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Das Massaker von Iguala

Direkte Solidarität Chiapas vom 13.10.2014
von Philipp Gerber

  Polizisten entführen, foltern und töten Studenten in Guerrero, 43 Studierende werden vermisst. Die schwer begreifliche Brutalität erschüttert Mexikos Regime

Die Studierenden der pädagogischen Hochschule in Ayotzinapa, Guerrero trauern um drei ermordete Mitstudenten und vermissen auch mehrere Wochen nach den Angriffen in Iguala in der Nacht vom 26. auf den 27 September immer noch 43 ihrer Kommilitonen. »Die Hoffnung, die Verschleppten lebend und gesund zu finden, schwindet stündlich«, meinte Raymundo Díaz, Arzt und Aktivist des Kollektivs gegen Folter und Straflosigkeit (CCTI), der Überlebende und Angehörige nach der Horrornacht betreute. Sein Verdacht scheint sich zu bestätigen, denn Anfang Oktober wurden in den Hügeln ausserhalb Igualas sechs Massengräber gefunden. 28 Körper waren darin begraben, deren Identifizierung dauert noch an. Die DNA-Vergleiche brauchen Wochen bis Monate, so die Behörden zu den verzweifelten Angehörigen. Doch die Familien und Freunde der Verschwunden trauen den Behörden sowieso nicht mehr und fordern den uneingeschränkten Zugang einer unabhängigen Forensikerorganisation aus Argentinien zu den Ermittlungen. Ausserdem mobilisieren sie inzwischen das halbe Land, mit der zentralen Forderung »Lebend habt ihr sie mitgenommen, lebend wollen wir sie zurück«.

Zeichnung: »Barbarie« von Helguera, veröffentlicht in der La Jornada.Zeichnung: »Barbarie« von Helguera, veröffentlicht in der La Jornada.
Doch der Reihe nach: Der Auslöser der Polizeigewalt gegen die Studenten soll gemäss einem Polizeibulletin die Beschlagnahmung von Bussen gewesen sein, mit denen diese zurück in ihre Schule, der Escuela Normal Rural in Ayotzinapa, fahren wollten. Dass die Studierenden, auch »Normalistas« genannt, gemeinsam ein öffentliches Transportmitttel besetzen, ist eine zwar nicht legale, aber durchaus übliche Praxis der Studentenbewegungen in Mexiko. Die rund 150 Schüler des ersten Jahrgangs der Hochschule, alle um die 20 Jahre alt, führten zuvor in Iguala eine Kollekte durch, um die Woche darauf an der Gedenkdemonstration des Studentenmassakers vom 2. Oktober 1968 in Mexiko Stadt teilnehmen zu können. Gleichzeitig fand im Regierungsgebäude eine Feier des Sozialamtes statt, deren Vorsitzende in Mexiko jeweils die Gattin des Stadtpräsidentin ist. Als die Studenten um acht Uhr abends zwei Parallelstrassen vom Regierungsgebäude entfernt das Stadtzentrum passieren wollten, trafen sie auf ein Sicherheitsdispositiv der Polizei. Umstritten ist, ob es dabei zu einem Gerangel mit Beamten kam, die Studenten bestreiten dies. Die Busse fuhren weiter, die Polizei rief nach Verstärkung und verfolgte die Busse stadtauswärts, stellte sie am nördlichen Umfahrungsring.

Omar García López, Sprecher des Studentenkomitees beschreibt das folgende Geschehen: »Die Polizisten versperren uns den Weg. Die Genossen haben Videoaufnahmen davon, dass auch die bundesstaatliche und die föderale Polizei anwesend war. Plötzlich beginnen die Polizisten auf die drei Busse zu schiessen, und einer unserer Genossen fiel«. Aldo Gutiérrez Solano wurde durch einen Kopfschuss schwer verletzt; er liegt mit gravierenden Gehirnschäden seither im Koma und wird gemäss Presseberichten künstlich am Leben erhalten. Die Polizei begann, die Studenten zu verhaften, lud soviele Jugendliche auf die Ladeflächen ihrer Pick-ups, bis keine mehr Platz hatten.

Dieser bewaffnete Überfall war erst der Auftakt einer langen Nacht des Terrors. In den folgenden Stunden wurde ausserhalb von Iguala ein Taxi unter Beschuss genommen, dabei starb eine Passagierin und zwei Gewerkschafter wurden verletzt. Ausserdem eröffnete ein Kommando das Feuer auf einen Bus vollbesetzt mit 3.-Liga-Fussballspielern aus der Hauptstadt Chilpancingo; der Trainer und ein 15-jähriger Fussballer wurden getötet. Offensichtlich verwechselten die Angreifer diesen Bus mit den Studenten. Kurz nach Mitternacht gaben Studierende zusammen mit Lehrergewerkschaftern am Ort des ersten Angriffes eine improvisierte Pressekonferenz. Plötzlich fielen Schüsse, alle ergriffen die Flucht, zwei weitere Studenten blieben auf den regennassen Strassen Igualas tot liegen.

Beim Angriff auf die Pressekonferenz zerstörte eine Kugel den Oberkiefer von Édgar Andrés Vargas, ein Student, der extra aus der indigenen Ikoots-Gemeinde San Francisco del Mar im benachbarten Oaxaca nach Ayotzinapa reiste, um in Genuss der kostenlosen Ausbildung zu kommen. Auch Soldaten trafen am Tatort ein, wie der Studentensprecher García Tage später berichtete: »Die Armee kam nach wenigen Minuten, die Soldaten nahmen uns die Handys weg und sagten: ›Ihr wolltet euch mit Männern anlegen? Na dann haltet jetzt die Luft an, ihr habt die Konfrontation gesucht.‹ Wir baten die Soldaten, unseren compañero Édgar Andrés Vargas, der einen Schuss ins Gesicht erlitten hatte, zu helfen, aber sie sagten, dass wir das Maul halten sollen und sie haben keiner Ambulanz angerufen«.

Am Morgen des 27. September, viele Stunden nach den Ereignissen, übernahm das mexikanische Militär kurzzeitig »die Kontrolle« über die 130’000 Einwohner zählende Stadt Iguala, die nur 120 Kilometer südlich von Mexiko Stadt liegt. Die Armee nahm 22 Polizisten der 450 Mann starken Bezirkspolizei von Iguala fest. Keine schwierige Operation, denn zwei Batallone sind mitten in der Stadt Iguala stationiert: das 27. Infanteriebatallon und auch das 3. Batallon der »Spezialkräfte« des Heeres; diese Spezialkräfte wurden vor und während des »Krieges gegen Drogenmafia« aufgebaut und sollen, im Gegensatz zum Gros der mexikanischen Armee, auch über Aufklärung verfügen. Soldaten fanden zudem an diesem Samstagmorgen auf dem Pemex-Gelände den zu tode gefolterte Studenten Julio César Mondragón. Julio César, 22 jährig, rannte nach dem Angriff auf die mitternächtliche Pressekonferenz in Panik davon. Der Leiche von Julio César fehlten Kopfhaut und Augen... Die vorläufige Bilanz dieser Nacht: Sechs Tote, zwei Dutzend zum Teil schwerst Verletzte und die unglaubliche Zahl von 43 gewaltsam Verschwundenen.

Halbwahrheiten und der Versuch der Schadensbegrenzung

Unweigerlich stellt sich angesichts dieser Gräueltaten die Frage: Wie reagieren Gesellschaft und Politik darauf? Und wie konnte sowas überhaupt geschehen? In den ersten Tagen nach dem Massaker waren die Reaktionen abwartend. Der regierungsnahe Fernsehsender Televisa berichtete über die Ereignisse nur kurz unter den Vermischtmeldungen. Gesucht wurden die vermissten Studenten in diesen Tagen nicht ernsthaft. Das mediale Augenmerk richtete sich vornehmlich auf den PRD-Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca Velázquez, der alle Verantwortung mit den Worten von sich wies, er habe am Sozialamt-Fest getanzt, sei erst spät informiert worden über die Operation, worauf er die Polizei gebeten habe, nicht auf »die üblichen Provokationen dieser Jungs« einzugehen, so Abarca in einem Radiointerview drei Tage nach dem Massaker. Tags darauf, als die Luft doch zu dünn wurde, ist er spurlos verschwunden, zusammen mit seiner Frau und seinem Polizeivorsteher. Angel Aguirre Rivero, Gouverneur Guerreros, ebenfalls von der gemässigt linken PRD, verdonnerte seinen obersten Staatsanwaltschaft öffentlich zu Untersuchungen, dieser gab eine Vermisstenliste heraus. Zudem ordnete Aguirre an, dass 1600 Staatsbeamte aus Guerreros Hauptstadt Chilpancingo nach Iguala beordert wurden, um von Haus zu Haus nach den Vermissten zu suchen, einzig mit einem weissen T-Shirt mit Aufdrucken zur Suchaktion bewaffnet. Beamten, die anonym bleiben wollten, kritisierten diese Aktion als »desperat und für uns gefährlich«.

Sechs Tage nach dem Verschwinden der 43 Studierenden, am 2. Oktober, diesem historischen Tag für die Studentenbewegung und die ganze mexikanische Gesellschaft, mobilisierte die ganze soziale Bewegung Guerreros nach Chilpancingo und besetzte sechs Stunden lang die »Autobahn zur Sonne«: die Strasse, die von Mexiko Stadt an Iguala und Chilpancingo vorbei nach Acapulco führt, dem prioritären Ferienziel der Hauptstädter. Erst diese Blockade brachte das mexikanische Innenministerium dazu, sich tags darauf mit Angehörigen der Verschwunden zu treffen. Der subalterne Beamte hörte sich die Klagen verzweifelter Familienmitglieder der 43 Vermissten an, sein Chef, Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong, versprach nun schriftlich »eine wirkliche Suche« der Vermissten, mit Hilfe von föderalen Ermittlern. Am selben Abend, eine ganze Woche nach den Ereignissen, wurden die Massengräber entdeckt. Die Weltpresse war entsetzt, berichtete über die grausigen Funde.

Nun war es an Präsident Enrique Peña Nieto persönlich, Schadensbegrenzung zu üben. Er richtete sich, 10 Tage nach dem Massaker, mit einer Fernsehansprache an die Nation: Das gewaltsame Verschwinden der 43 Normalistas werde rückstandslos aufgeklärt, es bleibe in diesem Fall »nicht der kleinste Türspalt für die Straflosigkeit« offen. Oberstaatsanwalt Jesús Murillo Karam übernahm persönlich die Koordination der Ermittlungen. Gleichentags ersetzte die neue, seit August 2014 aktive Elitepolizei »Nationale Gendarmerie« die Munizipalpolizei in Iguala.

Die Suche nach den Ursachen des Massakers

Das Massaker von IgualaMit »Straflosigkeit« hat Peña Nieto ein gutes Stichwort gegeben, um der Frage nach der Ursache des Massakers nachzugehen, die inzwischen ganz Mexiko beschäftigt. Der Bundesstaat Guerrero ist seit Jahren ein Kristallisationspunkt sozialer Unruhe, rücksichtsloser Aufstandsbekämpfung und Mafiagewalt. Die Mordrate im gewalttätigsten Bundesstaat Mexikos ist mit 63 Morden pro 100’000 Einwohnern viermal höher als der mexikanische Durchschnitt und nur mit den gewalttätigsten Ländern der Welt zu vergleichen. Und Iguala ist eine »Schlüsselstadt« für die Mafia, erklärt der Jornada-Journalist Luis Hernández Navarro: »Umgeben von neun Bergen der Nordregion Guerreros, ist Iguala das Einfallstor zur Region Tierra Caliente, wo die Kartelle syntetische Drogen produzieren und Marihuana anbauen«. Auch der Schlafmohn hat in vielen Dörfern in den Bergen Südmexikos die Produktion oder Mais abgelöst; »maíz bola«, Kugelmais heisst der Schlafmohn aufgrund seiner Form in diesen Dörfern.

Die Verflechtung von Mafia und Politik und die damit einhergehende Straflosigkeit ist in Iguala nahezu vollständig. Zwei Beispiele: Das Militär verhaftet 2010 in Iguala sechs Jugendliche wegen eines Bagatelldelikts, diese verschwinden spurlos, die Familienangehörigen erreichen trotz Videobeweisen und vielen Behördengängen nichts, die Tat bleibt ungesühnt. Der Unternehmer Abarca Velázquez sponserte grosszügig den Gouverneurswahlkampf von Aguirre und hat dann seine Bürgermeister-Kandidatur in der PRD von seinem Amtsvorgänger erhalten. Seine Frau erkaufte sich kürzlich mit viel Geld die PRD-interne Parteivertretung für Iguala auf Bundesebene. Abarca ging im Frühling 2013 auf seine Art gegen parteiinterne Kritiker vor: Sechs führende Mitglieder der sozialen Organisation Unidad Popular werden nach öffentlichen Protesten gegen die Korruption in Iguala entführt, drei von ihnen hingerichtet. Der altgediente Linke Arturo Hernández Cardona war das bekannteste Opfer, er soll vom Bürgermeister persönlich erschossen worden sein: »Me voy a dar el gusto de matarte — ich werde mir den Gefallen tun, dich umzubringen« waren Abarcas Worte vor der Tat. Der Augenzeugenbericht ist notariell beglaubigt, bei der Bundesstaatsanwaltschaft eingereicht und auszugsweise auch in der Lokalpresse veröffentlicht, aber die Untersuchungen verliefen im Sand. Auch diese Tat blieb straflos. Inzischen geht die Presse den eng geflochtenen Seilschaften nach, analysiert Gefälligkeiten und Verwandtschaften zwischen dem Bürgermeister-Ehepaar und den lokalen Mafiagrössen (Guerreros Unidos heisst der Ableger des zersplitteren Beltran-Leyva-Kartells, der Bruder der Bürgermeistergattin soll der lokale Mafiaboss sein) und deren parteipolitischen , insbesondere der »Linken«, also PRD, PT und auch der neuen linken Partei unter Andrés Manuel López Obrador, Morena.

Doch die Straflosigkeit hat auch andere Gesichter in Guerrero: Der Polizeiangriff am 12.12.2011 auf eine Demonstration in nahen Chilpancingo,bei dem über 600 Schüsse fielen forderte zwei Ayotzinapa-Studenten das Leben. Filme und Fotos liegen vor, die Presse berichtete international. Nach monatelangen Ermittlungen — Vidulfo Rosales, Opferanwalt, musste zwischenzeitlich wegen Morddrohungen ins Exil − wurden alle Beamten freigesprochen. Einer der Einsatzleiter bei dieser aussergerichtlichen Hinrichtung, Kommandant der Bundespolizei, wurde inzwischen befördert... Im Einsatz waren dabei übrigens unter anderem die G-36-Gewehre von Hecker & Koch, was in Deutschland zu einem politischen und juristischen Nachspiel führte. Nicht direkt wegen der erschossenen Studenten, sondern weil der Käufer der Waffen, die mexikanische Armee, sich nicht an eine in deutschen Amtsstuben erdachte Einsatzbeschränkung hielt, die den Einsatz der Waffe in besonders konfliktiven mexikanischen Bundesstaaten mit notorisch schlechter Menschenrechtsbilanz wie Guerrero von der Exportbewilligung ausschloss. Zudem kassierte der General pro eingekaufter Waffe noch ein kleines Extra von H& K, gerecht berechnet je nach Kaliber der Waffe. Stuttgart ermittelt in beiden Fällen, seit Jahren.

Aber zurück zu Iguala, diesem »Mafianest«, in das nun der Präsident Peña Nieto tatkräftig Elitepolizisten entsendet, wie die taz und die Weltpresse titelt. Bei genauer Betrachtung wird klar, allein mit der in gerne verbreiteten These der Brutalität des Drogenkriegs ist das Studenten-Massaker von Iguala und die Situation in Guerrero nicht zu erklären. »Hier gibt es eine staatliche Politik der Morde an Anführern der sozialen Bewegungen und der Kriminalisierung der Proteste, um die soziale Unruhe im Zaum zu halten«, erklärt der entrüstete Abel Barrera, Direktor des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, nach dem Massaker. Das CCTI beschreibt die konkreten Auswirkungen dieser Politik: »Die Gesellschaft Guerreros ist gelähmt, paralysiert durch die Angst und den Terror, außer einiger weniger Sektoren mit langer kämpferischer Tradition, wie die Studenten und die Lehrer.« Hinzu kommt, dass genau diese Sektoren durch die Massenmedien seit Jahren kriminalisiert werden. Einmal sind sie »arbeitsscheue Elemente«, ein ander Mal »vermummte Vandalen« oder die 17 im Land verteilten »Escuelas Normales Rurale« − Landlehrerhochschulen − werden gar pauschal als »Brutstätte von Guerilleros« bezeichnet. Noch einmal der scharfsinnige politische Analyst Luis Hernández Navarro, ehemaliger Lehrergewerkschafter: »Schon vor dem 26. September wurden die Studenten der Landlehrerschulen dämonisiert. Über sie wurden haufenweise Verleumdungen verbreitet, ohne diese zu beweisen. Dies haben die Unternehmer gemacht, angeführt von Claudio X. González und dessen Verein Mexicanos Primero, aber auch das Bildungsministerium und Politiker aller Parteien«.

Doch Claudio X. González, vielseitiger Unternehmer und im Vorsitz des Fernsehmonopolisten Televisa, hat − unter dem zivilgesellschaftlichen Deckmantel Mexicanos Primero — nicht nur gegen die Gewerkschafter im Bildungsbereich gewettert. Er hat hat auch den Regierungswechsel 2012 zurück zur altgedienten PRI genutzt, um seine Vorstellungen eines modernen, kompetitiven, auf Leistung, Testchen und Evaluationen getrimmtes Schulwesen vorzuschlagen und tel quel im Parlament durchzubringen. Arbeitsrechte wurden beschränkt und die Normales genannten staatlichen pädagogischen Hochschulen sind nun nicht mehr die zentralen Ausbildungsstätten für Grundschullehrer. Jedermann kann eine Prüfung schreiben, wenn er oder sie sie besteht, kriegt er einen Job. Wer eine vierjährige pädagogische Ausbildung gemacht hat, aber den technischen Test nicht besteht, nicht.

Seit dem Widerstand der radikalen, von der gelben Gewerkschaft unabhängigen Lehrer und der Pädagogikstudenten gegen die Bildungsreform der Regierung Peña Nieto hat die Verleumdungs- und Kriminalisierungs-Kampagne noch an Agressivität zugenommen. Die Schüler des Internats in Ayotzinapa gehören zu den sichtbarsten Vertretern dieser Opposition, den Normales Rurales: 1936 unter Präsident Cárdenas als streng sozialistische Ausbildungsstätten gegründet, halten sie das Ideal einer kostenlosen Ausbildung hoch und ermöglichen so mittellosen, meist indigenen Bauernsöhnen das Erlernen des Lehrerberufs für die Grundsstufe. »Ayotzinapa ist bekannt für den solidarischen Zusammenhalt unter den Studierenden, aber auch für die Qualität der Ausbildung«, meint Raymundo Díaz von CCTI. Die Abgänger von Ayotzinapa schnitten bei Zugangsprüfungen zum Grundschulamt überdurchschnittlich gut ab.

Die Kriminalisierung der sozialen Bewegung, die Mafiagewalt und Straflosigkeit, dieses Gemisch scheint in Iguala zur »Tragödie« geführt zu haben. Eine Tragödie, die kein Unglück, sondern ein Staatsverbrechen ist, wie zehntausende Demonstrierende am 8. Oktober in 25 der 32 mexikanischen Bundesstaaten kundgaben. Iguala ist zum Symbol für diese Brutalität in Uniform geworden, und aufgerüttelt durch das Drama der Angehörigen der Verschwundenen wird Ayotzinapa von einer breiten Öffentlichkeit als legitime Institution zur Verteidigung des Rechts auf Bildung entdeckt. Der Angriff auf die in Presse und auch im Volksmund oft als lästig und agressiv gescholtenen Normalistas scheint zum Fanal zu werden gegen ein politisches System, das sich nach dem Durchwinken des Reformpakets jeglicher grundsätzlicher Opposition entledigt glaubte und dafür Lorbeeren in Davos und New York einheimste.

Ob heimtückisch geplant, ob fahrlässig oder sträflich zugelassen, das Massaker ist aufgrund seiner schlichten Dimensionen, der Einschätzung des Verfassers dieses Artikels nach, ein »Betriebsunfall« in der counter insurgency, im Krieg niederer Intensität gegen Bewegungen. Ähnlichkeiten mit dem Massaker von Acteal in Chiapas 1997 drängen sich auf: Zwei Tage vor Weihnachten ermordeten Parmilitärs 45 Indigene, welche mit dem zapatistischen Aufstand sympatisierten. Wie in Acteal waren auch in Iguala Bundespolizei und Militär in Hörweite stationiert, aber unternahmen stundenlang nichts, als diese irregulären Kräfte gegen ihre »Feinde« vorgingen. Damals, nach Acteal, wurden einige materielle Täter gefasst und weggesperrt, der Gouverneur von Chiapas und der damalige Innenminister, Emilio Chuayffet, in die Wüste geschickt. Die Hintermänner der Paramilitärs wurden nicht belangt. Seit zwei Jahren sind alle Täter, darunter auch geständigte Mörder, wieder auf freiem Fuss, angeblich wegen Verfahrensfehlern im Prozess. Und Emilio Chuayffet ist heute Bildungsminister im Kabinett von Peña Nieto und somit erster politischer Verantwortlicher für die soziale Konfliktivität im Bildungswesen.

Bleibt es auch diesmal bei Bauernopfern und beim politischen Köpferollen? Vielleicht , hoffentlich ist 2014 doch anders als 1997. »Wir werden keine weiteren Gräueltaten unter der Schirmherrschaft von Regierung und Straflosigkeit mehr zulassen«, warnt Tlachinollan in einem Appell an die Bevölkerung Guerreros. Das Menschenrechtszentrum ruft dazu auf, gemeinsam »die Grundfesten einer Macht auszuhebeln, die nur sich selber dient«. Bleibt die Frage, ob das Massaker von Iguala den von den intellektuellen und materiellen Tätern beabsichtigten demobilisierenden Schockeffekt hat, oder ob sich die landesweiten Mobilisierungen in Solidarität mit den Studierenden von Ayotzinapa und mit den Familien der Angehörigen der Verschwundenen in deren Gegenteil verwandeln.


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