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CHIAPAS: Die 13. Stele − Teil drei
Ein Name
News vom 24.07.2003 |
Subcomandante Insurgente Marcos |
übersetzt von Dana |
Es regnet. Wie immer hier in Juli, im siebten Monat des Jahres. Ich zittere neben dem Ofen, und drehe mich herum wie ein Hühnchen auf dem Drehrost, in der Hoffnung so ein wenig trocken zu werden. Das Treffen mit den Gemeinden endete ziemlich spät, in der Dämmerung, und wir lagerten ziemlich weit von dem Ort an dem das Treffen stattfand. Es regnete nicht als wir aufbrachen, aber als ob es nur auf uns gewartet hätte, brach gerade dann ein gewaltiger Sturzregen aus, als wir auf halber Strecke waren und es genauso lange gedauert hätte zurückzugehen oder weiter zu marschieren. Die Rebellen gingen zu ihren jeweiligen Hütten um ihre nassen Uniformen zu wechseln. Ich tat es nicht, nicht aus Tapferkeit, sondern aus Blödheit, denn ich hatte nichts zum Wechseln eingepackt, um das Gewicht meines Rucksacks zu erleichtern. Also sitze ich hier, wie ein "Hühnchen á la Sinaloa". Völlig nutzlos auch, denn aus irgendeinen mir unerfindlichen Grund, scheint meine Mütze wenn es regnet das Wasser wie ein Schwamm aufzusaugen, und lässt es erst wieder raus sobald ich drinnen bin. So habe ich in der Hütte beim Ofen meinen eigenen, persönlichen Regen. Diese Absurditäten erstaunen mich nicht. Schließlich sind wir auf zapatistisches Gebiet, und hier ist das Absurde so häufig wie der Regen, ganz besonders im siebten Monat des Jahres. Jetzt habe ich wirklich zu viel Holz ins Feuer geworfen, nicht bildlich gesprochen, und die Flammen drohen jetzt das Dach abzubrennen. "Das kann immer schlimmer kommen," sage ich mir selbst, mich an eins von Duritos Refrains erinnernd, und ich ziehe es vor zu gehen.
Draußen regnet es nicht mehr, aber unter meiner Mütze schüttet es. Ich versuche eine Pfeife mit der Öffnung nach unten anzuzünden, als Major Rolando ankommt. Er sieht mich nur an. Er sieht sich den Himmel an (der in dieser Höhe bereits wieder vollkommen klar ist, mit einem Mond, der ungelogen wie die Mittagssonne aussieht). Er sieht wieder mich an. Ich verstehe seine Verwirrung und sage: "Es ist die Mütze." Rolando sagt "Hmm", was inzwischen so viel bedeutet wie "Ah." Mehr Rebellen kommen herüber, und natürlich eine Gitarre (und ja, sie ist trocken), und sie fangen an zu singen. Rolando und ich brechen in einem Duet aus, "La Chancla," vor einem verwirrten Publikum, denn die "Hitparade" hier tendiert mehr zu Cumbias, Corridos und Norteñas.
Angesicht meines erneut gescheiterten Karrierestarts als Sänger, zog ich mich in eine Ecke zurück und folgte dem weisen Ratschlag von Monarca, der genau wir Rolando, zuerst mich ansah, dann den Himmel und wieder mich und nur sagte: "Nimm die Mütze ab, Sup." Ich nahm sie ab und mein privater Regen hörte natürlich auf. Monarca ging zu den anderen. Ich sagte Hauptmann José Luis (der als meine Leibwache fungiert) er solle sich ausruhen gehen, da ich jetzt nichts tun würde. Der Hauptmann ging, aber nicht um sich auszuruhen, sondern um sich dem Singen anzuschließen..
Und so blieb ich alleine. Immer noch zitternd, aber nun ohne Regen über mir. Ich versuchte wieder meine Pfeife anzuzünden, diesmal mit der Öffnung nach oben, aber dann entdeckte ich, dass mein Feuerzeug nass geworden war und nicht einmal flimmern wollte. Ich murmelte "Verdammter Mist, jetzt kann ich nicht mal meine Pfeife anzünden," und war überzeugt, dass dadurch mein ganzer "Sex Appeal" im Eimer war. Ich suchte gerade meine Hosentaschen (und davon gibt’s ziemlich viele) ab, nicht nach einer Taschenbuchausgabe der Kamasutra, sondern nach einem trockenen Feuerzeug, als direkt neben mir eine Flamme gezündet wurde.
Ich erkannte das Gesicht des Alten Antonio hinter dem Licht. Ich rückte die Öffnung meiner Pfeife zum brennenden Streichholz und sagte immer noch paffend zum Alten Antonio: "Es ist kalt."
"Das ist es," antwortete er, und zündete sich mit einem anderen Streichholz seine handgerollte Zigarette an. Im Licht der Zigarette, sah der Alte Antonio mich an, dann den Himmel, dann wieder mich, aber er sagte nichts. Ich sagte auch nichts, in der Gewissheit, dass der Alte Antonio genau so wie ich an die Absurditäten gewöhnt war, die die Berge des mexikanischen Südostens bewohnen. Ein plötzlicher Wind löschte die Flamme aus, und uns blieb nur der Licht eines Mondes, der wie eine Axt war, abgenutzt und voller Kerben, und Rauch, der an der Dunkelheit kratzte. Wir ließen uns auf den Stamm eines umgestürzten Baumes nieder. Ich glaube wir sagten eine Zeitlang gar nichts, ich erinnere mich nicht sehr gut, aber im Grunde, war der Alte Antonio, ohne dass ich es richtig bemerkt hätte, bereits dabei mir etwas zu erzählen...
Die Geschichte des Halters des Himmels
"Unsere ältesten erzählen, dass der Himmel gestützt werden muss, um nicht zu fallen. Der Himmel ist nicht einfach fest, sondern wird zwischendurch immer schwach und kippt um, und dann lässt er sich einfach fallen, wie Laub von den Bäumen, und dann passieren schreckliche Katastrophen, weil das Böse auf die Felder kommt, und der Regen bricht alles nieder, und die Sonne bestraft das Land, und Krieg beherrscht es, und die Lüge erobert es, und der Tod durchwandert es, und Leid ist in seinen Gedanken.
Unsere ältesten sagen, dies passiert, weil die Götter, die die Welt erschaffen haben, die Allerersten, sich so abgemüht haben um die Welt zu erschaffen, dass sie, nachdem sie damit fertig waren, nicht mehr genug Kraft übrig hatten um den Himmel als das Dach unserer Welt zu erschaffen, sondern setzten es aus allem was sie hatten zusammen, und so wurde der Himmel über die Erde platziert, genau wie eins dieser Plastikdächer. Deshalb ist der Himmel nicht fest, sondern lockert sich manchmal. Und Du musst wissen, wenn das passiert, werden Winde und Wasser aufgewühlt, das Feuer wird rastlos und das Land erhebt sich und wandert, ohne Ruhe zu finden.
Deshalb sagten jene, die vor uns kamen, dass vier Götter, in vier verschiedene Farben, auf die Erde zurückkamen. Sie stellten sich an die vier Ecken der Welt auf, um den Himmel zu packen, damit er nicht mehr fallen, sondern still und gut und gerade bleiben würde, damit Sonne, Mond, Sterne und Träume mühelos wandern konnten.
Aber, so erzählen jene, die zuerst über dieses Land schritten, manchmal würde einer oder mehrere der Bacabes, die Halter des Himmels, anfangen zu träumen, oder würde von einer Wolke abgelenkt, und dann könnte er die Seite seines Erdendachs nicht fest genug halten, und der Himmel, das Dach der Welt, werde dann locker und drohe auf die Erde zu fallen, und weder Sonne, noch der Mond oder die Sterne hätten einen geraden Pfad.
Deshalb übergaben die ersten Götter, die die Welt geboren haben, einem der Halter des Himmels die Verantwortung, und er musste wachsam bleiben, um den Himmel zu lesen und zu sehen, wenn er locker wird, und dann musste der Halter die anderen Halter ansprechen um sie zu wecken, damit sie ihre Seiten fester packen und alles wieder gerade hinstellen würden.
Und dieser Halter schläft nie, er muss immer wachsam und aufmerksam sein, um die anderen zu wecken wenn Böses die Erde befällt. Und die ältesten von Reise und Wort sagen, dass dieser Halter ein Caracol [Muschel] auf die Brust trägt, und damit hört er sich die Laute und die Schweigen der Welt an, und ruft die anderen Halter damit, damit sie nicht einschlafen, oder um sie aufzuwecken.
Und die Allerersten sagen, dass dieser Halter des Himmels, um nicht einzuschlafen, in sein eigenes Herz ein und ausging, auf den Pfaden die er auf seine Brust trug. Und diese alten Lehrer sagen, dass dieser Halter den Männer und Frauen der Welt das Wort und die Schrift beibrachte, denn sie sagen, solange das Wort die Welt durchstreift, kann das Böse zum Schweigen gebracht werden und die Welt kann gerade sein.
Deshalb reist das Wort des einen, der nicht schläft, der gegen das Böse und dessen boshafte Taten wachsam ist, nicht direkt von einer Seite zur anderen. Stattdessen geht es auf ihn selbst zu, und folgt den Linien der Vernunft, und die Weisen von einst sagen, dass die Herzen der Männer und Frauen die Form einer Muschel haben, und jene mit guten Herzen und Gedanken, gehen von einer Seite zu anderen und wecken Götter und Menschen auf, damit sie aufpassen ob die Welt gerade steht. Deshalb benutzt der eine der wach bleibt wenn die anderen schlafen seine Muschel, und er benutzt sie für viele Dinge, aber besonders um nicht zu vergessen."
Mit seinen letzten Worten, hatte der Alte Antonio einen Stab in die Hand genommen, und skizzierte etwas in den Boden. Der Alte Antonio geht, und ich gehe auch. Im Osten lugt die Sonne über den Horizont, als ob sie nur ein Blick rüberwerfen würde, um festzustellen ob der eine der wach bleibt nicht eingeschlafen ist, und ob irgendjemand Wache steht, damit die Welt wieder gerade wird.
Ich kehrte zur Stunde des Pozol, als die Sonne die Erde und meine Kappe bereits getrocknet hatte. Auf der einen Seite des umgestürzten Baumes sah ich die Skizze des Alten Antonio auf den Boden. Es war eine fest gezeichnete Spirale, eine Muschel.
Die Sonne hatte ihre Reise bereits zur Hälfte hinter sich gebracht, als ich zu dem Treffen mit den Gemeinden zurückkehrte. Der Tod der "Aguascalientes" war bereits am letzten Abend beschlossen worden, nun wurde die Geburt der "Caracoles" entschieden, mit anderen Funktionen neben denen, der nun sterbenden "Aguascalientes".
Und so werden die "Caracoles" wie Türen sein, um in die Gemeinden zu gehen, und für die Gemeinden um wegzugehen. Wie Fenster um uns zu sehen, und für uns um hinauszusehen. Wie Lautsprecher um unser Wort weit zu tragen, und für uns um zu hören was weit weg gesagt wird. Aber vor allem, um uns zu erinnern, dass wir wach bleiben sollten, und wachsam sein, damit die Welten, die die Welt bevölkern gerade bleiben.
Die Komitees jeder Region haben sich getroffen um für ihre jeweiligen Caracoles Namen zu wählen. Es wird Stunden an Vorschläge, Diskussionen über Übersetzungen, Lachen, ärger und Abstimmungen geben. Ich weiß, dass es lange dauern wird, also ziehe ich mich zurück und sage ihnen, sie sollen es mich wissen lassen, wenn eine Einigung erzielt worden ist.
In den Baracken essen wir dann, und dann, während wir am Tisch sitzen sagt Monarca, er hätte einen wirklich "fantastischen" Teich zum Baden gefunden und so weiter. Darauf wird Rolando, der nicht einmal badet um sein Leben zu retten, enthusiastisch und sagt, "Gehen wir."
Ich habe mit einiger Skepsis zugehört (er wäre nicht das erste Mal, dass Monarca einen Streich gespielt hätte), aber da wir sowieso darauf warten müssen, dass die Komitees eine Einigung erzielen sage auch ich "Gehen wir". José Luis bleibt zurück um später zu uns zu stoßen, weil er noch nichts gegessen hat, also brechen wir drei — Rolando, Monarca und ich — zuerst auf. Wir überqueren eine Weide und nichts. Wir überqueren ein Feld und nichts. Ich sage zu Rolando: "Ich denke bis wir ankommen, ist der Krieg zu Ende." Monarca antwortet "Wir sind fast da."
Wir kommen endlich an. Der Teich befindet sich in einer Furt des Flusses, wo die Rinder durchwaten, und ist deshalb trüb und von Kuh- und Pferdemist umringt. Rolando und ich protestieren einhellig. Monarca verteidigt sich: "Gestern sah es nicht so aus." Ich sage: "Außerdem ist es jetzt kalt, ich glaube nicht, dass ich baden möchte." Rolando, dem sein Enthusiasmus während des Marsches vergangen ist, erinnert sich, dass Schmutz, wie Piporro das so schön ausdrückt, auch vor Kugeln schützt, also schließt er sich mir mit einem "Ich glaube ich auch nicht" an. Monarca rückt dann mit einer Rede über Pflichterfüllung und was weiß ich noch alles heraus, und sagt dass "Entbehrungen und Opfer keine Rolle spielen". Ich frage ihn was die Pflichterfüllung mit dem verdammten Teich zu tun hätte, und er versetzt mir dann einen Tiefschlag, weil er sagt: "Ah, ihr kneift also."
Das hätte er nicht sagen sollen. Rolando knirschte mit den Zähnen wie ein wütender Eber während er seine Kleidung auszog, und ich kaute auf meiner Pfeife herum, während ich mich bis auf meine "anderen durchschnittlichen Personalien" vollständig auszog. Wir tauchten in das Wasser ein, mehr aus Stolz als weil wir es wollten. Wir badeten irgendwie, aber der Schlamm richtete unsere Haare so zu, dass es zum Neid der radikalsten Punker gereicht hätte. José Luis kam an und sagte "das Wasser ist ein Dreckloch." Roland und ich riefen ihm in stereo zu, "Ah, du kneifst also." Und so stieg José Luis auch in den schlammigen Teich. Als wir herauskamen merkten wir, dass keiner etwas zum Trocknen mitgebracht hatte. Rolando sagte "Dann lassen wir uns eben vom Wind trocknen." Also zogen wir nur unsere Stiefel und Pistolen an, und machten uns auf den Rückweg, vollkommen nackt, mit entblößten Kleinigkeiten, und ließen uns von der Sonne trocknen.
Plötzlich gab uns José Luis, der an der Spitze marschierte einen Warnruf und sagte "da kommen Leute." Wir setzten unsere Skimasken auf und marschierten weiter. Es war eine Gruppe Compañeras, die zum Fluss gingen um ihre Kleidung zu waschen. Natürlich lachten sie und jemand sagte etwas auf ihre Sprache. Ich fragte Monarca ob er gehört hätte was sie gesagt haben, und er sagte "Da geht der Sup." Hmm... ich glaube, sie haben mich an der Pfeife wiedererkannt, denn ich habe ihnen ganz ehrlich nie einen Grund gegeben, mich anhand der "anderen" durchschnittlichen Personalien zu erkennen.
Bevor wir zu den Baracken kamen zogen wir uns an, obwohl wir immer noch nass waren, denn wir wollten die nicht Rebellen nicht beunruhigen. Sie benachrichtigten uns, dass die Komitees bereits zu Ende gegangen waren. Jeder Caracol hatte nun einen Namen:
Das Caracol von La Realidad, der Tojolabal, Tzeltal und Mame Zapatisten, wird von nun an "Madre de los Caracoles del Mar de Nuestros Sueños [Mutter der Muscheln des Meeres unserer Träume] heißen, oder "S-NAN XOCH BAJ PAMAN JA TEZ WAYCHIMEL KU’UNTIC."
Das Caracol von Morelia, der Tzeltal, Tzotzil und Tojolabal Zapatisten, wird von nun an "Torbellino de Nuestras Palabras" [Strudel unserer Worte] heißen, oder "MUC’UL PUY ZUTU’IK JU’UN JC’OPTIC."
Der Caracol von La Garrucha, der Tzeltal Zapatisten, wird von nun an "Resistencia Hacia un Nuevo Amanecer" [Widerstand für einen Neuen Morgen] heißen, oder "TE PUY TAS MALIYEL YAS PAS YACH’IL SACAL QUINAL."
Das Caracol von Roberto Barrios, der Chol, Zoque und Tzeltal Zapatisten, wird von nun an "El Caracol Que Habla Para Todos" [Der Muschel, der für Alle Spricht] heißen, oder "TE PUY YAX SCO’PJ YU’UN PISILTIC" (auf Tzeltal), und "PUY MUITIT’AN CHA ’AN TI LAK PEJTEL" (auf Chol).
Das Caracol von Oventik, der Tzotziles und Tzeltales, wird von nun an "Resistencia y Rebeldía Por la Humanidad" [Widerstand und Rebellion für die Menschlichkeit] heißen, oder "TA TZIKEL VOCOLIL XCHIUC JTOYBAILTIC SVENTA SLEKILAL SJUNUL BALUMIL."
An diesem Abend regnete es nicht, und die Sonne konnte problemlos hervorkommen, und durchreiste einen geraden Himmel, zu ihrem Haus hinter der Berge. Der Mond kam dann heraus, und so unglaublich es auch klingt, die Dämmerung erwärmte die Berge des mexikanischen Südosten.
(Fortsetzung folgt...)
>Aus den Bergen des mexikanischen Südostens.
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, Juli 2003.
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