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Staatsbesuch an der Humboldt-Universität

Erlebnisbericht vom 31.01.2003
Svennie d. R.

  Für viele Berliner Polizisten war gestern ein besonderer Tag. Gestern hatten sie die Chance, eine Universität von innen zu sehen. Am Nachmittag, des 30. Januar 2003 besuchte der mexikanische Präsident die HU und richtete ein paar Worte an ausgewählte Statisten im Senatssaal im ersten Stock des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität zu Berlin.

Ein Geschichtsstudent bekommt nur selten etwas von historischen Momenten mit, da er meist über Büchern sitzt, die beschreiben, wie andere solche historischen Augenblicke wahrgenommen haben. Ich gehöre auch dazu. Auch gestern saß ich wieder in der Geschichtsbibliothek der HU Unter den Linden. Als ich gegen halb drei für ein Päuschen auf den Flur trat und durch das große Fenster hinab auf den Vorhof der Uni sah, traute ich meinen Augen nicht. Motorräder mit weißuniformierten Polizisten, schwarze Limousinen, Polizei- Mannschaftswagen und VW-Kleinbusse mit Polizisten in zivil blockierten die Linden Richtung Brandenbuger Tor. Die fliegenden Buchhändler, die sonst den Vorhof der Uni belagern, waren verschwunden. Polizisten im Kampfuniformen und Personenschutz hatten deren Stelle eingenommen. Eine Masse von schwarz gekleideten Anzugträgern drückte sich allmählich links und rechts am Helmoltz-Denkmal vorbei. Die Mommsen-Statue schien das Geschehen kopfschüttelnd zu betrachten.

Auch andere Studenten um mich herum drückten sich die Nasen am Fenster platt. Welcher war denn nun der Präsident? Die schwarze Karawane aus Blech verschwand von der Straße, als die schwarze Karawane aus Anzügen und Krawatten im Haupteingang verschwunden war. Plötzlich umdröhnte mich ein lautes Pfeifen aus hunderten Kehlen. Obwohl es in den Ohren schmerzte, mußte ich lachen und wollte mir das Ganze mal aus der Nähe betrachten. Ich kam keine zwanzig Meter weit. Vor dem Senatssaal war schon Sperrgebiet. Drei Herren und Damen, die mich vom äußeren Erscheinungsbild eher an enddreißiger Softwarevertreter aus München erinnerten, versperrten mir lächelnd den Weg und fragten mich, ob sie mir helfen könnten. An ihren Jacken trugen sie einen Anstecker mit dem Berliner Wappen drauf. "Ich brauche keine Hilfe von Ihnen, ich möchte nur an Ihnen vorbei und dort lang." Plötzlich verschwand das Lächeln aus den Gesichtern. Mir wurde kurz erklärt, daß das nicht ginge, da doch der Staatspäsident von Mexiko zu Gast sei. Das ist ja alles gut und schön, aber ich kenne den mexikanischen Präsidenten nicht und studiere hier und will eigentlich bloß hier durch. Meine Argumentation stieß auf Unverständnis. Ich solle eins höher gehen, wurde mir empfohlen. Das war kein Uni-Personal. Ich fühlte mich provoziert und ging provokativ eins tiefer. Zwei Milizionere in zivil verrammlten von innen die Pendeltüren zum Foyer im Erdgeschoß. Etwa 20 Leute wollten raus, durften aber nicht. Ich fühlte mich unwohl. Das geht mir aber immer so, wenn ich vorm Immatrikulationsbüro stehe. Sonst dröhnen aber keine Pfiffe und Schreie durch die Luft. Durch die Pendeltüren erkannte ich ein Transparent und viele Köpfe, oder besser deren Rückseiten. Wie kamen die Leute ins Foyer? Waren das auch Statisten? Werden jetzt bei Staatsbesuchen Komparsen als Demokratie-Alibi angeheuert? Nein, die waren echt. Die haben sich nur nicht vertreiben lassen. Ich ging auf den Hof. Alles wie immer. Ich ging in den zweiten Stock in den Saal über dem Senatssaal, in dem jeden Augenblick der Empfang stattfand. Dort war ein Videobeamer aufgebaut, der das Geschehen für die Studierenden, die Journalisten und die Öffentlichkeit an die Wand warf. Der offene Saal füllte sich etwas über die Hälfte. Die Studenten saßen brav auf den Sitzen. Manchmal wurde hier und da etwas getrampelt, um die Men in Black eins tiefer zu stören. Doch die zwei Wachschützer an den Türen hatten alles im Griff. Hinten verteilte Ich stand am Fenster und hatte alle drei Action Schauplätze im Blick. Den Uni-Vorhof, den Senatssaal und den Saal fürs Volk. Während die Polizei das Uni- Gelände hermetisch abriegelte, als sei ein Ort der Wissenschaft eine Gefahr für die Bevölkerung, begann der Uni-Päsident eine trockene Ansprache. Er erwähnte, daß einer der Humboldt-Brothers ja auch mal in Mexiko war und rein zufällig heute das Jubiläum seiner Rückkehr sei. Außerdem sei er nicht sicher, ob er Mexiko oder Mechiko sagen sollte. Am ende entschuldigte er sich für die Demonstration im Foyer. Externe Interessen würden in einem öffentlichen Haus mit universitären Themen konfrontiert werden. Fox sprach gleich danach und rühmte die Fortschritte der Globalisierung. Er soll auch irgendwas gesagt haben, daß auf dem Weg hierher ihn jemand als Mörder bezeichnet haben soll, was ihn unangenehm berührt habe. Daß weiß ich aber nur aus zweiter Hand, da ich selbst nur wenig Spanisch verstehe. Danach sprach irgend eine Frau. Das interessierte mich nicht.

Mittlerweile wurden Studierende wieder ins Gebäude gelassen, jedoch nur in Begleitung eines Polizisten in voller Kampfausstattung. Allerdings wurde unten eine komische Türpolitik betrieben, so daß die Leute mit Fensterpolitik reagierten und munter durch die Fenster krabbelten, um rein oder raus zu kommen.

Ich traf noch einen Bekannten von mir, der sich rühmte, bis auf zwei Meter an Fox rangekommen zu sein und ihn Murderer (Mörder) genannt zu haben. Fox habe sich gewundert, ob er wohl gemeint sei. "Me?", worauf mein Bekannter geantwortet haben soll: "Not directly, but you have the power to." Ein Student, wenn es einer wahr, fand meinen Kumpel nicht cool, beschimpfte ihn zuerst als Hippie, dann als Krüppel und bekippte ihn mit Kaffe oder Cola. Davon haben aber weder Fox noch ich etwas mitbekommen. In der Cafeteria und an den Telefonzellen tummelten sich spanisch sprechende Journalisten. Sie schienen genauso wenig Interesse am Empfang und an Hofberichterstattung zu haben wie ich. Als Zeichen der Solidarität mit den verschwundenen Gewerkschaftern in Südamerika kauften wir uns eine Coca Cola und redeten über andere Heldentaten bei anderen Staatsbesuchen. Danach ging ich wieder in die Bibliothek und las Bücher über gescheiterte Aufstände, Revolutionen und Ideologien.

 Quelle:  
  http://www.de.indymedia.org/2003/01/40158.shtml 
 

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