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Extraktivismus in Lateinamerika

Dossier Tagungsdokumentation zur Tagung der Böll-Stiftung vom 13./14. Mai 2014

News vom 20.07.2014
von Nina Gawol

  María Luisa Aguilar auf der Konferenz "Rohstoffausbeutung und die Zukunft der Demokratie in Lateinamerika", 13.,/14. Mai 2014, Berlin. Obwohl reich an Rohstoffen, ist die Region Guerrero eine der ärmsten Regionen Mexikos. María Luisa Aguilar, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Tlachinollan spricht in dem Interview über die unmittelbare Bedrohung indigener Territorien durch das Interesse am Rohstoffabbau in Guerrero.

Nina Gawol: María Luisa Aguilar, können Sie uns die Situation und die Konflikte in Guerrero beschreiben?

María Luisa Aguilar: Guerrero hat eine schwierige Geschichte. Ein Gebiet, an dem es immer viel Gewalt, Armut und Exklusion gegeben hat. Wir arbeiten in der Bergregion Tlachinollan und begleiten die indigene Gemeinschaft in San Miguel del Progreso. Das Gebiet der rund 3.800 Einwohnerinnen und Einwohner der Me ›phaa-Gemeinschaft ist von strukturellen Menschenrechtsverletzungen geprägt, die Teil der generellen Gewalt im Land und der Bedrohung indigener Territorien ist. Seit dem Jahr 2009 werden in diesen Gebieten mehr Bergbaukonzessionen als je zuvor erteilt. Mittlerweile wird in einem Drittel der Territorien des Berges Tlachinollan Bergbau betrieben.

Die vom mexikanischen Staat vergebenen Konzessionen für Erkundung und Förderung der Rohstoffe an transnationale Bergbauunternehmen gelten für einen Zeitraum von 50 Jahren. Vor der Vergabe haben die Menschen der Region keinerlei Informationen erhalten, wie es die ILO-Konvention 169 vorsieht, die 1991 in Kraft getreten ist. Im Gegenteil: An der bedrohlichen Situation maßgeblich beteiligt sind staatliche Einrichtungen, die eigentlich die Rechte der Bevölkerung schützen sollen, denn Mexiko hat im Jahre 1990 diese ILO-Übereinkunft unterzeichnet.

Ihre Organisation fordert genau diese Rechte für die Bevölkerung der Region ein. Wie unterstützt sie die Menschen vor Ort?

Tlachinollan arbeitet seit 20 Jahren in der Region. In dieser Zeit ist die Organisation ein starker Bündnispartner der Gemeinden geworden. Da Guerrero viele natürliche Ressourcen besitzt, ist die Bedrohung der Territorien sehr präsent. Wir versuchen deshalb nach Möglichkeit schon im Vorfeld zu verhindern, dass Bergbauunternehmen sich dort niederlassen. Gemeinsam mit den Gemeinden organisierten wir in der Vergangenheit Informationsveranstaltungen, bei denen erklärt wurde, was Bergbaukonzessionen für die Menschen wirklich bedeuten und welche Gefahren ein Rohstoffabbau unter freiem Himmel birgt. In diesem Zusammenhang führte unsere Organisation auch Rechtsberatungen durch.

Die Anwohnerschaft der Region gründete 15 landwirtschaftliche Versammlungen, die rechtlich durch das Agrargesetz von Mexiko abgesichert sind. Eine staatliche Anerkennung dieser Versammlungen kann jedoch nur über den Eintrag im Nationalen Agrarregister erfolgen. Die Versammlungen sollen die Entscheidungsbefugnis über die Zukunft der Territorien haben und entschieden schon jetzt einvernehmlich: Wir wollen keinen Bergbau in unseren Territorien!

Die Versammlung von San Miguel del Progreso wurde als eine der ersten im Register erfasst und kann damit einen offiziellen Weg einschlagen, um ihre Rechte einzufordern. Neben dem Schutz ihres eigenen Territoriums kämpfen sie aber auch für eine generelle Änderung des Bergbaugesetzes. Dabei soll die Vergabe einer Konzession ohne vorherige Konsultation der ansässigen Gemeinschaft verboten werden.

Wie verhält sich die Regierung zu Ihrer Arbeit? Erfahren Sie Unterstützung?

Die eigentliche Aufgabe eines Staates ist es, den Menschen unverfälschte Informationen zu liefern. Als wir die Informationsveranstaltungen organisierten, reagierte der Staat entgegen seiner Aufgabe und unterstellte den agierenden Organisationen, subjektive Informationen bereitzustellen und lediglich die negativen Aspekte des Bergbaus zu betonen. Die stattlichen Stellen argumentierten hingegen, dass der Bergbau Arbeit, Fortschritt und Entwicklung bringen würde. Dabei wurde aber vergessen, die konkrete Realität des Arbeitsmarktes im Bergbau und die Umweltbelastungen zu erwähnen.

Der Forderung von San Miguel, das Territorium zu schützen, wird insofern nicht nachgekommen, als dass der Staat der Gemeinschaft ihre indigene Identität abspricht. Der Staat ist also nicht einmal fähig, die Multikulturalität des Landes zu erkennen und noch weniger, die Rechte der Menschen zu wahren. Der mexikanische Staat behauptet sogar, dass die Menschen nicht betroffen sind, weil es nie einen Versuch gegeben hätte, Bergbau in der Region zu betreiben. Allerdings wurde eine Konzession vergeben - und dies ohne eine vorherige Zustimmung der Gemeinschaft. Somit kann gesagt werden, dass der mexikanische Staat auf unterschiedlichste Weise die Rechte der Menschen missachtet.

Was muss der mexikanische Staat also ändern?

Die Gemeinschaft San Miguel fordert, dass das Bergbaugesetz von Mexiko überarbeitet wird. Ohne Zweifel muss der Staat seine Perspektive verändern und die Menschen, die in Mexiko leben, schützen und einbeziehen. Die Anerkennung ihrer indigenen Identität ist dabei genauso wichtig wie das »Recht auf freie, frühzeitige und informierte Zustimmung« vor der Vergabe von Konzessionen. Der Staat muss seine Sicht auf die indigenen Völker ändern und darf deren Interessen nicht als Thema der wirtschaftlichen Entwicklung oder des ökonomischen Wachstums behandeln. Für die Gemeinschaften ist es ein Kampf um ihre Territorien und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

Nicht alle Konflikte, die mit dem Bergbau zusammenhängen, treten in indigenen Gebieten auf. Was sind die Besonderheiten in diesen Gebieten?

Vor allem das Verständnis, was ein Territorium ist. Die Beziehung, die Indigene und oftmals auch Bäuerinnen und Bauern zu ihrer Umwelt haben, unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Beziehung zu individuellem Eigentum. Für die Gemeinschaften, für San Miguel bedeutet die Vergabe von Konzessionen, dass ihre komplette Welt von Fremden verändert werden kann. Ihr Territorium ist die Basis ihrer kulturellen Reproduktion und ihrer spirituellen Werte. Dies ist das Fundament ihres Verständnisses von Gemeinschaft und dem Schutz des Lebens. Die Orte, an denen sie ihre Rituale abhalten, ihr Wasser, ihre Erde, all diese Elemente sind keine »Rohstoffe« für sie. Sie sind Teil ihres Lebens, Teil einer Weltanschauung, einer Beziehung von Natur zu Volk, und nicht von Natur zu Individuum.

Die weltweite Nachfrage von Rohstoffen steigt. Befürchten Sie, dass die Menschen in Zukunft mehr Probleme haben werden, ihre Territorien zu verteidigen?

Wir versuchen, genau das zu verhindern. Durch verschiedene Erfahrungen in Mexiko wissen wir, sobald Bergbauunternehmen erst einmal in den Territorien sind, ist der Widerstand gegen einen Abbau ungleich schwerer. Im Gebiet von San Miguel wurde der Samen des Widerstands ausgesät, der aufkeimt und stärker wird. Die Menschen, die sich gegen den Rohstoffabbau aussprechen, sind sehr hellhörig gegenüber potenziellen Bedrohungen. Schlussendlich ist aber der Rohstoffabbau eine Bedrohung von Tausenden von Bedrohungen, denen sie über hunderte von Jahre ausgesetzt waren und die sie trotzdem überstanden haben.

 Quelle:  
  http://www.boell.de/de/dossier-neo-extraktivismus-lateinamerika 
 

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