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WTO: Interview mit Saúl Vicente
Poonal vom 06.09.2003 |
Von Andreas Behn, Poonal 589 vom 09.09.2003 |
(Mexiko-Stadt, 6. September 2003) Saúl Vicente ist Sprecher der Bauern- und Indígena Organisation COCEI (Coordinadora Obrera Campesina Estudiantil Independiente). COCEI gehört zu den wichtigsten Aktionsgruppen im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca und wird mit einer grossen Delegation bei den Protesttagen gegen die WTO-Tagung in Cancún präsent sein.
npl: Welche mexikanischen Gruppen tragen die Protestaktionen, die in Cancún geplant sind?
Saúl Vicente: Die Mehrheit sind zivile bzw. soziale Bewegungen, aber auch Gruppen, die sich aufgrund der WTO-Konferenz hier in Mexiko gegründet haben. Es ist ein sehr breites, pluralistischen Spektrum, das die gesamte Zivilgesellschaft repräsentiert. Aber je nach ihrer Herkunft formulieren die verschiedenen Bewegungen eigene Forderungen und Positionen, die sich an die Regierungen richten, die in Cancún teilnehmen.
Zum anderen wird es auch viele Protestaktionen geben, um zu zeigen, dass wir mit der Art und Weise, wie bisher innerhalb der WTO agiert und verhandelt wurde, überhaupt nicht einverstanden sind. Von Seiten der Bauernorganisationen rechnen wir mit rund 10.000 Aktivisten in Cancún. Wir sind der Ansicht, dass derzeit nur die Interessen des Handels berücksichtigt werden, was darauf hinausläuft, den multinationalen Konzernen möglichst hohe Gewinne zu garantieren. Und die Regierungen haben dieses Spiel mitgespielt.
npl: Wie werden die Proteste in Cancún ablaufen, wird es auch zu Blockaden und Zusammenstössen mit der Polizei kommen?
Saúl Vicente: Wir gehen davon aus, dass jede Gruppe entsprechend ihrer eigenen Sichtweise vorgehen wird. Gruppen wie wir werden auf der Strasse protestieren und inhaltliche Foren anbieten, andere kommen in erster Linie, um lautstark zu protestieren.
npl: Welche Forderungen vertritt die COCEI?
Saúl Vicente: Seit langem fordern wir zusammen mit anderen Gruppen von der mexikanischen Regierung, eine andere Handelspolitik zu betreiben. Wir plädieren für einen gerechten Handel, bei dem die besondere Lage von schwächeren Marktteilnehmern berücksichtigt wird. Also konkrete Taten und nicht nur schöne Deklarationen, die hinterher nicht eingehalten werden. Zumeist reagiert die Regierung auf unsere Haltung mit dem Vorwurf, die sozialen Bewegungen würden immer nur mäkeln und protestieren. Dazu haben wir ja auch gutes Recht, aber natürlich haben wir auch Vorschläge, die freilich nie zur Kenntnis genommen werden. Auch deswegen bereiten wir in Cancún viele thematische Veranstaltungen vor, die unsere Positionen sichtbar machen sollen.
npl: Landarbeiterorganisationen wie COCEI fordern einen Abbau der Agrarsubventionen in den Industrieländern, eine Forderung, die beispielsweise auch die mexikanische Regierung vertritt. Ziehen COCEI und Präsident Fox in dieser Frage an einem Strang?
npl: Nein, wir protestieren auch gegen die Politik der mexikanischen Regierung. In der Agrarfrage verhält es sich vielmehr so, dass sich die Regierung inzwischen den Positionen der sozialen Bewegungen annähert. Das ist wichtig für uns, aber noch wichtiger ist uns, dass eine solche Position bis zum Ende der Verhandlungen aufrecht erhalten wird. Denn während neue Verhandlungen innerhalb der WTO geführt werden, lehnt es die Regierung ab, die bestehenden Vereinbarungen im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zu revidieren. Das ist für uns ein Widerspruch innerhalb der Regierungsposition zur Agrarfrage.
npl: Greift die Forderung nach Abbau der Agrarsubventionen im Norden nicht zu kurz, da ein solcher Minimalkonsens beispielsweise den kleinen Produzenten im Süden oder noch ärmeren Ländern gar nichts nutzt?
Saúl Vicente: Genau deswegen machen wir in der Agrarfrage weiter Druck auf die Regierung, die Annäherung an unsere Positionen heißt ja nicht, dass die Regierung bereits unsere Sichtweise übernommen hat. Wir sehen hierbei, dass die öffentliche Haltung der Regierung etwas anderes ist als das, was sie schlussendlich bei Verhandlungen zum Beispiel bei der WTO vertritt.
npl: Was wird nach Cancún passieren? Werden all die entfalteten Aktivitäten in sich zusammenfallen oder ist geplant, in der Offensive zu bleiben?
Saúl Vicente: Für die sozialen Bewegungen hier ist die WTO-Konferenz nur eine Etappe innerhalb einer langfristigen Kampagne. Zumal auch die Regierung schon weiter denkt und gleichzeitig zu den WTO-Verhandlungen die Gespräche über die Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA vorantreibt. Dagegen werden wir weiterhin mobilisieren, wie auch gegen den Plan Puebla Panama, ein Infrastrukturprojekt im Süden unseres Landes, mit dem wir nicht einverstanden sind, über das die Bevölkerung nicht informiert wird und wo Entscheidungen gegen die Interessen der Menschen vor Ort getroffen werden.
Quelle: poonal
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