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Streit um Zapatismus
Präsident Vicente Fox: »Zapatismus Sache der Vergangenheit« — Opposition diagnostiziert Realitätsverlust
graswurzel.net vom 01.02.2005 |
Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A. |
Die mexikanische Öffentlichkeit staunte nicht schlecht. Bei seinem jüngsten Besuch in Chiapas sagte Präsident Vicente Fox am 11. Januar 2005, dass »der Zapatismus praktisch eine Angelegenheit der Vergangenheit« sei. »Chiapas sagt ?Nein‚ zu der Politik der Waffen« − damit war die zapatistische Guerilla EZLN gemeint, die allerdings seit Mitte Januar 1994 keine gewaltsamen Aktivitäten mehr durchgeführt hat − »und ?Ja‚ zu den Waffen der Politik, des Dialogs, der Solidarität und der Harmonie.« Der ehemalige Coca-Cola-Manager fabulierte weiter: »Wir treffen auf ein Chiapas mit einem neuen Gesicht, das in die Zukunft schaut, sich modernisiert und Arbeitsplätze schafft. Ein Chiapas, dass auf eines der besten und komplettesten Gesundheitssysteme zählen wird.«
Die besser informierte Öffentlichkeit reagierte empört. Der chiapanekische Bischof Felipe Arizmendi monierte den ungeschickten, ungenauen und provokativen Charakter der äußerungen: »Der Zapatismus ist keineswegs tot. (...) wir sehen, dass die Zapatistas selbst nach Alternativen für eine gerechtere Gesellschaft suchen, nach einer angemesseneren Bildung und einer stärker kommunitären Organisation gemäß der eigenen Traditionen«, ergänzte der eher konservative Kirchenmann.
Luis Hernández Navarro, Leiter der Meinungsseite der Zeitung La Jornada, stellte klar, dass Fox die zapatistische Bewegung »genau in dem Moment als Angelegenheit der Vergangenheit bezeichnet, in dem sich das weltweite Interesse am Zapatismus an seinem höchsten Punkt befindet (...) und das rebellische Beispiel in anderen Regionen des Landes expandiert sowie seine Präsenz in den eigenen Gebieten festigt und ausweitet«.
Anhaltende Misere in Chiapas
Der Vorsitzende der Friedenskommission COCOPA, Bernardino Ramos, wies auf die Verkennung der Realitäten in Chiapas von über 20.000 Binnenflüchtlingen aufgrund des paramilitärischen Terrors hin. Kritische NGOs erinnerten an die Hunderttausenden ChiapanekInnen, die noch immer in extremer Armut leben, und an die zunehmende In-Wert-Setzung von indigenen Siedlungen zur Ressourcenausbeutung, die bis dato noch kaum vom kapitalistischen System durchdrungen sind und im Falle einer Realisierung dieser Biopiraterieprojekte von einer völligen Zerschlagung bedroht sind (vgl. GWR 295, Januar 2005).
Fox ließ dementieren, in dem Sinne, er habe nur den bewaffneten Zapatismus als eine Sache der Vergangenheit bezeichnen wollen. Doch es war zu spät, die Strategie, den Einfluss der zapatistischen Bewegung wegdiskutieren zu wollen, ging nicht auf.
Der Vorsitzende der parlamentarischen Indígena-Kommission, Javier Manzano Salazar, forderte von den politischen Akteuren des Landes, »sehr vorsichtig zu sein, denn man kann die Geschichte nicht mit einer Erklärung auslöschen. Die EZLN ist Teil der gegenwärtigen Geschichte. Man kann nicht davon sprechen, dass der Konflikt in Chiapas gelöst ist, wenn es Repression gibt, Paramilitärs, Einschüchterungen und Menschen, die keinen Platz zum Leben haben".
Außerparlamentarische Organisationen wiesen erneut darauf hin, dass die Erfüllung der Abkommen von San Andrés über die indigene Selbstverwaltung der beste Weg sei, die Konflikte in Chiapas und anderen Bundesstaaten zu lösen. Das »Netzwerk für den Frieden in Chiapas«, das aus 13 unabhängigen Organisationen besteht, erklärte: »Den Konflikt in Chiapas löst man nicht mit dem Bau von Fabriken für Pfannengerichte oder mit Entwicklungsprogrammen, die sich nur an die Parteiangehörigen der aktuellen Regierung richten. Noch weniger mit Plänen, die nur den internationalen Investoren nutzen und dabei die ökologischen, kulturellen, sozialen und menschenrechtlichen Schäden ignorieren.«
Dazu kommt, dass Chiapas noch immer ein hochmilitarisiertes Gebiet ist. Laut der Journalistin Gloria Muñoz konzentriert sich ca. ein Drittel des mexikanischen Heeres, 60.000 Soldaten, in einem Bundesstaat, in dem vier Millionen Menschen, d.h. rund 4% der mexikanischen Bevölkerung, leben. So groß ist offenbar die Angst der Eliten vor den emanzipatorischen Ideen der zapatistischen Bewegung und ähnlicher Gruppierungen wie z.B. den pazifistischen »Las Abejas« im Hochland von Chiapas.
Die gegenwärtige Praxis der Regierung, eine aus Zeiten der ehemaligen Staatspartei PRI wohlbekannte Mischung aus Paternalismus und Repression, löst die tiefen sozialen Ungleichheiten in Südmexiko keineswegs. Im Jahr fünf ihrer Amtszeit kann die Regierung Fox keine signifikanten Erfolge vorweisen. Es ist richtig, dass in Chiapas viel investiert wird − auch von Gouverneur Pablo Salazar -, allerdings höchst selektiv. Almosen und die weitere Verfolgung der neoliberalen Politik, von der naiven Hoffnung auf positive Effekte durch ausländische Investoren getrieben, können die strukturelle soziale Marginalisierung und die ökologische Zerstörung nicht eindämmen.
Quelle: graswurzelrevolution 296, Februar 2005
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