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»Zapatour« in Tepoztlan

Momentaufnahme vom Marsch der aufständischen EZLN

Poonal vom 09.03.2001
Gerold Schmidt

  (Tepoztlan, März 2001, Poonal).- Die 100-jährige Maria Rojas hat ihren Humor behalten. "Vielleicht kommt ja Emiliano Zapata mit. Er war so hübsch", zwinkert sie mit den Augen. Die Nichte eines zapatistischen Oberst kannte den 1919 ermordeten mexikanischen Revolutionshelden noch persönlich. Bewusst spielt sie auf die Legende an, General Zapata sei nie gestorben und reite immer noch unerkannt durch Mexiko, um "Land und Freiheit" zu einzufordern. Doch an diesem Dienstag (6.3.) kommen diejenigen in Rojas Geburtsort Tepoztlan im Bundesstaat Morelos, die sich selbst zu den legitimen Erben des Revolutionärs zählen.

Tepoztlan ist eine der Stationen, die sich die 24-köpfige Delegation der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) auf ihrem Weg nach Mexico City ausgesucht hat. In der Hauptstadt wollen die 23 Indigena-Kommandanten und Kommandantinnen sowie ihre charismatische Stimme, der weiße Subcomandante Marcos, mit den Abgeordneten des mexikanischen Kongresses sprechen, um eine Verfassungs- und Gesetzesreform über die Kultur und die Rechte der Indigenas durchzusetzen. Das könnte ein wichtiger Schritt für ein späteres endgültiges Friedensabkommen mit der Regierung sein. Der Marsch für den Dialog, wie ihn die EZLN selbst nennt, ist in diesen Tagen das Thema Nummer eins in Mexiko. Sympathisanten wie Gegner der Aufständischen haben ihn zeitgemäß in "Zapatour" umgetauft.

Am 25. Februar zogen die Zapatisten aus ihrem Kerngebiet im südöstlichen Bundesstaat Chiapas los. Am 11. März soll der Marsch mit einer Massenveranstaltung vor dem Nationalpalast in der Hauptstadt enden. Aber für die Tepozteken ist der 6. März der wichtigste Tag. Nicht umsonst haben die Zapatisten den kleinen
32.000 Einwohner zählenden Landkreis Tepoztlan mit dem gleichnamigen Hauptort für einen Zwischenstopp mit Übernachtung ausgewählt. Hier können sie sich breiter Unterstützung sicher sein. Bürgermeister Lazaro Rodriguez spricht gegenüber Poonal von "Jubel" wegen des EZLN-Besuches. "Wir teilen dieselben Ideale. Hier in Tepoztlan kommen wir als Zapatisten auf die Welt." Rodriguez stand schon einmal an der Spitze der Kommune. Mitte 1995 jagte die aufgebrachte Bevölkerung den korrupten Bürgermeister von der damals noch das ganze Land regierenden Revolutionären Instiutionellen Partei (PRI) aus dem Amt. Er hatte hinter ihrem Rücken Gemeindegrundstücke für den Bau eines Golfplatzes verkauft. Ein Komitee der Tepoztekischen Einheit mit Rodriguez als Repräsentant probte zwei Jahre lang erfolgreich die Selbstverwaltung. Die öffentlichen Sicherheitskräfte wurden verbannt. Von staatlichen Finanzzuweisungen abgeschnitten erklärte sich Tepoztlan zum ersten freien autonomen Landkreis Mexikos.

Was die Idee von Selbstverwaltung, Kampf um gemeinsames Land und kollektives Handeln angeht, gibt es viele Berührungspunkte zwischen Tepozteken und Zapatisten. Gemeinsam ist ihnen auch die geringe Bedeutung, die sie den politischen Parteien beimessen. Zwar wird ab 1997 in Tepoztlan wieder offiziell nach Parteien gewählt, doch entscheidender sind andere Abstimmungsvorgänge, beispielsweise in den verschiedenen Stadtvierteln.

Es ist die organisierte zivile Gesellschaft, die den Marsch der EZLN begleitet. Wie an anderen Orten haben sich in Tepoztlan verschiedene Gruppen zum Teil seit zwei Monaten auf den Besuch vorbereitet. "Anfangs war die Beteiligung etwas schleppend", gibt Martin Rojas, Campesino und Pressesprecher der örtlichen Organisatoren, zu. "Erst in den letzten Tagen wurde die Stimmung euphorisch." Es gibt fünf Kommissionen: für Verpflegung, Gesundheit, Presse, Logistik und Sicherheit. So trägt die Taxi- Kooperative mit ihren Funkgeräten zum Sicherheitsystem während der EZLN-Präsenz bei. "Was uns ein bisschen Kopfzerbrechen bereitete", sagt Martin Rojas, "war die Verpflegung".

Denn die 24 unbewaffneten Zapatisten reisen nicht allein durch Mexiko. Ihr Bus ist nur der Mittelpunkt einer Karawane aus vielen Dutzend kleinen und großen Fahrzeugen. Und oft sind es weit über tausend Personen, die im Tross dabei sind, Essen und Unterkunft brauchen. Aber letztendlich ist das für die Tepozteken kein wirkliches Problem. Stadtviertel und Umlandgemeinden haben die Verantwortung dafür übernommen, dass niemand hungrig bleibt. Kurz vor der Ankunft der EZLN ist es schwierig, Stimmen im Ort zu finden, die sich offen gegen den Marsch der Zapatisten aussprechen. Zu ihnen gehört Rosa Monroy, Besitzerin einer kleinen Herberge. Dem Subcomandante Marcos gehe es wie Präsident Fox darum, "die Schafe hinter sich zu scharen". Die Zapatisten sollten ihre Wollmasken abnehmen, ihre Waffen verkaufen und ihre Felder bearbeiten." Der 22-jährige Jose Luis Carbajal, dessen Familie einen Zeitungskiosk gegenüber dem Rathaus betreibt, hält den scharfen Ton von Subcomandante Marcos für übertrieben. Jose Luis meint auch, der Marsch in die Hauptstadt sei zu sehr in die Länge gezogen. EZLN und die Regierung von Präsident Fox machten zuviel "Brimborium". Dennoch: "Ich stehe hinter den Foderungen der Zapatisten und unterstütze sie."

Kaum jemand rechnet damit, dass die Zapatisten pünktlich kommen. Tatsächlich sollten sie schon längst in Tepoztlan sein, als ihre Kundgebung in der Landeshauptstadt Cuernavaca erst anfängt. Nur die Journalisten treten sich stellenweise auf die Füße,

interviewen dieselben Leute und schreiben die Texte von den verschiedensten Transparenten ab, die am Rathaus und in dessen Nähe aufgehängt sind.

Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Ehe sich der vorgesehene Sicherheitskordon richtig bilden kann, steht der Bus mit den 24 Zapatisten schon im Stadtzentrum. "Marcos, Marcos"-Rufe hallen von allen Seiten her. Die vermummte Delegation winkt aus den Fenster. Der zuvor leere Platz vor dem Rathaus füllt sich innerhalb von Minuten. Es sind bei weitem nicht die 20.000 Menschen, die im Extremfall erwartet wurden, aber doch einige tausend. Für wenige Momente scheint den einheimischen Sicherheitsbeauftragten die Kontrolle zu entgleiten, der Bus wird umdrängt. Ein Attentat, über das es seit Beginn des Zapatistenmarsches immer wieder Gerüchte gegeben hat, wäre leicht möglich. Aber die Lage entspannt sich bald. Der Bus kann in die abgesperrte Zone gegenüber dem Rathausplatz einfahren und die Delegation besteigt das vorbereitete Podest.

Was folgt, hat sich in den vergangenen Tagen so ähnlich immer wieder abgespielt. Die Zeremonie wird mit dem Absingen der mexikanischen Nationalhymne eingeleitet, danach die Hymne der Zapatisten. Zuerst sprechen die einheimischen Autoritäten. Bürgermeister Rodriguez, selber ein Mestize, sagt einige Begrüßungsätze in der Indigena-Sprache Nahuatl und redet dann weiter auf Spanisch über die gemeinsamen Anliegen. Doch dann kommt Unruhe in der Menge auf. Man will die Zapatisten hören, vor allen Dingen den Subcomandante Marcos.

Es sind die Kommandanten Omar und Isais, denen trotz ihres mühsamen Spanisch wieder aufmerksam zugehört wird. Omar erklärt, warum die Gesetzesänderungen über die Rechte und Kultur der Indigenas den Zapatisten so wichtig sind. Er fordert Respekt vor der kollektiven Organisationsweise der Indigenas. "Wir wollen nicht besser, nicht schlechter sein, sondern anders." Isais wirft Präsident Fox vor, mit seinen Vorstellungen von Frieden, letztendlich die Indigenas doch wieder betrügen zu wollen. "Keine Almosen, sondern unsere Rechte als Mexikaner", fordert er. Wenn bei der indigenen EZLN-Führung die Authentizität beeindruckt, so ist es bei Subcomandante Marcos die Eloquenz. Sich seiner Wirkung bewusst, tritt er zumeist als letzter Redner auf, auch in Tepoztlan. Doch diesmal warnt er vor dem Personenkult. "Marcos existiert nicht", sagt Marcos. "Er ist ein Schatten, der Rahmen eines Fensters." Hinter ihm und den Kommandanten, "meinen Chefs" seien die Indigena-Völker zu sehen und "die ganze Situation von Ungerechtigkeit, Armut und Elend".

Der Marsch der Zapatisten zwingt ganz Mexiko, sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinander zu setzen. Hunderttausende haben die Karawane vor Ort mit erlebt, Millionen über die verschiedenen Medien. Wie langfristig die Auswirkungen dieser Aufstandsbewegung sind, welche Verständigungsmöglichkeiten es letztendlich mit der Regierung gibt, ist noch völlig unklar. "Was passiert, wenn die Zapatisten wieder weg sind?, fragte eine der Rednerinnen in Tepoztlan. Darauf weiß niemand eine Antwort.


Quelle: poonal
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