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Die paramilitärische Bande Los Aguilares hat freie Hand in Chilón

La Jornada vom 24.09.2002
Hermann Bellinghausen
übersetzt von Dana

 

Die ehemaligen Drogenhändler wurden zu Paramilitärs
die Bevölkerung sagt aus, dass die Regierung schon lange Kenntnis von dieser Gruppe hat

(Dieser Artikel von Hermann Bellinghausen gibt einen Überblick über die Aktivitäten der paramilitärischen Gruppen in der Zona Norte von Chiapas und konrastiert die Meinung der chiapanekischen Bundesregierung, es gäbe keine Paramilitärs, mit Beispielen der Aktionen einer dieser Gruppen, den Aguilares. Weitere Aussagen zu den Aguilares, welche wir von Menschenrechts-Beobachtern vor Ort erhalten haben, sind in eckigen Klammern hinzugefügt.)

La Jornada. Chiapas, 21. September. Die Aguilares, eine Bande, die seit beinahe zehn Jahren traurige Berühmtheit erlangte durch ihren Terror in der nördlichen Region des Bezirks Chilón, hält sich ungestört in ihren Häusern in K’anakil auf. Die Tzeltal-Indigenen der Gegend berichten, dass die Bandenmitglieder in den Bergen täglich Schiessübungen machen. Dabei werden sie von "Personen begleitet, die wir nicht kennen", sagen die Einheimischen. Die Aguilares wie auch ihre Besucher tragen ständig Waffen. "Darum denken wir, dass sie zu Paramilitärs wurden. Seit langem weiss die Regierung, dass diese Bande existiert, aber ohne etwas gegen sie zu unternehmen", meint ein Mann aus der Gemeinde.

In K’anakil gibt es immer noch den "planton", eine Wache, die seit dem 26. August von den der zapatistischen Unterstützungsbasis aus sieben autonomen Bezirken organisiert wird, um die Bestrafung der Aguilares zu verlangen. Diese töteten am 25. August den Indigenen Antonio Mejía, ohne dass bisher die Polizei gewagt hat, die Mörder zu verhaften.

Die Straflosigkeit in dieser Region hat eine lange Geschichte: Bereits zehn Personen wurden seit 1994 von dieser Bande umgebracht, einige Leichen wurden niemals gefunden. Sebastián Aguilar, der Chef der Familienbande, verbrachte zwar 1997 und 98 acht Monate im Gefängnis. Dies jedoch nur, um nachher mit reingewaschener Weste erneut seinen kriminellen Tätigkeiten nachgehen zu können. Neu richtete er gar eine "Ausgangssperre" ab 17 Uhr in der Umgebung von K’anakil ein.

[Laut Aussagen von BeobachterInnen des Zivilen Friedenscamps haben die BewohnerInnen der Gegend mehr Tote zu beklagen; weitere zwanzig wurden im Verlauf der Jahre aus Angst vor Repressalien nicht bei der Polizei gemeldet. Die Angehörigen dieser Opfer beklagten ihre Toten anlässlich der Visite der Beobachterkarawane, welche in das Dorf K’anakil fuhr, um die Bergung der entstellten Leiche von Antonio Mejía zu ermöglichen. Diese lag zwei Tage in einem Maisfeld, und die Angehörigen, welche den Toten zu bergen versuchten, wurden von den Paramilitärs beschossen].

Es ist bekannt, dass die Aguilares auch Entführer und Drogenhändler sind und dass einige Mitglieder der Bande kokainsüchtig sind. Sie haben auch viele Leute gewaltsam von Ländereien vertrieben, die der Gemeinde gehörten. Die BewohnerInnen vermuten, dass die von den Aguilar-Brüdern besetzten Ländereien für den Anbau von Drogen benutzt werden. Da die Ermordung des Zapatisten eine grössere Aufmerksamkeit als die früheren Opfer der Bande verursachte und sogar ein ziviles Friedenscamp mit Menschenrechts-BeobachterInnen eingerichtet wurde, haben sich die Aguilares in ein einziges Haus zurückgezogen. Die Brüder von Sebastián verliessen ihre Häuser, welche ungefähr 200 Meter von ihrem momentanen Fluchtort entfernt liegen.

Am 28. August "versuchte" eine Polizeiabteilung die Aguilares zu verhaften, aber die Polizisten wagten es nicht einmal, sich ihrem Haus zu nähern. Seither wurden sie nicht mehr von der Polizei aufgesucht, trotz der Anzeigen aller umliegenden Gemeinden.

[Die kleine Gemeinde K’anakil ist in 15 namentlich bekannte Paramiliärs und in etwa gleichviele zapatistische Familien gespalten. Die Häuser der beiden Parteien liegen wie geschildert nur einen Steinwurf auseinander. Die zapatistischen Familien haben im Haus des ermordeten Gemeindevorstandes Zuflucht gesucht; nur in Begleitung von zwanzig, dreissig Compas der Wache gehen sie ab und zu in ihre umliegenden Häuser, um zu schauen, ob noch alles vorhanden ist. Dieselbe Begleitung ist auch nötig, um den Mais auf dem Feld zu ernten. Ob die Kaffee-Ernte im weiter entfernten "cafetal" möglich sein wird, ist im Moment offen.]

Andauernde Straflosigkeit

Sebastián, Oscar, Efraín und Nicolás Aguilar waren das, was man Insiders nennt; der Erstere gehörte der mexikanischen Bundesarmee an und die anderen drei der Polizeieinheit "Seguridad Pública". Seit vielen Jahren besitzen sie schwere Waffen. Antonio Mejía, der Gemeindeverantwortlicher von K’anakil war, wurde mit Schüssen aus einer R-15 zum Schweigen gebracht.

Die Zeitung "La Jornada" konnte zwar mit keinem Vertreter des autonomen Bezirksrates sprechen, aber alle indigenen Gesprächspartner wussten bestens über die Delinquenten Bescheid und sprachen ungewohnt offen über sie. Ein Mann eines Nachbarbezirks, der an der Wache teilnahm, sagt: "Unsere Gemeindevorsteher denunzierten die Vorfälle, aber die Regierung bleibt passiv und die Paramilitärs sind weiterhin präsent". "Und warum nennt ihr sie Paramilitärs? Die Regierung und die PRI behaupten, dass es sich um eine normale Verbrecherbande handle", fragt der Reporter. "Am Morgen gehen sie in die Berge, kehren nachmittags zurück und nachts gehen sie wieder hoch. Oft geben sie aus ihren schweren Waffen Schüsse ab", schildert gleichmütig der Mann, der von zwei Frauen in Tzeltal-Tracht begleitet wird, welche das Feuer wenige Meter neben der Wache hüten.

"Während der Nacht nähern sie sich unserer Wache mit ihren Taschenlampen bis auf 500 Meter an. Mit ihnen kommen Leute von auswärts, welche wir nicht kennen. Diese sind ebenfalls bewaffnet. Deshalb glauben wir, dass sie Paramilitärs wurden", fügt der Bauer hinzu.

Es ist bemerkenswert, dass die Aguilares in ihrem "Territorium" so ruhig bleiben können, gleichzeitig jedoch die Polizei- und Militärpatrouillen im vielen Gemeinden des autonomen Bezirks Olga Isabel zunehmen. Dies seit Juli, als die autonomen Indigenen gegen ein Strassenprojekt der Regierung protestierten und dieses vorläufig sistiert wurde. Seither halten die Zapatistas in der Gemeinde Nuevo Centro de Población Muculum ebenfalls eine Wache aufrecht, an welcher täglich Soldaten und Polizisten auf dem Weg zwischen Bachajón und Chilón vorbeifahren.

[Auch an diesem Brennpunkt der Auseinandersetzungen haben die zapatistischen BewohnerInnen internationale BeobachterInnen angefordert; bisher ohne Erfolg, da zu wenige BeobachterInnen zur Verfügung stehen. Die zapatistische Wache wird auch hier im Rotationsprinzip von sieben autonomen Bezirken organisiert, welche jeweils mehrere Compas für einige Tage Wachdienst zur Verfügung stellen. Die Leute nehmen dabei eine umständliche und teure Anreise auf sich.]

In K’anakil werden die Aguilares von zapatistischen Nachbarn als PRI-Anhänger bezeichnet, aber in Wirklichkeit haben diese keine soziale Basis, sie werden in keiner Gemeinde unterstützt. Alles weist darauf hin, dass sie sich mit der PRI identifizieren, weil dies ihren eigenen Interessen entgegenkommt. Ein anderer, älterer Mann, sagt später: "Sie waren keine Paramilitärs, bloss einfache Diebe, aber jetzt entwickeln sie sich zu Paramilitärs".

Der Angriff auf Antonio Mejía, der schon Monate vorher bedroht wurde, und die neuen Feindseligkeiten gegen den autonomen Bezirk dienen möglicherweise in erster Linie auch der Durchsetzung ihrer verbrecherischen Interessen und weniger der Aufstandsbekämpfung. Dennoch befürchten die Indigenas, dass die Bande der Aguilares nun auch zur Aufstandsbekämpfung benützt wird.

Die offizielle Version

Die Paramilitärs existieren nicht, wiederholte gestern der chiapanekische Gouverneur Pablo Salazar Mendiguchía wie auch der Staatsanwalt Mariano Herrán Salvatti. Aber die Mehrheit der Bevölkerung im Norden des Bundesstaates und in dem lakandonischen Urwald ist vom Gegenteil überzeugt. Sowohl die Unterstützungsbasis der ZapatistInnen wie auch die Mitglieder von unabhängigen Organisationen, die Campesino-Koalitionen wie der COAO, die Parteigänger der PRD und die Zivilgesellschaft in den Regionen der Chol- und der Tzeltal-Indigenen (welche momentan die Regierung Salazar in Ocosingo sowie in den nördlichen Bezirken Tila, Sabanilla, Tumbalá, Chilón und Palenque unterstützen) haben neuerdings wieder die Existenz und die Aktivitäten der paramilitärischen Gruppen zu denunzieren begonnen.

Der Fall der Aguilares entspricht sicher nicht der üblichen Definition der "Paramilitärs". Laut dem Gouverneur bezieht sich der Begriff auf bewaffnete Gruppen von Zivilisten, welche per "Finanzierung, Schutz und Straflosigkeit" die Rückendeckung des Staates haben. Gut, bisher können die Aguilares zumindest mit letzterem rechnen, was nicht wenig ist.

Fügen die Mörder von Antonio Mejía dem Krieg niederer Intensität eine Variante des Bandenkrieges bei? Oder war ihr Verbrechen gegen die Zapatisten purer Zufall? Dieselbe Rolle spielen die bewaffneten Zivilisten von Los Platanos (im Bezirk mit dem offiziellen Namen El Bosque), eine weitere Gruppe ohne soziale Basis, welche durch Überfälle und Drogenanbau eine ständige Bedrohung für die autonomen Gemeinden des Bezirks San Juan de la Libertad darstellt.

Keine weiteren Friedensabkommen

Die paramilitärische Organisation Desarrollo, Paz y Justicia wird "mit niemandem weitere Verhandlungen aufnehmen, bis bewiesen ist, dass die Regierung ihre Versprechen erfüllen will", gaben Vertreter gestern in Sabanilla bekannt. Gleichzeitig erklärte der Gouverneur Pablo Salazar Mendiguchía in Tapachula, dass die "Demontage" dieser Gruppe begonnen habe, die der PRI zuzurechnen ist und zahlreicher Delikte angeklagt wird (ausser dem offensichtlichsten: eine paramilitärische Gruppierung zu sein).

Die Verhaftung von Sabelino Torres und weiteren 26 Mitgliedern von Desarrollo, Paz y Justicia vor einer Woche in den Gemeinden Miguel Alemán und Tzaquil führte dazu, dass ihre Mitstreiter folgendes aussagen: "Wir planten, ein Abkommen mit unseren Brüdern von der linken PRD und der Unión de Comunidades Indigenas Agrícolas y Forestales (UCIAF, Abspaltung der PRI) zu unterzeichnen, aber der Regierung fehlt die Aufrechtigkeit zum Dialog". Da die Regierung des Bundesstaates "nicht sein Wort hält", kündigte Desarrollo, Paz y Justicia an, dass sie nun keine weiteren Friedensverträge unterzeichnen werde.

[Die Anwesenheit von internationalen BeobachterInnen ist beispielsweise im autonomen Bezirk Olga Isabel von grösster Wichtigkeit. Leider sind dieses Jahr insgesamt weniger InternationalistInnen nach Chiapas gereist und so sind die autonomen Gemeinden in Konfliktsituationen oft auf sich alleine gestellt. Die Menschenrechts-Organisationen fordern deshalb die Solidaritäts-Organisationen in Europa auf, doch in der nächsten Zeit möglichst viele neue BeobachterInnen nach Chiapas zu schicken.]

 Quelle:  
  https://www.jornada.com.mx/ 
 

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