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Die mexikanische Energiereform
Der Todesstoß für die kleinbäuerliche Landwirtschaft?
Poonal vom 29.08.2014 |
von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt |
Bauer beim Melken / Archivo-de-proyectos,-CC BY-NC-SA 2.0, flickr
(Berlin, 13. August 2014, poonal).- Das Jahr 2014 ist von der Welternährungsorganisation FAO zum Internationalen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft ernannt worden. In Mexiko dagegen könnte 2014 als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem für weite Teile der kleinbäuerlichen und indigenen Landwirtschaft das endgültige Ende eingeläutet wurde.
Ressourcenausbeutung erhält Vorrang vor Landwirtschaft
Grund sind die verschiedenen Ausführungsgesetze der mexikanischen Energiereform. Deren Initiator, Präsident Enrique Peña Nieto, verkündete die neuen Regelungen am vergangenen 11. August.
Diese Gesetze bedeuten aufgrund der endgültigen und umfassenden Öffnung des Energiesektors für die nationale und vor allem für die internationale Privatwirtschaft, nicht nur eine Zäsur der mexikanischen Energiepolitik seit 1938, als die Ölindustrie verstaatlicht wurde.
Sie geben zudem der industriellen Ressourcenausbeutung im Bergbau, im Bereich der Gas- und Erdölförderung, der Stromproduktion sowie beim Transport der Energieträger absoluten Vorrang vor der landwirtschaftlichen Nutzung der Böden. Das wird schwerwiegende Auswirkungen auf die fast 32.000 Agrargemeinden in Mexiko und die etwa 28 Millionen Menschen zählende Landbevölkerung haben.
Wie eine Dampfwalze ging die Parlamentsmehrheit im mexikanischen Senat und im Abgeordnetenhaus in den vergangenen Wochen über alle Einwände vieler Bauernorganisationen und oppositioneller Abgeordneter hinweg. Ein Bestandteil der neuen Gesetzgebung ist es, praktisch jegliche Art von Extraktivismus zu einer Aktivität von »öffentlichem Nutzen« und von »gesellschaftlichem Interesse« zu erklären. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Förderung von — oftmals ausländischen — Privatkonzernen durchgeführt wird, wie dies bereits jetzt im Bergbau der Fall ist.
Quasi ausgeschlossen: Widerspruch gegen Trassenbau und Pipelines auf Bauernland
Die bohrenden und fördernden Unternehmen sollen zudem bevorzugten Zugang zu den in weiten Teilen Mexikos immer knappen werdenden Wasserreserven haben. Das ist besonders bedeutsam, weil die Gesetze auch dem enorme Wassermengen benötigenden Fracking den Weg ebnen.
Fördergebiete und Infrastruktur können zu »Schutzzonen« werden
Auf Empfehlung des Energieministeriums kann der mexikanische Präsident sogenannte Schutzzonen bestimmen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um den Schutz der Natur, sondern um Zonen, in denen der Förderung von fossilen Brennstoffen, Erdwärme, Wasser, Mineralen oder Gas ganz besondere Priorität gilt. Der Präsident kann auch jene Gebiete, in denen Elektrizitätswerke, Gasleitungen, Schaltstationen und sonstige Infrastruktur vorgesehen sind, zur Schutzzone erklären.
Den LandbesitzerInnen und Agrargemeinden bleiben angesichts des Vorranges für Energieunternehmen nur begrenzte Möglichkeiten: der Verkauf, die Pacht oder eine andere Art der Vergütung. Die kann den neuen Gesetzen nach zum Beispiel in Sachleistungen, Beschäftigungsverträgen oder einem Infrastrukturprojekt für die Gemeinde bestehen. Bisherige Erfahrungen mit Bergbau- und Windkraftkonzernen lassen nichts Gutes ahnen.
Simulierte Enteignung
Wer sich dem Ansinnen der Unternehmen verweigert und in Verhandlungen mit ihnen zu keinem Ergebnis kommt, der muss im Namen des „öffentlichen Nutzens« mit der „vorübergehenden Inbesitznahme« seiner Böden rechnen. Ursprünglich gaben die neuen Gesetzentwürfe bei fehlender Einigung dem Energieministerium sogar die Kompetenz, Land innerhalb von zehn Tagen gegen eine offiziell festgelegte Entschädigung zu enteignen.
Hier machte die Parlamentsmehrheit einen kleinen Rückzieher, der jedoch de facto kaum einen Unterschied darstellt. Die vorübergehende Inbesitznahme ist zeitlich nicht begrenzt. Dadurch ergibt sich gibt die Möglichkeit, die Bodenschätze so lange auszubeuten, bis eine Förderung nicht mehr gewinnträchtig ist. Am Ende erhalten die formalen BesitzerInnen möglicherweise ein zerstörtes und kontaminiertes Stück Land zurück, auf dem Nahrungsmittelanbau nicht mehr praktikabel ist.
Kritische JuristInnen sehen im Konzept der Inbesitznahme eine simulierte Enteignung und damit eine mögliche Verletzung des Verfassungsartikels 27, der in seiner aktuellen Fassung die Ejidos noch besonders schützt. Im Namen des gesellschaftlichen und öffentlichen Interesses müssten die Böden der Ejidos nun für ein Interesse zur Verfügung gestellt werden, das in der Realität ein unternehmerisches und privates sei. Da muten Erklärungen wie die von David Penchyna, dem Vorsitzenden der Energiekommission des Senates, eher zynisch an: Es werde kein Eigentumsrecht verletzt, denn die Energieressourcen im Bodenuntergrund gehörten allen Mexikanern.
»Neokolonisierung des Territoriums der Ursprungsvölker«.
Die indigenen Gemeinden haben nach internationaler und nationaler Rechtsprechung ein Anrecht auf eine vorherige Befragung, wenn ihr Territorium durch externe Maßnahmen beeinträchtigt wird. Doch sollten sie mit einem »Nein« die Nutzungsänderung ihrer Böden ablehnen, ist dies nicht verbindlich. Der frühere UNO-Sonderberichterstatter für die Rechte der Indigenen Völker, der Mexikaner Rodolfo Stavenhagen, kommentiert bezüglich der Reformen: »Mexiko zeigt den internationalen Abkommen mit der Energiereform die kalte Schulter.« Das Ansinnen von PrivatinteressentInnen, die Kontrolle über die Ressourcen der indigenen Gemeinden zu erhalten, sei »eine Neokolonisierung des Territoriums der Ursprungsvölker«.
Grundsätzlich gelten die Bedingungen der Energiereform für alle kollektiven und privaten LandbesitzerInnen gleichermaßen. Doch die Machtverhältnisse sind asymmetrisch. So schlossen sich beispielsweise im Norden mehrere große Viehzüchterverbände zusammen und beauftragten eine Anwaltskanzlei, sich auf Verhandlungen mit den Konzernen über Pacht, Entschädigungszahlungen und Gewinnbeteiligungen vorzubereiten. Sie sehen die vermuteten Gasvorkommen unter ihren Böden als eine Geschäftschance.
Bedrohung der Landwirtschaft durch Fracking
Wenn die vorübergehende Inbesitznahme ihres Landes eine weitere landwirtschaftliche Nutzung unmöglich macht, haben sie kaum Optionen. Von Kleinbauern zu Knechten, so die düstere Vision. In den Regionen, in denen das Fracking enorme Wassermengen verbrauchen wird, müssen selbst die größeren landwirtschaftlichen ProduzentInnen, die mit Bewässerungsfeldbau arbeiten, um ihre Zukunft fürchten.
Bauernorganisationen gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte der mexikanischen Agrargemeinden von der Energiereform direkt betroffen sein wird.
Am Ende könnte es eine neue Großgrundbesitzerklasse geben, fürchten sie: die nationalen und internationalen Energiekonzerne.
Warnung vor Großkonzernen aus Kalifornien verhallt ungehört
Mexikos Präsident Peña Nieto verkauft die Energiereform dagegen als historische Chance. Schon vor einem Jahr versprach er bei ihrer Verwirklichung eine höhere Lebensqualität für alle MexikanerInnen und mehr Geld in den Taschen der Familien. Allerdings: Es sei schwer, die Dimension seiner Reform zu verstehen, so Peña Nieto vor wenigen Wochen.
Die ganze Dimension wird sich tatsächlich erst noch zeigen. Ausgerechnet Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown riet den mexikanischen ParlamentarierInnen kurz vor Schluss und ungehört, zu strengen Regeln für die Großkonzerne. Diese würden Mexiko sonst nach allen Regeln der Kunst ausnehmen. Doch genau dafür haben ihnen Präsident und Abgeordnete buchstäblich den Boden bereitet.
Quelle: poonal
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