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Drogenkrieg, Morde und eine Präsidentenwahl

junge welt vom 29.12.2012
Tania Mariskow

 

Jahresrückblick 2012. Heute: Mexiko. Ein Ende der Gewalt ist nicht absehbar. Doch die Proteste der Bevölkerung nehmen zu

Pünktlich zum Beginn des 14. Baktun des Maya-Kalenders am 21. Dezember, der von Anhängern esoterischen Sondermülls auch als »Tag des Weltuntergangs« angesehen wurde, trat im südmexikanischen Chiapas die lange Zeit stille Zapatististische Befreiungsarmee EZLN wieder in Aktion. Zehntausende ihrer Mitglieder wanderten in zum Teil sechsstündigen Märschen maskiert, unbewaffnet und in völligem Schweigen in die Städte Ocosingo, Comitán, Las Margaritas und San Cristóbal de las Casas ein. In einem kurzen Kommuniqué erklärten die Zapatistas: »Habt ihr gehört? Das ist der Klang des Zusammenbruchs eurer Welt. Es ist der Klang unseres Auferstehens.«

Der Widerstand in Mexiko hat im zu Ende gehenden Jahr vielfältige Formen angenommen. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl vom 1. Juli formierte sich eine Protestbewegung gegen Korruption, gegen die Medien und gegen den Kandidaten der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) und späteren Wahlsieger Enrique Peña Nieto. Bekannt wurde vor allem die im Mai entstandene studentische Kampagne #YoSoy132. Bei einer von dieser Bewegung organisierten Podiumsdiskussion stellten sich außer Peña Nieto, der seine Teilnahme wegen der ihn klar ablehnenden Haltung der Studenten verweigert hatte, alle anderen Kandidaten den Fragen der studentischen Bewegung, allen voran der Vertreter der Partei der demokratischen Revolution (PRD), Andrés Manuel López Obrador (AMLO), der als Hoffnungsträger für einen sozialen, linken Wandel in der Politik galt. Auch die Kandidatin der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN), Josefina Vázquez Mota, und Gabriel Quadri de la Torre von der Partei der Neuen Allianz nahmen an der Debatte teil.

Wahl angefochten

Die offiziellen Ergebnisse der Wahl vom 1. Juli, denen zufolge Peña Nieto die Abstimmung für sich entscheiden konnte, wurden vom Zweitplazierten AMLO nicht anerkannt. Sie erhoben Betrugsvorwürfe gegen die mexikanische Wahlbehörde IFE und gegen die PRI, die Stimmen gekauft haben soll. Tatsächlich wurden, wie die PRI einräumte, elektronische Einkaufsgutscheine der Supermarktkette Soriana und Bankkarten des Finanzinstituts Monex an potentielle Wähler verteilt. In Mexiko sind derartige Geschenke im Wahlkampf zwar erlaubt, allerdings ist es illegal, die Stimmabgabe des Beschenkten davon abhängig zu machen. Außerdem soll die Partei Peña Nietos das erlaubte Wahlkampfbudget um das 26fache überschritten haben.

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlen, als AMLO äußerst knapp Felipe Calderón unterlegen war, fand diesmal eine vom PRD-Kandidaten beantragte Neuauszählung von rund der Hälfte aller Stimmen statt. Trotzdem konnte der Präsident des IFE, Leonardo Valdés Zurita, kein neues Ergebnis verkünden. Ein daraufhin gestellter Antrag AMLOs auf Neuauszählung aller Stimmen wurde abgelehnt. So bleibt nach der Wahl ein fader Beigeschmack, da es auch nach Angaben des Bundeswahlgerichts TEPJF zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Am 1. Dezember übergab der bisherige Staatschef Felipe Calderón das Präsidentenamt an Peña Nieto, der aufgrund der Ähnlichkeit seines Namens zum spanischen Wort »Pena«, von den Mexikanern bereits »die Strafe« getauft worden ist. Damit übernahm die PRI, die Mexiko bereits von 1929 bis 2000 mehr als 70 Jahre lang regiert hatte, nach zwölfjähriger Oppositionszeit wieder die Macht. Bei der Amtseinführung Peña Nietos kam es jedoch zu massiven Ausschreitungen, bei denen mindestens 105 Menschen verletzt wurden. 59 Demonstranten wurden festgenommen, von denen bis jetzt nur 46 Menschen wieder freigelassen wurden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte eine Untersuchung der Polizeigewalt gegen die Protestierenden. Gerade Mitglieder von #YoSoy132 wurden Opfer von Repressalien, die von sexueller Belästigung im Gefängnis, Morddrohungen per E-Mail oder Telefon, anonymer Gewaltandrohung in sozialen Netzwerken bis hin zu versuchten Morden reichten. Mehrere Opfer haben bereits Anzeige bei der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) gestellt. Trotzdem wollen die Aktivisten ihren Protest mit ungebrochenem Engagement fortsetzen. Zu ihrer Einschüchterung zeigt mittlerweile eine eigens gegen Demonstrationen aufgestellte Polizeistaffel Präsenz an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM).

Mexiko blieb auch für Journalisten eines der gefährlichsten Länder, es zählt laut Menschenrechtsorganisationen für Journalisten zu den zehn gefährlichsten Regionen weltweit. Seit dem Jahr 2000 wurden rund 70 Morde an Reportern gezählt. Bei den aufgefundenen Leichen konnten immer wieder Folterspuren festgestellt werden. Die Schicksale vieler weiterer verschwundener Journalisten sind bis heute ungeklärt. Die Folge dieser Verbrechen ist eine Selbstzensur in den Medien, die das Ende des letzten Restes von Pressefreiheit in Mexiko einzuläuten scheint. Doch die Gefahr geht nicht nur von den Drogenkartellen aus, denen die meisten Morde zugeschrieben werden und die keine Berichterstattung über sich und ihre Machenschaften wünschen, sondern auch von korrupten Polizisten und Militärs. So wurden am 31. Juli vier hochrangige Militärs festgenommen, die im Verdacht stehen, Drogentransporte gedeckt zu haben. Während diese zu Strafen zwischen fünf und zehn Jahren Haft verurteilt wurden, bleiben die meisten Taten organisierten Verbrechens auch wegen der Korruption in den Behörden ungeahndet.

Zehntausende Tote

Besonders seit 2006 grassiert die Gewalt, nachdem Felipe Calderón begonnen hatte, die Armee im Kampf gegen die Kartelle einzusetzen. Die Zahl der allein seit seinem Amtseintritt in diesem Drogenkrieg getöteten Menschen wird auf mehr als 60000 geschätzt. Auch Peña Nieto setzt weiter auf die Hilfe des Militärs gegen die Kartelle und versprach im Wahlkampf zusätzlich den Einsatz einer neuen Polizeistaffel, der Gendarmería Nacional, gegen das organisierte Verbrechen. Fraglich bleibt jedoch, wie lange diese neuen Einsatzkräfte von der Korruption verschont bleiben. Die Kartelle locken nicht nur mit mehr Geld, mit dem die Polizisten, die für die reale Lebensgefahr, der sie sich täglich aussetzen, wenig verdienen, ihre Familien besser versorgen könnten. Sie bedrohen oftmals auch die Familien, Lebenspartner und Freunde der Sicherheitskräfte.

Andere weltweite wirtschaftliche Probleme des krisenhaften Kapitalismus wurden im Juni in elitärem Rahmen beim Gipfeltreffen der G20 in Los Cabos diskutiert. In derselben Stadt entging Joaquín »El Chapo« Guzmán, Anführer des Sinaloa-Kartells, nach Medienangaben nur knapp dem Zugriff der Polizei. Seit elf Jahren befindet er sich auf der Flucht, nachdem er acht Jahre unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Gefängnis gesessen hatte, aber doch entkommen konnte. Aufgrund des brutalen Krieges der Kartelle untereinander, bei dem immer wieder Unbeteiligte zwischen die Fronten geraten, dürfte sich »El Chapo« seinerseits über die Nachricht gefreut haben, daß Heriberto Lazcano, oder auch »El Lazca«, einer der wichtigsten Anführer der »Zeta«, von Soldaten erschossen worden sein soll. Der Körper des Getöteten wurde jedoch durch ein bewaffnetes Kommando aus dem Leichenschauhaus gestohlen, so daß ein genauer Nachweis der Identität nicht geliefert werden konnte.

 Quelle:  
  http://www.jungewelt.de/2012/12-29/012.php 
 

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