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Artikel zu zapatistischer Basisorganisierung (Kurdistan Rundbrief 147/2009)
Die zapatistische Autonomie in Chiapas/Südmexiko: Paso a paso — Schritt für Schritt
News vom 28.12.2009 |
Zendero |
Mit einem wahren Paukenschlag gelangte die zapatistische Bewegung ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit: Am 1. Januar 1994 erhob sich die »Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung«, EZLN, unter Waffen gegen das System und besetzte im Handstreich 7 Städte im mexikanischen Bundesstaat Chiapas.
Die schlecht bewaffnete Armee aus Kleinbauern lieferte sich 12 Tage lang Scharmützel mit der Bundesarmee, die mit Panzern, Bombern und Helikoptern im südlichsten Bundesstaat einfiel. Schon nach wenigen Tagen zogen sich die Aufständischen in sichere Gebiete zurück, weite Teile der Landbevölkerung flohen vor der Armee in die Wälder. Auf Druck der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit stellte die Armee ihre Angriffe ein. In dieser ungleichen Auseinandersetzung fielen Hunderte Zapatisten, in der Stadt Ocosingo massakrierte die Polizei allein 300 gefangen genommene Kämpfer_innen. Die Erinnerung an die Gefallenen wird heute mit Feiertagen lebendig gehalten, findet sich in Liedern und der Namensgebung von Dörfern.
In den folgenden Jahren bemühte sich die Bewegung um einen Dialog. Es gab Verhandlungen mit der Bundesregierung. Das sogenannte »Abkommen von San Andrés« über indigene Autonomie in Mexiko wurde von den Parteien im Parlament jedoch nie umgesetzt. Die Verhandlungen, die noch weitere Themen umfassen sollten, wurden enttäuscht von der EZLN abgebrochen.
Gleichzeitig führten Bundes- und Landesregierung einen »Krieg niederer Intensität« weiter, der bis heute anhält. Das Konzept kommt ohne Kampfeinsätze der offiziellen Armee aus und besteht aus Komponenten, die lateinamerikanischen Militärs an der US-School Of The Americas (SOA) beigebracht werden: das Erzeugen von Konflikten innerhalb der Bevölkerung, hier religiöse oder Landkonflikte, Organisieren und Bewaffnen eines Teils der Bevölkerung [Paramilitärs], um den »schmutzigen« Teil der Arbeit damit den Indigenen selbst zu überlassen. So kam es bereits zu vielen Morden, Vertreibungen und selbst Massakern. Häufig werden dann diese Auseinandersetzungen sogar noch als Vorwand für den Einmarsch von Militär oder Polizei in Gemeinden benutzt, Familien vertrieben oder Menschen willkürlich verhaftet und unter erfundenen Delikten Jahrzehnte in Gefängnissen weggesperrt. Diese Politik scheint aufzugehen. Die indigene Bevölkerung ist heute gespalten wie nie zuvor: Neben der als für den Befreiungskampf initial wichtigen katholischen Kirche (Theologie der Befreiung) gibt es mittlerweile Dutzende evangelischer Kirchen (Sekten), die alle Aufgaben der Aufstandsbekämpfung übernehmen — vereinzeln und spalten. Auch eine islamische Gemeinschaft missioniert im Hochland von Chiapas.
Weiter existieren verschiedenste Parteien mit ihren Bauernorganisationen und Gelben Gewerkschaften — alle gekennzeichnet von Klientelismus und einer mehr oder weniger neoliberalen Politik: die Öffnung und Integration von Chiapas’ Ökomomien in internationale Märkte, beispielsweise für Biotreibstoffe, Lebensmittel und Bodenschätze und nicht zuletzt den Tourismusmarkt.
Hier spielt der »Revolutionstourismus« eine nicht unerhebliche Rolle, ein Problem, mit dem sich die Bewegung immer wieder konfrontiert sieht. Bunte Püppchen mit Skimaske verkaufen sich besser als soziale Forderungen, eine revolutionäre Fassade wird konstruiert, die Gemeinschaften verkaufen sich, die Gewinne kommen ihnen jedoch nicht zugute, sondern werden von einigen wenigen Familien privatisiert. Der staatlichen »Entwicklungshilfe« und den großen Infrastrukturprogrammen wie Straßen- und Staudammbau setzt die EZLN seit den gescheiterten Verhandlungen eine autonome Organisierung der Basis entgegen. »Wir nehmen keine Almosen«, ist eine Grundaussage der Bewegung. Zapatistische Familien sind auf Gemeindeebene in der Versammlung organisiert, mehrere Gemeinden bilden Autonome Regionen, diese sind zu Landkreisen zusammengeschlossen und mehrere Landkreise wiederum formieren schließlich eine der 5 Zonen mit eigenem Verwaltungssitz, dem sogenannten Caracol [Schneckenhaus]. Auf allen Ebenen gibt es Delegierte und Kommissionen, z. B. für Bildung, Produktion oder Gesundheit. Die Delegierten der Regionen stellen rotierend auch die Junta de Buen Gobierno [Rat der Guten Regierung] in den Verwaltungszentren − die Bundesregierung ist eine »Schlechte Regierung«, weil sie nicht auf die Bevölkerung hört. Das Motto ist »Gehorchend befehlen«, wie viele Parolen der Bewegung den Widerspruch einschließend.
Das Land dem, der es bearbeitet!
Ein typisches zapatistisches Dorf ist »Veintitres de Octubre« (übersetzt: 23. Oktober, Name geändert). Es bekam seinen Namen zur Erinnerung an die Ermordung von 3 Compañeros nach ihrer Festnahme durch das Militär. Dieser Tag wird als Fest gefeiert, mit Prozession, Fleischsuppe und Tanz. Das Dorf gründeten die Jugendlichen 1996 auf dem Land, das die Bewegung nach dem Aufstand von Großgrundbesitzern übernommen hatte. Diese waren bereits vor dem Aufstand geflohen und hatten ihr Land und die Tiere sich selbst überlassen. »Das Land dem, der es bearbeitet« ist ein Leitspruch schon aus der Mexikanischen Revolution von 1910. Dieser Maxime folgend wurden in Chiapas etwa 100 000 Hektar Land »wiedergewonnen« — »abgetrutzt« hätte der deutsche Bauernführer Thomas Müntzer im 16. Jahrhundert gesagt. Die Parallelen zu den deutschen Bauernkriegen dieser Zeit — in der die indigene Kultur Amerikas gerade unterworfen wurde — sind auffallend, bis hin zu den Forderungen. Der Kampf um Land ist — wie für alle Kleinbauernbewegungen weltweit — der Kernpunkt auch der zapatistischen Bewegung. So sind Landstreitigkeiten der häufigste Konfliktstoff, den die Juntas während ihrer Sitzungen mit den Betroffenen verhandeln. Oft kommen die Menschen von weither, sind nicht einmal Teil der Bewegung, aber vertrauen der Art der Rechtsprechung, die nach traditionellem Muster beide Parteien anhört und dann den Kompromiss zwischen beiden sucht. Strafen werden nie mit Geld, sondern immer mit Arbeit für die Gemeinde abgegolten.
In dem Dorf »23. Oktober« wohnen etwa 40 Familien, meist jüngere Eltern mit ihren Kindern, die aus den Nachbarregionen hierher gezogen sind, um Land »zum Arbeiten« zu haben. Wenn hier von »arbeiten« gesprochen wird, ist meist die Arbeit auf der Milpa gemeint, dem Stück Acker, auf dem traditionell Mais, Bohnen und Kürbis in Mischkultur angebaut werden.
Die Landarbeit ist Basis der Subsistenz, im tropischen Klima ganzjährig betrieben.
Traditionell bestellt jede Familie ihre eigene Milpa, wenige haben eigenes Großvieh. Das Land jedoch ist in der Hand der Gemeinde, unverkäuflich, ein Prinzip, das seit der Mexikanischen Revolution mit Ejido bezeichnet wird. Der von der EZLN vertretene Gedanke der kollektiven Ökonomie hält nur langsam Einzug in das Dorf. Dennoch, die vor einigen Jahren begonnenen Kollektive der Frauen für Rinderzucht, Kunsthandwerk und Kaufladen wurden um Flächen für Mais- und Bohnenanbau und eine Maismühle erweitert. Auch Strom wird autonom und kollektiv gelegt: Die mit Hilfe internationaler Solidarität gekauften Masten, Transformatoren und Kabel werden in gemeinsamer Anstrengung mit professioneller Hilfe einer Stromgewerkschaft aufgestellt.
... die Bevölkerung selbst, aus eigener Kraft
Die Wasserversorgung geschieht zur Zeit noch — wie in vielen südmexikanischen Dörfern — über den Rücken der Frauen, sprich, das Wasserholen aus einem entfernten Brunnen. Aber auch hier haben sich die Compañeras bereits bei der Junta in die Liste der Gemeinden eingetragen, die mit internationaler Solidarität und eigener Hand ein Wassersystem aufbauen können. So erstellen Zapatisten gemeinsam mit einem internationalen Kollektiv jedes Jahr zwei bis drei Wassersysteme in der Zone. Dies dient gleichzeitig der Ausbildung einiger Compas, um in Zukunft alles in Eigenregie durchführen zu können. Das Erlernen neuer Fertigkeiten ist ein Fokus der Bewegung. Im Gegensatz zu Regierungstreuen, »die alles von der Regierung erbitten«, wollen die Zapatisten alles Stück für Stück selbst aufbauen: »Mismo pueblo, misma fuerza« — die Bevölkerung selbst, aus eigener Kraft, heißt es in Castiya, der Sprache der spanischen Eroberer. Die direkte Übersetzung aus dem Tseltal, der indigenen Sprache dort, ist hörbar. Dem ähnlich hieß auch die erste große Bauernorganisation in der Zone, die Anfang der 70er Jahre gegründet wurde und dann als Deckmantel der bewaffneten Organisierung diente: Kiptik ta lekub tesel — Unsere Kraft für ein besseres Leben. Ein Compañero steht hinter dem Tresen des Frauenkooperativen-Ladens, um die Buchhaltung zu erlernen. »Zuerst die Männer, dann die Frauen« ist leider immer noch ein Leitspruch in vielen Haushalten. Die Frauen haben noch keine eigene Organisation innerhalb der Bewegung, um ihre Interessen angemessen zu vertreten. Aber der Laden dient der Erwirtschaftung des Fahrgeldes für die Frauen, die zu ihren Diensten in der Region, dem Landkreis oder der Zone aufbrechen. Die Männer müssen das Geld selbst aufbringen — »die haben ja auch kein Kollektiv gegründet«, sagt Marta, die Verantwortliche für den Laden. So werden die Frauen des Dorfes unterstützt in ihren Bestrebungen, die häusliche Isolation zu überwinden. Diese Dienste haben das Selbstbewusstsein vieler Frauen schon erheblich befördert, die nächste Generation kann so in einem anderen Selbstverständnis aufwachsen.
Die anderen Kollektivprodukte dienen zur Versorgung der Internatsschule des Landkreises oder anderen Ausgaben auf Gemeindeebene. Manchmal werden die Produkte auch unter den Familien aufgeteilt, wie die Schlachtreste der Kuh bei einer Dorffeier — aber penibel abgemessen und hart verhandelt. Geld spielt immer noch eine wichtige Rolle, viele Dinge müssen mit harter Münze bezahlt werden: das Baumaterial fürs Haus, der Mann mit der Motorsäge, das Sammeltaxi und Produkte wie Machete, Kleidung, Schuhe, Seife, Öl und Zucker.
Meistens wird dies mit landwirtschaftlichen Produkten verdient, mit dem Verkauf von Kaffee, Honig für den Exportmarkt, Bananen, Mais, Bohnen und Hühnern für den regionalen Markt. Arbeitsmigration ist in den Dörfern unter den Männern üblich, allerdings muss dafür die Junta um Erlaubnis gefragt werden. 1—2 Monate sind übliche Zeiten, um auf Baustellen oder im Zuckerrohr Geld für größere Anschaffungen wie Baumaterial zu verdienen.
Länger können die Männer nicht fehlen, weil jede erwachsene Person, Frauen wie Männer, von der Versammlung im Dorf eine Aufgabe, ein sogenanntes Cargo, übertragen bekommen hat, von Gesundheitspromotorin über Hochspannungselektriker bis zu Maismühlenbeauftragte oder Kaufladenverantwortliche. Die Cargos sind vielfältig und dazu kommen jede Woche weitere kollektive Arbeiten wie Brunnen einfassen, Rinderzaun bauen oder schlicht Bäume fällen für die Weide- und Ackerflächen. Die Region war komplett bewaldet und brache Flächen wachsen immer noch schnell mit Buschwald zu.
Die Lehrenden der Schule im Dorf sind Compañeras und Compañeros, die dazu ernannt wurden, oft noch keine 18 Jahre alt, selbst gerade mit der Schule fertig. Das Schulsystem ist autonom, d. h. es gibt keine Lehrerinnen oder Lehrer von außen. Das Lehrpersonal wird in regelmäßigen Abständen im Caracol auf Lehrgängen geschult — auch von Studierenden oder Staatslehrerinnen von außerhalb, natürlich unbezahlt und dem sozialen Kampf verpflichtet. Schulbücher werden teilweise im Caracol von der Bildungskommission in Eigenregie produziert. Der Unterrichtsstoff wird mit den Eltern in jedem Dorf auf der Versammlung abgestimmt, er ist zweisprachig, auf Castellano und den eigenen Sprachen — Tseltal, Tsotsil, Tojolabal oder Chol. Ein Vorwurf an die Staatsschulen ist die Unterdrückung der indigenen Kultur, da die Sprachen und Trachten dort als minderwertig gelten. Diese Sprachen dominieren jedoch den Alltag in den Dörfern. Castiya wird nur gesprochen, wenn ein Kaxlan (Kaschlan − Spanier) dabei ist oder verschiedene Sprachgruppen versammelt sind.
Der Gesundheitssektor ist der am besten entwickelte in der Organisation, jedes Dorf hat eine spezielle Hütte, wo die Promotorinnen Medikamente lagern, Impfaktionen durchführen oder Beratungen geben. Sie werden in regelmäßigen Kursen von Heilkundigen ausgebildet, NGOs und örtliche Kliniken helfen mit Fachpersonal weiter.
Jeder Landkreis betreibt eine Klinik, mit festem oder rotierendem Personal, manche besitzen sogar einen Krankenwagen, um Patienten zu besuchen oder ins Krankenhaus in der Stadt zu fahren.
Fahrdienste sind immer noch ein Mangel, weil es einmal am Geld für Autos, Ersatzteile und Benzin fehlt, aber auch an Fahrerinnen und Fahrern. Im Dorf »23. Oktober« können zwei Männer Auto fahren, in der gesamten Zone ein bis zwei Frauen. Der Transport von Holz, Wasser und Ernte geschieht mit dem Maultier, häufiger zu Fuß auf dem eigenen Rücken.
Paso a paso, Schritt für Schritt, das gilt auch für die, die die Bewegung hier begleiten wollen. Und dabei braucht es viel Geduld und Ausdauer. Wie für jede größere Veränderung, oder sagen wir: Revolution?
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