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Analyse zu Rüstungsexporten nach Mexiko

Ist der Export von Rüstungsgütern nach Mexiko mit den geltenden Richtlinien vereinbar?

Mexiko-Koordination vom 04.10.2011

  Deutsche Menschenrechtskoordination
1. Grundlagen

Am 19. Januar 2000 verabschiedete die Bundesregierung politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern1 und verpflichtete sich damit, der Einhaltung der Menschenrechte in den Empfängerländern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Integraler Bestandteil dieser Grundsätze war der »Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren«, der mit der Verabschiedung des »Gemeinsamen Standpunkts des Rates« (2008/944/GASP)2 vom 8.12.2008 EU-weite Verbindlichkeit erlangte.

So sind die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, eine Ausfuhrgenehmigung zu verweigern, wenn »eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zur internen Repression benutzt werden können.« (2008/944/GASP, Kriterium 2) Als interne Repression definiert der Gemeinsame Standpunkt »unter anderem Folter sowie andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, willkürliche oder Schnell-Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Verhaftungen und andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten«. Darüber hinaus verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, eine Ausfuhrgenehmigung von Rüstungsgütern zu verweigern, wenn sie im Bestimmungsland bewaffnete Konflikte verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden (2008/944/GASP, Kriterium 3).

Das hier vorliegende Dokument untersucht, inwiefern Rüstungsexporte nach Mexiko mit diesen Kriterien vereinbar sind. Zu diesem Zweck erfolgt im Abschnitt 2 eine Darstellung des Konfliktzustandes und der Menschenrechtssituation in Mexiko - letztendlich die Maßstäbe für die Zulässigkeit von Rüstungsexporten. Im Abschnitt 3 wird auf die Entwicklung der Rüstungsexporte von Deutschland nach Mexiko eingegangen. Abschnitt 4 leitet aus der Gegenüberstellung von Rüstungsexporten und gesellschaftlicher Realität in Mexiko Schlussfolgerungen und Empfehlungen ab.

2. Kriegsähnliche Situation und Missachtung der Menschenrechte in Mexiko

2.1. Der »Krieg gegen die Drogenkriminalität«

In Mexiko sind laut aktuellen Zahlen über 60.000 Angehörige des Militärs im innerstaatlichen Einsatz, unter anderem als Polizeikräfte auf lokaler Ebene in 17 der 32 mexikanischen Bundesstaaten. In der Zeit von Dezember 2006 bis Ende 2010 starben nach offiziellen Angaben 34.612 Menschen im Zusammenhang mit dem von Präsident Calderón erklärten „Krieg gegen den Drogenhandel« - mit steigender Tendenz.3

Die Militarisierungsstrategie der mexikanischen Regierung zur Bekämpfung der Drogenkriminalität, wird von vielen Seiten als gescheitert angesehen, nicht nur, weil keine Zerschlagung der Kartelle gelingt. Sie hat auch zu einer Multiplizierung der Fälle von Folter, illegalen Festnahmen, außergerichtlichen Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Personen durch Teile des Militärs, der Polizei und bewaffnete Gruppen geführt. Mit dem Einsatz des Militärs im Land stieg die Zahl der Beschwerden bei der staatlichen Menschenrechtskommission (CNDH, Comisión Nacional de Derechos Humanos): Allein im Jahr 2010 richteten sich die Anzeigen in 1.415 Fällen von Menschenrechtsverletzungen bei der CNDH gegen das Verteidigungsministerium (SEDENA).

Anfang Mai 2011 formierte sich in Mexiko, initiiert von dem Journalisten und Poeten Javier Sicilia, eine nationale Kampagne »Für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« und stellt die Strategie des militärischen Vorgehens in Frage. An der Abschlusskundgebung eines viertägigen Schweigemarschs von Cuernavaca nach Mexiko-Stadt nahmen nach Schätzungen bis zu 150.000 Personen teil. Parallel dazu gab es Demonstrationen in zwölf weiteren mexikanischen Bundesstaaten.4 Die Kampagne sucht ihrerseits einen ehrlichen Dialog mit den Parlamentariern und dem mexikanischen Präsidenten. Zugleich sind Mitglieder der Kampagne Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. So überfielen Angehörige der mexikanischen Bundespolizei im Juni gewaltsam und ohne Durchsuchungsbefehl das Menschenrechtszentrum Paso del Norte in Ciudad Juárez, kurz bevor dieses Gastgeber für eine Karawane der Kampagne war.

Auch im akademischen Bereich wächst die Unterstützung für eine Alternative zu Calderóns »Krieg gegen den Drogenhandel«. Am 7. August 2011 präsentierte José Narro Robles, der Rektor der Nationalen Autonomen Universität Méxikos, zusammen mit dem Präsidenten des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens »30 Vorschläge«, die sich an die politischen und sozialen Sektoren der Gesellschaft richten, um die Sicherheitsstrategie Mexikos zu korrigieren.5

Es gibt also einen wachsenden gesellschaftlichen Konsens, dem immer tieferen Abgleiten der Gesellschaft in eine Spirale der Gewalt und Repression mit zivilgesellschaftlichen Mitteln entgegen zu treten — ein Abgleiten, das von einflussreichen Thinktanks wie Stratfor fragen lässt, ob Mexiko im Begriff ist, ein »Failed State« zu werden6. Vom Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung wird Mexiko seit Jahren auf der Stufe 4 (schwere gewaltsame Krise) und neuerdings auf Stufe 5 (Krieg) gelistet.7 Diese Einschätzungen sind im Kontext des oben erwähnten GASP-Kriteriums Nr. 3 von besonderer Bedeutung.

2.2. Die Stakeholder-Sicht auf die Menschenrechtssituation in Mexiko beim Universal Periodic Review der Vereinten Nationen im Februar 2009 in Genf

Der Universal Periodic Review ist ein neues Instrument der Vereinten Nationen mit dem jedes Land in regelmäßigem Abstand bezüglich seiner Menschenrechtssituation beurteilt wird. Im Februar 2009, zur 4. Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates, wurde Mexiko dem Universal Periodic Review unterzogen. In so genannten Joint Submissions wurde von über 40 zivilgesellschaftlichen Organisationen die Menschrechtssituation in Mexiko dargestellt. Der Inhalt dieser Joint Submissions wurde in einem vom Büro des UN-Hochkommissars erstellten Dokument zusammengefasst8. Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf diese Zusammenfassung.

Die mexikanische Regierung lud zwar internationale Menschenrechtsgruppen ein, empfing eine große Zahl von Berichterstattern internationaler Gremien und erhielt zahlreiche Empfehlungen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen beklagen aber, dass dies zu keinen konkreten Handlungen geführt habe, schon gar nicht zu einer politischen Priorität der Menschenrechte. Die Organisationen stellen fest, dass Folter eine systematische, allgemeine und straffreier Praxis geblieben ist, dass es einen fehlenden politischen Willen gibt, Fälle von Folter zu untersuchen, und dass willkürliche Verhaftungen von Führern und Mitgliedern sozialer Bewegungen an der Tagesordnung sind. So wurden — um ein Beispiel zu nennen - bis Juni 2008 bei der staatlichen Menschenrechtskommission des Bundesstaates Chihuahua Beschwerden über 13 Fälle von Folter eingereicht. In den Joint Submissions wird darauf hingewiesen, dass weder auf bundesstaatlicher noch auf föderaler Ebene ein gesetzlicher Rahmen existiert, der die Anwendung von Gewalt durch die Sicherheitskräfte regelt, was als Ausgangspunkt für exzessive Gewaltanwendung betrachtet wird. Als Beispiel werden die Ausschreitungen in Oaxaca in den Jahren 2006 und 2007 genannt, die den Tod von 26 und die Verhaftung von 500 Personen zur Folge hatten, wobei laut CNDH zwischen Juni und Dezember 2006 allein 304 Personen willkürlich verhaftet worden waren. Hinzu kommen sieben Fälle des Verschwindens von Personen im Anschluss an ihre Verhaftung. Das Innenministerium lehnte in mehreren Fällen die von der CNDH empfohlene Untersuchung von Polizeimissbrauch ab. Beklagt wird auch die Weigerung, die Ermordung von Frauen (Femizid) in die Kategorie eines »Verbrechens mit Bundeszuständigkeit« einzuordnen. Für die Zeit von Juni 2006 bis Juni 2007 wird auf die Ermordung von 1.088 Frauen in 15 Bundesstaaten verwiesen, auf die diese Kategorie anzuwenden gewesen wäre.

Als ein Ausdruck der Straflosigkeit wird unter anderem die Ergebnislosigkeit der Arbeit eines Sonderstaatsanwalts zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit gewertet. Dieser Sonderstaatsanwalt wurde nach dem politischen Machtwechsel im Jahr 2000 eingesetzt und beendete seine Arbeit im November 2006. Obwohl schlüssige Beweise zu 476 Fällen gewaltsamen Verschwindenlassens vorlagen, kam es in den sechs Jahren nur zu 16 Anklagen und in keinem Fall zu einer Verurteilung. Beklagt wird darüber hinaus die fortgesetzte Straflosigkeit für Vergehen von Militärangehörigen, wenn sie Aufgaben der öffentlichen Sicherheit übernehmen. Schließlich wird berichtet, dass in den letzten Jahren mindestens 24 Journalisten ermordet wurden und acht Journalisten verschwunden sind. Dutzende von ihnen wurden aufgrund ihrer Arbeit in einem Klima der Straflosigkeit bedroht oder angegriffen. Die Aggressionen gegen Medien auf Gemeindeebene haben sich seit 2006 verstärkt, was die Schließung von Radios ohne rechtliche Basis, willkürliche Verhaftungen, Folter und versuchten Mord einschließt. In 42 % der registrierten Fälle wurden Staatsbeamte als die Verantwortlichen für derartige Übergriffe identifiziert. Ferner werden in den Joint Submissions 60 Fälle der Kriminalisierung sozialer Proteste in 17 Bundesstaaten aufgeführt.

2.3. Die weitere Entwicklung seit Beginn 2009

Die Menschenrechtssituation in Mexiko hat sich seit der Sitzung des UNO-Menschenrechtsrats im Februar 2009 nicht zum Positiven verändert. Im Gegenteil, der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, kommt im März 2011 zu der Auffassung, dass sich »die Menschenrechtslage in Mexiko ... in den letzten zwei Jahren weiter verschlechtert (hat)«9 Im Jahresbericht 2010 von Amnesty International heißt es: »Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der eskalierenden Gewalt waren häufig von Vorwürfen über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begleitet. Dazu gehörten das ’Verschwindenlassen’ von Personen, Folter und andere Misshandlungen. In Brasilien, Jamaika, Kolumbien und Mexiko wurden die Sicherheitskräfte beschuldigt, Hunderte von rechtswidrigen Tötungen begangen zu haben. Die meisten dieser Beschuldigungen wurden mit der Begründung abgewiesen, die Personen hätten sich ’der Festnahme widersetzt’ oder sie wurden als unwahre Behauptungen abgetan, die das Ziel hätten, die Ehre der Sicherheitskräfte zu beschmutzen. Von Januar bis August 2011 veröffentlichte Amnesty International 31 Eilaktionen zu Mexiko, von denen mindestens 16 explizit oder von den Umständen her mit Handlungen der Sicherheitskräfte im Zusammenhang stehen. In fünf der Eilaktionen wird darauf verwiesen, dass der mexikanische Staat die von den interamerikanischen Institutionen angeordneten bzw. empfohlenen Schutzmaßnahmen nicht oder nicht wirksam implementiert hatte. Amnesty International weist darauf hin, dass der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof allein für den Bundesstaat Gurrero in 107 Fällen Schutzmaßnahmen angeordnet hat, die vom mexikanischen Staat nicht oder nur ungenügend befolgt wurden.10

Es wirft ein Licht auf die Verfasstheit des mexikanischen Staates in Bezug auf die Menschenrechte, wenn das öffentliche Bekenntnis eines Ex-Brigadegenerals (Carlos Villa
Castillo) zur Durchführung extralegaler Hinrichtungen11, nicht nur keine juristischen oder disziplinarischen Konsequenzen zur Folge hat, sondern dieser unangefochten den Posten des Sicherheitschefs des Bundesstaates Quintana Roo bekleidet.

Die Situation für Journalisten und Journalistinnen hat sich weiter verschlechtert. Der Sonderberichterstatter zum Recht auf freie Meinungsäußerung des UNO-Menschenrechtsrats, Frank La Rue, verweist in seinem jüngsten Bericht zu Mexiko darauf, dass die Straflosigkeit bei den Verbrechen gegenüber Journalisten zu einer Vermehrung dieser Art von Straftaten führe. Seit dem Jahr 2000 wurden 66 Journalisten ermordet und 12 sind verschwunden. In dem Bericht heißt es weiter, das Leben und die physische Integrität sei besonders bei jenen Journalisten bedroht, die in der Lokalpresse über Korruption in den Behörden, organisierte Kriminalität und die öffentliche Sicherheit schreiben.12

Artikel 13 der mexikanischen Verfassung legt fest, dass sich die Militärgesetzgebung auf Verbrechen und Vergehen gegen die Militärdisziplin beziehen soll und verbietet die Anwendung der Militärgesetzgebung, sobald zivile Personen in diese Verbrechen involviert sind. Artikel 57 des Militärgesetzbuches (MGB) dehnte diese Anwendbarkeit jedoch aus: Das MGB definiert als Vergehen gegen die Militärdisziplin nahezu alle Delikte, die von einem Soldaten während seines Einsatzes verübt wurden, auch dann, wenn zivile Personen betroffen sind. Der Interamerikanische Menschrechtsgerichtshof hatte in mehreren Urteilen festgestellt, dass diese Auslegung der Militärgerichtsbarkeit gegen internationales Recht verstößt.

Am 12. Juli 2011 entschied das Oberste Gericht Mexikos schließlich, dass Menschenrechtsverletzungen durch die Armee künftig nicht mehr nur vor Militärgerichten, sondern vor jedem zivilen Gericht des Landes verhandelt werden können. Nach dem einstimmigen Urteil ist es nun die Aufgabe der Legislative, die nötigen Justizreformen in die Wege zu leiten, um Artikel 57 an die Amerikanische Menschenrechtskonvention anzupassen.

Das Urteil des Oberste Gerichts geht über die Initiative der Regierung Felipe Calderón hinaus, mit der die Delikte von Soldaten, die vor zivilen Gerichten verhandelt werden können, auf Vergewaltigung, Folter und Entführung begrenzt werden sollten. Andere schwere Verbrechen wie Mord dürften demnach nicht vor ordentliche Gerichte gebracht werden. Wie sich das Urteil konkret auf die Reform des MGB auswirkt, bleibt abzuwarten. Die einleitenden Untersuchungen, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden ist, können nach bisherigem Kenntnisstand weiter von der militärischen Strafgerichtsbarkeit durchgeführt werden. Von Militärs verübte Menschenrechtsverletzungen könnten somit weiterhin in Straflosigkeit enden.

2.4. Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige (Daten der CNDH)13

Im Zeitraum von Dezember 2006 bis Juli 2011 erhielt die CNDH 5055 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen, die von Militärs gegenüber Zivilisten begangen wurden. Von diesen Beschwerden reagierte die Kommission in 86 Fällen mit Empfehlungen an das nationale Verteigungsministerium SEDENA (Secretaria de la Defensa Nacional). Das sind 1,56 Prozent der Gesamtsumme an Beschwerden, welche bei der Nationalen Kommission für Menschenrechte eingegangen sind. Aufgrund dieser extrem niedrigen Bearbeitungsrate kommt zum Beispiel die ebenfalls staatliche Menschenrechtskommission von Guerrero zu der Schlussfolgerung das es fast völlig zwecklos ist, der CNDH Fälle vorzutragen (Finsterer, persönliche Information). In 13 Fällen kam es zur Einleitung von Strafverfahren gegen eine oder mehrere Personen — also lediglich bei 0,3 % der eingegangenen Beschwerden. Es wurden 15 Personen verurteilt.

2.5. Das neue Gesetz zur Nationalen Sicherheit

Derzeit wird die im Jahr 2009 von Präsident Calderón gestartete Initiative zur Reform des Gesetzes zur Nationalen Sicherheit (Ley de Seguridad Nacional) von den Kammern des Parlaments verhandelt. Modifikationen durch die Legislative, falls es solche geben sollte, bleiben abzuwarten. Die Initiative der Exekutive jedoch sieht ein gesetzliche Fixierung der permanenten Vermischung und daraus resultierender Unschärfe der Aufgaben von Polizei und Militär vor. In einem Appell zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen an die Abgeordneten14 wird der Gesetzentwurf unter anderem aus folgenden zwei Gründen als bedenklich eingestuft: a) die Beteiligung der Armee (Fuerza Armada Permanente) an Aktivitäten, die nicht verfassungskonform sind werden formal anerkannt und b) es besteht ein Mangel an demokratischen Kontrollen zum Vorgehen der Armee, wenn angebliche Gefährdungen der inneren Sicherheit bestehen. Der Entwurf des Gesetzes würde einen parlamentarisch unkontrollierten Eingriff des Präsidenten in Situationen der Gefährdung der »inneren Sicherheit« ermöglichen, wobei sich die Beurteilung einer solchen Gefährdung außerhalb parlamentarischer Kontrolle befindet. Konkret ist bislang folgender Ablauf vorgesehen:

Das Verfahren beginnt mit einem Antrag auf Erklärung der Gefährdung der »inneren Sicherheit« (=Ausnahmezustand) seitens der entsprechenden Behörden an den Exekutivsekretär des Nationalen Sicherheitsrates (Consejo Nacional de Seguridad Nacional), der zuständig für das Dienstverfahren ist. Der Fall wird vom Plenum des Nationalen Sicherheitsrates analysiert und evaluiert. Der Exekutivsekretär bittet dann eine Kommission aus Vertretern der beiden Abgeordnetenhäuser (Comisión Bicameral del H. Congreso de la Unión) lediglich um ihre Meinung. Das heißt, die Kommission wird nur »konsultiert«, hat aber keine Entscheidungsgewalt. Danach kann der mexikanische Präsident eine Gefährdung der inneren Sicherheit erklären, welche dann im mexikanischen Gesetzblatt (Diario Oficial de la Federación − mexikanisches Pendant zum Bundesgesetzblatt), veröffentlicht wird. Die Gültigkeit der Erklärung einer Gefährdung der inneren Sicherheit ist zwar zeitlich begrenzt, kann jedoch vom Nationalen Sicherheitsrat verlängert oder modifiziert werden.15 Nach Normalisierung der Situation wird vom Präsidenten das Ende des Ausnahmezustandes ausgerufen. Der Verlauf des Ausnahmezustandes wird einzig vom Nationalen Sicherheitsrat offiziell verfolgt und schließlich evaluiert. Weder parlamentarische noch zivilgesellschaftliche Kontrollen sind vorgesehen.

3. Rüstungsexporte

3.1 Kriegswaffenexporte

Die nachstehenden Zahlen16 entstammen den Rüstungsexportberichten der Bundesrepublik Deutschland und beziehen sich auf die getätigten Kriegswaffenexporte. Der Export von Militärtechnologie und allgemeinen Militärgütern (siehe 2008/944/GASP) kann anhand dieser Zahlen nicht nachvollzogen werden. Es ist ein sprunghafter Anstieg der Kriegswaffenexporte zu erkennen — um mehr als das Siebzehnfache, wenn man die drei Jahre vor mit den drei Jahren nach 2006 vergleicht.

BerichtsjahrKriegswaffenexporte nach Mexiko
(in Mio. EUR)
20030,02
20040,02
20050,02
20060,02
20070,02
20080,02
20090,02

Der sprunghafte Anstieg des Exportumfangs dürfte vor allem auf die Exportbewilligung zurückzuführen sein, die der Firma Heckler & Koch im Sommer 2006 erteilt wurde. Diese lieferte auf der Basis einer eingeschränkten Exportbewilligung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bis zum Jahr 2009 über 8000 G36-Sturmgewehre an die mexikanischen Sicherheitskräfte. Die jeweilige Endverbleibserklärung wurden von der zentralen mexikanischen Beschaffungsstelle für Heer und Polizei (Secretaria de la Defensa Nacional, Direccion General de Industria Militar) ausgestellt. Daraus leitet sich ab, dass das mexikanische Verteidigungsministerium zugleich auch für die Waffenbeschaffung der Polizei zuständig ist. Im Jahr 2010 wurde ein Skandal publik: Trotz bestehender Vorbehalte der Bundesregierung gegen die Ausrüstung örtlicher Polizeikräfte mit G36-Sturmgewehren in den Bundesstaaten Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco wurden Polizeikräfte im Bundesstaat Chihuahua offenbar mit solchen Gewehren beliefert. Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, erstattete daraufhin am 19. April 2010 Strafanzeige gegen die Geschäftsführer der Firma Heckler & Koch. Inzwischen ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Im Dezember 2010 berichtete das ARD-Fernsehen (Report Mainz) über diesen Fall. Angesichts der verbreiteten Menschenrechtsverletzungen sowohl durch das Militär, als auch durch die Bundespolizei und andere Polizeikräfte in den unterschiedlichsten Bundesstaaten ist unverständlich, warum Vorbehalte für die Aushändigung von G36-Strumgewehren lediglich für die örtliche Polizei und nur in den genannten vier Bundesstaaten bestanden. Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, äußerte sich am 2.3.2011 gegenüber Report Mainz dahin gehend, dass »wir derzeit überhaupt keine Waffen mehr nach Mexiko verkaufen (sollten).«18 Inwiefern diese Forderung Eingang in die Politik der anderen Ressorts der Bundesregierung fand und, falls ja, ob dieses Exportverbot nach wie vor gültig ist, konnte in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden.

3.2 Kampfhubschrauber

Neben Kriegswaffen sind Kampfhubschrauber ein aktueller und bedeutender Posten der Rüstungsexporte von Deutschland nach Mexiko. Im Februar diesen Jahres gab die Firma Eurocopter (Donauwörth, Teil des deutsch-französischen Konzerns EADS) bekannt, dass sie ab dem zweiten Quartal 2011 zwölf Eurocopter EC725 an das mexikanische Verteidigungsministerium liefern wird.19 Der EC725 kann 29 Personen transportieren und bei Bedarf mit zwei 7.62 mm Maschinengewehren, zwei Raketenwerfern und zwei 20 mm Kanonen ausgerüstet werden.20 Die Helikopter sollen laut Pressemitteilung zwar „für Transport- und Zivilschutzaufgaben genutzt werden«, inwiefern das mexikanische Verteidigungsministerium sich an diese Auflage hält und wie die Einhaltung dieser Auflage überprüft wird ist zu hinterfragen. Welche Garantien es gibt, dass die unbewaffnet gelieferten EC725 in Mexiko nicht mit Bordwaffen nachgerüstet werden? Darüber hinaus ist es aufgrund vorliegender Erfahrungen sehr wohl möglich, dass die Nutzung der Helikopter „für Transportaufgaben« der internen Repression genutzt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen in Mexiko, bei denen das Militär und andere Sicherheitskräfte mit Helikoptern in Konfliktgebiete eingeflogen, vor Ort Menschenrechtsverletzungen begingen und überdies willkürlich verhaftete Personen bzw. die Leichen von bei diesen Übergriffen Getöteten ausgeflogen wurden. Mit anderen Worten, es besteht ein hohes Risiko, dass die exportierten EC725, selbst wenn sie unbewaffnet sind, zur internen Repression (2008/944/GASP) benutzt werden könnten.

4. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

  1. Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern und der »Gemeinsame Standpunkt des Rates« (2008/944/GASP) verpflichten die Bundesregierung (und die anderen Mitgliedsländer der EU), bei Rüstungsexporten der Einhaltung der Menschenrechte in den Empfängerländern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Eine Ausfuhrgenehmigung ist zu verweigern, wenn »eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zur internen Repression benutzt werden können.«
  2. Nach vorliegenden Dokumenten ist in Mexiko Folter eine systematische, allgemeine und straffreie Praxis, willkürliche Verhaftungen von Führern und Mitgliedern sozialer Bewegungen sind an der Tagesordnung. Die im Jahr 2006 initiierte Militarisierungsstrategie der mexikanischen Regierung hat zu einem kriegsähnlichen Zustand und zu einer Multiplizierung der Fälle von Folter, illegalen Festnahmen, außergerichtlichen Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Personen durch Teile des Militärs, der Polizei und bewaffnete Gruppen geführt.
  3. Aus der in Mexiko herrschenden gesellschaftlichen Realität leitet sich ab, dass der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern mit den für die Bundesregierung geltenden Richtlinien nicht vereinbar ist. Die seit 2006 zu verzeichnende massive Steigerung von Rüstungsexporten verstößt eklatant gegen die Vorgaben dieser Richtlinien.

Die Bundesregierung wird aufgefordert:

  1. den vom Menschenrechtsbeauftragten der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, geforderten generellen Exportstopp für Kriegswaffen nach Mexiko zu beschließen;
  2. den Exportstopp für Kriegswaffen nach Mexiko auch auf sonstige Rüstungsgüter auszudehnen.

Das Dokument wurde im Auftrag der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko erstellt von: CAREA e.V., Peace Brigades International Deutschland e.V., Oekumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. und Colectivo »México vía Berlin«. Erstellt am 19.9.2011

Die Mitgliedsorganisationen der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko:

Amnesty International (Deutsche Sektion), Brot für die Welt, CAREA e.V., Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie/Hamburg, FIAN Deutschland, Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werkes der EKD, Initiative Mexiko (INIMEX), Mexiko-Initiative Köln/Bonn, Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR, Missionsprokur der deutschen Jesuiten, Missionszentrale der Franziskaner, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V., Pax Christi (Solidaritätsfonds Eine Welt), Peace Brigades International deutscher Zweig e.V. und Promovio e.V.

Fussnoten

  1. www.bpb.de/files/MTZZKV.pdf (1.9.2011)
  2. www.bafa.de/ausfuhrkontrolle/de/krwaffkontrg/bekanntmachungen/gs2008_944.pdf (1.9.2011)
  3. http://www.mexiko-koordination.de/de/ressourcen/doc_download/100-factsheetmilitarisierung-dt.html (2.9.2011)
  4. Unterstützung für diese »Kampagne für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« drückte unter anderem ver.di-Chef Bsirske in einem Schreiben an Präsident Calderón aus http://amerika21.de/files/a21/solidaritat__mexiko_bsirske.pdf (2.9.2011)
  5. http://www.dgcs.unam.mx/boletin/bdboletin/2011_466.html (2.9.2011)
  6. http://www.stratfor.com/weekly/mexico_road_failed_state (2.9.2011)
  7. http://hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2010.pdf (18.9.2011)
  8. http://daccess-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G08/173/53/PDF/G0817353.pdf?OpenElement (1.9.2011)
  9. http://www.swr.de/report/presse//id=7707950/property=download/nid=1197424/1pvf4dg/ Erkl%C3%A4rung_des_Beauftragten_f%C3%BCr_Menschenrechtspolitik.pdf (5.9.2011)
  10. http://www.amnesty.se/upload/apps/webactions/urgentaction/2011/06/22/24103911.pdf (3.9.2011)
  11. Martinez, S.: Si agarro a un zeta lo mato; .para que interrogarlo?: jefe policiaco; La Jornada v. 13.3.2011
  12. http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/17session/A-HRC-17-27-Add3_sp.pdf (3.9.2011)
  13. Die Zahlen sind den 86 Empfehlungsschreiben der Nationalen Menschenrechtskommission an das Verteidigungsministerium entnommen. Alle eingeleiteten Verfahren gegen Militärangehörige, die in den 86 Fällen von Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, werden im Rahmen der Militärgerichtsbarkeit geführt.
  14. http://www.cmdpdh.org/docs/Carta%20LSN%20-%20Comisiones%20dictaminadoras%20(22-04-11).pdf (7.9.2011)
  15. »La vigencia de la declaratoria, previo acuerdo del Consejo, podrá prorrogarse mientras subsistan las causas que le dieron origen o modificarse conforme lo requieran las circunstancias«. Jueves, 23 de Abril de 2009 Segundo Periodo Ordinario No. Gaceta: 372.
  16. Der Rüstungsexportbericht für 2010 lag bei Redaktionsschluss (12.9.2011) noch nicht vor.
  17. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6432 vom 5.7.2011
  18. www.swr.de/report/presse/heckler-koch/-/id=1197424/nid=1197424/did=7708040/6zhren (5.9.2011)
  19. http://www.entity38.de/aerobrief/index.php?article_id=9640&issue=220 (7.9.2011)
  20. Vgl. Eurocopter EC 725, wikipedia.de.

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 Quelle:  
  http://www.mexiko-koordination.de/ 
 

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