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Was haben die Zapatisten erreicht?

News vom 25.01.2008
von Immanuel Wallerstein

  Am 1. Januar 1994 führte die Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), gemeinhin Zapatisten genannt, in San Cristobal de las Casas einen Aufstand im mexikanischen Bundesstaat Chiapas an. Knapp 14 Jahre später von 13. bis 17 Dezember 2007 organisierte die EZLN ein internationales Kolloquium mit dem Thema "Planet Erde ? Bewegungen gegen das ?System"", eine Art Inventur der erreichten Ziele, sowohl lokal als auch global. Ich nahm gemeinsam mit anderen Aktivisten und Intellektuellen an diesem Kolloquium teil. Im Lauf des Kolloquiums hielt Subkommandante Marcos sechs Referate, die man im Internet nachlesen kann.

Was haben die Zapatisten erreicht und was sind die Zukunftsaussichten der Bewegungen gegen das ?System" in Chiapas und in der Welt, fragten sich alle, und auch Marcos.

Die Antwort ist nicht ganz einfach. Beginnen wir die Geschichte mit dem
1. Januar 1994. Man wählte diesen Tag, um den Aufstand anzufachen, weil es der Tag war, an dem das NAFTA (das Nordamerikanische Freihandelsabkommen) in Kraft trat. Der Slogan des Tages war ¡Ya basta! (Jetzt reicht’s). Von Anfang an sagten die Zapatisten, dass der Protest der letzten fünfhundert Jahre gegen Ungerechtigkeit, Demütigung und für Autonomie heute in organischer Verbindung steht mit dem weltweiten Kampf gegen Neo-Liberalismus und Imperialismus, von dem NAFTA sowohl ein Teil als auch ein Symbol ist. Lasst uns nicht vergessen, Chiapas ist wahrscheinlich die ärmste Region von Mexiko. Die Bevölkerung besteht überwiegend aus indigenen Völkern. Der erste katholische Bischof von Chiapas war Bartolomé de Las Casas. Dieser Dominikaner-Pater des 16. Jahrhunderts weihte sein Leben der energischen Verteidigung der Gleichberechtigung für die Indigenen (gegen die kirchliche Hierarchie und die spanische Krone). Seit den Tagen von Las Casas bis 1994 erlebten die Indigenen nie, dass ihnen diese Gleichberechtigung gewährt wurde. Die EZLN entschied sich für andere Methoden. Hatten sie damit mehr Erfolg?

Wir sollten die Erfolge dieser Bewegung in drei Bereichen untersuchen: In Mexiko, im globalen System und in der Theorie der Bewegungen gegen das ?System".

Zuerst Mexiko: Die Taktik des bewaffneten Aufstands wurde nach ca. drei Monaten aufgegeben und nicht mehr aufgenommen. Und man ist sicher, dass diese Taktik nicht mehr aufgenommen wird, solange weder die mexikanische Armee noch rechte Paramilitärs die autonomen Gemeinden der Zapatisten aggressiv angreifen. Allerdings wurde das Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung von Mexiko, das Übereinkommen von San Andrés, das die Autonomie der indigenen Gemeinden anerkennt, von der Regierung nie umgesetzt.

2001 marschierten die Zapatisten friedlich quer durch Mexiko nach Mexiko City. Sie hofften, damit den Kongress zu zwingen, die wesentlichen Punkte des Abkommens gesetzlich festzuschreiben. Der Marsch war eine Sensation, aber der Kongress tat nichts. 2005 starteten die Zapatisten "die andere Kampagne". Sie wollten eine Allianz der Zapatisten mit anderen Gruppen in anderen Provinzen mit ähnlichen Problemen schmieden. Auch das war eine Sensation, aber die Politik der mexikanischen Regierung änderte sich nicht.

2006 lehnten die Zapatisten jede Unterstützung des linken Präsidentschafts-Kandidaten Andrés Manuel López Obrador ab. Er trat in einer knappen Wahl gegen den stock-konservativen Favoriten Felipe Calderón an. Das verursachte eine starke Kontroverse zwischen den Zapatisten und ihren Sympathisanten in Mexiko und im Rest der Welt. Viele von ihnen glaubten, dass das López Obrador den Wahlsieg gekostet hatte. Die Position der Zapatisten war immer, dass sich Wahltaktik nicht lohnt. Die Zapatisten stehen allen linken Präsidenten Latein-Amerikas kritisch gegenüber, von Lula in Brasilien bis Chávez in Venezuela. Sie sind der Ansicht, dass sie alle von oben nach unten regieren und nichts Wesentliches für die unterdrückten Mehrheiten verändern. Die einzige Regierung, mit der die Zapatisten sympathisieren, ist jene von Kuba. Sie halten diese Regierung für die einzige wirklich anti-kapitalistische.

Anderseits haben die Zapatisten de facto autonome Gemeinden geschaffen, die gut funktionieren, obwohl sie ständig von der Armee gequält und schikaniert werden. Ihre politische Hartnäckigkeit und Raffinesse ist beeindruckend. Aber können sie sich damit behaupten, solange sich die Politik in Mexiko nicht ändert? Können sie dem Druck gegen ihre Landrechte standhalten? Diese Frage ist noch nicht gelöst.

Das Bild auf der globalen Ebene ist etwas differenzierter. Es ist keine Frage, dass der Aufstand der Zapatisten von 1994 weltweit eine starke Inspiration für alle Bewegungen gegen das ?System" war. Es war auch ein Wendepunkt in dem Prozess, der 1999 zu den Demonstrationen in Seattle führte, welche die Konferenz der Welthandels-Organisation (WTO) zum Scheitern brachten. Davon hat sich die WTO bis heute nicht wirklich erholt. Wenn die WTO heute am stockenden Nord-Süd-Dialog kränkelt, dann haben die Zapatisten einiges dazu beigetragen.

Die Ereignisse von Seattle führten in der Folge zur Gründung des Welt-Sozial-Forums (WSF). Dieses wurde zum wichtigsten Netzwerk der Bewegungen gegen das ?System" in der ganzen Welt. Auch wenn die Zapatisten nie an einem WSF teilnahmen ? sie gelten technisch als bewaffnete Kraft ? sind sie eine Symbolfigur innerhalb des WSF geworden, eine Art Kraft der Inspiration.

Von Anfang an haben die Zapatisten gesagt, dass ihre Ziele und Probleme weltweiter Natur sind − sie sagen intergalaktisch. Sie boten Unterstützung für Bewegungen überall auf der Welt und sie suchten aktiv nach Unterstützung von überall her. Sie waren dabei sehr erfolgreich. Wenn in letzter Zeit die weltweite Unterstützung ermüdet ist, so war das Kolloquium vom Dezember 2007 ein Versuch, die alten Allianzen wieder zu beleben.

Auf verschiedene Art leisteten die Zapatisten wichtige ? aber auch umstrittene − Beiträge auf theoretischem Gebiet. Es ist bemerkenswert, dass Marcos im Dezember das erste seiner sechs Referate der Wichtigkeit der Theorie in den Sozialwissenschaften widmete. Was haben die Zapatisten zur Analyse der Welt zu sagen?

Als erstes betonen sie, dass der Fehler der Welt von heute ist, dass es eine kapitalistische Welt ist, und um das zu ändern bedarf es eines echten Kampfes. Sicher sind die Zapatisten nicht die ersten, die das fordern, also was haben sie dem hinzuzufügen? Sie sind Teil einer Post-68er-Sichtweise. Sie erkennen, dass die Analyse der Alten Linken zu eng war, den sie schienen sich auf die Probleme und Kämpfe des städtischen Industrie-Proletariats zu beschränken. Marcos widmete ein ganzes Referat den Kämpfen der Frauen um ihre Rechte. Ein anderes Referat widmete er der wichtigen Bedeutung der Kontrolle des Grund und Bodens durch die Landarbeiter der Welt.

Und sehr wichtig, Marcos verwies in mehreren Referaten auf das Thema "Weder Mitte noch Peripherie". Er lehnt es ab, Prioritäten für das eine oder das andere zu setzen, weder in Bezug auf die Macht noch in der intellektuellen Analyse. Die Zapatisten behaupten, dass der Kampf jeder unterdrückten Gruppe um ihre Rechte gleich wichtig ist, und dass jeder Kampf zu jeder Zeit an jedem Ort zugleich geführt werden muss.

Sie fordern auch, dass die Bewegungen intern demokratisch organisiert sein müssen. Ihr Slogan ist "mandar obedeciendo," man könnte das übersetzen mit: "Führe, indem du der Stimme und den Wünschen derer gehorchst, die du führst". Das ist leichter gesagt als getan, aber es ist ein Aufschrei gegen die historisch vertikalen Strukturen linker Bewegungen. Das führt bei ihnen zu einen "Horizontalismus" in den Beziehungen zwischen verschiedenen Bewegungen. Einige ihrer Anhänger sagen, dass sie niemals Regierungsgewalt übernehmen wollten. Während sie zutiefst skeptisch sind, Regierungsgewalt nach dem Schema ?das kleinere Über" zu übernehmen. So sind sie doch bereit, Ausnahmen zu machen, wie im Falle von Kuba.

War der Aufstand der Zapatisten ein Erfolg? Die einzige Antwort ist die, die Zhou Enlai gegeben haben soll auf die Frage "Was halten Sie von der französischen Revolution?" Antwort: "Es ist noch zu früh, um das zu entscheiden".

Quelle: Kommentar Nr. 224, 1. Januar 2008, http://fbc.binghamton.edu/224en.htm

Übersetzung. Herbert Kaser, http://coorditrad.org aus:
SiG 64 (22.01.2008): http://sandimgetriebe.attac.at/6219.html

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