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Stabilisierung der Wirtschaft hilft der Bevölkerung kaum

Poonal vom 10.08.2001
Von Thomas Guthmann und Ricardo Martínez, Poonal Nr. 488 vom 10. August 2001

  (Mexiko-Stadt, August 2001, Poonal).- Beruhigend rieselt eine Klaviersonate Chopins auf den Konsumenten herab, der Weg ist gesäumt von Sonderangeboten. Elegante Boutiquen, ein Wiener Café und ein Bodyshop runden das Angebot ab. Hier lässt es sich — vorausgesetzt man besitzt das nötige Kleingeld — ganz gut leben und konsumieren. Die Supermärkte, die Kaufhäuser oder die Shopping Malls in Mexiko Stadt unterscheiden sich nicht von ihresgleichen in Europa oder den USA. Weder in den Preisen noch im Service. Vielleicht irritieren den Konsumenten aus Europa etwas das schwerbewaffnete Wachpersonal, das an allen Eingängen postiert ist. Was man als Besucher einer solchen Einkaufsparadies nicht sieht, sind die Arbeitsbedingungen hinter der glänzenden Fassade. Schaut man hinter die Kulissen, wird dem Beobachter schnell klar, dass die Lebensbedingungen in Europa andere sind als in Mexiko.

"Als ich in die Zentrale für die Warenverteilung kam, konnte ich sehen, was sich hinter der Ordnung und Sauberkeit eines Supermarktes verbirgt", erzählt Pablo Méndez in nüchternem Ton. Méndez ist bei einer grossen Warenhauskette in Mexiko Stadt beschäftigt. Einer US-amerikanischen Warenhauskette, die man in Mexiko Stadt an jeder Strassenecke findet. Für seinen Arbeitsplatz in diesem Unternehmen erhält Méndez 60 Pesos Tageslohn. Das sind etwa 15 Mark — 50 Prozent mehr als der gesetzliche Mindestlohn des Landes. Die obligatorischen Überstunden werden den Arbeitnehmern des Unternehmens nicht extra vergütet. Ein Recht auf gewerkschaftliche Organisierung oder eine Sozialversicherung gibt es im Arbeitsverhältnis von Pablo Méndez nicht.

Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Mexiko bei 40 Pesos. Die 60 Pesos die die Angestellten der Warenhauskette verdienen reichen nicht aus, um in der Hauptstadt sorgenlos zu leben. Die Lebenshaltungskosten sind hier kaum niedriger als in Deutschland. Damit die vierköpfige Familie von Pablo Méndez über die Runden kommt, müssen alle mithelfen. Mit sogenannten Microchangarros, Kleinstgeschäften, die neuerdings von der mexikanischen Regierung gefördert werden, versuchen alle, das Familieneinkommen aufzubessern, um Leben zu können. Mit Microchangarros, dem Handel von Dienstleistungen oder allerlei Kleinwaren, versuchen viele mexikanische Familien ein Einkommen zu erzielen. Auch die Familie von Pablo Méndez verdient mit dem Verkauf von Süsswaren in der Metro ein Zubrot. Mit diesen Microchangarros gelingt es der Familie Méndez zu überleben.

Die Situation von Pablo Méndez und seiner Familie ist in Mexiko keine Ausnahme. Für die Mehrheit der Bevölkerung hat die Erholung der Wirtschaft seit der Krise 1994 keine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation gebracht. Nach Angaben der Weltbank leben 58 von 100 Mexikaner in Armut. Auf dem Land die Armut noch verbreiteter. Hier sind 80 Prozent der Bevölkerung arm. Die Herausforderungen für die seit einem Jahr amtierende Regierung könnten also kaum grösser sein.

Mit dem am 29. Mai dieses Jahres präsentierten nationalen Entwicklungsplan 2001-2006 will sich die Regierung Mexiko der Herausforderung stellen. In der Vision eines Mexiko des Jahres 2025 wird sich nach den Vorstellungen des Präsidenten Vincente Fox das grösste mittelamerikanische Land zu einer demokratischen Nation mit hoher Lebensqualität entwickeln. Das Land der Maya und Atztekenkulturen soll eine dynamische Nation mit stabilem Wachstum durch eine wettbewerbsfähige Wirtschaft werden, ohne extreme soziale Ungleichheiten. Wie die Regierung das schaffen will bleibt vorerst ihr Geheimnis.

Zwar hat sich die Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise erholt und in makroökonomischen Ziffern scheint sich die Rechnung der Regierung auch zu verwirklichen. Die neue Regierung hat mit der Fortsetzung des neoliberalen Kurses erreicht, dass Mexiko einen Teil seiner Auslandsschulden abbauen konnte. Der mexikanische Peso gilt aufgrund des verstärkten Zufluss von ausländischem Kapital mit über 30 Prozent überbewertet. Mexiko ist momentan ein attraktiver Standort für ausländische Investoren. Den letzten Coup landete im Juni die US-amerikanische Bank Citigroup, die die letzte der grossen mexikanischen Banken, Banamex, für 12.5 Milliarden US-Dollar erstand. Die Aktivität ausländischer Investoren sorgt dafür, dass die wirtschaftliche Situation in Mexiko stabil bleibt.

Die Abkühlung des weltweiten Booms bringt die gewonnene wirtschaftliche Stabilität schon wieder in Gefahr. Von den angenommenen sieben Prozent Wirtschaftswachstums werden voraussichtlich, aufgrund der weltweiten Verschlechterung der Wirtschaftszahlen, weniger als zwei Prozent übrig bleiben. Schon fehlt den staatlichen Kassen das Geld zur Finanzierung von notwendigen Projekten und will die Regierung die Gefahr eine wirtschaftliche Krise vermeiden, ist sie gezwungen, an einem Sparkurs festzuhalten. Projekte, wie die Finanzierung von Microchangarros, den Kleingeschäften, bleiben weit hinter ihren Wahlversprechen zurück. Mit dem Plan soll durch die staatliche Unterstützung des Kleinhandel "jeder Familie ihr eigenes Einkommen" ermöglicht werden, so Fox. Das am 12. Juni verabschiedeten Programm zur Förderung der Kleinunternehmen, sieht für jede Gemeinde allerdings nur 875 Pesos vor. Das sind etwas mehr als 200 DM, die pro Gemeinde als Kredit zu vergeben sind.

Insbesondere die Situation der Landbevölkerung verschlechtert sich kontinuierlich. Nach Angaben der von Ralph Nader gegründeten US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Public Citizen ist beispielsweise der Preis für Mais zwischen 1993 und 1999 um 46.2 Prozent gefallen. Mindestens 15 Millionen Campesinos wurden dadurch zur Landflucht und zur Migration gezwungen. Trotz des Preisverfalls mussten die VerbraucherInnen für Maistortillas, in Mexiko ein Grundnahrungsmittel, mehr bezahlen. Die Mehrheit der Maisbauern kämpft inzwischen ums Überleben. Einen ähnlichen Preisverfall gibt es bei anderen Agrarprodukten, wie z.B. Kaffee oder Ananas.

Die angespannte soziale Situation, die am 1. Januar 1994 zum Aufstand der Zapatisten in Chiapas geführt hat, konnte bisher nicht entschärft werden. Zwar konnte sich die mexikanische Wirtschaft seit der sogenannten Tequila-Krise von 1994 und 1995 konsolidieren, davon profitiert aber lediglich eine Minderheit. Die Mehrheit der Bevölkerung leidet weiterhin unter zunehmend schlechteren Lebensbedingungen. Weder der nationalen Entwicklungsplan, noch die konkreten Initiativen der Regierung wie das nationale Programm zur Finanzierung von Mikrounternehmen, werden vorerst daran etwas ändern. Sie sind für die viele, insbesondere für die Armen, nichts weiter als schöne Worte. "Herzlichen Glückwunsch" titelte die mexikanische Tageszeitung La Jornada unlängst "Mexiko ist ein Land mit ständigem Wachstum: Hier wächst die Armut und es wächst die Konzentration des Reichtums".

Selbst im Falle einer Fortsetzung der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wird die Auswirkung allerhöchstens langfristig für die Mehrheit der Mexikaner spürbar sein. Momentan sieht es allerdings so aus, als ob es der Regierung Fox nicht gelingen wird, die versprochene Entwicklung durchzuführen. Sowohl in den Städten und noch viel stärker auf dem Land wird sich die Situation auf absehbare Zeit nicht verbessern.


Quelle: poonal
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