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Polizeiüberfall auf Cruztón

Bericht einer Menschenrechtsbeobachterin

Peace Watch Switzerland vom 06.05.2008

  Ein aktueller Menschenrechtsbeobachtungs-Bericht aus Cruztón, wo bei einem frühmorgendlichen Überfall zahlreiche Polizeieinheiten versuchten, Verhaftungen vorzunehmen, daran aber von den Frauen der Gemeinde gehindert wurden.


Cruztón - oder Wachposten, Gemüse und starke Frauen

K. G., 5.5.2008

Meinen zweiten Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin verbrachte ich vom
15. bis zum 30. April in Cruztón. Das Dorf liegt ca. zwei Stunden südlich von San Cristobal im Bezirk Venustiano Carranza, ein wenig in den Hügeln, die jetzt zwar noch braun sind, bald aber ganz grün sein werden, denn die Regenzeit hat gerade eben begonnen.

Die Leute dort kämpfen, wie viele Bauern in Chiapas, für ihr Land, allerdings ist ihre Geschichte, meiner Ansicht nach, speziell kompliziert. Das Land, auf dem sie leben, gehörte mal zu einem Grossgrundbesitz, auf dem ihre Väter und Grossväter zu minimalen Löhnen wie Sklaven gearbeitet haben. 1988 dann vermachte ihnen der Grossgrundbesitzer, quasi als Entschädigung für all die Arbeit, die sie und ihre Vorfahren geleistet haben, einen Teil des Landes, damit sie darauf leben und ihre Nahrung pflanzen konnten. Allerdings hat die Regierung dann das Land im Jahr 1994 einer anderen Gruppe von Leuten aus den umliegenden Gemeinden zugesprochen. Die Bewohner von Cruzton sprachen bei der Regierung vor und sagten das Land gehöre aber ihnen, und man hat sie immer wieder auf ein anderes Datum vertröstet, um das Problem zu lösen. Schlussendlich wurde ihnen gesagt, dass ihnen nicht das fruchtbare Land, sondern ein Teil des felsigen Hügels gehöre.

"Wie ist das möglich", sagten sie, "der Grossgrundbesitzer hat uns das fruchtbare Land vermacht. Entweder hat er uns betrogen, oder er hat die Regierung betrogen, und das Land zweimal verkauft." Nach Jahren des vergeblichen Kampfes beschlossen sie dann am 5. Mai 2007 das Land, das ihrer Meinung nach ihnen zugesteht, zu besetzen. Sie begannen Verhandlungen mit der Regierung und mit den Leuten der anderen Gruppe um das Problem zu lösen, aber nach wie vor ist kein befriedigendes Resultat vorhanden. Die Regierung hat ihnen angeboten, ihnen anderes Land zu kaufen, aber für sie ist es nicht möglich an einem Ort zu arbeiten, der viele Stunden von ihrem Dorf weg liegt. Das grosse Problem der Verhandlungen ist, dass allem Anschein nach die der anderen Bauerngruppe die Regierung bestochen hat, damit sie ihnen das Land zuspechen. Um ihr Land zu schützen stellen die Leute von Cruzton Wachtposten auf an drei strategischen Stellen im Dorf und halten dort 24 Stunden pro Tag Wache, ein riesiger Aufwand.

Unsere Aufgabe bestand nun in dieser neu von Freiwilligen begleiteten Gemeinde darin, ebenfalls Präsenz zu markieren, allerdings nur während des Tages. Unser "Wachtposten" ist auf einem Fleck Land auf dem es Wasser hat, und so haben sie dort Gemüse angebaut, Kohl, Salat, Radieschen, Früchte, Mais, was man sich wünschen kann. Den ganzen Tag verbrachten wir also dort mit zwei Männern aus dem Dorf. Jeden Tag waren es andere, und so hatten wir ganz viel Zeit, um mit allen Leuten aus dem Dorf zu reden. Sie waren alle super lieb und haben uns viel aus ihrem Leben erzählt, und das besteht vorallem aus Arbeit. Das Land sei fruchtbar, sagen sie, aber die Hügel sind steil und steinig, und alles wird von Hand bestellt.

In der Zeit, in der wir da waren, haben sie die Felder gerodet um sie für die Saat des Maises im Mai vorzubereiten. Gerodet wird vorallem mit der Machete, und was brennbar ist wird schliesslich noch verbrannt. Eine riesige Arbeit. Es hat mich sehr beeindruckt zu sehen wie viel man eigentlich arbeiten muss, nur um essen zu können. Und so sprachen wir dann auch viel über Essen. Was man wie am besten kocht, z.b. Gürteltiere, fliegende Ameisen und riesige Würmer, aber auch unzählige Kräuter und Pflanzen die ich in meinem Leben vorher noch nicht gesehen hatte. Auch kochten wir auf dem Holzfeuer, und die Männer freuten sich immer, wenn wir unser Essen mit ihnen teilten. Im Gegenzug durften wir dann auch von ihrem Essen probieren, das ihnen die Frauen zweimal am Tag vorbeibrachten. So erlebten wir eine wunderschöne Zeit.

Leider aber wurde diese Idylle am letzten Sonntag unseres Aufenthalts schwer getrübt. Um 5 Uhr Morgens erwachten wir, es gab ein lautes Geschrei war im Dorf. Wir schauten aus dem Fenster und sahen bewaffnete Männer (die Polizei), die im Dorf die Türen eintraten und in die Häuser eindrangen. Wir blieben auf Geheiss der Dorfbevölkerung in unserem Haus und beobachteten alles nur vom Fenster aus, aber erschrocken sind wir alle trotzdem. Es stellte sich später, als wir mit den Dorfbewohnern sprachen heraus, dass die Polizei und einige der Zivilpersonen der anderen Gruppe, die das Land beanspruchen, ins Dorf eindrangen und in den Häusern nach den Männern suchten um sie zu verhaften.

Zum Glück wurde das Dorf von Nachbarn gewarnt und so versteckten sich die Männer in den umliegenden Hügeln. Die Frauen und Kinder blieben im Dorf zurück um es zu verteidigen. Die Polizei hatte keine Haftbefehle oder sonstige Papiere, doch sie durchsuchte alles und verhaftete 6 Männer, die nicht fliehen konnten. Aber sie hatten nicht mit den Frauen gerechnet. Diese taten sich zusammen und stellten sich der Polizei in den Weg, die mit grossen Gewehren bewaffnet war. Die Frauen erkannten einen der Zivilisten, der mit der Polizei mitgekommen war, als einen aus einem benachbarten Dorf, und hielten ihn fest. Sie sagten sie würden den Mann erst freilassen wenn ihre Männer auch freigelassen würden. Es war unglaublich zu sehen wie viel Energie und Mut die Frauen hatten. Ich glaube ich werde dieses Bild ein lebenlang nicht vergessen. Unbewaffnete Frauen die schreiend hinter den Polizisten mit ihren riesigen Gewehren herrennen und die Freiheit ihrer Männer fordern. Diese Kraft die von ihnen ausging, und diesen Mut, und auch diese einige Entschlossenheit. Ich glaube in diesem Moment habe ich begriffen was man meint wenn man sagt: "los pueblos unidos jamás seran vencidos".

Erst später haben wir erfahren, dass die Polizisten den Frauen den Gewehrlauf an den Kopf gehalten haben, und dass die Frauen ihnen geantwortet haben:"Schiesst nur, wenn ihr wollt. Eines Tages müssen wir sowieso sterben, und wenn schon, dann sterben wir hier wenigstens für die Freiheit unseres Volkes." Ich habe solche Sachen ja auch schon gelesen oder in Dokumentafilmen gesehen, aber es mit eigenen Augen zu sehen ist etwas anderes, und es hat mich sehr, sehr beeindruckt!

Schlussendlich, und auf Grund der Aktion der Frauen, wurden alle Männer freigelassen und die Polizei und die Zivilisten verliessen das Dorf unverrichteter Dinge. Nun, sie hinterliessen ein riesen Chaos in den Häusern, hatten mehrere Türen eingetretten, und auch mehr als 1000 Franken Bargeld gestohlen. Zudem haben sie allen einen gehörigen Schrecken eingejagt. Mir taten vorallem die Kinder leid. Man stelle sich vor, man schläft und eine Horde bewafneter Männer kommt ins Haus und fragt wo der Vater sei!

Am späteren Morgen kamen dann Mitarbeiter des Menschenrechtszentrum Frayba um alles zu dokumentieren. Es wurde eine Pressemitteilung verfasst in der genau festgehalten wurde, dass die Polizei illegal ins Dorf und in die Häuser eingedrungen ist. Später hat die Regierung gesagt, dass sie von all dem nichts gewusst hatten und dass die Polizisten auf eigene Faust gehandelt hätten. Ich hoffe allerdings, dass sie damit nicht durchkommen werden, und dass die ganze Sache ein Nachspiel hat. Es ist ja in der Zeitung zu lesen, dass die Polizei und die Regierung völlig willkürlich und gegen die Gesetze handelt, aber das mal mit eigenen Augen zu sehen ist etwas anderes. Zum Glück gibt es in dem Dorf einen starken Zusammenhalt und gemeinsam konnten sie sich zur Wehr setzen. Und jetzt sind sie um so mehr entschlossen ihre Rechte und ihr Land zu verteidigen.

Das waren sie also, meine Erlebnisse in Cruztón, die mich zu tiefst beeindruckt haben, und die ich sicher ein Leben lang nicht vergessen werde.


Hintergrundinfos zum Konflikt in Cruztón siehe Jornada sowie Communiqué der Gemeinde Cruzton und der JBG Oventik (In Cruztón sind 28 Familien in der otra campana organisiert, zwei Familien sind base de apoyo zapatista, 14 Familien in der PAN):

Von Enlacezapatista
Von Frayba

Weitere aktuelle Einsatzberichte auf www.peacewatch.ch


Philipp Gerber
Peace Watch Switzerland
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