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Dokumentation: Text der ILO-Konvention 169

News vom 18.02.2003

  In Bezug auf das Abkommen von San Andres (sowie die verstümmelte Version des mexikanischen Parlaments) wird häufig auf die ILO-Konvention 169 Bezug genommen. Deshalb hier die Konvention im vollen Wortlaut:

Inkrafttreten: 5. September 1991 Ort: Genf Tagung: 76

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni 1989 zu ihrer sechsundsiebzigsten Tagung zusammengetreten ist, verweist auf die internationalen Normen in dem Übereinkommen und der Empfehlung über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957; erinnert an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die vielen internationalen Übereinkünfte über die Verhütung von Diskriminierung; stellt fest, daß die Entwicklungen, die seit 1957 im internationalen Recht eingetreten sind, sowie die Entwicklungen in der Lage eingeborener und in Stämmen lebender Völker in allen Regionen der Welt es geboten erscheinen lassen, neue einschlägige internationale Normen anzunehmen, um die auf Assimilierung abzielende Ausrichtung der früheren Normen zu beseitigen; anerkennt die Bestrebungen dieser Völker, im Rahmen der Staaten, in denen sie leben, Kontrolle über ihre Einrichtungen, ihre Lebensweise und ihre wirtschaftliche Entwicklung auszuüben und ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren und zu entwickeln; stellt fest, daß in vielen Teilen der Welt diese Völker nicht in der Lage sind, ihre grundlegenden Menschenrechte im gleichen Umfang auszuüben wie die übrige Bevölkerung der Staaten, in denen sie leben, und daß ihre Gesetze, Werte, Bräuche und Perspektiven oft ausgehöhlt worden sind; verweist auf den besonderen Beitrag der eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker zur kulturellen Vielfalt und sozialen und ökologischen Harmonie der Menschheit sowie zur internationalen Zusammenarbeit und zum internationalen Verständnis; stellt fest, daß die nachstehenden Bestimmungen in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur und der Weltgesundheitsorganisation sowie dem Interamerikanischen Indianischen Institut auf entsprechender Ebene und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich ausgearbeitet worden sind und daß beabsichtigt ist, diese Zusammenarbeit bei der Förderung und Sicherstellung der Anwendung dieser Bestimmungen fortzusetzen; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Teilrevision des Übereinkommens (Nr. 107) über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens zur Neufassung des Übereinkommens über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, erhalten sollen. Die Konferenz nimmt heute, am 27. Juni 1989, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker, 1989, bezeichnet wird.

Teil I. Allgemeine Grundsätze

Artikel 1

1. Dieses Übereinkommen gilt für

a) in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist;

b) Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.

2. Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist als ein grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen anzusehen, auf die die Bestimmungen dieses Übereinkommens Anwendung finden.

3. Die Verwendung des Ausdrucks "Völker" in diesem Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können.

Artikel 2

1. Es ist Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung der betreffenden Völker koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen und die Achtung ihrer Unversehrtheit zu gewährleisten.

2. Im Rahmen dieser Aufgabe sind Maßnahmen vorzusehen, deren Zweck es ist,

a) sicherzustellen, daß die Angehörigen dieser Völker von den Rechten und Möglichkeiten, welche die innerstaatliche Gesetzgebung anderen Angehörigen der Bevölkerung gewährt, gleichberechtigt Gebrauch machen können;

b) die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern;

c) den Angehörigen der betreffenden Völker dabei zu helfen, das zwischen eingeborenen und anderen Angehörigen der nationalen Gemeinschaft gegebenenfalls bestehende sozioökonomische Gefälle in einer Weise zu beseitigen, die mit den Bestrebungen und der Lebensweise dieser Völker vereinbar ist.

Artikel 3

1. Die eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker müssen in den vollen Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Behinderung oder Diskriminierung kommen. Die Bestimmungen des Übereinkommens sind ohne Diskriminierung auf männliche und weibliche Angehörige dieser Völker anzuwenden.

2. Es darf keine Form von Gewalt oder Zwang in Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der betreffenden Völker, einschließlich der in diesem Übereinkommen enthaltenen Rechte, angewendet werden.

Artikel 4

1. Es sind gegebenenfalls besondere Maßnahmen zum Schutz der Einzelpersonen, der Einrichtungen, des Eigentums, der Arbeit, der Kultur und der Umwelt der betreffenden Völker zu ergreifen.

2. Diese besonderen Maßnahmen dürfen nicht im Widerspruch zu den frei geäußerten Wünschen der betreffenden Völker stehen.

3. Diese besonderen Maßnahmen dürfen die Ausübung der allgemeinen Staatsbürgerrechte, die nicht durch unterschiedliche Behandlung geschmälert werden darf, in keiner Weise beeinträchtigen.

Artikel 5

Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens

a) sind die sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker anzuerkennen und zu schützen und ist der Natur der Probleme, denen sie sich als Gruppen und als Einzelpersonen gegenübergestellt sehen, gebührend Rechnung zu tragen;

b) ist die Unversehrtheit der Werte, Gepflogenheiten und Einrichtungen dieser Völker zu achten;

c) sind mit Beteiligung und Unterstützung der betroffenen Völker Maßnahmen zur Milderung der Schwierigkeiten zu ergreifen, denen diese Völker angesichts neuer Lebens- und Arbeitsbedingungen begegnen.

Artikel 6

1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens haben die Regierungen

a) die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren können, erwogen werden;

b) Mittel zu schaffen, durch die diese Völker sich im mindestens gleichen Umfang wie andere Teile der Bevölkerung ungehindert auf allen Entscheidungsebenen an auf dem Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie an Verwaltungs- und sonstigen Organen beteiligen können, die für sie betreffende Maßnahmen und Programme verantwortlich sind;

c) Mittel zu schaffen, die es diesen Völkern ermöglichen, ihre eigenen Einrichtungen und Initiativen voll zu entfalten, und in geeigneten Fällen die für diesen Zweck erforderlichen Ressourcen bereitzustellen.

2. Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen.

Artikel 7

1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben, ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozeß, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen und soweit wie möglich Kontrolle über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung auszuüben. Darüber hinaus haben sie an der Aufstellung, Durchführung und Bewertung von Plänen und Programmen für die nationale und regionale Entwicklung mitzuwirken, die sie unmittelbar berühren können.

2. Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Gesundheits- und Bildungsstandes der betreffenden Völker mit ihrer Beteiligung und Unterstützung muß in den allgemeinen Plänen für die wirtschaftliche Entwicklung der von ihnen bewohnten Gebiete Vorrang haben. Auch die besonderen Entwicklungspläne für diese Gebiete sind so zu gestalten, daß sie diese Verbesserung begünstigen.

3. Die Regierungen haben sicherzustellen, daß in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern gegebenenfalls Untersuchungen durchgeführt werden, um die sozialen, geistigen, kulturellen und Umweltauswirkungen geplanter Entwicklungstätigkeiten auf diese Völker zu beurteilen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind als grundlegende Kriterien für die Durchführung dieser Tätigkeiten anzusehen.

4. Die Regierungen haben in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern Maßnahmen zu ergreifen, um die Umwelt der von ihnen bewohnten Gebiete zu schützen und zu erhalten.

Artikel 8

1. Bei der Anwendung der innerstaatlichen Gesetzgebung auf die betreffenden Völker sind deren Bräuche oder deren Gewohnheitsrecht gebührend zu berücksichtigen.

2. Diese Völker müssen das Recht haben, ihre Bräuche und Einrichtungen zu bewahren, soweit diese mit den durch die innerstaatliche Rechtsordnung festgelegten Grundrechten oder mit den international anerkannten Menschenrechten nicht unvereinbar sind. Erforderlichenfalls sind Verfahren festzulegen, um Konflikte zu lösen, die bei der Anwendung dieses Grundsatzes entstehen können.

3. Durch die Anwendung der Absätze 1 und 2 dieses Artikels dürfen Angehörige dieser Völker nicht daran gehindert werden, die allen Bürgern zuerkannten Rechte auszuüben und die entsprechenden Pflichten zu übernehmen.

Artikel 9

1. Soweit dies mit der innerstaatlichen Rechtsordnung und den international anerkannten Menschenrechten vereinbar ist, sind die bei den betreffenden Völkern üblichen Methoden zur Ahndung der von Angehörigen dieser Völker begangenen strafbaren Handlungen zu achten.

2. Die strafrechtlichen Bräuche dieser Völker sind von den zuständigen Behörden und Gerichten in Betracht zu ziehen.

Artikel 10

1. Werden Strafen, die in der allgemeinen Gesetzgebung vorgesehen sind, gegen Angehörige dieser Völker verhängt, so sind deren wirtschaftliche, soziale und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen.

2. Andere Methoden der Bestrafung sind dem Freiheitsentzug vorzuziehen.

Artikel 11

Mit Ausnahme der gesetzlich für alle Staatsbürger vorgesehenen Fälle ist es unter Strafandrohung zu verbieten, daß Angehörige der betreffenden Völker zwangsweise in irgendeiner Form zu persönlichen Dienstleistungen, gleich ob entgeltlicher oder unentgeltlicher Art, verpflichtet werden.

Artikel 12

Die betreffenden Völker sind gegen den Mißbrauch ihrer Rechte zu schützen und müssen die Möglichkeit haben, entweder individuell oder durch ihre Vertretungsorgane, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, um den wirksamen Schutz dieser Rechte sicherzustellen. Es sind Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen, daß Angehörige dieser Völker in einem Gerichtsverfahren verstehen und verstanden werden können, nötigenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers oder durch andere wirksame Mittel.

Teil II. Grund und Boden

Artikel 13

1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Teils des Übereinkommens haben die Regierungen die besondere Bedeutung, die die Beziehung der betreffenden Völker zu dem von ihnen besiedelten oder anderweitig genutzten Land oder den von ihnen besiedelten oder anderweitig genutzten Gebieten, oder gegebenenfalls zu beiden, für ihre Kultur und ihre geistigen Werte hat, und insbesondere die kollektiven Aspekte dieser Beziehung, zu achten.

2. Die Verwendung des Ausdrucks "Land" in den Artikeln 15 und 16 schließt den Begriff der Gebiete ein, der die gesamte Umwelt der von den betreffenden Völkern besiedelten oder anderweitig genutzten Flächen umfaßt.

Artikel 14

1. Die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden Völker an dem von ihnen von alters her besiedelten Land sind anzuerkennen. Außerdem sind in geeigneten Fällen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht der betreffenden Völker zur Nutzung von Land zu schützen, das nicht ausschließlich von ihnen besiedelt ist, zu dem sie aber im Hinblick auf ihre der Eigenversorgung dienenden und ihre traditionellen Tätigkeiten von alters her Zugang haben. Besondere Aufmerksamkeit ist diesbezüglich der Lage von Nomadenvölkern und Wanderfeldbauern zu schenken.

2. Die Regierungen haben, soweit notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um das von den betreffenden Völkern von alters her besiedelte Land zu bestimmen und um den wirksamen Schutz ihrer Eigentums- und Besitzrechte zu gewährleisten.

3. Im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung sind angemessene Verfahren festzulegen, um Landforderungen der betreffenden Völker zu regeln.

Artikel 15

1. Die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes sind besonders zu schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen.

2. In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen ihres Landes durchführen oder genehmigen. Die betreffenden Völker müssen wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden.

Artikel 16

1. Vorbehaltlich der nachstehenden Absätze dieses Artikels dürfen die betreffenden Völker aus dem von ihnen besiedelten Land nicht ausgesiedelt werden.

2. Falls die Umsiedlung dieser Völker ausnahmsweise als notwendig angesehen wird, darf sie nur mit deren freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung stattfinden. Falls ihre Zustimmung nicht erlangt werden kann, darf eine solche Umsiedlung nur nach Anwendung geeigneter, durch die innerstaatliche Gesetzgebung festgelegter Verfahren, gegebenenfalls einschließlich öffentlicher Untersuchungen, stattfinden, die den betreffenden Völkern Gelegenheit für eine wirksame Vertretung bieten.

3. Wann immer möglich, müssen diese Völker das Recht haben, in ihr angestammtes Land zurückzukehren, sobald die Umsiedlungsgründe nicht mehr bestehen.

4. Ist eine solche Rückkehr nicht möglich, wie einvernehmlich oder mangels Einvernehmens durch geeignete Verfahren festgestellt, ist diesen Völkern in allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit und mit mindestens gleich gutem Rechtsstatus zuzuweisen, dessen Ertrag ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt. Ziehen die betreffenden Völker eine Entschädigung in Form von Geld- oder Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien zuzusprechen.

5. Den auf diese Weise umgesiedelten Personen ist für jeden durch die Umsiedlung entstandenen Verlust oder Schaden voller Ersatz zu leisten.

Artikel 17

1. Die von den betreffenden Völkern festgelegten Verfahren für die Übertragung von Rechten an Grund und Boden unter Angehörigen dieser Völker sind zu achten.

2. Die betreffenden Völker sind zu konsultieren, wenn ihre Befugnis geprüft wird, ihr Land zu veräußern oder auf andere Weise ihre Rechte daran an Personen außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zu übertragen.

3. Personen, die diesen Völkern nicht angehören, sind daran zu hindern, deren Bräuche oder deren Gesetzesunkenntnis auszunützen, um Eigentums-, Besitz- oder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu erwerben.

Artikel 18

Durch Gesetz sind angemessene Strafen für das unbefugte Eindringen in das Land der betreffenden Völker oder seine unbefugte Nutzung festzulegen, und die Regierungen haben Maßnahmen zu ergreifen, um solche strafbaren Handlungen zu verhindern.

Artikel 19

In staatlichen Agrarprogrammen ist den betreffenden Völkern eine gleich günstige Behandlung wie den übrigen Teilen der Bevölkerung zu sichern in bezug auf

a) die Zuweisung weiteren Landes, wenn die diesen Völkern zur Verfügung stehenden Bodenflächen zur Gewährleistung einer normalen Lebensführung oder im Hinblick auf ihren künftigen Bevölkerungszuwachs nicht ausreichen;

b) die Gewährung der erforderlichen Mittel zur Hebung der Ertragsfähigkeit des bereits im Besitz dieser Völker befindlichen Bodens.

Teil III. Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen

Artikel 20

1. Die Regierungen haben im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung und in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern besondere Maßnahmen zu treffen, um einen wirksamen Schutz der den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer in bezug auf Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, soweit sie durch die für die Arbeitnehmer allgemein geltenden Gesetze nicht wirksam geschützt sind.

2. Die Regierungen haben alles zu unternehmen, was in ihrer Macht steht, um jede unterschiedliche Behandlung der den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern zu verhindern, insbesondere in bezug auf:

a) die Zulassung zur Beschäftigung, einschließlich der Facharbeit, sowie Beförderungs- und Aufstiegsmaßnahmen;

b) gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit;

c) ärztliche und soziale Betreuung, Arbeitsschutz, alle Leistungen der Sozialen Sicherheit und andere berufsbezogene Leistungen sowie Unterbringung;

d) das Vereinigungsrecht und die freie Ausübung jeder rechtmäßigen Gewerkschaftstätigkeit sowie das Recht zum Abschluß von Gesamtarbeitsverträgen mit Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden.

3. Die getroffenen Maßnahmen haben Maßnahmen zu umfassen, um sicherzustellen,

a) daß die den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer, einschließlich der in der Landwirtschaft und in anderen Bereichen beschäftigten Saison-, Gelegenheits- und Wanderarbeitnehmer sowie der von Arbeitskräftevermittlern beschäftigten Arbeitnehmer, den Schutz genießen, den die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis anderen solchen Arbeitnehmern in den gleichen Sektoren gewährt, und daß sie über ihre Rechte auf Grund der Arbeitsgesetzgebung und über die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel umfassend unterrichtet werden;

b) daß die diesen Völkern angehörenden Arbeitnehmer nicht Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, die ihre Gesundheit gefährden, insbesondere durch die Exposition gegenüber Pestiziden oder anderen giftigen Stoffen;

c) daß die diesen Völkern angehörenden Arbeitnehmer nicht Zwangsanwerbungssystemen unterworfen werden, einschließlich der Schuldknechtschaft in allen ihren Formen;

d) daß die diesen Völkern angehörenden Arbeitnehmer Chancengleichheit und Gleichbehandlung in der Beschäftigung für Männer und Frauen und Schutz vor sexueller Belästigung genießen.

4. Besondere Beachtung ist der Einrichtung ausreichender Arbeitsaufsichtsdienste in Gebieten zu schenken, wo den betreffenden Völkern angehörende Arbeitnehmer einer entlohnten Beschäftigung nachgehen, um sicherzustellen, daß die Bestimmungen dieses Teils des Übereinkommens eingehalten werden.

Teil IV. Berufsbildung, Handwerk und ländliche Gewerbe

Artikel 21

Den Angehörigen der betreffenden Völker sind mindestens die gleichen Berufsbildungsmaßnahmen zu bieten wie den übrigen Staatsbürgern.

Artikel 22

1. Es sind Maßnahmen zu treffen, um die freiwillige Teilnahme von Angehörigen der betreffenden Völker an allgemeinen Berufsbildungsprogrammen zu fördern.

2. Soweit die bestehenden allgemeinen Berufsbildungsprogramme den besonderen Bedürfnissen der betreffenden Völker nicht gerecht werden, haben die Regierungen mit Beteiligung dieser Völker für die Bereitstellung besonderer Ausbildungsprogramme und -möglichkeiten zu sorgen.

3. Grundlage der besonderen Ausbildungsprogramme müssen das wirtschaftliche Umfeld, die sozialen und kulturellen Verhältnisse und die tatsächlichen Bedürfnisse der betreffenden Völker sein. In diesem Zusammenhang vorgenommene Untersuchungen sind in Zusammenarbeit mit diesen Völkern durchzuführen, die zur Planung und Durchführung solcher Programme anzuhören sind. Wo dies durchführbar ist, haben diese Völker schrittweise die Verantwortung für die Planung und Durchführung dieser besonderen Ausbildungsprogramme zu übernehmen, falls sie dies beschließen.

Artikel 23

1. Handwerk, ländliche und gemeinschaftliche Gewerbe sowie der Eigenversorgung dienende und traditionelle Tätigkeiten der betreffenden Völker, wie Jagen, Fischen, Fallenstellen und Sammeln, sind als wichtige Faktoren in der Bewahrung ihrer Kultur und in ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und Entwicklung anzuerkennen. Die Regierungen haben, mit Beteiligung dieser Völker und falls angebracht, dafür zu sorgen, daß diese Tätigkeiten gestärkt und gefördert werden.

2. Auf Verlangen der betreffenden Völker ist, falls möglich, geeignete technische und finanzielle Unterstützung zu gewähren, wobei die traditionellen Techniken und kulturellen Besonderheiten dieser Völker sowie die Bedeutung einer tragfähigen und gerechten Entwicklung zu berücksichtigen sind.

Teil V. Soziale Sicherheit und Gesundheitswesen

Artikel 24

Die Systeme der Sozialen Sicherheit sind schrittweise auf die betreffenden Völker auszudehnen und anzuwenden, ohne diese zu diskriminieren.

Artikel 25

1. Die Regierungen haben dafür zu sorgen, daß den betreffenden Völkern ausreichende Gesundheitsdienste zugänglich gemacht werden, oder haben ihnen die Mittel zur Verfügung zu stellen, um es ihnen zu ermöglichen, solche Dienste in eigener Verantwortung und unter eigener Kontrolle zu gestalten und bereitzustellen, damit sie den höchstmöglichen Stand körperlicher und geistig-seelischer Gesundheit erreichen können.

2. Die Gesundheitsdienste müssen soweit wie möglich gemeinschaftsnah sein. Diese Dienste sind in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern zu planen und zu verwalten und haben ihren wirtschaftlichen, geographischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen sowie ihrer traditionellen Gesundheitsvorsorge und ihren traditionellen Heilverfahren und -mitteln Rechnung zu tragen.

3. Das Gesundheitssystem hat der Ausbildung und Beschäftigung von Gesundheitspersonal der örtlichen Gemeinwesen Vorrang einzuräumen und das Schwergewicht auf die gesundheitliche Grundversorgung zu legen, wobei gleichzeitig enge Verbindungen mit anderen Ebenen der Gesundheitsdienste aufrechtzuerhalten sind.

4. Die Bereitstellung dieser Gesundheitsdienste ist mit der Durchführung anderer sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Maßnahmen im Land zu koordinieren.

Teil VI. Bildungswesen und Kommunikationsmittel

Artikel 26

Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß den Angehörigen der betreffenden Völker mindestens die gleichen Bildungsmöglichkeiten aller Stufen zur Verfügung stehen wie der übrigen Bevölkerung des Landes.

Artikel 27

1. Die Bildungsprogramme und -dienste für die betreffenden Völker sind in Zusammenarbeit mit ihnen zu entwickeln und durchzuführen, um ihren speziellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, und haben ihre Geschichte, ihre Kenntnisse und Techniken, ihre Wertsysteme und ihre weiteren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bestrebungen einzubeziehen.

2. Die zuständige Stelle hat für die Ausbildung von Angehörigen dieser Völker und ihre Beteiligung an der Aufstellung und Durchführung von Bildungsprogrammen zu sorgen, damit die Verantwortung für die Leitung dieser Programme gegebenenfalls schrittweise auf diese Völker übertragen werden kann.

3. Darüber hinaus haben die Regierungen das Recht dieser Völker anzuerkennen, ihre eigenen Bildungseinrichtungen und — möglichkeiten zu schaffen, vorausgesetzt, daß diese Einrichtungen die von der zuständigen Stelle in Beratung mit diesen Völkern festgelegten Mindestnormen erfüllen. Zu diesem Zweck sind angemessene Mittel bereitzustellen.

Artikel 28

1. Der Unterricht im Lesen und Schreiben für Kinder der betreffenden Völker hat, falls durchführbar, in deren Eingeborenensprache oder in der von der Bevölkerungsgruppe, der sie angehören, am meisten verwendeten Sprache zu erfolgen. Ist dies nicht durchführbar, haben die zuständigen Stellen Konsultationen mit diesen Völkern vorzunehmen, um Maßnahmen festzulegen, die die Erreichung dieses Ziels gestatten.

2. Es sind ausreichende Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen, daß diese Völker die Gelegenheit haben, die Landessprache oder eine der Amtssprachen des Landes so zu erlernen, daß sie sie fließend beherrschen.

3. Es sind Maßnahmen zu treffen, um die Entwicklung und den Gebrauch der Eingeborenensprachen der betreffenden Völker zu schützen und zu fördern.

Artikel 29

Die Bildung hat darauf abzuzielen, den Kindern der betreffenden Völker allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen eine volle und gleichberechtigte Beteiligung in ihrer eigenen Gemeinschaft und in der nationalen Gemeinschaft erleichtern.

Artikel 30

1. Die Regierungen haben den Überlieferungen und Kulturen der betreffenden Völker entsprechende Maßnahmen zu treffen, um sie über ihre Rechte und Pflichten, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeit, der wirtschaftlichen Möglichkeiten, der Bildungs- und Gesundheitsangelegenheiten, der sozialen Dienste und der sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Rechte, aufzuklären.

2. Erforderlichenfalls hat dies durch schriftliche Übersetzungen und Massenkommunikationsmittel in den Sprachen dieser Völker zu geschehen.

Artikel 31

Unter allen Teilen der Bevölkerung, insbesondere dort, wo die unmittelbarste Berührung mit den betreffenden Völkern besteht, sind erzieherische Maßnahmen zu treffen, um gegebenenfalls bestehende Vorurteile gegen diese Völker zu beseitigen. Zu diesem Zweck sind Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, daß die Geschichtsbücher und das sonstige Bildungsmaterial eine gerechte, genaue und informative Darstellung der Gesellschaften und Kulturen dieser Völker bieten.

Teil VII. Grenzüberschreitende Kontakte und Zusammenarbeit

Artikel 32

Die Regierungen haben geeignete Maßnahmen zu ergreifen, auch mittels internationaler Vereinbarungen, um grenzüberschreitende Kontakte und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen eingeborenen und in Stämmen lebenden Völkern zu erleichtern, einschließlich Tätigkeiten im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, geistigen und Umweltbereich.

Teil VIII. Verwaltung

Artikel 33

1. Die Behörde, welche für die in diesem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten zuständig ist, hat sicherzustellen, daß zur Durchführung der Programme, die die betreffenden Völker berühren, Verwaltungsstellen oder andere geeignete Mechanismen bestehen und daß diese die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel haben.

2. Diese Programme haben zu umfassen:

a) die Planung, Koordinierung, Durchführung und Bewertung der in diesem Übereinkommen vorgesehenen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern;

b) die Unterbreitung von Vorschlägen betreffend gesetzgeberische und andere Maßnahmen an die zuständigen Stellen sowie die Überwachung der Durchführung der getroffenen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern.

Teil IX. Allgemeine Bestimmungen

Artikel 34

Art und Umfang der zur Durchführung dieses Übereinkommens zu treffenden Maßnahmen sind flexibel zu gestalten, wobei auf die besonderen Verhältnisse jedes Landes Rücksicht zu nehmen ist.

Artikel 35

Die Anwendung der Bestimmungen dieses Übereinkommens darf sich auf die Rechte und Vorteile der betreffenden Völker aus anderen Übereinkommen und Empfehlungen, internationalen Übereinkünften, Verträgen oder innerstaatlichen Gesetzen, Schiedssprüchen, Bräuchen oder Vereinbarungen nicht nachteilig auswirken.

Teil X. Schlußbestimmungen

Artikel 36 Durch dieses Übereinkommen wird das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, neugefaßt.

Artikel 37

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 38

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 39

1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Sie wird erst ein Jahr nach der Eintragung wirksam.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und binnen eines Jahres nach Ablauf der in Absatz 1 genannten zehn Jahre von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für weitere zehn Jahre gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf von zehn Jahren nach Maßgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 40

1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, zu dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 41

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Maßgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 42

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erstattet der Allgemeinen Konferenz, wann immer er es für nötig erachtet, einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens und prüft, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Neufassung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 43

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise neufaßt, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gilt folgendes:

a) Die Ratifikation des neugefaßten Übereinkommens durch ein Mitglied hat ungeachtet des Artikels 39 ohne weiteres die Wirkung einer sofortigen Kündigung des vorliegenden Übereinkommens, sofern das neugefaßte Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefaßten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. In jedem Fall bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt für diejenigen Mitglieder in Kraft, die dieses, nicht jedoch das neugefaßte Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 44

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise verbindlich.



Dreihundert Millionen — oder vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung — gehören Völkern, Nationen, Stämmen oder Gemeinschaften an, die als Ureinwohner ihres Landes und oft in enger Beziehung zur Natur leben. Häufig werden diese Völker Opfer von Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung und Entzug ihrer Lebensgrundlagen durch die Staaten, auf deren Territorium sie wohnen. 75 Prozent aller nicht-erneuerbaren Ressourcen liegen auf dem Land indigener Völker, westliche Industriestaaten sind bei fast allen wirtschaftlichen Großprojekten auf Indigenen-Territorien beteiligt.

Die Konvention hat auch für Europa Relevanz. Die Konvention Nr. 169 der International Labour Organization (ILO), einer Unterorganisation der UNO mit Sitz in Genf, in der neben Regierungen auch Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sitzen, ist das bislang umfassendste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz indigener Völker in aller Welt. Die Konvention 169 ist seit ihrer Verabschiedung erst von 14 der 173 Mitgliedstaaten der ILO unterzeichnet worden. Westliche Industrienationen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland und Italien, haben erklärt, daß sie von dem Abkommen nicht berührt würden, da auf ihrem Territorium keine indigenen Völker leben. Durch ihre Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des Südens haben europäische Staaten jedoch einen enormen Einfluß auf das Schicksal indigener Völker. Dies gilt gerade in Zeiten der "Globalisierung". Würden sie die ILO-Konvention 169 ratifizieren, so müßten sie deren Normen in ihrer Außenpolitik berücksichtigen. Deshalb fordern Vertreter Indigener Völker erneut, daß auch die Bundesrepublik und andere europäische Länder sich dem Kreis der Unterzeichner anschließen.

ILO-Konvention 169 ist eine Überarbeitung der Konvention 107 von 1958, die sich ebenfalls den Schutz indigener Völker zum Ziel setzte und von 27 Staaten ratifiziert wurde. Grund für die Revision war die Kritik der Betroffenen. Das Ziel der ILO 107, die indigenen Völker in die Mehrheitsgesellschaften zu integrieren, sollte dem Konzept einer weitreichenden Selbstbestimmung weichen. An der Ausarbeitung von Konvention 169 wirkten Vertreter zahlreicher indigener Völker mit.

Die in ILO-Konvention 169 festgelegten Grundrechte Die ILO 169 setzt Grundrechte für indigene Völker und "Stammesvölker" fest und legt den Unterzeichnerstaaten umfassende Verpflichtungen auf. In sieben Artikeln beschäftigt sie sich speziell mit Fragen des Landbesitzes und der Ausbeutung von Rohstoffen, mit Fragen also, die für viele indigene Völker von existentieller Bedeutung sind. Im einzelnen enthält das Abkommen:

- volle Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Unterschiede (Art. 2, 3), — Recht auf kulturelle Identität (Art. 4), — Recht auf gemeinschaftliche Strukturen und Traditionen (Art. 4), — Recht auf Beteiligung bei der Findung von Entscheidungen, die diese Völker betreffen (Art. 6), — Recht auf Gestaltung der eigenen Zukunft (Art. 6, 7), — Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz, (Art. 2, 8, 9), — Recht auf Land und Ressourcen (Art. 13-19), — Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20), — Recht auf Ausbildung und den Zugang zu den Kommunikationsmitteln (Art. 21).

Die Unterzeichnerstaaten

Ratifiziert (d.h. unterzeichnet und vom jew. Parlament durch Bestätigung in Kraft gesetzt) wurde die ILO Konvention bislang von folgenden 14 Staaten: Stand: 22.08.2000 — laut ILO Website

Norwegen 19.06.1990
Mexiko 05.09.1990
Kolumbien 07.08.1991
Bolivien 11.12.1991
Costa Rica 02.04.1993
Paraguay 02.02.1994
Peru 02.02.1994
Honduras 28.03.1995
Dänemark 22.02.1996
Guatemala 05.06.1996
Niederlande 02.02.1998
Fiji 03.03.1998
Ecuador 15.05.1998
Argentinien 03.07.2000

In den Unterzeichnerstaaten sind einige positive Entwicklungen festzustellen: Bolivien z.B. hat in einer Verfassungsänderung der multi-ethnischen und multi-kulturellen Natur des Staates Rechnung getragen und das Recht indigener Völker an einer Beteiligung bei sie betreffenden Entscheidungen anerkannt. Mexiko hat eine Regelung erlassen, daß die Bräuche indigener Völker in Strafprozessen in Betracht zu ziehen sind. Andererseits hat die ILO in Mexiko auch einen schweren Mißbrauch indigener Arbeiter festgestellt und auf Verbesserung gedrängt. Durchweg gute Ergebnisse sind in Norwegen festzustellen: Dort ist ein Parlament für das indigene Volk der Saami eingerichtet worden. Dieses Parlament wird bei allen Entscheidungen, die die Saami betreffen, beteiligt. Auch der Bericht, den Norwegen über die Umsetzung des Abkommens abgeben muß, wird zur Beurteilung an das Saami-Parlament geleitet.

Die Niederlande haben die Konvention 1998 ratifiziert. Sie haben bereits angekündigt, in Zukunft bei Tiefflügen über Labrador und Kanada sowie beim Handel mit Tropenhölzern an dem Abkommen orientierte Entscheidungskriterien anzusetzen. In Österreich dagegen scheiterten Versuche eines positiven Beschlusses stets am Nationalrat. Obwohl erst sehr wenige Staaten die ILO 169 ratifiziert haben, geht ihr Einfluß über diesen Kreis hinaus. So ist die ILO von der russischen Staats-Duma gebeten worden, sie bei der Einführung neuer Gesetze für die indigenen Völker in Rußland zu beraten.

Von indigener Seite wird das Abkommen überwiegend begrüßt. Zwar werden zum Teil auch noch der ILO 169 Assimilierungstendenzen vorgeworfen, jedoch werden die deutlichen Fortschritte im Vergleich zur Vorgängerversion anerkannt und positiv bewertet. Das Abkommen macht deutlich, daß eine besondere Behandlung indigener Völker in bestimmten Bereichen keinesfalls zu einer Form von Apartheid führen darf. Die Angehörigen indigener Völker haben einerseits das Recht auf Ausübung der eigenen Kultur. Andererseits dürfen sie nicht zu einem traditionellen Leben im Stammesverband gezwungen werden. Mit Artikel 8 III erhalten sie die Möglichkeit, ihre Existenzweise zu wählen.

In vieler Hinsicht ist die Konvention 169 zu weit gefaßt und läßt dadurch viel Interpretationsspielraum offen. Dies ist auch eine Folge der Tatsache, daß das Abkommem für alle indigenen Völker gelten soll, die tatsächlichen Gegebenheiten sich aber von Land zu Land und Volk zu Volk oft sehr unterscheiden. So können Staaten, die es mit der Umsetzung des Abkommens weniger ernst nehmen, es in vielen Bereichen umgehen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, daß indigene Völker nach dem Abkommen zwar bei sie betreffenden Entscheidungen konsultiert werden müssen, eine aktive Mitentscheidungskompetenz oder ein Vetorecht ihnen jedoch nicht zugebilligt wird. Nicht-indigene Staatsorgane behalten noch immer das letzte Wort, d.h. die Indigenen sind weiter auf das Wohlwollen der jeweiligen Regierung angewiesen. Auch wenn das Abkommen betont, daß "einvernehmliche" Entscheidungen erreicht werden sollen, wird hier eine vergleichsweise schwache Rechtsposition eingeräumt.

Auch Staaten ohne indigene Völker sollten beitreten Auch Deutschland hat 1993 eine Ratifizierung der ILO-Konvention 169 abgelehnt. Als Grund nannte die Bundesregierung zunächst, daß das deutsche Staatsgebiet keine indigenen Völker beherbergt. Deutschland sei daher vom Gegenstand des Abkommens nicht betroffen (Bundestagsdrucksache 12/2150). In Anworten auf spätere Anfragen wurde diese brüske Ablehnung ein wenig abgemildert: Ein Beitritt sei zwar unter völkerrechtlichen Aspekten nicht völlig auszuschließen, erscheine derzeit aber nicht sinnvoll (Bundestagsdrucksache 13/5367). Dennoch wäre es wichtig, daß hinreichend viele und vor allem auch wirtschaftlich mächtige Staaten sich zu den Standards der ILO-Konvention 169 bekennen.

Dies wird deutlich, wenn man sich die doppelte Intention des Abkommens vergegenwärtigt: Zum einen soll es bestimmte Rechte und Pflichten zwischen Staaten und indigenen Völkern regeln, andererseits soll es jedoch auch dazu beitragen, daß ein universell geltender Normenkatalog geschaffen wird. Ein weiteres Argument zugunsten eines Beitritts auch durch Staaten ohne indigene Völker ist die Möglichkeit einer gegenseitigen Kontrolle der Unterzeichnerstaaten. Gemäß Artikel 22 des ILO-Statuts können Unterzeichnerstaaten von ILO-Konventionen eine Staatenklage bei der ILO einreichen. Eine solche Sanktionsmöglichkeit ist zwar ungebräuchlich, dennoch bietet die Konvention einen Anknüpfungspunkt für eine Beschwerde oder politischen Druck. Zudem bekämen NGOs die Möglichkeit einer regelmäßigen Berichterstattung über die Umsetzung der Konvention.

Unter dem Strich ist festzuhalten: Da die Verabschiedung der UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker in die Ferne gerückt ist (vgl. pogrom 192, 1996/7), ist die ILO-Konvention 169 noch immer das weitreichendste und umfassendste internationale Abkommen zur Sicherung indigener Rechte. So ist sie weiterhin eine große Chance für das Überleben der indigenen Völker auf dieser Erde. Es bleibt zu hoffen, daß u.a. weitere europäische Länder dem Beispiel Norwegens und Dänemarks folgen und sie unterzeichnen werden. Quelle: Artikel von Ines von Gerlach, aktualisiert von GfbV-Südtirol. Der Artikel ist pogrom 195/196, Herbst 1997 (Titelschwerpunkt Südsudan, 80 S.) entnommen. Der Wortlaut der Konvention und die Liste der Staaten, die sie ratifiziert haben, kann über die ILO Website eingesehen werden. Das pogrom-Heft kann gegen DM 15.00 bestellt werden bei: info-at-gfbv.de

Quelle: Homepage der Gesellschaft für bedrohte Völker Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht.

 Quelle:  
  http://www.gfbv.it/3dossier/ilo169-conv-dt.html 
 

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