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»Ohne den Sub ist alles anders«

Jungle World vom 24.12.2003
Kristin Gebhardt und Wolf-Dieter Vogel

  Ein Gespräch mit adriana marroquin und octavio moreno. Adriana war jahrelang in der zapatistischen Bewegung in Chiapas aktiv, Octavio ist Mitarbeiter im linken Zeitungskollektiv La Guillotina in Mexiko-Stadt

Mit seiner Kampagne »20 y 10 — El fuego y la palabra« ist das Zapatistische Befreiungsheer EZLN wieder in der mexikanischen Öffentlichkeit angekommen. Zuletzt waren die Zapatisten vor knapp drei Jahren mit ihrem »Marsch der Farbe der Erde« über Chiapas hinaus präsent. Die Kommandantur der Guerilla zog damals durch zwölf Bundesstaaten. Begleitet von Zehntausenden von Menschen, führten sie zahlreiche Kundgebungen durch, und mit der EZLN-Kommandantin Esther trat erstmals eine indigene Frau im mexikanischen Parlament auf. Das Ziel war, Druck zu schaffen, damit der Kongress das Abkommen von San Andres verabschiedet.

San Andres ist im Parlament gescheitert, und auch sonst ist von der damaligen überregionalen Euphorie heute wenig zu spüren. Hat die zapatistische Bewegung noch die Stärke, mit der sie im Jahr 2001 Hunderttausende mobilisieren konnte?

Marroquin: Der »Marsch der Farbe der Erde« war ein außergewöhnlicher Akt, und ein besonders wichtiger, um Kontakt zu den Menschen in Mexiko aufzunehmen. Wir sind schon vor dem Marsch nicht davon ausgegangen, dass der Kongress das Abkommen von San Andres als Gesetzestext verabschiedet. Viel eher ging es darum, genau diese Befürchtung deutlich zu machen und Druck für eine praktische Umsetzung der Autonomie schaffen.
So gesehen ist die zapatistische Bewegung heute einen Schritt weiter. Mit der Gründung der »Räte der Guten Regierungen« im August dieses Jahres wurde aus der Idee konkrete Praxis, unabhängig von der Ignoranz der politischen Klasse. Autonomie ist nun nichts Mythisches mehr, das nur auf irgendeinem Papier steht. Die Botschaft ist eindeutig: Es interessiert uns nicht mehr, was die Politiker zu sagen haben, wir warten nicht mehr auf eine Antwort.
Vielleicht wirkt das nicht so spektakulär wie der Marsch im Jahr 2001, aber es ist die konsequente Weiterentwicklung dessen, was damals propagiert wurde. Möglicherweise ist unser Blick hier sehr westlich geprägt: Man erwartet Spektakuläreres.

In Chiapas herrschen wegen der Präsenz des EZLN und der Geschichte der Rebellion sehr spezielle Bedingungen. Das schafft die Möglichkeit für Experimente wie die »Räte der Guten Regierung« und autonome Gemeinden. Aber ist der Zapatismus brauchbar für Menschen jenseits der vom EZLN kontrollierten Gebiete?

Marroquin: Natürlich geht der Zapatismus weit über das hinaus, was zum Beispiel unsere Räume in der Stadt ermöglichen. Der EZLN redet vom Umsetzen, nicht vom Bitten und auch nicht vom Fordern. Die Stadt hat ihren eigenen Rhythmus und es wird seine Zeit dauern, bis wir hier eine Antwort auf einen Vorschlag bekommen, der so fortgeschritten, so avantgardistisch ist wie es die »Räte der Guten Regierung« sind.
Moreno: Hier in der Stadt haben sich die Studierenden während des Streiks an der Unam, der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt, sehr stark am Zapatismus orientiert. Bedeutsam war auch der Kampf gegen den Flughafenbau in San Salvador Atenco im vergangenen Jahr. Die Bauern haben das Dorf kurzerhand nach zapatistischem Muster zur autonomen Gemeinde erklärt. Auch in den Bundesstaaten Oaxaca, Michoacán und Guerrero gibt es einige indigene Dörfer, die diesen Schritt unternommen haben.
Der Zapatismus ist vor allem in den armen Sektoren der Gesellschaft, z.B. unter Teilen der Bauernschaft und natürlich in indigenen Gemeinden, verankert. Die traditionellen linken Gruppen, die beispielsweise maßgeblich die Aktivitäten gegen die Welthandelskonferenz im September in Cancún organisiert haben, verbindet dagegen nichts mit dem Zapatismus, weder ideologisch noch personell.
In Mexiko entwickelt sich eine zunehmende Abneigung gegenüber politischen Parteien. Hier setzt ein wesentlicher Aspekt des Zapatismus an, der weit über Chiapas hinaus wirkt. Man will weg von der Vorstellung, Veränderung müsse durch Machtübernahme innerhalb des Apparates erreicht werden.

Im August rief EZLN-Comandante Brus Li wörtlich »Arbeiter, Bauern, Indigene, Frauen, Alte, Schwule, Lesben, Transsexuelle, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter« sowie alle möglichen anderen zur Vernetzung des Widerstandes von unten auf. Sind solche Bezugnahmen nicht vor allem der internationalen Klientel oder den Linken aus den mexikanischen Städten geschuldet?

Marroquin: In den indigenen Kommunen sind diese Positionen nicht so präzise präsent. Die Menschen gehen ihren eigenen Weg und wissen, dass es da genug zu überwinden gibt. Zum Beispiel, was die Rolle der Frauen betrifft. Aber trotzdem gibt es wichtige Übereinstimmungen. Schon in ihrer ersten Erklärung stellten die Zapatisten klar, dass sie keine ethnisch orientierte, sondern eine mexikanische Bewegung seien. Und sie erklärten, dass sie die Urbanität auf ihre eigene Weise betrachten. Aber sicher vertrat Brus Li die Position der EZLN-Comandancia, nicht der zapatistischen Basis.
Moreno: Ich denke schon, dass Annäherungen wie die von Brus Li nicht völlig abgehoben von der indigenen Bevölkerung stattfinden, gerade weil die indigene Komponente das innovative Element des EZLN ist. Der EZLN hat sich nicht aus einer westlichen Linken entwickelt, sondern aus einer indigenen Struktur. Von diesem Standpunkt aus hat die Guerilla eine universelle Botschaft entwickelt. Ein mexikanischer Indigener kann sich nicht in die mexikanische Gesellschaft integrieren, ohne sein Dasein als Indigener aufzugeben, ohne seine Sprache, Kultur, Sozialisation oder Hautfarbe zu negieren. Das verbindet die indigene Bewegung mit den Schwulen, Lesben, Schwarzen, Chicanos, Frauen, Behinderten, Verrückten ..., mit allen Marginalisierten.

Also speist sich dieser Diskurs, der dem Anschein nach an die westliche Linke angelehnt ist, aus dem genauen Gegenteil, aus den Erfahrungen der indigenen Geschichte?

Moreno: Es gibt Berührungspunkte, gemeinsame Diskurse, Aneignungen einzelner Aspekte. Schließlich leben Indigene in Chiapas nicht in einer geschlossenen Welt, abgeschottet von der kapitalistischen Gesellschaft. Die zapatistische Bewegung hat sich nie auf einen »idealen Indigenen« im Sinne des edlen Wilden und auch nicht auf traditionelle »Gebräuche und Sitten« bezogen. Sie kämpft für ein Projekt des sozialen Wandels. Das Revolutionäre Zapatistische Frauengesetz ist dafür das beste Beispiel.
Aber es ist wichtig zu sehen, dass der Ansatz der radikalen Demokratie, der in der internationalen linken Szene so auf Zustimmung stößt, aus den indigenen Gemeinden stammt. Er ist kein Importprodukt des Marxismus oder des Anarchismus. Auch das Prinzip des ständigen Reflektierens und die Fähigkeit zur Selbstkritik sind den indigenen Wurzeln des Zapatismus geschuldet.
Marroquin: Es hat tatsächlich ein konstanter gegenseitiger Lernprozess zwischen den indigenen Gemeinden, dem EZLN und der Zivilgesellschaft stattgefunden. Der EZLN selbst musste sehr oft zuhören, zurückstecken und alles neu überdenken. Zum Beispiel nach dem Aufstand vom 1. Januar 1994. Zehn Jahre lang hatte man sich auf den bewaffneten Kampf vorbereitet, und nach zwölf Tagen war alles vorbei. Nicht zuletzt, weil aus den Gemeinden ein klares Signal kam: Wir wollen keinen bewaffneten Aufstand, sondern einen friedlichen Kampf. Das veränderte komplett die Struktur, die der EZLN zehn Jahre lang entwickelt hatte. Die Führer der Guerilla mussten lernen, die Worte der Gemeinden zu reflektieren.
Das ist die eine Seite. Dennoch hat der Diskurs, mit dem die Zapatisten international bekannt wurden, viel mit der Rolle des Subcomandante Marcos zu tun. Die übermäßige Bedeutung, die man ihm gab, zieht sich durch die Geschichte der Bewegung. Ohne den Sub wäre der Zapatismus ganz anders.
Moreno: Aber Marcos wurde oft genug zurechtgewiesen. Seine guevaristische, hierarchische Linie scheiterte am Veto der indigenen Kommunen. Diese setzten die demokratischen, kollektiven Strukturen durch. Marcos selbst sagt dazu: Am Anfang haben wir die Wichtigkeit des speziell Indigenen nicht wahrgenommen. Dass seine Rolle gelegentlich überdimensioniert wurde, hat der EZLN selbst erst vor kurzem kritisiert ...
Marroquin: ... nun gut, Marcos selbst hat es kritisiert.
Moreno: Aber es war ein kollektiver Beschluss. Fakt ist, dass der Sub fähig war und ist, die indigene Gedankenwelt für die westliche Welt zu übersetzen. Dass die mexikanische Gesellschaft in manchen Momenten nur noch Marcos gesehen hat, liegt daran, dass die politische Tradition dieses Landes immer sehr autoritär war. In allen Revolutionen waren charismatische Führer von großer Bedeutung: zum Beispiel Pancho Villa oder Emiliano Zapata. Die Indigenen benutzen Marcos, weil sie genau wissen, dass sie sonst nicht gehört werden.
Marroquin: Ja, in einem so rassistischen Land war und ist die Rolle des Sub wichtig. Marcos kommt an, die Leute sind fasziniert von ihm, er ist hip, hat »Sexappeal«. Klar, er ist tatsächlich ein genialer Typ, auch als Politiker und als Militär. Das muss man anerkennen, aber gleichzeitig gab es Alleingänge, die er selbst jüngst als seine Fehler kritisiert hat.
So zum Beispiel sein Versuch vom vergangenen Dezember, den Baskenlandkonflikt lösen zu wollen. Das war ausschließlich seine Geschichte. Sie hatte nichts mit den Diskussionen in den Gemeinden zu tun. Auch wenn es ein sehr hohes kollektives Bewusstsein in der zapatistischen Basis gibt, ist es seltsam, wenn plötzlich auf einer Demonstration in San Cristóbal Tausende von Indigenen ein unabhängiges Baskenland fordern. Tatsächlich wissen viele nicht mal, wo Spanien denn genau liegt. Wie sollen sie einen Kampf unterstützen, von dem sie nichts wissen?

 Quelle:  
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