorermittlungen zu korrigieren.

Politisch motivierte Strafanklagen

Menschenrechtsverteidiger und andere gesellschaftlich engagierte Personen sahen sich erneut aus politischen Gründen Strafanklagen ausgesetzt, insbesondere auf einzelstaatlicher Ebene, wo örtliche Strafverfolger und Richter der Exekutive untergeordnet blieben. Im März wurden Isidro Baldenegro und Hermenegildo Rivas Carrillo, Wortführer friedlicher Proteste gegen illegale Abholzungsmaßnahmen in der indigenen Gemeinschaft Coloradas de la Virgen in der Sierra Tarahumara in Chihuahua, von der Polizei des Bundesstaates festgenommen und des illegalen Besitzes von Waffen und Marihuana angeklagt. Zahlreiche Zeugen bestätigten, dass die Polizei den Angeklagten die Beweise untergeschoben hatte und ihre Strafverfolgung politisch motiviert war. Ende des Berichtszeitraums war noch kein Urteil gegen die beiden gewaltlosen politischen Gefangenen verkündet worden.

Im November ordnete ein Bundesrichter die Freilassung von Julio Sandoval Cruz an. Der Anführer einer indigenen Gemeinschaft hatte in Ensenada im Bundesstaat Baja California zwei Jahre einer fünfjährigen Haftstrafe abgesessen, zu der er wegen seiner Rolle im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen über Landrechte verurteilt worden war.

Straffreiheit

Der 2002 eingesetzte Sonderstaatsanwalt, dessen Behörde Menschenrechtsverletzungen vergangener Jahre untersuchen soll, erzielte weiterhin nur bescheidene Fortschritte dabei, die Verantwortlichen für die in den 1960er bis 1980 er Jahren begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Im November wurde Zacarías Barrientos, ein Kronzeuge für mehrere Fälle von Menschenrechtsverstößen im Bundesstaat Guerrero, ermordet, was Befürchtungen um die Sicherheit anderer Zeugen nährte. Der Oberste Gerichtshof sprach sich in zwei bedeutsamen Entscheidungen gegen die Straffreiheit aus.

Im April lehnte ein Richter in Nuevo León unter Berufung auf Verjährungsvorschriften die Ausstellung eines Haftbefehls gegen staatliche Funktionsträger ab, denen die Entführung von Jesús Piedra

Ibarra im Jahr 1976 angelastet wurde. Im November machte der Oberste Gerichtshof diese Entscheidung rückgängig und erklärte mit Verweis auf internationale Standards gegen das "Verschwindenlassen", dass Straftaten dieser Art so lange nicht verjähren, bis sich die entführte Person wieder auf freiem Fuß befindet. In der Folge erließ der Sonderstaatsanwalt mindestens drei Haftbefehle gegen mehrere ehemalige, in Fälle von "Verschwindenlassen" verwickelte Funktionsträger.

Im Juni verfügte der Oberste Gerichtshof die Auslieferung von Ricardo Miguel Cavallo an Spanien und schuf damit einen wichtigen Präzedenzfall der universellen Gerichtsbarkeit. Den früheren argentinischen Marineoffizier erwarteten in Spanien Anklagen wegen Völkermordes und Terrorismus. Im Gegensatz zu völkerrechtlichen Grundsätzen, wonach Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht der Verjährung unterliegen, schloss der Oberste Gerichtshof allerdings auf der Grundlage mexikanischer Verjährungsvorschriften eine Anklageerhebung gegen Ricardo Miguel Cavallo wegen Folterungen aus. Gerichte der zivilen Justiz übertrugen Verfahren gegen Angehörige des Militärs wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen weiterhin an den Militärstaatsanwalt und an Militärgerichte, wodurch sie der Fortdauer der Straffreiheit Vorschub leisteten und den Opfern Gerechtigkeit versagten. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit des Vorbehalts der mexikanischen Regierung gegen die Inter-Amerikanische Konvention über das gewaltsame Verschwinden von Personen stand Ende des Jahres noch aus. Im Mai wies ein Bundesgericht die Rechtsmittel von Valentina Rosendo Cantú ab. Die Angehörige der indigenen Gemeinschaft Barranca Bejuco in Acatepec im Bundesstaat Guerrero war nach vorliegenden Meldungen 2002 von Militärangehörigen vergewaltigt worden und hatte beantragt, ihren Fall der zivilen Justiz zu übertragen. Die richterliche Entscheidung, Militärjustiz walten zu lassen, schloss eine unparteiische Untersuchung ihres Falles praktisch aus.

Indigene Bevölkerungsgruppen

Im Juni reiste der UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation und die grundlegenden Freiheiten indigener Bevölkerungsgruppen nach Mexiko und stattete dort sechs Bundesstaaten − darunter auch Chiapas, Oaxaca und Guerrero − einen Besuch ab. In diesen Staaten leisteten Diskriminierung, Ausgrenzung und Konflikte zwischen Gemeinschaften weiterhin verbreiteten Menschenrechtsverletzungen Vorschub. Der Sonderberichterstatter drängte die Behörden, die Verhandlungen mit der im Bundesstaat Chiapas operierenden bewaffneten Oppositionsgruppe Nationale Befreiungsarmee Zapatista (Ejército Zapatista de Liberación Nacional − EZLN) wieder aufzunehmen und das umstrittene Gesetz über Indigenenrechte aus dem Jahr 2001 zu reformieren, das der Umsetzung der im Rahmen der Friedensverhandlungen 1996 eingegangenen Verpflichtungen im Wege stand. Befürchtungen, dass der regionale Entwicklungsplan Plan Puebla Panamá die Existenz der indigenen Gruppierungen im Süden Mexikos gefährden könnte, da die geplanten Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu untergraben drohten, bestanden unvermindert fort.

Im Juni widersetzten sich lokale Menschenrechtsorganisationen der drohenden Räumung von mindestens 42 Indigenensiedlungen aus dem Biosphären-Reservat Montes Azules in Chiapas mit der Begründung, dass man die Gemeinschaften nicht angemessen konsultiert habe und dass die vorgesehenen Maßnahmen nicht dem Umweltschutz, sondern vielmehr der Förderung privater Investitionen dienen würden.

Nationales Menschenrechtsprogramm

Im Dezember präsentierte das Amt des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Präsident Fox eine umfassende Bestandsaufnahme der Menschenrechtssituation im Lande. Der Bericht beinhaltete auch konkrete auf die Gesetzgebung bezogene und andere Empfehlungen zur Reformierung der staatlichen Strukturen, um einen wirksamen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Die von vier mexikanischen Experten in Konsultation mit der Zivilgesellschaft erstellte, bislang einmalige Bestandsaufnahme war Teil der zweiten Phase der technischen Kooperationsvereinbarung mit den Vereinten Nationen. Darin hatte sich die Regierung verpflichtet, auf der Grundlage der Empfehlungen des Berichts in den Folgemonaten ein nationales Menschenrechtsprogramm zu erarbeiten und zu implementieren.

Berichte und Missionen von amnesty international

Berichte
Mexico: Unfair trials − unsafe convictions (ai-Index: AMR 41/007/2003)
Mexico: Intolerable killings − 10 years of abductions and murders of women in Ciudad Juárez and Chihuahua (ai-Index: AMR 41/026/2003)
Mexico: Prisoners of conscience − indigenous environmental activists (ai-Index: AMR 41/051/2003)

Missionen

Im August reiste die Generalsekretärin von amnesty international, Irene Khan, nach Mexiko und führte dort Gespräche mit Präsident Fox und hochrangigen Regierungsbeamten. Im selben Monat hielt die Organisation ihre in zweijährigem Turnus stattfindende Internationale Ratstagung und eine Jugendkonferenz in Cocoyoc im Bundesstaat Morelos ab.

 Quelle:  
  http://www.amnesty.de/ 
 

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