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Tultitlán
Poonal vom 09.09.2011 |
von Luis Hernández Navarro, Mexiko-Stadt |

Julio Fernando Cardona wurde verhaftet und umgebracht
Julio Fernando Cardona Agustín stammte aus dem Department San Marcos und war erst 19 Jahre alt. Er hatte an der Menschenrechtskarawane »Paso a Paso por la Paz« (Schritt für Schritt für den Frieden) teilgenommen, die, initiiert von Pater Alejandro Solalinde, seit dem 25. Juli durch Mexiko zog und Schutz und Anerkennung von illegalisierten MigrantInnenrechten für TransitmigrantInnen aus Mittelamerika forderte, die sich auf dem Weg in die USA befinden.
Julio Fernando kam am 2. August im Migrantenhaus »San Juan Diego« in Lechería an. Drei Tage später hielt er eine Bescheinigung über seine Staatsangehörigkeit in der Hand, ein Angebot der mexikanische Migrationsbehörde INM (Instituto Nacional de Migración) für die TeilnehmerInnen der Karawane. Am 6. August entschied er sich, seine Reise in Richtung der Vereinigten Staaten fortzusetzen. Er kam nie dort an. Er wurde von mexikanischen Polizisten verhaftet und umgebracht.
Wer nach Lechería kommt, will nach Norden
Lechería, in Tultitlán gelegen, ist eine Gemeinde, die Tausende MittelamerikanerInnen durchqueren. Dort verlaufen die Bahnlinien aus dem Süden Mexikos gen Norden. Jahrelang bestiegen die MigrantInnen in der Zugstation Tultitlán den Zug Richtung Grenze. Jetzt gibt es Mauern und Maschendraht, die es schwieriger machen, auf den Zug zu gelangen. Die illegalisierten MigrantInnen, die nach Tultitlán gelangen, werden häufig Opfer von Razzien, Erpressung und Verfolgung durch die verschiedenen Polizeidienste. Oft machen die Behörden mit kriminellen Banden, welche die zentralamerikanischen MigrantInnen ausnutzen, gemeinsame Sache.
Proteste wegen des Todes von Julio Fernándes ließen nicht lange auf sich warten. Eine Woche nach dem Mord veranstalteten MenschenrechtsverteidigerInnen und mittelamerikanische MigrantInnen einen Schweigemarsch entlang der Eisenbahn in Arriaga, im Bundesstaat Chiapas. Die demonstrierten, um die Bestrafung der Mörder ihres Kameraden zu fordern. Und sie forderten, die Vergabe von MigrantInnenvisa einzustellen, um so zu verhindern, dass MigrantInnen Opfer des organisierten Verbrechens würden. Sie trugen Kreuze und Spruchbänder bei sich, auf denen zu lesen war »Stopp der Repression«, »Visa für zentralamerikanische Migranten einstellen« und »Schluss mit Repression, Entführungen, Vergewaltigungen und den Morden an MigrantInnen«.
Xenophobe und rassistische Übergriffe

Die BewohnerInnen, die sich gegen die Herberge stellten, versicherten, dass die MigrantInnen der Gemeinde schaden würden, dass es Kriminelle und Verbrecher seien. Sie machten die MittelamerikanerInnen für die mangelnde Sicherheit verantwortlich, in der die Menschen dieser Region leben. Sie führen sich gegenüber den MigrantInnen genauso auf, wie es viele US-AmerikanerInnen gegenüber den MexikanerInnen tun, die dort über die Grenze gehen.
Stigmatisierung durch PRI-Bürgermeister Calzada
Marco Antonio Calzada Arroyo, Bürgermeister des Ortes und Mitglied der Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional), hat selbst zur Schaffung eines Klimas der Intoleranz gegenüber den MittelamerikanerInnen ohne Papiere beigetragen. Am 2. September 2010 hatte er sich gegen den Verbleib der Migrantenherberge im Gemeindebezirk ausgesprochen und angeführt, diese würden die Sicherheit gefährden und der Gemeinde keinerlei Nutzen bringen. Nach den Worten des Bürgermeisters gelangen täglich zwischen 100 und 150 illegalisierte MigrantInnen nach Tultitlán, alle ohne Geld, hungrig und durstig, weshalb sie Straftaten verüben, wie etwa den Diebstahl von Gastanks aus Privathäusern oder Vergewaltigungen und Entführungen. Und so hat Calzada angeordnet, sie alle zu verhaften.
Die Verantwortlichen der Migrantenherberge wurden immer wieder bedroht. Guadalupe Calzada Sánchez, die gemeinsam mit der Mobilen Menschenrechtspastorale der katholischen Kirche das Asyl gründete, hat die Angriffe am eigenen Leib erlebt. Am 2. Juli 2010 waren bewaffnete Männer in Uniformen der mexikanischen Bundespolizei in die Migrantenherberge eingedrungen und hatten versucht mehrere MittelamerikanerInnen zu verhaften. Calzada Sánchez konnte dies, gemeinsam mit anderen Freiwilligen sowie BewohnerInnen aus Lechería, verhindern. Einige Zeit später wurde sie aufgrund der Arbeit, die sie tut, bedroht.
Recht auf ein würdiges Leben

MigrantIn zu sein ist kein Verbrechen. Menschen ohne Papiere sind nicht illegal. Sie sind schlicht und einfach menschliche Wesen, die keine Papiere haben und eine Arbeit zum Überleben suchen. Das Klima aus Angst und Rassismus gegen sie ist eine nationale Schande. Ihr Missbrauch durch PolizistInnen ist niederträchtig. Der Mord an Julio Fernando Cardona darf nicht ungestraft bleiben. Ebenso wie die gewaltsamen Tode von vielen anderen namenlosen Toten, deren einziges Verbrechen darin bestand, sich das Recht zu nehmen, in ein würdiges Leben fliehen zu wollen.
(Der Originalartikel erschien am 16. August 2011 in der mexikanischen Tageszeitung »La Jornada«)
Quelle: poonal
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