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Folter im Ferienparadies Mexiko − und ein Instrument dagegen

medico internat. (CH) vom 11.07.2009
Philipp Gerber und Sanja Previsic, medico international schweiz

  Die heutigen Folterpraktiken werden seit Amtsantritt Obamas wieder thematisiert. Im Jahresbericht schrieben wir, wie unsere mexikanischen Partnerorganisationen in Oaxaca und Guerrero versuchen, Folter sichtbar zu machen und zur Anklage zu bringen. Sie dokumentieren Folter anhand des sogenannten "Istanbul-Protokolls". Eine Pionierarbeit − mit Gefahren für die mutigen KämpferInnen gegen Folter.

„Beweise für das Unfassbare«

Das Istanbul-Protokoll ist die erste Zusammenstellung von internationalen Richtlinien für die Dokumentation von Folter und ihren Folgen. Gemäss dem Arzt Ricardo Loewe vom "Komitee gegen Folter und Straflosigkeit" — der im Mai an der Veranstaltung von medico zum Thema Folter in Guerrero referierte — handelt es sich " um eine Art medizinisch-psychologische Krankengeschichte oder Gutachten, das vor Gericht gebracht werden soll". Es ist also ein neues Instrument, das für die rechtliche Beweisführung wirksam ist.

Dieses "Manual zur effektiven Untersuchung und Dokumentation von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung", kurz Instanbul-Protokoll, wurde 1999 zum offiziellen UNO-Dokument, nachdem es während drei Jahren von ExpertInnen aus Recht, Gesundheit und Menschenrechten entwickelt worden war. Daran waren mehr als 40 verschiedene Organisationen beteiligt, darunter das IRCT (International Rehabilitation Council for Torture Victims). Die Arbeit wurde von der HRFT (Human Rights Foundation of Turkey) und PHR (Physicians for Human Rights) USA initiiert und koordiniert.

Ein wichtiger Auslöser für das Erarbeiten des Protokolls war der Tod von Baki Erdoğan. Erdoğan wurde 1993 als mutmassliches Mitglied der verbotenen "Revolutionären Linken" verhaftet und zu Tode gefoltert. Nach offiziellen Angaben jedoch starb er an Tuberkulose. Es folgte eine unabhängige Untersuchung durch die Türkische Medizinervereinigung. Diese liess darauf schliessen, dass Erdoğan mit Elektroschocks misshandelt, an den Handgelenken aufgehängt und mit Schlägen auf die Fusssohlen traktiert worden war. Der Fall führte zur internationalen Initiative eines standardisierten Protokolls zur Dokumentation von Folter.

Das Istanbul-Protokoll zeigt die Möglichkeiten zum Nachweis von Folterspuren auf. Es liefert also "Beweise für das Unfassbare", wie dies Knut Rauchfuss von der Kampagne gegen Straflosigkeit "Gerechtigkeit heilt" in Bochum treffend nennt. Das Protokoll unterscheidet dabei zwischen der Diagnostik körperlicher Symptome und dem Nachweis psychischer Folgen.

Zusätzlich stellt das Manual wichtige Standards zur opfergerechten Untersuchung von Folterfällen auf. Zum Beispiel bezüglich der Gesprächsführung mit Überlebenden und ZeugInnen, der medizinischen Berufsethik, der Auswahl von UntersucherInnen und dem Zeugenschutz.

Wie alle UNO-Dokumente ist auch das Istanbul-Protokoll ist kein verbindliches Instrument und die Untersuchungsbehörden stellen sich oft taub. Natürlich stossen die Folter-AnklägerInnen auch auf andere Unzulänglichkeiten. So existiert in Guerrero zwar der Straftatbestand "Forciertes Verschwindenlassen", aber das Delikt "Folter" kennt das bundesstaatliche Strafgesetzbuch gar nicht. In Oaxaca verhält es sich genau umgekehrt. Und weil der Staat naturgemäss Teil der Folter-Anklage ist, "versucht er immer das Gutachten zu neutralisieren oder gar zu verteufeln", so Ricardo Loewe.

Auch VerteidigerInnen bedroht

Sogar die regierungsnahe mexikanische Menschenrechts-Ombudsstelle stellt periodisch immer wieder fest, dass die Polizei und vermehrt auch das mit polizeilichen Aufgaben betraute Militär systematisch Gefangene foltert. Besonders betroffen sind ProtagonistInnen sozialer Bewegungen, die für ihre Rechte kämpfen. In unseren Projektregionen Guerrero, Chiapas und Oaxaca häuften sich die Fälle von Folter in den letzten Monaten.

So wurde mitten in Oaxaca Stadt der Gewerkschafter und APPO-Aktivist Marcelino Coache von Polizisten entführt und während Stunden u.a. mit Elektroschocks gefoltert. Dass er dies denunzierte, führte zu weiteren Drohungen gegen seinen Sohn und die ganze Familie. Unsere Partnerorganisation "Komitee 25. November" beteiligte sich im Mai 09 an der kollektiven Verteidigung von Marcelino. Just bekamen nach dem ersten Besuch der Untersuchungsbehörden mehrere VerteidigerInnen Mordrohungen per SMS. Vierzehn Tage später wurde ein Einbruch in das Büro des Komitees vorgetäuscht, weitere Nadelstiche wie das Kappen der Stromleitung des Privathauses der Anwältin folgten. Wer Folter untersucht, lebt in Mexiko gefährlich.

Mexiko war gemäss der Statistik von amnesty international 2008 nach dem Iran das zweithäufigste Land, zu dem urgent actions an die ai-Mitglieder verschickt wurden. Was nicht heisst, dass es in anderen Erdteilen nicht auch zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Vielmehr zeigt die Statistik, dass es mit vereinten Kräften gelingt, die Repression in Mexiko sichtbar zu machen. Dies ist der Stachel im Fleisch der Folterer. Und deshalb ist die Folter in Mexiko für medico ein exemplarisches Thema der "Mental Health".

Ein Artikel aus dem medico-Bulletin 2/09, Bulletin download (PDF):
http://www.medicointernational.ch/images/stories/publikationen/bulletin_2_09.pdf

Weitere Infos:

"Folter ist nie privat". Interview mit Ricardo Loewe, CCTI (WoZ, 25. Juni 2009. PDF)
http://www.medicointernational.ch/images/stories/projekte/mexiko/woz2609se1011folter.pdf

Mexico Accused of Torture in Drug War (Washington Post, 09.07.09)
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/07/08/AR2009070804197.html?hpid=topnews

Bibliographie:

Istanbul-Protokoll. Untersuchung und Dokumentation von Folter und Menschenrechtsverletzungen
2009, 236 Seiten, Maße: 24 cm, Gebunden, Deutsch
Herausgeber: Frewer, Andreas, Krása, Kerstin, Furtmayr, Holger
V&R unipress
ISBN-10: 3899716973
ISBN-13: 9783899716979

Für Projekte spenden:

Oaxaca: Folterdokumentation
http://www.medicointernational.ch/content/view/138/83/

Guerrero: Prävention von Folter
http://www.medicointernational.ch/content/view/139/83/


Philipp Gerber, Campaigning

medico international schweiz
Quellenstrasse 25 Postfach 1816 8031 Zuerich
Tel. 044 273 15 55 Fax 044 273 15 66
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 Quelle:  
  http://www.medicointernational.ch 
 

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