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Interview mit Mayor Insurgente Moisés, EZLN-Comandancia
Die Demokratie muss das Recht der Bevölkerung werden und das vereint uns. In diesem Zusammenhang müssen wir unsere Kämpfe miteinander verketten
News vom 23.03.2005 |
Mayor Moisés ist Mitglied in der Generalkommandantur des Klandestinen Revolutionären Indigenen Komitees (CCRI-CG) der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN). Das CCRI-CG wird von Indigenas aus zivilen Unterstützungsbasen besetzt, ist dem basisdemokratischen Prinzip des »gehorchenden Befehlens« verpflichtet und leitet die bewaffneten und unbewaffneten Teile der EZLN. Es arbeitet als Bindeglied zwischen der Bevölkerung und den in der EZLN organisierten Zapatistas.
Beim Interview im Caracol von La Realidad war auch die »Junta der Guten Regierung« des Caracoles »Hacia la Esperanza − In Richtung Hoffnung« anwesend. Die insgesamt fünf »Juntas« sind auf fünf Zonen in Chiapas verteilt, werden nach dem Rotationsprinzip mit Landkreisdelegierten besetzt und bilden die überregionalen Gremien der zapatistischen Selbstverwaltung der Gemeinden im Widerstand.
Frage: Was waren die Motive für die Gründung der Caracoles?
Ein wichtiger Punkt, der die Caracoles betrifft, hat mit den politischen Veränderungen auf dieser Welt zu tun. Um dies verständlicher zu machen, dazu ein Beispiel über das Internationale Rote Kreuz. Da gab es einen Fall in der Gemeinde San Jose del Rio, nur etwa 4 Stunden von hier entfernt, wo das Militär versuchte, in den Ort einzudringen. Die compas haben versucht ihnen zu sagen, dass ihre Präsenz im Ort nicht erwünscht sei, weil die Kinder sich fürchten würden. Die Soldaten begannen in die Luft zu schießen und die compas mussten sich zurückziehen. Letztlich nahm die Armee 20 compas mit. Die Gemeinde bat dann das Internationale Rote Kreuz IRK um Hilfe, das zurückfragte, warum man sie nicht 20 Tage vorher vom geplanten Angriff in Kenntnis gesetzt habe. Die compas antworteten, dass es keinen Angriff der EZLN gegeben habe und wollten wissen, wie man das IRK denn 20 Tage im voraus informieren könne, wenn jetzt die Bedrohungssituation bestehe? Da das IRK in diesem Fall nicht aktiv werden wollte, fragten wir zurück, ob sie denn nicht den Zivilisten in den Unterstützungsbasen helfen könnten, um Probleme wie Malaria und Tuberkulose, oder die ganzen Dinge wie Durchfall und Parasiten kurieren zu können. Dies lehnte das IRK mit dem Argument ab, die Gesetze erlaubten ihnen nur, in Gefechten verletzte Zivilisten zu versorgen. Wir antworteten verbittert, dass, wenn sie Verletzte haben wollten um zu intervenieren, sie uns doch bitte Waffen schicken sollten, um uns mit denen zu konfrontieren, die uns ausbeuten und mit Füßen treten, wenn sie meinen, dass nur so die Gesetzte erfüllt werden. Es sind andere Formen, wie man heute kämpft und Krieg führt und obwohl wir es nicht wollen, werden wir dazu gezwungen daran teilzunehmen. Als Botschaft gaben wir Ihnen mit in die Schweiz, dass der Krieg heute ein anderer ist als noch vor 20 oder 30 Jahren und man die Gesetze daran anpassen sollte.
ähnlich ist es mit den Aguascalientes, die vor 10 Jahren ans Licht der Öffentlichkeit traten. Wir sehen, dass ein Teil der Ziele, mit denen wir begannen, erreicht wurden. Man kennt uns, genauso wie wir unsere Schwestern und Brüder aus anderen Ländern kennen gelernt haben. Das, was wir jetzt zeigen wollen, ist die Praxis: d.h die Aguascalientes wurden für tot erklärt, damit Neues entsteht. Mag sein, dass es einen schmunzeln lässt, denn wie soll aus heißem Wasser ein Caracol − eine Schnecke − entstehen, denn das Wasser kocht und darin kann kein Leben entstehen. Trotzdem gibt es jetzt dort, wo vorher ein Aguascalientes war, ein Caracol. Aber warum Caracol? Ihr z.B. kommt hier an, seid hereingekommen und musstet einen weiten Weg zurücklegen, um hier im Zentrum des Caracoles anzukommen und mit uns zu sprechen. Danach müsst ihr die Schnecke wieder verlassen mit unserer Stimme, unserem Wort, den Ideen und dem Wissen von dem, was hier im Caracol entsteht, damit es überall weiterverbreitet wird. Im Caracol tritt zu Tage, warum wir kämpfen und gibt es einen Austausch von Erfahrungen. Das ist der Sinn des Caracols und deshalb haben wir unserer Erde diesen Namen gegeben.
Frage: Was sind denn die Projekte, mit denen die Caracoles in Zukunft weiterarbeiten wollen?
Es gibt zwei Ziele. Eines ist, wie wir es 2001 auf der Marcha sagten, die Botschaft dass wir weitermachen, mit oder ohne »ley indigena«. Denn was wir heute sehen, ist, dass der Dialog von Zedillo und Fox nicht ehrlich gemeint war. Genau deswegen sagen wir, dass wir − mit oder ohne »ley indigena« − mit dem Ausbau unserer Autonomie fortfahren. Aber logischerweise gefällt dies dem mexikanischen Staat nicht, da es seine Kontrolle über die mexikanische Bevölkerung schmälert und da wir aufdecken, auf welche Art und Weise das Volk an der Leine gehalten und bevormundet wird.
Das zweite Ziel ist, dass wir mit dem Kampf fortfahren werden. Wir werden uns der Bundesarmee nicht ergeben. Wir sind überzeugt von diesen zwei Dingen, den Kampf des Widerstandes zu führen und gleichzeitig die Selbstregierung voranzutreiben. Damit wollen wir Euch und allen Brüdern und Schwestern auf der Welt zeigen, dass wir niemanden töten wollen und auch nicht sterben wollen. Wir wollen zeigen, dass wir uns selbst regieren können.
Ein konkreter Schritt, mit dem wir anfangen, ist Produkte auszutauschen. Die compas im Hochland ernten z.B. nicht viel Mais, dafür wir hier in der Selva. Also fangen wir an zu tauschen, weil wir nicht den Mais aus den Staaten haben wollen. Auf diese Art und Weise wollen wir uns auch mit anderen indigenen Völkern in Guerrero, Oaxaca und Chihuahua vernetzen. Unser Ziel ist es, unsere natürlichen, nicht genetisch veränderten Nahrungsmittel aufzuteilen. Und natürlich wollen wir auch einen fairen Preis für unsere Produkte und das was wir kaufen. Deshalb wollen wir uns selbst regieren und unabhängig von dem sein, was die Regierung macht.
Frage: Seit fast 10 Jahren sind auch internationale MenschenrechtsbeobachterInnen in Chiapas und begleiten die Gemeinden. Welche Bedeutung hat heutzutage ihre Anwesenheit in den autonomen Gebieten?
Das wertvolle an der Anwesenheit der nationalen oder internationalen BeobachterInnen sind zwei Momente. Der eine ist in der Schlacht, von denen es zur Zeit keine gibt, dafür aber sehr viele Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen und Paramilitärs, die sich organisieren und unsere Gemeinden belästigen. Wenn das Militär selbst nicht provoziert, schicken sie andere Leute vor. Wenn wir dagegen eine Anzeige aufgeben, hat das keinen Sinn, aber wenn die BeobachterInnen da sind, hat dies ein ganz anderes Gewicht. Auch für uns Soldaten der EZLN ist es wichtig, dass uns jemand darauf aufmerksam macht, wenn wir die Menschenrechte nicht respektieren.
Mit internationaler Präsenz gibt es mehr Zeugen und man kann mehr Druck ausüben. Um ein Beispiel zu nennen: die meisten Gemeinden hier wussten vorher nicht, was Marihuana ist, aber durch die Präsenz des Militärs ist es Realität geworden. Einige unserer indigenen Brüder in den Gemeinden wurden vom Militär mit Geld bestochen, damit sie Marihuana anpflanzen. Das schafft Probleme innerhalb der Gemeinden. Ganz in der Nähe von hier haben wir einen halben Hektar Marihuana zerstört. Unsere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es Leute − keine Zapatistas − aus den Gemeinden waren, die sich vom Militär haben benutzen lassen. Mit den Beobachtern im Rücken haben unsere Aussagen mehr Gewicht und man kann mit größerer Sicherheit etwas sagen.
Frage: Wie beeinträchtigt heute die Militarisierung des Bundesstaates Chiapas und die Paramilitarisierung das Leben in den Gemeinden?
Sie betrifft uns auf eine erstaunende Art und Weise. Ich will Euch erzählen und aufklären, was in den Tagen, bevor das Jahr 2003 zu Ende ging, passierte. Ungefähr 10 Tage vor Neujahr begangen Soldaten in Zivil in unsere Gemeinden zu kommen, verkleidet als Händler, um zu schauen, was dort vor sich ging, etwas, was wir Spionage nennen. Als die Stunde des neuen Jahres immer näher rückte, begann das Militär Straßensperren auf der geteerten Strasse zu errichten, die von Comitan über Ixcan und Bonampak bis nach Palenque führt. Sie wollten Erklärungen von den Leuten, die dort auf der Straße unterwegs waren, was sie in ihren Rucksäcken trugen, wie sie heißen, wohin sie wollen und was sie dort machen. Ohne Respekt ergreifen sie Frauen und Männer, und natürlich nutzten diese Situation auch die Paramilitärs um zu provozieren. Wieder einmal begannen die Aufklärungsflüge der Flugzeuge über unseren Gemeinden, um zu zeigen, dass sie uns unter Kontrolle haben. ?Egal was ihr macht, auch wir sind da‚, das war, was sie uns zeigen wollten. In der vergangenen Zeit hat auch die Regierung bewiesen, was es mit der Kampagne der Aufstandsbekämpfung auf sich hat, denn es ist die Armee, die diese kontrolliert. Aufstandsbekämpfungsstrategie heißt, uns ein paar Wellbleche für unsere Dächer zu geben und, wie um zu sagen, dass die Regierung jetzt gut ist, sind es die Militärs, die die Aufgabe haben, dieses zu transportieren aber natürlich nicht in Uniformen, sondern als Zivilisten gekleidet. Sie selbst helfen bei der Montage der Dächer und haben so Zeit zum Observieren und Beobachten. Sie glauben, dass wir unser Wort vom 9. August 2003 in Oventic nicht halten, als wir ankündigten, dass wir die Straßensperren auflösen. Darum verkleiden sich die Soldaten als Chauffeure, um dies zu überprüfen, nur um festzustellen, dass es sie nicht mehr gibt. Zur gleichen Zeit nutzen sie die Gelegenheit, z.B. hier in der Gemeinde La Realidad, um am Eingang zum Caracol anzuhalten oder in der Mitte des Dorfes. Dann geben sie vor, sie würden etwas zu Essen suchen oder wollten sie etwas kaufen, um zu sehen was für Bewegungen es gibt und daraus ihre Analyse zu ziehen. Das machen sie sehr oft. Im Hochland und in der Gemeinde Roberto Barrios waren die Provokationen sehr viel direkter. Sie haben die Kontrolle über die Aufstandsbekämpfung und die, die auf ihrer Seite stehen, mit dem Effekt, dass es für uns schwierig ist, uns zu bewegen und zu arbeiten. So geht es jeden Tag.
Frage: Uns würde auch interessieren, ob es eine Verbindung zwischen Eurem Kampf und dem Kampf der Kleinbauern und Indígenas im Nachbarland Guatemala gibt, und wie die Beziehung zu den indigenen Maya-Brüdern dort aussieht?
Eine direkte Beziehung zwischen Organisationen gibt es nicht. Eine eher indirekte Beziehung zwischen unseren Völkern gibt es auf dem Niveau der Armut. Oder es kommt heute z.B. ein guatemaltekischer Bruder zu uns, um Kleidung und andere Waren zu verkaufen. Wenn wir uns treffen, gibt es natürlich immer einen freundlichen Austausch und wir haben keinerlei Probleme mit ihnen. Ob sie die Begegnungen als Beispiel ansehen, weiß ich nicht, dass ist ihre Sache. Sie haben die Freiheit, zu uns zu kommen und wieder zu gehen. Zum Teil sehen wir sie schon als Chiapaneken. Natürlich sehen wir auch ihren Kampf als beispielhaft an. Der Kampf von damals entstand aus derselben Ungerechtigkeit und Ungleichheit unter dem gleichen System. Und leider besteht diese Ungerechtigkeit, gegen die sie kämpften, weiter fort.
Frage: Zur Zeit läuft die Kampagne »20 und 10 − das Feuer und das Wort« in Mexiko, die von der Zeitschrift rebeldía und der zapatistischen Front FZLN initiiert wurde, aber von vielen anderen unabhängigen Organisationen und Kollektiven in ganz Mexiko mitgetragen wird. Es werden Filme gezeigt, das Buch von Gloria Muñoz wird vorgestellt und es gibt zahlreiche runde Tische zu Themen wie »Frauen und Zapatismus«, »Indígenas und Zapatismus« etc. Handelt es sich um einen weiteren Versuch, den »zapatistischen Samen« durch Veranstaltungen und Diskussionen im ganzen Land auszusäen?
Für uns ist das, was die compas der mexikanischen Zivilgesellschaft organisiert haben, sehr interessant. Auch unsere Brüder und Schwestern der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft suchen eine Form, wie sie versuchen können, die Idee jener Brüder und Schwestern zu vervollständigen, denen von der Regierung auf irgendeine Weise übel mitgespielt wird. Denn die Regierung lügt, sie demoralisiert, indem sie z.B. behauptet, dass der Sup Marcos bereits tot sei, dass ihm eine Granate in der Hand explodiert sei, dass er schon geflohen sei und sich in Europa aufhalte. Oder dass wir ihn seines Amtes enthoben hätten. Dass Comandante Tacho übernommen habe, nein, dass mit Tacho stimme auch wieder nicht, er habe sich nach Hause ins Privatleben zurückgezogen... solche Sachen. Wenn also dieses Denken der compañeros der rebeldía nach außen tritt und unsere Brüder zusammenruft, ohne jemanden zu bevorzugen, sehen wir, dass dies notwendig ist. Damit man dies weiter verbreitet und besser darüber aufklärt. Wir sehen darin keinerlei schlechte Sache. Es ist wahr − wir sagen den Brüdern und Schwestern der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft nicht, dass sie dieses oder jenes kopieren sollen, was wir machen. Denn die Situation ihrer Schule ist anders, die Situation in der Fabrik ist anders, ihre Arbeitssituation als Fahrer, ärzte, was auch immer. Hier müsste man eine Organisation innerhalb jedes Bereiches schaffen, in dem sie arbeiten. Aber man kann das, was wir machen, nicht einfach als Format nehmen. Vielleicht als generelle Idee, in dem Sinne, dass wir als ArbeiterInnen oder DienstleisterInnen wie LehrerInnen und MedizinerInnen respektiert werden müssen. Jeder muss die Form finden, wie er kämpfen wird. Wenn ich Arzt bin und die chirurgischen Werkzeuge nicht habe, kann ich meine Arbeit nicht machen. Wenn ich Lehrer bin und meine SchülerInnen unterernährt sind, werde ich nicht das erreichen können, was ich möchte. Daher müssen sich alle in ihrem Bereich organisieren. Also erscheint es uns in diesem Fall sehr gut, was die compañeros und compañeras der mexikanischen und internationalen Zivilgesellschaft tun. Und es wird dabei helfen zu verstehen, was unserer Kampf bedeutet. Für uns ist das willkommen!
Frage: Wie lautet Eure Botschaft für die sozialen Bewegungen in Deutschland?
Die Worte für unsere Brüder und Schwestern in Deutschland sind, dass wir in der Welt, wie wir sie heute vorfinden, nicht das neue System aus den Augen verlieren dürfen, in dem die armen Länder dieser Welt dominiert werden sollen und welches schon unter dem Namen neoliberal bekannt ist. Ich glaube, dass wir unsere Ideen und Gedanken vereinigen müssen, auch wenn wir in verschiedenen Ländern aber unter dem selben Gedanken kämpfen, ist die Frage, wie wir es schaffen, dass sie uns nicht besiegen, weil sie uns eine Sache aufdrücken wollen, die nicht den Völkern dieser Erde zu Gute kommt. Dafür ist es nicht unbedingt wichtig, dass wir uns physisch kennen lernen, aber verstehen, dass die Form, wie sie uns in den verschiedenen Regionen der Welt dominieren wollen, die gleiche ist. Heute z.B. versammeln sie sich in Monterrey in einem Treffen über die ALCA und dort planen sie, wie sie uns beherrschen wollen. Auch wenn es Regierungen vieler verschiedener Länder sind, wissen sie alle genau worum es geht. Es ist falsch, dass sie Regierungen des Volkes sind, denn ich glaube nicht, dass eine wahre Regierung erlauben würde, dass die Bevölkerung ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt wird. In Mexiko z.B. lehnen wir die Privatisierung des Stromsektors ab, aber Fox bleibt hart, damit er mit seiner Politik fortfahren kann. Sie finden immer wieder Vorwände, wie Herr Bush. Es mangelt an Freiheit und Gerechtigkeit. Die Demokratie muss das Recht der Bevölkerung werden und ich denke, das vereint uns, und in diesem Zusammenhang müssen wir unsere Kämpfe miteinander verketten. Das wären meine Worte.
Interview: Felix Koltermann und Luz Kerkeling, Ende Januar 2004
aus:
Koltermann, Felix: Chiapas y Guatemala, Widerstand und Menschenrechte. 13
Interviews einer politischen Reise durch Mittelamerika, 90 S., 2. Aufl. 2005
Kontakt: felix PUNKT koltermann (AT) gmx PUNKT de
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