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Der Widerstand gegen den Raubbau an Naturressourcen

in Mexiko radikalisiert sich. Lehren aus einem Treffen in Oaxaca

Correos de las Américas vom 16.06.2011
Philipp Gerber

  Ein Artikel für den Correos de las Américas

Sogar die Organisatoren überrascht der Ansturm: Im Bergdorf Calpulalpám de Méndez, hoch oben in den Föhrenwäldern der Sierra Juárez von Oaxaca, platzt der mit lokalem Holz getäferte, grosse Gemeindesaal aus allen Nähten: Repräsentationen aus gut 50 indigenen Gemeinden aus ganz Oaxaca sowie von ebenso vielen sozialen Organisationen aus verschiedenen Bundesstaaten Mexikos treffen sich zu einem Forum namens "Widerstände vernetzen". Konkreter Anlass dazu sind die massiven Angriffe auf die natürlichen Ressourcen in den indigenen Regionen. Die Analyse des aktuellen Entwicklungsmodells, das dem grossen Hunger nach Gold und anderen Metallen zugrunde liegt, wird klar abgelehnt: "Die Minengesellschaften, meist in kanadischer Hand, holen sich unsere Ressourcen und lassen uns den Tod", resümiert ein Vertreter des Widerstands gegen die Minenaktivitäten auf dem Territorium der Huichol-Indigenen im nördlichen Bundesstaat San Luis Potosí. Denn nicht nur die Gemeinden in Oaxaca sind in verschiedener Art und Weise von Grossprojekten betroffen. Aber hier sind die indigenen Regionen dank ihrem starken sozialen Zusammenhalt noch am ehesten imstande, den Grossprojekten eine integrale Verteidigung entgegenzusetzen. Integral, da auf verschiedenen Ebenen gekämpft wird: Gemeindepolitisch mithilfe der gewählten Autoritäten; juristisch, inklusive der internationalen Instrumente wie ILO 169 und das Recht auf Befragung der angestammten Bevölkerung über geplante Grossprojekte; argumentativ mit der Wiederbelebung der kommunitären Werte, oder nötigenfalls auch physisch, mit Blockaden des zu verteidigenden Territoriums.

Tränen der Wut


Gerade Calpulalpam ist ein Beispiel für diese Widerstandskultur. So haben schon in den 80er Jahren die Frauen der Gemeinde die Wege unbrauchbar gemacht, über welche der Raubbau an den Wäldern der Region geschah. Und seit einigen Jahren wurde jegliche Minenaktivität stillgelegt. Doch nun soll die Ausbeutung weitergehen, da eine auf Exploration spezialisierte kanadische Firma eine fette Goldader wenig unter der Erde entdeckte. Die Gemeinde wehrt sich geschlossen. »Unser Untergrund ist jetzt schon völlig durchlöchert”, meint der Vorsitzende des Ältestenrates. »13 Quellen sind in den letzten Jahrzehnten versiegt, und die Verschmutzung der Region durch die Minenaktivitäten der Vergangenheit ist nach wie vor präsent”. »Wir wollen weder Gold noch Silber, wir wollen Leben«, so eine ältere Zapotekin der Gemeinde mit Tränen der Wut in den Augen.

In den Diskussionen an diesem dritten Forum »zur Verteidigung der Territorien« standen diese Strategien der Verteidigung im Zentrum. Aber was genau soll verteidigt werden, was ist ein Territorium? Jaime Luna, der lokale Theoretiker einer neuen Comunalidad, fasste die identitäre Herausforderung zusammen: ”Das Territorium ist ein Ganzes, es gehört niemandem, sondern allen. Es ist nicht nur Erde, sondern Wasser, Flüsse, Ressourcen im Boden und die Kultur. Wir Dörfer sind alle die Soldaten des Territoriums, aber das Territorium gehört nicht einer Gemeinde”. Wie aktuell, aber auch wie schwierig der Versuch eines erneuten Rückgriffs auf das kollektive Gemeingut ist, zeigt der Konflikt zwischen Nachbardörfern von Calpulalpam. Diese haben sich vor zwei Jahrzehnten zusammengeschlossen, um kooperativ und nachhaltig die Wälder zu nutzen. Ihre Möbelfabrik wurde mit den Jahren bekannt und gewann kürzlich gar einen Preis im von Fernsehen Televisa mit viel Brimborium inszenierten Wettbewerb »Initiative Mexiko«, bei welchem hunderte von Projekten um ein paar Millionen Pesos buhlen. Eine Million Pesos holte die Holzkooperative hier ab. Im Mai traten dann zwei Gemeindepräsidenten der Region vor die Presse und beklagten, dass die Kooperative seit 18 Jahren denselben Vorstand habe und das Ganze nur noch ein Geschäft weniger Familien sei. Ausserdem werde illegal Holz geschlagen, worauf die betroffenen Gemeinden die Zugangswege zu ihren Wäldern blockierten.

Das Beispiel zeigt, dass die selbst bestimmte Entwicklung alles andere als einfach ist. Doch meistens kommen die Angriffe auf die natürlichen Ressourcen mit direkter Beteiligung internationaler Firmen. Hochfliegende ökotouristische Pläne mit Schweizer Kapital an der Küste, Staudämme oder Minenprojekte wurden bekannt für ihre hohe Konfliktualität und den Widerspruch der betroffenen Dörfer. Hinzu kommen weitere »grüne« Grossprojekte, wie die tausenden von Windgeneratoren im Istmo oder die Schutzzonen zur CO2-Bindung als Teil des internationalen Klimawandel-Business. Beispiel für letzteres ist die ebenfalls zapotekische Gemeinde Santiago Lachiguiri: Erst stellte sie ihre Wälder unter den von der Weltbank geförderten staatlichen Bedingungen als »Naturschutzzone« zur Verfügung und erhielt dafür die »Zahlungen für Umweltschutzleistungen«. Letztlich bedeutet dieser Vertrag jedoch nichts anderes, als dass die Wälder marktkonform gemacht werden, wie Gerold Schmidt in seinem Artikel zu Lachiguiri (1) festhält. Die darin zitierte Ford Foundation bringt es auf den Punkt: »Die Strategien der Zahlungen für Umweltschutzleistungen ... teilen die Prämissen der zentralen mexikanischen Politiken zur Privatisierung und Dezentralisierung der öffentlichen Funktionen und zur Beendigung der Subventionen und Fürsorge des bäuerlichen Sektors«. Als die Gemeinde sich dieser Tendenz gewahr wird, beginnt ein Umdenken. Schliesslich traten sie aus dem Vertrag aus und deklarierten die Wälder zur kommunitären Schutzzone unter eigenen Regeln um, was just Anfang Mai von den Behörden als rechtskräftig anerkannt werden musste.


Das Treffen in Calpulalpam schloss mit einer ähnlichen Zeremonie: Die mehreren Hundert Teilnehmenden pilgerten zusammen mit dem ganzen Dorfvorstand zur Wasserquelle oberhalb der Gemeinde hoch, wo nach einem Opfer an die Mutter Erde die kommunitäre Schutzzone von Calpulalpam deklariert wurde. "Wir schützen die Region, aber wir wollen nicht auf das Spiel der Regierung hereinfallen. Wir wissen besser als sie, wie wir unser Territorium nützen und schützen", erklärte ein Gemeindevertreter. Wichtigster Punkt des offiziellen Akts: Der Gemeindevorstand, inklusive der lokalen Agrarbehörden, verabschiedeten einstimmig, dass die Gemeinde Calpulalpam "keinerlei Art von Ausbeutung" der natürlichen Ressourcen zulassen werde. (2)

Dass dieses zweitägige Forum auf einen so breiten Zuspruch bei den Gemeinden stiess, hat einen weiteren Grund: die fortschrittlichen Kräfte des Bundesstaates erhofften sich im Wahljahr 2010 mit dem Kandidaten Gabino Cué ein Ende des autoritären Regimes, das in Form der PRI seit den Zwanziger Jahren den Bundesstaat im Griff hat. Nun, ein halbes Jahr nach Amtsübergabe an Gabino, macht sich Ernüchterung und Bitternis breit. Die Bauern von Paso de la Reina brachten die Stimmung auf den Punkt: "Die Regierung Gabino ist dieselbe Eselei. Er ist stumm, bewegt sich nicht vorwärts und nicht zurück". Die Dörfer um Paso de la Reina haben sich gegen das Staudammprojekt mit demselben Namen organisiert. Als Kandidat versprach Gabino, ihrer Stimme Gehör zu verleihen. Heute weigert er sich, sie auch nur zu empfangen. Zu wichtig sind wohl die so genannten nationalen Interessen, welche die föderale Regierung per Energieplan hegt.

Die Staudammwiderstände sind in Mexiko ein Beispiel für effiziente Vernetzung. Derjenige in Guerrero, La Parota, gewann eben den fünften Prozess gegen gezinkte Gemeindeabstimmungen. Der Zugang zum Territorium von Paso de la Reina ist seit zwei Jahren durch einen Tag und Nacht besetzten Wachposten geschützt, mit welchem die Gemeinden der Elektrizitätskommission und den mit ihr entsandten WissenschafterInnen den Zugang verhindern. So können die Machbarkeitsstudien des Projekts nicht zu Ende geführt werden. Die Widerstände gegen Staudämme und Minen werden in nationalen Netzwerken koordiniert, in denen einige wenige engagierte NGOs eine koordinierende Funktion einnehmen. Aus den Treffen entstehen allmählich auch gemeinsam getragene Aktionsformen. An der Demonstration von an die 10’000 StaudammgegnerInnen an der Küste Oaxacas nahe Paso de la Reina anlässlich des internationalen Tags gegen Staudämme (14. März) nahmen auch VertreterInnen aus dem benachbarten Guerrero teil. Und als die (durch mehrere Gerichtsurteile für illegal erklärte) Baustelle des Staudamms von El Zapotillo in Jalisco von den BewohnerInnen der betroffenen Dörfer besetzt wurde, waren Delegationen aus Organisationen der entfernten Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Guerrero mit dabei. Die "direkte Aktion", früher von der so genannten Zivilgesellschaft oft als gewalttätig oder kontraproduktiv verpönt, wird angesichts des skrupellosen Vorgehens der Regierung und der multinationalen Konzerne wieder diskutiert und strategisch eingesetzt.

(1) el caso de la zona de preservación de santiago lachiguiri la imposición gubernamental versus la autogestión comunal de las tierras ancestralmente conservadas

(2) declaración del territorio histórico comunal de recarga de acuiferos la y

Widerstand im Mafialand

Wie gross der Spielraum für entschlossenen Widerstand der Gemeinden Oaxacas in einem immer konsequenter militarisierten Land tatsächlich ist, wird sich zeigen. Im Nachbarbundesstaat Guerrero wird eine ganze Region von der Holzfäller- und Drogenmafia entvölkert, erst Ende April flohen 150 Personen vor den bewaffneten Mafiosi aus zwei Gemeinden der Sierra in das grössere Dorf Puerto Las Ollas, welches seinerseits wiederholter Militärübergriffen wegen angeblicher Nähe zur örtlichen Guerilla ausgesetzt ist. Und noch einen Bundesstaat weiter nördlich, in Michoacán, flohen im Mai tausende BewohnerInnen vor den kriminellen Banden aus der Region Tierra Caliente. Anders auf der Hochebene der Purépecha-Indígenen von Michoacán: Die Bewohner des 16’000 Seelen-Städtchen Cherán bemächtigten sich Mitte April der Waffen der untätigen lokalen Polizei, attackierten einen Holzkonvoi der Mafia durch ihr Dorf und sperrten im Anschluss alle Zugänge mit Barrikaden. Sie fordern den Einmarsch der Armee, was wohl kaum eine langfristige Lösung des Problems darstellt. Umso weniger, als sich auch nach über einem Monat Schlagzeilen über die Selbstverteidigung von Cherán nur wenig an der Patrouillentätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte geändert hat. Ein Behördenvertreter des übrigens von der sozialdemokratischen PRD regierten Bundesstaates Michoacán erklärte, die BewohnerInnen von Cherán täten gut daran, eine autonome Gemeindepolizei unabhängig vom Staat einzurichten, ähnlich wie diejenige in der Montaña von Guerrero...

Sicilias Bürgerbewegung gegen den Drogenkrieg

»Mexikaner verbünden sich gegen den Drogenkrieg«, titelten die Medien anlässlich der Demonstrationen im April und Mai dieses Jahres. Die Bewegung geht auf den Aufschrei von Javier Sicilia zurück, dessen 24-jähriger Sohn zusammen mit weiteren Jugendlichen in Cuernavaca ermordet wurde. Javier Sicilia ist Dichter und links engagierter Journalist mit befreiungstheologischem Hintergrund. Seine wöchentlichen Kolumnen in der Zeitschrift Proceso endeten jahrelang regelmässig mit der Forderung nach der Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der EZLN und der Regierung. Der Aufschrei »Estamos hasta la madre« — wir haben die Schnauze gestrichen voll, mobilisierte die linksintellektuelle Mittelschicht Mexikos in Solidarität mit Sicilia. Weniger begeistert über die Mobilisierung waren die rechten, unternehmernahen Vereine gegen die Kriminalität und die Unsicherheit. Denn Sicilia klagte direkt auch die Regierung an als MittäterIn an den zehntausenden von Morden seit der militärischen Eskalation gegen die organisierte Kriminalität. Und forderte eine Rückkehr der Soldaten in die Kasernen. An der zweiten grossen Mobilisierung Anfang Mai nahmen auch erstaunlich viele soziale Organisationen den Ball auf, so die EZLN, welche sich nach fünf Jahren erstmals wieder öffentlich zeigte. Das Kolonialstädtchen San Cristóbal wurde von zwischen 15’000 und 20’000 vermummten Zapatistas besetzt (die zweitgrösste Demonstration in der Geschichte der EZLN). Und die Bewegung geht weiter, Anfang Juni mit einer Karawane nach Ciudad Juárez, der von der Gewalt am meisten betroffenen Stadt, wo ein Pakt der Zivilisiertheit geschlossen werden soll. Lokale zivile Organisationen warnten jedoch Sicilia, sie seien nicht mehr bereit, mit der Regierung irgendwelche Abkommen zu unterzeichnen, aufgrund ihrer Erfahrung mit leeren Versprechen in der Vergangenheit. Es bleibt abzuwarten, ob der Bürgerprotest aus der Mitte mit Sukkurs von unten links eine gewichtige Stimme in Mexiko wird spielen können. Die Präsidentschaftswahlen von Mitte 2012 werfen ihre Schatten voraus. Vorsichtshalber hat das Parlament schon mal eine Wahlreform auf Eis gelegt, welche Bürgerkandidaturen unabhängig von den allseits diskreditieren Parteien ermöglicht hätte...

Nachstehender Artikel, bislang exklusiv auf http://chiapas.ch/ wird demnächst im "Correos de las Americas" erscheinen. Hier vorab mit freundlicher Genehmigung des Autors.

[i] Hinweis: Chiapas98 ist ein ehrenamtliches, nicht-kommerzielles Projekt. Sollten Sie nachweislich die Urheberrechte an einem der von uns verwandten Bilder haben und nicht damit einverstanden sein, dass es hier erscheint, kontaktieren Sie uns bitte, wir entfernen es dann umgehend.

 Quelle:  
  http://zas-correos.blogspot.com/ 
 

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