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Sprechen und sprechen lassen
Basta! Mehr als das bewaffnete Auftreten der Zapatisten waren es ihre Worte, die Widerhall provozierten.
News vom 01.01.2004 |
von Anne Huffschmid |
Am Anfang waren nicht Worte, sondern Gewehre. Das erste Kommuniqué war eine flammende »Kriegserklärung«, flankiert vom Aufruf, gemeinsam mit den aufständischen Truppen »zur Hauptstadt vorzustoßen« und den »Diktator zu stürzen«. Dem Ruf mochte bekanntlich niemand folgen. Stattdessen machte sich Staunen breit im Lande, Bewunderung und auch Bestürzung. Einen Volks- oder Bürgerkrieg wollte keiner, doch auch ein Massaker an den bewaffneten Aufständischen sollte — und konnte — verhindert werden.
Mehr als alles martialische Säbelgerassel war es das allererste Wörtchen, das Echos provozierte und im Nu zum Slogan wurde: »Basta«, es reicht. Im Zuge dieser Losung verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Genugtuung darüber, dass den Regierenden in Mexiko quasi über Nacht die Diskurshoheit entzogen worden war. Das Gerede vom — via Freihandelsabkommen — bevorstehenden Eintritt in den Club der Ersten Welt war als Geschwätz entlarvt, statt von Lobpreisungen des Freihandels waren die Zeitungen plötzlich voll von Sozialreportagen und Elendsstatistiken.
Zugleich wurde mit der Selbstbenennung als Zapatistas der wohl paradoxeste aller Revolutionshelden, der als Verratener zur Galionsfigur der offiziellen Geschichtsschreibung mutiert war, gegen das marktliberale Credo in Stellung gebracht, dass alles, also auch der Boden, käuflich sein müsse. Schließlich wurde die Behauptung der Harmonie der Ethnien, die jahrzehntelang alles Indigene im großen melting pot der Mestizaje eingedampft hatte, als Lebenslüge demontiert. Über die Landesgrenzen hinaus zündete das Basta mitten im positivistischen, denkfaulen Zeitgeist der neunziger Jahre einen diskursiven Sprengsatz: dass Revolte, wo, wie und gegen wen oder was auch immer, ebenso nötig wie offenbar möglich sei.
Für Erstaunen sorgte auch die geradezu professionell anmutende Pressearbeit und Internetnutzung. Schnell machte das griffige Etikett der Medien- und Internetguerilla die Runde. Doch der Pressehype verflüchtigte sich bald, auch der Cyberspace dient mehr der Beschleunigung als der Vertiefung des zapatistischen Networking. Die raffinierteste Kommunikationstechnologie war und blieb das gesprochene und geschriebene Wort.
La palabra zapatista hat mit der Verfremdung und Unterwanderung einer schon lange brüchigen kulturellen Semantik zu tun: der maroden Legitimationsmaschine einer verratenen, weil »institutionalierten« Revolution; dem paternalistischen Indigenismo, der die Indios immer wieder aufs Neue zu Objekten staatlicher Fürsorge und Diskurse machte; der marktliberalen »Modernisierung« mit ihren Floskeln von Demokratie und Zivilgesellschaft. Über die Landesgrenzen hinaus wurde ein global mehr oder weniger institutionalisierter Menschenrechtsdiskurs zum Konzept der »Menschenwürde«, die mehr meint als das Recht auf Leib und Leben, umfunktioniert.
Das erklärte Ziel der Erhebung war nicht die Revolution, sondern Respekt. »Wir wollen vor allem anderen Respekt. Respekt vor dem, was wir sind«, sagte Comandante Tacho einmal im Interview. »Wir sind Mexikaner. Wir sind Indios.« Der immer wieder durchklingende Wir-sind-Essenzialismus, der Mexikaner und Indios zu besseren Menschen erklärt, ist somit eher strategischer als fundamentalistischer Natur. Beides sind Wahlidentitäten, die gegen hegemoniale Ausgrenzungen eine Funktion erfüllen — Mexikaner sein als Teilhabe, Indio sein als Zeichen für kulturelle Differenz.
Die Betonung der eigenen Differenz verweist im zapatistischen Diskurs immer zugleich auf die Existenz von anderen Verschiedenen (Frauen, Homosexuelle, Dissidenten) und wird so zum Postulat von Diversität — ein grundlegend anderes Konzept als traditionelle Identitätspolitik. Orthodoxe Versatzstücke führen nun zu teils erheblichen Spannungen in der zapatistischen Rede, etwa zwischen nationalistischer und »intergalaktischer« Rhetorik, antiautoritärem Anspruch und revolutionärer Disziplin, zwischen dem Ethos der Kollektivität und dem Recht auf Dissidenz — alles Widersprüche, die eine glatte Lektüre und Einverleibung verhindern.
Bei alledem funktioniert Subcomandante Marcos als eine Art Label, vor allem aber als Verbindungsstück der indigenen zur Kosmovision einer medial verschalteten Moderne, er ist »einer von uns«, wie die mestizische Welt unaufhörlich spekuliert. Dem entzieht sich Marcos, indem er die Maske zur einzig wahren Identität erklärt. So wird sie zum zentralen symbolischen Logo und Requisit der paradoxen Performance der indigenen Gesichtslosigkeit. Denn erst die Vermummung weist den mestizischen Mainstream darauf hin, dass die Vermummten überhaupt ein unterscheidbares Gesicht haben.
Verknüpft wird die Maske in den zapatistischen Texten häufig mit dem Spiegel. Er steht für das Selbstverständnis einer Bewegung, die der Außenwelt Identifikation statt Identifizierung bietet: »Wenn Ihr wissen wollt, was hinter der Maske steckt, schaut in einen Spiegel«, lautet einer der Standardsätze des Subcomandante. Die leere Maske wird so zum Spiegel, in dem der oder die Betrachtende sowohl den Anderen, ehemals Unsichtbaren, wie auch sein eigenes »wahres« Bild (Elend, Widerständigkeit) erkennen soll.
Und tatsächlich scheint jeder dieser Betrachter im Zapatismo genau das zu sehen, was seinem eigenen Selbst- und Weltbild am ehesten entspricht. In nahezu allen Resonanzen steht der Aufstand als »kleines« Zeichen für »größere« Zusammenhänge: für die Verwüstungen einer marktliberalen Weltordnung oder für ein Fanal gegen Rassismus, für die Aktualität einer revolutionären Ethik, für die moralische Stärkung oder aber Erneuerung der Linken, für den Sinn oder die Kritik der Waffen — sowie, vor allem bei Gegnern, für wahnhaften Anachronismus oder Revolutionsromantik.
Als »Zauberformel, um das Unaussprechliche auszudrücken«, bezeichnete einmal ein Pariser Anarchist den Zapatismo und trifft dessen Logik damit im Kern: strategische Leere statt reine Lehren. Diese Leerstellen mit Inhalten und Sinn zu füllen, ist ein interaktiver Prozess. »Wir klopfen an Türen, und wo wir eine offene finden, da gehen wir rein und klopfen weiter an andere Türen«, sagte Marcos einmal im Gespräch mit dem argentinischen Literaten Juan Gelman.
Beispiele für dieses diskursive Anklopfen sind etwa die zunehmende Zentralität der Forderung nach Autonomie, die erst im Laufe der Jahre von außen eingespeist und zum zentralen Kampfbegriff der Zapatistas wurde, das Einsickern einer feministischen Weltsicht, die Relativierung der ursprünglich sehr dominanten Märtyrer- und Opferrhetorik, die Entnationalisierung der Vaterlandsrhetorik, die Globalisierung des diskursiven Horizonts wie auch — vor allem seit dem Machtwechsel 2000 — die rapide Ethnisierung des Diskurses.
Offenheit ist allerdings nicht, wie zuweilen unterstellt wird, automatisch mit Beliebigkeit gleichzusetzen. Denn längst nicht alle identifizieren sich mit den Maskierten. Aufschlussreich ist besonders die ähnlichkeit der Einwände, die von »Realos« jeder Couleur — von regierungsnahen Realpolitikern bis zu linksradikalen Revolutionären — vorgebracht werden. Sie alle bezichtigen den Zapatismo nahezu unisono des Romantizismus und der Irrationalität, der Theatralität und Geschwätzigkeit.
So ereifern sich linksorthodoxe Autoren über die »Kleinbürgerguerilla« ohne jeden Schimmer vom Klassenkampf, ex-linke Akademiker spotten über »Indianerhäuptlinge« und »Cyberfolklore«, regierungsnahe Intellektuelle sprechen von »Bluff« oder »Farce«. Für sie alle ist der EZLN ein Akteur, der schon deshalb nicht ernst zu nehmen sei, da er außerhalb der realen Politik angesiedelt sei. »Selbstmord oder Sozialismus« schrieb konkret im Februar 1994. Die Verwirrung darüber, dass die Zapatistas sich zu beidem nicht so recht durchringen mögen, dürfte in orthodoxen Kreisen bis heute anhalten.
Im vergangenen August verkündeten die Zapatisten ihr neues System der »Räte der guten Regierung«, in dem auch das neue Symbol der Schneckenmuschel, Caracol, als Bezeichnung für die Räume der Kommunikation mit der Außenwelt auftaucht. Die Caracol ist weit mehr als pittoreske Metaphorik. Einerseits wird damit die bisherige Bezeichnung Aguascalientes, die auf die revolutionäre Nationalgeschichte anspielt, durch ein rein indigenes Symbolrepertoire abgelöst.
Zweitens steht die Schneckenspirale nach den Worten von Marcos für zwei entgegengesetzte Stoßrichtungen: »in das Herz hinein, wie die Allerersten das Wissen genannt haben«, und zugleich »aus dem Herzen hinaus, in die Welt, wie die Allerersten das Leben genannt haben«. Die Betonung, so scheint es, liegt eher auf dem Innen als auf dem Außen, gestärkt werden sollen die selbst verwalteten Gemeinden, sowohl gegenüber der mestizischen Außenwelt wie auch gegenüber den bewaffneten Gruppen.
Fatal wäre es, wenn damit die Normalisierung einer klandestinen Logik einherginge, etwa in der Art der guatemaltekischen Widerstandsdörfer. Wenn das Überleben des Zapatismo wieder zunehmend von militärischen Strukturen und dem Kampf um materielle Versorgung bestimmt ist, dann droht auch der produktive Widersinn womöglich wieder zum reinen Widerstand zu gerinnen, bei dem die Wort- hinter die Waffenergreifung zurücktreten könnte. An die Stelle von Brückenschlägen würden Grenzziehungen treten, die Bewegung würde normaler — und somit berechenbarer.
Ein solcher Rückzug kann auch als eine Art politischer Notwehr gedeutet werden — angesichts der paramilitärischen Bedrohung, aber auch des zunehmenden Desinteresses, das dem Zapatismo nach zehn Jahren vom politischen Establishment, aber auch von der »Zivilgesellschaft« entgegengebracht wird. Was bleibt, selbst wenn der Spiegel allmählich blind werden sollte, ist für alle Zeiten ein Verdienst: der widerwärtigen Mär vom Ende der Geschichte so vehement wie eloquent widersprochen zu haben. Die Vehemenz kam aus den Gewehrläufen, die Eloquenz jedoch vom Sprechen und sprechen Lassen.
Von Anne Huffschmid erscheint im Frühjahr 2004 das Buch: »Diskursguerilla: Wortergreifung und Widersinn. Die Zapatistas im Spiegel der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit«
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