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WTO in Cancun: Demonstranten in Cancun setzen auf friedlichen Protest

Poonal vom 14.09.2003
Von Andreas Behn, Poonal 590 vom 16.09.2003

  (Cancun, 14. September 2003, npl).- Der Showdown blieb aus. Kaum hatten die Demonstranten den dreifach verstärken Metallzaun mit vereinten Kräften niedergerissen, setzten sie sich friedlich auf den Boden. Statt erneut gegen die gut gerüstete Polizei in Richtung WTO-Konferenzzentrum anzurennen, hielten die globalocríticos, die Aktivisten gegen die schrankenlose Liberalisierung des Welthandels, eine Zeremonie ab, um des koreanischen Bauernführers zu gedenken, der am Mittwoch aus Protest politischen Selbstmord begangen hatte.

Am Samstag waren rund 5.000 Demonstranten in Cancun zur zweiten großen Demonstration in Richtung Hotelzone, der für Protestler gesperrten WTO-Tagungsmeile aufgebrochen. Da die meisten Bauernaktivisten bereits abgereist waren, war der Zug kleiner und weniger energisch als noch vor drei Tagen. Nur wenige Schaulustige säumten die Straßen, in denen "Zapata lebt" und "Die WTO tötet" skandiert wurde — nachdem in der Nacht zuvor die Scheiben eines Pizza-Hut-Restaurants eingeschmissen worden waren, hatten die meisten Geschäfte in der Innenstadt geschlossen, viele hatten ihre Schaufenster zugenagelt.

Nach einer Stunde war der Marsch am Beginn des Boulevard Kukulkán, der 20 Kilometer lang durch die Luxus-Hotelzone der karibischen Touristenhochburg führt, zu Ende. Erneut standen sich Demonstranten und Polizei gegenüber, getrennt durch einen imposanten, rostfarbenen Zaun. Doch diesmal waren die Aktivisten besser organisiert: Es war Konsens, keine Gewalt anzuwenden, also keine Steinwürfe oder sonstige Abgriffe auf die Polizisten. Genauso war Konsens, dass der Zaun weg musste.

Sofort ging es dem Drahtgestell mit Bolzenschneidern und Metallsägen zu Leibe. Doch ausschließlich Frauen waren am Werk — zuvor war vereinbart worden, auf diese Weise Eskalationen zu vermeiden: Die Polizei war sichtlich verunsichert, aber auch die zumeist männlichen Hitzköpfe unter den Demonstranten wurden auf Distanz gehalten. Mittels einer Menschenkette wurde ein fünf Meter breiter Bereich vor dem Zaun zur Männerfreien Zone erklärt. "Wir wollen hier friedlich protestieren," sagte eine Kanadierin, die wie viele andere ohne jede Vermummung große Löcher in den Draht schnitt. "Alleine brauchen wir zwar länger, aber dafür machen wir es richtig."

Als an einer Stelle der Zaun genug durchlöchert war, kamen die Bauern zum Zuge. Mitglieder des internationalen Verbandes Via Campesina, vor allem aus Korea, Mexiko und Mittelamerika, befestigten in aller Seelenruhe grobe Seile an den Spitzen des Metallgestells und Hunderte zogen daran. Beim vielleicht achten Versuch wurde der Zaun niedergerissen und beiseite geschafft.

Entgegen den Vorraussagen der Lokalpresse und den Erwartungen der gut postierten Kameraleuten blieb der große Krawall aus. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte der Sprecher der koreanischen Landarbeiterdelegation, dass es "Ziel gewesen ist, den Zaun einzureißen, weil uns der Protest vor den WTO-Gebäuden verweigert worden ist. Via Campesina-Präsident Rafael Alegría ergänzte unter großem Applaus: "Sie sagen, wir würden Gewalt anwenden, aber nein, wir haben nur eine Mauer eingerissen, die Mauer der WTO, die Mauer des Hungers, der Ausbeutung und der Straffreiheit." Den etwas pathetischen Abschluss der überraschend gelungenen Veranstaltung bildete die Verbrennung einer Plastikpuppe, die die WTO symbolisieren sollte.

Schon das ganze Wochenende hindurch war es kleinen Gruppen von Aktivisten immer wieder gelungen, trotz aller Abriegelungen im oder vor dem Konferenzzentrum zu protestieren. Drei Aktivisten erkletterten einen 70 Meter hohen Kran und ließen fast 14 Stunden lang ein großes Plakat über den Kukulkán-Boulevard flattern. Andere hielten im Pressezentrum kurze Kundgebungen ab oder blockierten für einige Stunden die Straße vor dem Konventionszentrum.

Auch wenn all die Aktionen den Delegierten aus 146 Staaten bei der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation kaum zu Ohren kommen, gehen die auf fünf Tage terminierten Verhandlungen nur höchst stockend voran. Die Streitpunkte sind die gleichen wie im Vorfeld der Tagung: Die Länder des Südens sind sich zumeist einig, dass sie den Industrieländern keine der geforderten Zugeständnisse in Bereichen wie Investitionsabkommen oder weitere Privatisierung der öffentlichen Hand zugestehen wollen, solange ihre Forderungen im Agrarbereich nicht akzeptiert werden. Immer vehementer verlangen sie, dass der Norden seine Handelsschranken und Exportsubventionen im Agrarbereich radikal abbaut, damit dieser Sektor in den Entwicklungsländern nicht durch noch mehr Dumping kaputt gemacht wird.

Für Empörung sorgte am Samstag die zweite Vorlage eines Vorschlags für die Abschlusserklärung der Cancun-Konferenz. Beobachter stimmten darin überein, dass sie in erster Linie die Handschrift der "großen vier", also EU, USA Japan und Kanada trägt. Große NGOs wie das "Dritte-Welt-Netzwerk" oder "Global Trade Watch" bezeichneten die Vorlage als eine "Katastrophe für Entwicklungsländer" und kritisierten, dass der Text in wichtigen Passagen völlig unverbindlich formuliert sei. Dort, wo konkrete Zahlen, zum Beispiel bezüglich der Reduzierung von Subventionen stehen sollten, finden sich oftmals nur Auslassungszeichen.

Nicht weniger deutlich vielen die Reaktionen wichtiger Gruppen von Entwicklungsländern aus. "Die Vorlage entspricht bei weitem nicht unseren Erwartungen", besagt eine gemeinsame Erklärung von AKP-Staaten (Afrika/Karibik/Pazifik), Afrikanischer Union und den in der LCD-Gruppe vereinten ärmsten Ländern. Unverständnis äußerten sie darüber, dass plötzlich die von der EU immer wieder gewünschten "Singapur-Themen" — darunter vor allem der Investitionsschutz — in der Vorlage auftauchen, obwohl über 70 WTO-Staaten mehrfach darauf hingewiesen hatten, dass sie nicht einmal bereit seien, über diese Themen zu reden. Auch beklagten sie, dass ihre eigenen Vorschläge, wie beispielsweise die Sonderbehandlung existenzieller Produkte sowie Sicherheitsmechanismen, "im Textvorschlag vollständig ignoriert werden". Hegel Goutier, Sprecher der AKP-Gruppe, ergänzte, dass ihre Koalition mit ihren Anliegen sehr stabil sei und dies auch bleiben werde.

Aus den Delegationen von Indien und Brasilien, den beiden wichtigsten Ländern der G22-Gruppe, die großen Druck für den Abbau von Agrarsubventionen entwickeln, verlautete ebenfalls großer Unmut. Auf dieser Grundlage sei ein substanzieller Dialog schwierig, so Indiens Handelsminister. Brasiliens Außenminister listete gleich 15 Punkte auf, in denen die Vorlage verändert werden müsse.

Auch seitens der EU und der USA wurde Kritik geübt, unter anderem da die Export-Interessen der Industrieländer nicht ausreichend berücksichtigt wurden, wie der deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement darlegte. EU-Agrarkommissar Franz Fischler und EU-Handelskommissar Pascal Lamy hingegen waren sich auf ihrer Pressekonferenz einig, dass der Text eine Grundlage für die weitere Diskussion darstelle. Wie gehabt beharren sie im Streit mit den Schwellenländern darauf, ihre Agrarsubventionen nicht abzubauen, weil sie nach ihrer Abkopplung von der Produktionsmenge nun in der sogenannten Greenbox angesiedelt seien, was bedeute, dass sie — in Fischlers Worten — "den Handel gar nicht oder nur minimal" verzerren.

Auch wenn sich die meisten Delegationen optimistisch geben, ist eine Einigung nicht sonderlich näher gerückt. Zumal es am Ende nur eine Abschlusserklärung geben wird, der ausnahmslos alle WTO-Staaten zustimmen müssen. Kaum ein Beobachter in Cancun glaubt noch daran, dass die Verhandlungen wie geplant bis Sonntag abgeschlossen sein werden.


Quelle: poonal
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